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Vanessa C. Duss Jacobi - Erste Europäische Internetzeitschrift für ...

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den Entscheid <strong>für</strong> das „so und nicht anders“ erleichtern. Ist eine Entscheidung getroffen,<br />

wird eine Wahl vorgenommen: Das wo<strong>für</strong> man sich nicht entschieden hat, wird ausgeschlossen<br />

davon, die „richtige“ Entscheidung <strong>für</strong> das konkrete Problem zu sein. Der potentielle<br />

Zugriff auf die nicht gewählten Entscheidungen und deren Gründe bleibt aber <strong>für</strong> die<br />

Zukunft gerade dann möglich, wenn Historisierung erfolgt, d.h. wenn das Entschiedene<br />

erinnert wird. Und <strong>für</strong> das, was auf der anderen Seite der Entscheidung steht, gibt es immer<br />

auch Gründe – ein Entscheid kann immer so oder anders ausfallen. Die Kontingenz, die in<br />

der Natur der Entscheide liegt, erhöht die Komplexität im Rechtssystem.<br />

Im Hinblick auf richterliches Entscheiden bringt das Wissen um die Kontingenz des Entscheidens<br />

das Dilemma des „making decisions“ 8 ans Licht, will doch das Recht mit klaren<br />

Normen unklaren Sachverhalten zu eindeutigen Lösungen verhelfen. Und natürlich hat sich<br />

die Rechtswissenschaft zur Vermeidung der Beliebigkeit der Jurisprudenz keine Pappkameraden<br />

gebastelt: Rechtssicherheit, Einheit der Rechtsprechung, Begründungszwang und<br />

Rechts- wie Justizverweigerungsverbot (und damit Entscheidungszwang) seien hier genannt.<br />

Sie vermögen die „Paradoxie des Entscheidens“ 9 zwar nicht aufzulösen, schaffen<br />

aber durch das Gebot des „sich entscheiden Müssens“ trotz des „nicht entscheiden Könnens“<br />

eine einstweilige Reduktion der Komplexität. Bloss temporär ist die Reduktion deshalb,<br />

weil sowohl die <strong>für</strong> die Entscheidung angewandte(n) Norm(en) des positiven geltenden<br />

Rechts wie auch deren Auslegung und somit Anwendung kontingent sind. Beide haben<br />

solange Gültigkeit, wie die Normen in Kraft sind bzw. die Rechtsprechung konstant bleibt.<br />

Und das Recht hat es ausschliesslich mit Geltung zu tun: „Alles Recht ist geltendes Recht.<br />

Nicht geltendes Recht ist kein Recht“ – „Geltung“ ist das Symbol der Einheit des Rechtssystems.<br />

10 Normen und „herrschende Meinungen“ 11 werden durch neue Gesetze und Entscheidungen<br />

zwar geändert, aber nur sehr müh- und langsam. Stattdessen wird die Geltung<br />

einer Norm gerade dann aufrechterhalten, wenn die Norm nicht eingehalten wird. Geltung<br />

meint demnach „kontrafaktische Stabilisierung von Verhaltenserwartungen“ 12 .<br />

8 Bzw. deren Tragik, vgl. Marie Theres Fögen, The Tragedy of Making Decisions. A Commentary on<br />

Aeschylus’ “Eumenides” / Die Tragödie des Entscheidens. Eine Anmerkung zu den „Eumeniden“ des<br />

Aischylos, in: Ancilla Iuris (www.anci.ch) 2007, S. 42-47 v.a. S. 42 und S. 45 [dt. zuerst in NZZ v.<br />

21./22.2.2004, S. 45, auch erschienen in: Andrea Büchler (Hrsg.), Marie Theres Fögen, Opuscula, Dike,<br />

Zürich/St.Gallen 2009, S. 82-87, nachfolgend: Fögen, Tragödie des Entscheidens].<br />

9 „Es ist eine paradoxe Situation – man kann nur entscheiden, wenn und weil man nicht entscheiden kann”,<br />

Fögen, Rechtsverweigerungsverbot, a.a.O., S. 37, vgl. auch: Fögen, Tragödie des Entscheidens, S. 45;<br />

Marie Theres Fögen, Das Lied vom Gesetz, München 2007, Carl Friedrich von Siemens Stiftung, Bd.<br />

87 der Reihe Themen, S. 81; Klaus F. Röhl/Hans Christian Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Auflage<br />

Köln und München 2008, S. 106.<br />

10 Fögen, Kinder der Rechtswissenschaft, a.a.O., S. 92; Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1.<br />

Aufl. 1993, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1993, S. 98 ff.<br />

11 Welche als Interpretationsvorgaben dienen.<br />

12 Niklas Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechts, Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie,<br />

Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1. A., Frankfurt a.M. 1999 (nachfolgend: Luhmann, Ausdifferenzierung),<br />

S. 211; „Mit dem Begriff der Geltung wollen wir Nichtkontingenz auf der Ebene normativer<br />

Erwartungshaltungen bezeichnen, die eine vorausliegende Kontingenz auf der Ebene wirklichen Erlebens<br />

und Handelns nicht ausschliesst, sondern in Rechnung stellt [...]“, Luhmann, Ausdifferenzierung,<br />

7

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