Vanessa C. Duss Jacobi - Erste Europäische Internetzeitschrift für ...
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Urteil (Fällung des Baumes) ein publizistisches Nachspiel nach sich zog. 128 In Kapitel<br />
sechs spiegelt sich schon beinahe Weltgeschehen: Eine Käsefirma wehrte sich gegen eine<br />
Steuerveranlagung, in der ihr der Beitrag von Fr. 5'284.05 an acht Geschütze der „Ortsflab“<br />
129 nicht als Gewinnungskosten abgezogen wurden, weil keine direkte Kausalität zwischen<br />
der Abgabe und dem Geschäftsbetrieb erkenntlich war. Und im Nachgang drang<br />
Weltgeschehen sogar in den Gerichtsalltag, als gegen Ende des <strong>Erste</strong>n Weltkriegs das Papier<br />
knapp wurde und seitens des Justizdirektors die Anweisung kam, aus nicht mehr benötigten<br />
Archivalien Umschläge zu formen. 130 Waren die Zeiten der Papierknappheit bald<br />
überwunden, hielten sich dagegen gewisse Moralvorstellungen deutlich hartnäckiger – davon<br />
zeugt Kapitel sieben: Einer Mutter wurde von ihrem Arbeitgeber, einem (thunersee)städtischen<br />
Licht- und Wasserwerk, der Lohn des Monats Januar, dem Monat nach der<br />
Niederkunft mit einem Sohn, nicht ausbezahlt, weil sie ledig war. 131 Der Fall aus Kapitel<br />
acht stammt aus den Siebzigerjahren, als vielerlei Bedürfnisfragen zu klären waren, vorliegend<br />
diejenige nach dem Ausschank alkoholischer Getränke und cineastischer Unterhaltung<br />
in einem Dancing einer Inhaberin mit fehlendem Alkoholausschankpatent. Das Gericht<br />
zeigte sich gegenüber den Bedürfnissen der durstigen und tanzfreudigen Gäste der<br />
Inhaberin aufgeschlossen und erteilte die zuvor verweigerte Ausschankbewilligung. 132 Die<br />
Gefahr“ <strong>für</strong> die angrenzende Dorfstrasse darstelle, wogegen sich die Kirchgemeinde mit der Ansicht<br />
stellte, der Baum gelte in der Volksseele „als Wahrzeichen Adelbodens“, ja sogar als „Zeuge der Reformation“.<br />
Entschieden wurde dann wie folgt: „Gegenüber der Frage der Gefährdung der öffentlichen<br />
Sicherheit hat naturgemäss das Moment der Ästhetik zurückzutreten. [...] Davon dass der geflickte, alte<br />
Baum tatsächliche die Züge der Greisenhaftigkeit und des Zerfalls aufweist, konnte sich auch die Gerichtsdelegation<br />
am Augenschein überzeugen. Ihr schien der Anblick des Baumes, von einigen Seiten<br />
aus gesehen, wenig erhebend.“<br />
128 Prof. Ryser, damaliger Präsident der Kantonalen Naturschutzkommission verfasste einen „Nachruf“ auf<br />
den Ahorn in „Der Bund“ vom 30. März 1942, woraufhin sich das Gericht mit einen „‹Nachrufs› auf einen<br />
Nachruf“ im „Bund“ vom 12. April 1942 gegen die Vorwürfe der mangelnden „Heimatliebe“ und<br />
„Pietät“ (vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und der Bedrohung durch das „Dritte Reich“ besonders<br />
politisch bedeutungsgeladen) wehrte.<br />
129 „Flab“ steht <strong>für</strong> Fliegerabwehr.<br />
130 Eventuell die Lösung des Rätsels, was aus den heute unauffindbaren Gerichtsakten aus den Jahren 1910<br />
bis 1925 geworden ist?<br />
131 Und zwar mit der Begründung, dass „wer schwanger wird, hat sich in einen Zustand versetzt, der – obwohl<br />
nicht immer gewollt – dem eigenen Verhalten zuzuschreiben ist. In der geordneten Gesellschaft<br />
wird dieses Tun moralisch entweder gutgeheissen oder abgelehnt, je nach dem Zivilstand der Betroffenen.<br />
Obwohl in beiden Fällen selbstverschuldet, wird das Verhalten der ledigen Frau als ein ihr zur Laste<br />
legendes Verschulden, das heisst als Folge einer Fahrlässigkeit abgetan. Die Klägerin E. ist ledig. Ihr<br />
Verschulden ist ihr deshalb anzulasten. Sie kann sich nicht auf Art. 53 DBO (städtische Dienst- und Besoldungsordnung)<br />
berufen.“ Dem entgegnete das Verwaltungsgericht allerdings emanzipiert: „Nach arbeitsrechtlichen<br />
Grundsätzen besteht kein relevanter Unterschied zwischen einer verheirateten und einer<br />
ledigen Angestellten [...]. Wenn daher der Gemeinderat von X kraft seiner Auslegungsbefugnis (Art.<br />
110 DBG) eine andere Auffassung vertritt, so erscheint die ihr entsprechende Praxis willkürlich, weil<br />
die Rechtsanwendung uneinheitlich erfolgt.“<br />
132 Es erwog dazu „in einem kaum als nüchtern und papieren zu bezeichnenden Stil unter anderem: Es ist<br />
bekannt, dass Skifahrer nach dem Skifahren gerne tanzen (Après-Ski); es halten in der Skisaison Cars<br />
mit Skitouristen vor dem [Dancing] ‹Nachtvogel› zum Après-Ski, wie auch andere mit dem Auto sich<br />
zum Wintersport begebende Leute. [...] Gerade der Umstand, dass sogar Cars vor dem Dancing anhalten<br />
um die solchermassen zum Skifahren geleiteten Touristen tanzen zu lassen [...] zeigt, dass solcher Tanz