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Vanessa C. Duss Jacobi - Erste Europäische Internetzeitschrift für ...

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äusseren Grundlagen und Voraussetzungen des justizmässigen Handelns. Doch darf diesem<br />

Damoklesschwert nicht zuviel Gewicht beigemessen werden; wie Beispiele zeigen, zollen<br />

die Wahlorgane der richterlichen Unabhängigkeit Respekt indem die periodischen Wiederwahlen<br />

als reine Formalität und nicht als ‚Referendum über die Rechtsprechung’ angesehen<br />

werden. Und das Wiederwahlrisiko ist zwar grundsätzlich geeignet, Urteile hervorzubringen,<br />

die mehr in der Gunst der Wähler denn im Dienst des Rechts stehen, doch kommt dies<br />

mehrheitlich nur bei Richtern vor, die auch juristisch nicht standfest sind, und die sind<br />

glücklicherweise am Gericht nicht mehrheitsbildend. In Justizkontrolle üben sich neben der<br />

Legislative auch die Medien mit ihrer publikumswirksamen kritischen Berichterstattung<br />

und deren effekthascherischen Vermarktung von Gerichtsprozessen. Da kein Gegengewicht<br />

besteht, werden nicht nur Urteile kritisiert, sondern die Öffentlichkeit mischt sich schon in<br />

das laufende Verfahren ein. Anstatt sich gegenüber den Medien zu verschanzen, sollten<br />

Richter sich der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit stellen und ihre Urteile rechtfertigen<br />

und erklären, 83 denn das Bild, das sich die Öffentlichkeit von der Justiz macht, wiederspiegelt<br />

die Erwartungen an sie. Gerichte haben in einem Rechtsfall stets das letzte Wort, weshalb<br />

als Recht letztlich diejenigen Normen zu bezeichnen sind, die von den Gerichten anerkannt<br />

werden oder die sie höchstwahrscheinlich zu anerkennen bereit sind. 84 ‚Das Recht<br />

kann nicht vor dem Fall, sondern nur im Fall gesetzt werden, und zwar durch den Richter’,<br />

weshalb ‚Richter ein Archetyp von Autorität’ sind, und dieses Richterbild darf und soll der<br />

Richter selbstbewusst pflegen. Richterliche Entscheide sind zudem keine reine Rechtserkenntnis,<br />

sondern haben stets eine schöpferische Komponente – wenn diese auch unter dem<br />

Deckmantel der objektiven Gesetzesauslegung gehalten wird – denn ‚erst in der richterlichen<br />

Auslegung konkretisiert sich das abstrakte, gesetzgeberisch gesetzte Recht in der<br />

Wirklichkeit’. 85 Richterrecht hat demnach ebenso seine Berechtigung wie gesetztes<br />

Recht, 86 denn bereits interpretatives Richterrecht ist kreatives Richterrecht und also konkretisierte<br />

Rechtsfortbildung.’ 87 Damit wird klar, dass der Übergang von Rechtsetzung und<br />

Rechtsanwendung fliessend und das theoretische Modell der Gewaltentrennung zwangsläufig<br />

zu relativieren ist; vermag es als Prinzip vor Übergriffen von Staatsgewalten in die<br />

Kompetenzbereiche der anderen zu schützen, verlangt es in seiner realisierten Form kolle-<br />

83 D.h. ausserhalb des juristischen Fachjargons die Urteilsgründe darlegen, sei es in speziellen Medienmitteilungen,<br />

sei es durch spezielle Pressemitteilungen. Wegen der Gleichbehandlung ist Zurückhaltung<br />

geboten bei Interviews mit bloss einzelnen Medienvertretern. Leserbriefe oder publizistische Gegendarstellungen<br />

stellen hingegen keine geeigneten Informationsmittel dar, sondern deren Nutzung „kompromittiert<br />

die Würde des Gerichts und ist der richterlichen Autorität abträglich“.<br />

84 Klaus F. Röhl/Hans Christian Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Auflage Köln und München 2008, S. 77.<br />

85 Bei der Auslegung des Gesetzes ist ein Methodenpluralismus zu wählen.<br />

86 Wozu der Richter ja gemäss Art. 1 Abs. 2 ZGB beim Bestehen einer Gesetzeslücke angewiesen wird.<br />

Mit der neuen Bundesverfassung von 1999 wurden Grundrechte (wie die Eigentumsgarantie, die persönliche<br />

Freiheit, die Sprachenfreiheit und das Recht auf Existenzsicherung) kodifiziert, welche durch die<br />

Bundesgerichtliche Rechtsprechung geschaffen wurden – damit wurde die richterliche Rechtsfortbildung<br />

ausdrücklich anerkannt.<br />

87 Was sich insbesondere bei der Umsetzung offen formulierter Normen, der Umsetzung von Rechtsgrundsätzen,<br />

nicht ausdefinierten Rechtsbegriffen oder Verweisungen auf richterliches Ermessen zeigt.

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