Vanessa C. Duss Jacobi - Erste Europäische Internetzeitschrift für ...
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und zwar nur soweit, wie aufgabenspezifisches Zweckmässigkeitsdenken es gebietet –<br />
grosse Politik zu machen ist dem Gesetzgeber vorbehalten. Umgekehrt ist vom Gesetzgeber<br />
zu fordern, dass er den Verwaltungsgerichten nur justiziables Material zuweist; Bestimmtheit<br />
der Normen bewahrt vor politischen Fremdwertungen durch richterliche Eigenwertungen.<br />
Sind Beschwerden gegen die Verwaltung erfolgreich, soll das Gericht nach Möglichkeit<br />
Kassation 79 anstelle von Reformation wählen, um nicht gewaltenübergreifend zu intervenieren.<br />
Der Publikation von Gerichtsurteilen soll eine Urteilsselektion vorangehen, damit<br />
kein Informationsmüllberg entsteht; es sollten ausschliesslich Leiturteile publiziert werden,<br />
die die grossen Rechtsprechungsleitplanken darstellen, 80 Urteile, welche bloss Alltagsroutine<br />
enthalten, sollen dabei getrost beiseite gelassen werden. Zum Schluss des Beitrags konstatiert<br />
Tschannen: „Das Gericht ist souverän“ und die „vorgetragenen Wünsche“ sollen<br />
„nur ausdrücken, in welchem Mass die verwaltungsrechtliche Ausbildung mit der Vorbildrolle<br />
der Justiz rechnet“ – ein erneuter Appell an das Hochhalten eines hohen Berufsethos<br />
also.<br />
Prof. em. Dr. h. c. Hans Peter Walter leitet seinen Beitrag zur ‚selbstbewussten Justiz’ mit<br />
Worten des amerikanischen Präsidenten Barack Obama ein: „I want them aspiring to be a<br />
Supreme Court justice. I want them aspiring to be President“ und ergreift das Wort, um zur<br />
Achtung der Justiz aufzurufen, welche ihr hierzulande durch Parlament, Regierung oder<br />
Medien verschmäht bleibt. Montesquieus vernichtender Hieb gegen die Justiz 81 lässt das<br />
helvetische Richtertum ‚ingrimmig fortleiden’, während die beiden anderen Gewalten, vorab<br />
der selbstbewusste Gesetzgeber, sich scheinbar zu recht konstant beweihräuchern. Weltfremdheit,<br />
Unnahbarkeit und Überheblichkeit wird den Richtern 82 vorgeworfen, wohingegen<br />
die Justiz nicht müde wird, sich selbst als ‚hierarchisch subordinierte Gewalt ostentativ<br />
hinter Legislative und Exekutive einzuordnen’. Ursächlich da<strong>für</strong> sind ein gestörtes Verständnis<br />
der Justiz zur Gewaltenteilung einerseits und Furcht vor mangelnder eigener, also<br />
richterlicher Unabhängigkeit andererseits, initiiert durch die parlamentarischen Aufsicht<br />
über die Justiz, dem Institut der periodischen Wiederwahl und dem offenbar nicht auszumerzenden<br />
Bild des Richters als gesetzeshörigen Subsumtionsautomaten. Die Legislative<br />
mit ihrer parlamentarischen Aufsicht ‚sitzt am Hebel <strong>für</strong> das Fallbeil der Nichtwiederwahl’,<br />
die alle vier bis sechs Jahre droht. Ein systemischer Fauxpas führt dazu, dass Kontrolle<br />
über subjektiv missliebige Rechtsfindung durch die Mitglieder der Legislative möglich<br />
wird, denn die Aufsichtsorgane beschränken ihre Kontrolle kaum wie gefordert auf die<br />
79 Aufhebung des Verwaltungsentscheids und Rückweisung mit verbindlichen Weisungen zur Neubeurtei-<br />
lung an den Entscheidträger.<br />
80 „Grosse“ Fälle, „prominente“ Geschichten, periodische Zusammenfassungen zu wichtigen Fragen, ausdrückliche<br />
Bestätigungen oder Präzisierungen der Praxis und v.a. Praxisänderungen.<br />
81 „Des trois puissances dont nous avons parlé, celle de juger et en quelque façon nulle”, Charles-Louis de<br />
Secondat Baron de la Brède et de Montesquieu, De l’esprit des lois, 1748, zitiert nach den Œvres complètes,<br />
Présentation et notes de Daniel Oster, Paris 1964, S. 530 ff., S. 588, vgl. FN 3 des Beitrags, S.<br />
562.<br />
82 In diesem Beitrag sind damit alle Personen gemeint, die zum Berufsstand der Justiz gehören, ungeachtet<br />
ihres Geschlechts.<br />
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