Vanessa C. Duss Jacobi - Erste Europäische Internetzeitschrift für ...
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Formeln (juristische Sentenzen, Satzfolgen mit festgelegtem Wortlaut, welche rituell zitiert<br />
werden, sog. Textbausteine) unangetastet bleiben sollen – das Publikum soll nicht rätseln<br />
müssen, ob die unkommentierte Modifikation in der Sache von Bedeutung oder blosse<br />
Schönheitskorrektur ist. Urteilsbegründungen sollen zudem ohne obiter dicta, Versuchsballone<br />
und Verzierungen auskommen – getreu dem Gebot zur klaren, auf das Urteil zulaufenden<br />
Gedankenführung. Weiter sollen Rechtsschriften nicht als Urteilsvorlagen dienen,<br />
denn diese quellen über vor Rügen, und es sind bei Weitem nicht alle <strong>für</strong> den konkreten<br />
Fall von Bedeutung. Eine Urteilsbegründung muss sich keineswegs an der Rechtsschrift<br />
orientieren und alle vorgebrachten Rügen abhandeln, sehr wohl aber die rechtlich zugelassenen<br />
und ordentlich vorgetragenen aufgreifen, sortieren, sie – soweit relevant <strong>für</strong> das Urteil<br />
– in die Entscheidbegründung einfügen und in wenigen Sätzen erklären, warum Eventualrügen<br />
am Ergebnis nichts ändern. Um den Generalistenblick zu wahren, bedarf es zudem<br />
der Kommunikation, und zwar unter Kollegen 74 , mit dem Publikum 75 und mit der Lehre<br />
76 . Den Generalistenblick zu fordern ist durchaus gerechtfertigt: Der Richter ist mitverantwortlich<br />
<strong>für</strong> den Zustand eines „Allgemeinen Verwaltungsrechts“ (das es nur in der<br />
Theorie gibt, um welche sich der universitäre Unterricht unablässig bemüht), denn nur die<br />
Beherrschung des Grundsätzlichen und Wiederkehrenden befähigt zum Umgang mit den<br />
sperrigen Spezialgesetzen des Besonderen Verwaltungsrechts. „Herr der Lage zu bleiben“<br />
bedeutet nichts anderes als unabhängige und nur dem Recht verpflichtete Sachverhaltsermittlung<br />
und Rechtsanwendung von Amtes wegen. Und diese normative Vorgabe fordert<br />
vom Richter nicht weniger als die alleinige Verantwortung <strong>für</strong> die Zuverlässigkeit der Entscheidgrundlagen<br />
und die Richtigkeit der Rechtsfindung. Dabei soll er dem Konformitätsdruck<br />
standhalten, nicht in die Expertenfalle tappen und sich nicht zu sehr scheuen, Rechts-<br />
und (wo erlaubt 77 ) Angemessenheitskontrolle auch da auszuüben, wo fachtechnische Fragen<br />
oder örtliche Verhältnisse zu beurteilen sind. Übermässige Zurückhaltung 78 ist nicht<br />
angebracht, denn es handelt sich um blosse Fakten – den normativen Schluss muss das Gericht<br />
und nicht die Verwaltungsbehörde ziehen. „Mass halten“ ist schliesslich als Appell an<br />
Zurückhaltung bei der Rechtsfortbildung, bei richterlicher Besserwisserei gegenüber der<br />
Verwaltung und bei der Publikation von Gerichtsurteilen gedacht: Rechtsetzung hat möglichst<br />
den politischen Prozess der Rechtsgewinnung zu durchlaufen, und Richter sind keine<br />
Politiker. Sie sollen nur dort, wo der Gesetzgeber durch Einsatz offener Normen von strikter<br />
Steuerung absieht, von ihren administrativen Dezisionsbefugnissen Gebrauch machen,<br />
74 Gedacht als informellen Austausch ebenso wie als Diskurs während Urteilsberatungen.<br />
75 Mit den Parteien ebenso wie mit weiterem Publikum in öffentlichen Urteilsberatungen.<br />
76 Indem vorhandene Literatur benutzt wird, denn die Lehre möchte ein Feedback. Dabei aber das Schrifttum<br />
professionell handhaben, d.h. nicht nur in die Jahre gekommene Standardwerke zitieren, Fussnoten<br />
prüfen, tendenziöse Lehrmeinungen zurückweisen, Selbstbelege unterlassen und drittklassige Autoren<br />
übersehen.<br />
77 Ausnahmen im Gesetz bestätigen die Regel, dass sich die Kognition des Verwaltungsgerichts auf<br />
Rechtsverletzungen und Rechtsfehler in der Ausübung des Ermessens erstreckt, wobei die Ermessensüberschreitung,<br />
-unterschreitung und der Ermessensmissbrauch mitenthalten sind.<br />
78 Wie ‚die verfügende Behörde stehe der Sache näher’ oder ‚kenne die Örtlichkeiten besser’.