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Vanessa C. Duss Jacobi - Erste Europäische Internetzeitschrift für ...

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Prof. Dr. Regina Kiener beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit den richterlichen Aufklärungs-<br />

und Fürsorgepflichten und deren Ausgestaltung im Verwaltungsverfahren. Ausgangspunkt<br />

ist dabei, dass in der Schweizerischen Zivilprozessordnung 49 , welche am 1.<br />

Januar 2011 in Kraft getreten ist, <strong>für</strong> den Zivilprozess eine Fragepflicht des Richters 50 explizit<br />

verankert wurde, und auch die deutsche Verwaltungsgerichtsordnung 51 eine solche<br />

Pflicht enthält. 52 Vergeblich sucht man die Fragepflicht hingegen in den Vorschriften und<br />

Erlassen der eidgenössischen Staats- und Verwaltungsrechtspflege oder im Berner Verwaltungsrechtspflegegesetz<br />

(VRPG). Die Diskussion um Begründung, Bestand und Bedeutung<br />

wird in diesem Beitrag anhand verbindlicher Regeln in Verfassung und Gesetz geführt,<br />

angeknüpft an den Verfahrensgrundrechten, die in Art. 29 bis 32 BV und Art. 5 und 6<br />

EMRK 53 sowie Art. 9 und 14 UNO Pakt II verankert sind. Als Minimalgarantien stehen<br />

diese über den gesetzlichen Verfahrensordnungen und greifen insbesondere dann, wenn im<br />

Prozessrecht die Frage unbeantwortet bleibt oder enger geregelt wird. Anerkannt wird –<br />

dies als Ausfluss des Fairnessprinzips – eine besondere Fürsorge- und Aufklärungspflicht<br />

<strong>für</strong> das Strafverfahren. Dieses wurde von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in Richtung<br />

eines allgemeinen prozessualen Vertrauensschutzes konkretisiert und daraus richterliche<br />

Aufklärungs- und Fürsorgepflichten abgeleitet, welche normativ auf den Grundsatz von<br />

Treu und Glauben und das Verbot des überspitzten Formalismus, wegleitend auf den<br />

Grundsatz, dass die Rechtssuchenden nicht ohne Not um die materielle Beurteilung ihrer<br />

Begehren gebracht werden sollen gestützt werden. Aufgrund der Treuepflicht ist der Richter<br />

gehalten, rechtsungewohnte, anwaltlich nicht vertretene Parteien über mögliche Verfahrensfehler<br />

aufzuklären, wenn sich diese dazu anschicken, und sofern der Fehler eine Verschlechterung<br />

der Rechtsstellung zur Folge hätte, leicht erkennbar ist und innert Frist behoben<br />

werden kann. Auch auf formelle Fehler ist hinzuweisen und zur Behebung eine Nachfrist<br />

zu setzen. Im Falle einer drohenden reformatio in peius ist die betroffene Partei auf die<br />

Rückzugsmöglichkeit der Beschwerde hinzuweisen. Bei einer Praxisänderung zu einer Verfahrensfrage<br />

darf die neue Praxis nicht ohne vorgängige Ankündigung Anwendung finden,<br />

der Richter hat hier ebenso eine aus dem Vertrauensprinzip fliessende Hinweispflicht wie<br />

wenn das Gericht eine einmal klar geäusserte Rechtsauffassung zu ändern gedenkt. Weiter<br />

haben Lehre und Rechtsprechung aus dem Grundsatz der Waffengleichheit Verhaltenspflichten<br />

abgeleitet, die als richterliche Aufklärungs- und Fragepflichten angesehen werden<br />

können, so die Pflicht, die Parteien auf die Möglichkeit der unentgeltlichen Rechtspflege<br />

49 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO).<br />

50 Art. 56 ZPO, Gerichtliche Fragepflicht: Ist das Vorbringen einer Partei unklar, widersprüchlich, unbestimmt<br />

oder offensichtlich unvollständig, so gibt ihr das Gericht durch entsprechende Fragen Gelegenheit<br />

zur Klarstellung und zur Ergänzung.<br />

51 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom 19.3.1991, BGBl I 1991, S. 686.<br />

52 § 86 Abs. 3 VwGO: Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge<br />

erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle <strong>für</strong> die<br />

Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.<br />

53 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten.<br />

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