Vanessa C. Duss Jacobi - Erste Europäische Internetzeitschrift für ...
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das Steuerrecht. Der Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bund nahm denn auch mit<br />
der Schaffung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (EVG) und also mit der Institutionalisierung<br />
der Sozialversicherungsgerichtsbarkeit seinen Anfang: Die Bundeskompetenz<br />
zur Gesetzgebung in den Bereichen Kranken- und Unfallversicherung wurde bereits<br />
mit Art. 34 bis der Bundesverfassung von 1874 (aBV) und das EVG mit dem Bundesgesetz<br />
vom 13. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung geschaffen, zu einem Zeitpunkt<br />
also, in dem es noch keine Bundeskompetenz zur Errichtung einer eidgenössischen<br />
Verwaltungsgerichtsbarkeit gab. Eine solche wurde erst im Jahr 1914 in Art. 114 bis aBV<br />
geschaffen. Mit der eidgenössischen Justizreform, dem Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes<br />
und den Folgegesetzen in den Kantonen wurden zwei Fragenkomplexe wie folgt<br />
gelöst: Als Grundmodell <strong>für</strong> die Beurteilungszuständigkeit von Sozialversicherungsrechtsstreitigkeiten<br />
(mithin also Bundesrecht) wurde in der Schweiz das Modell der Aufteilung<br />
der Rechtsprechungszuständigkeiten zwischen Bund und Kantonen gewählt: das EVG wurde<br />
als einzige Gerichtsinstanz auf Bundesebene etabliert, die Kantone waren verpflichtet,<br />
„von der Verwaltung unabhängige“ kantonale Instanzen als Vorinstanzen einzurichten,<br />
wobei auch bereits bestehende Gerichtsbehörden als solche bezeichnet werden konnten.<br />
Von dieser Möglichkeit 21 machten total sechs Kantone Gebrauch, unter ihnen auch der<br />
Kanton Bern, der das Verwaltungsgericht zur Vorinstanz 22 erklärte. Zudem wurde die Zugehörigkeitsfrage<br />
<strong>für</strong> das Sozialversicherungsrecht auf Bundesebene sowie im Kanton Bern<br />
gelöst: sozialversicherungsrechtliche Fragen werden durch einen spezialisierten Spruchkörper<br />
am Verwaltungsgericht beurteilt. Im Kanton Bern gilt dies aber nur <strong>für</strong> die deutschsprachigen<br />
Fälle; die in der Amtssprache Französisch geführten Prozesse werden alle – ungeachtet<br />
ihres sozialversicherungsrechtlichen Fachelements – an der französischsprachigen<br />
Abteilung des Verwaltungsgerichts Bern geführt. Dieses Nebeneinander von Rechtsprechungszuständigkeit<br />
einer spezialisierten Abteilung des Verwaltungsgerichts in deutschsprachigen<br />
Fällen und von genereller Zuständigkeit <strong>für</strong> sämtliche Verwaltungsrechtsstreitigkeiten<br />
inkl. sozialversicherungsrechtlichen in französischsprachigen Fällen ist denn auch<br />
ein Berner Spezifikum, das historisch von der ursprünglich geringen Zahl dieser Fälle herrührt.<br />
Dass diese zwei Spielarten institutioneller Verbindung von Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
im Berner Verwaltungsgericht vereint werden, macht den Jubilaren zu einem<br />
reizvollen Unikat. Der Beitrag rückt die Pionierrolle der Sozialversicherungsgerichtsbarkeit<br />
<strong>für</strong> die Verwaltungsgerichtsbarkeit ins rechte Licht und zeigt auf, dass das Bernische<br />
Modell der kantonalen gerichtlichen Vorinstanz im gesamten Sozialversicherungsrecht<br />
23 Schule gemacht hat und also prägend <strong>für</strong> das Rechtschutzkonzept im Bundesverwaltungsrecht<br />
war. Die Erledigung durch spezialisierte Gerichtseinheiten hat aber nicht nur<br />
21 Die mit der Umsetzung des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung<br />
(AHVG) einherging, welche ihrerseits den eigentlichen Durchbruch <strong>für</strong> die eidgenössische<br />
Sozialversicherungsgerichtsbarkeit darstellt.<br />
22 Bzw. zur AHV-Rekursbehörde gemäss AHVG.<br />
23 Art. 57 ATSG (=Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts),<br />
Art. 73 BV (=Bundesverfassung vom der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April<br />
1999).