Katalog Deutsch - Armin Kerber
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Lost Paradise<br />
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Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Lost Paradise<br />
–<br />
Der Blick<br />
des<br />
Engels
Vom »Angelus novus« existieren zwei Versionen. Die mit sorgfältigen Bleistiftstrichen auf Papier gebrachte<br />
Zeichnung ist die Originalzeichnung und erste Gestalt des »Angelus novus«. Diese Vorlage pauste Paul Klee<br />
mittels eines von ihm selbst entwickelten »Öldruckverfahrens« durch und schuf so den im Werkverzeichnis<br />
als »Ölpause und Aquarell auf Papier und Karton« bezeichneten »Angelus novus«, der als »Engel der<br />
Geschichte« berühmt geworden ist.<br />
»Das so genannte »Öldruckverfahren« hatte Klee bereits Anfang 1913 aus seiner Zeichentätigkeit<br />
heraus entwickelt. Mit dieser Methode schuf er »Ölfarbenzeichnungen« anhand gezeichneter Vorlagen,<br />
die er anschliessend aquarellierte. Dazu bedeckte Klee einen Bogen mit schwarzer Ölfarbe, den er mit der<br />
bestrichenen Fläche nach unten zwischen die Originalzeichnung und ein leeres Blatt Papier legte. Mit einem<br />
Griffel zog er jene Umrisse der Zeichnung nach, die er auf das Papier übertragen wollte. Auf der Durchpause<br />
zeigte sich die gewünschte Wirkung: zarte und manchmal leicht verschleierte Linien neben Spuren schwarzer<br />
Ölfarbe, verursacht durch den Druck der Hand und die Reibung. Während die Originalzeichnung unverändert<br />
erhalten blieb, konnte Klee das neue Werk nun zusätzlich mit Farbe oder anderen Gestaltungsmitteln<br />
ergänzen. Das Original konnte sogar mehrfach als Vorlage für eine farbige Ausgestaltung benutzt werden. Auf<br />
diese Weise entstanden zwischen 1919 und 1925 über 240 Arbeiten.<br />
Die in dieser Technik geschaffenen Werke wurden entsprechend einer Vereinbarung mit der Galerie<br />
Goltz in München für mehr als den doppelten Preis einer Zeichnung in den Handel gebracht. Mit der Galerie<br />
Goltz hatte Paul Klee 1919 einen Generalvertretungsvertrag abgeschlossen. Im grossen Stil wandte Klee das<br />
Öldruckverfahren ab 1920 an. Ab 1925 führte er allerdings nur noch wenige Ölfarbenzeichnungen aus. Es<br />
war das Jahr, in dem Hans Goltz, Inhaber der Galerie, Paul Klee wegen der schlechten Kunstmarktlage um<br />
die Senkung seiner Preise bat. Daraufhin kündigte der Maler den Vertrag mit dem Kunsthändler.« (Johann<br />
Konrad Eberlein)<br />
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Paul Klee<br />
Angelus novus, 1920<br />
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Paul Klee<br />
Angelus novus (Zeichnung), 1920<br />
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Vorwort<br />
Lost Paradise – Vorwort<br />
Versuch einer Versöhnung — Das vergangene, unsäglich gewaltreiche und<br />
leidvolle zwanzigste Jahrhundert wurde nicht termingerecht, dafür aber<br />
symbolisch treffend mit einem Terrorakt abgeschlossen. Der elfte September<br />
2001 hat all dem Unvorstellbaren an Krieg, Völkermord und Menschenrechtsverletzungen<br />
eine neue Katastrophen-Dimension hinzugefügt,<br />
welche die Welt tief greifend verunsichert hat. Der »Kampf der Kulturen«<br />
ist seit dem Attentat auf die Twin Towers nicht mehr einzudämmen und<br />
macht, dass uns das Prinzip von Gewalt und Gegengewalt täglich im Griff<br />
hält: Afghanistan und der Irak sind weit entfernt davon, befriedet zu werden.<br />
Iran und Nordkorea wollen sich als Atommächte etablieren. Die Farc<br />
handeln mit Uranium. Sollte Dr. Marcel Junod (1904 bis 1961) Recht<br />
behalten? Als Gesandter des Roten Kreuzes leistete der Neuenburger Arzt<br />
im August 1945 als einer der ersten Hilfe in Hiroshima, machte Fotos von<br />
der Zerwüstung durch die Atombombe und schrieb zu seinen Schwarzweiss-Abzügen,<br />
dass es sich nicht um Bilder der Vergangenheit oder der<br />
Gegenwart, sondern um Bilder der Zukunft handle.<br />
Zu all den die Welt umspannenden politischen und religiösen Konflikten<br />
droht uns heute noch die Klimakatastrophe – auch sie ein Vermächtnis<br />
des vergangenen, aus den Fugen geratenen zwanzigsten Jahrhunderts,<br />
aus dem wir kommen. Welche Auswege gibt es? Wie ändern wir unser<br />
Verhalten uns selbst und der Natur gegenüber? Für das Zentrum Paul Klee,<br />
das sich nicht nur künstlerischen, sondern ebenfalls gesellschaftlichen<br />
Themen stellt, scheint der Zeitpunkt angemessen, sich all den Katastrophen<br />
von Klees Jahrhundert noch einmal anzunehmen, gespiegelt über den berühmten<br />
»Angelus novus«, den Engel der Geschichte, der aus dem Paradies<br />
vertrieben auf die Welt hinunter blickt und dessen Knopfaugen all die<br />
Gräuel sehen und gesehen haben, das Gesehene aber für sich behalten.<br />
Um zu versuchen, den stummen Blick des Engels zu teilen, wollen wir<br />
es unternehmen, aus dessen Engelsperspektive hinunter zu schauen auf<br />
das Panorama des verlorenen Paradieses, in dem wir leben. Zum ersten<br />
Mal in der jungen Geschichte des Zentrum Paul Klee werden zu diesem<br />
Zweck das gesamte Innere und die Landschaft um die drei Hügel von<br />
Renzo Piano herum unter einem Motto gemeinsam bespielt: »Jenseits von<br />
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Lost Paradise – Vorwort<br />
Eden. Eine Gartenschau« heisst die Raum und Zeit übergreifende Ausstellung,<br />
die einen neuen Schritt der Kunst-Präsentation wagt.<br />
Doch suchen wir bei unserer Recherche nicht die Desolation, sondern<br />
nach Optionen der Versöhnung. Für diese Versöhnung der menschlichen<br />
Existenz zwischen Diesseits und Jenseits steht seit jeher der Hortus conclusus<br />
als gestaltete Vision des Garten Eden. Im Erdgeschoss des mittleren<br />
Hügels stellen wir darum unter dem Titel »In Paul Klees Zaubergarten«<br />
hundertsechzig Meisterwerke Paul Klees aus, die um das Thema »Garten<br />
und Natur« kreisen. Klees intensives Naturstudium steht dabei genauso<br />
im Zentrum wie die neu entdeckten Fakten zu Klees Erforschung der<br />
Naturlehre Goethes.<br />
Im Kontrast zum paradiesischen Zaubergarten Paul Klees, der im<br />
Erdgeschoss des Zentrum Paul Klee wuchert, steht im Untergeschoss die<br />
Ausstellung »Lost Paradise«, die sich um das erwähnte, zentrale Werk von<br />
Paul Klee gruppiert: den »Angelus novus« aus dem Jahr 1920 – eine der<br />
ganz grossen Kunst-Ikonen des zwanzigsten Jahrhunderts. Es kommt einer<br />
kleinen Sensation gleich, dass der »Angelus novus« für unsere Ausstellung<br />
»Jenseits von Eden« zum ersten Mal seit fast dreissig Jahren ausserhalb<br />
von Jerusalem zu sehen ist. Die besondere Stellung des Bildes im Werk<br />
Paul Klees ist dem Geschichtsphilosophen Walter Benjamin (1892 – 1940)<br />
zu verdanken. Er beschreibt Klees Engel als Vertriebenen aus dem Paradies,<br />
der alle Katastrophen der Menschheitsgeschichte in seinem Blick fokussiert.<br />
Aus der Perspektive des Engels zeigt die Ausstellung »Lost Paradise«<br />
Künstlerinnen und Künstler, die sich mit der Darstellung von Desastern,<br />
Atrozität, Leiden, alltäglicher Brutalität und Gewalt auseinandersetzen.<br />
Die Ausleihzeit des »Angelus novus« ist auf die Tage vom 29. Mai<br />
bis 6. Juni 2008 beschränkt. Das Werk wird von Klees Originalzeichnung<br />
»Angelus novus« aus einer Privatsammlung begleitet, die während drei<br />
Monaten gezeigt werden kann. Verbunden werden der »Zaubergarten«<br />
und »Lost paradise« von der raumgreifenden Installation «Die Verquickung«<br />
von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger. Die beiden verwandeln die<br />
gesamte Museumsstrasse samt der Zone zwischen den Ausstellungen in<br />
einen künstlichen, hybriden Naturkosmos, der pendelt: vom unschuldigen<br />
Paradies in den vollzogenen Sündenfall und von da wieder zurück.<br />
Hinter dem Zentrum Paul Klee besetzt eine spektakuläre skatologische<br />
Grossinstallation von Paul McCarthy den Acker der Landschaftsskulptur<br />
und eröffnet den drei Hügeln einen neuen Horizont. Sol LeWitts »Cube«<br />
setzt sich stoisch und hermetisch wie eine Kaaba in die Topografie und er-<br />
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Lost Paradise – Vorwort<br />
gänzt die Primärformen von Pianos Wellen und des Fesselballons im Wyssloch.<br />
Dort, nach vorne hin über die Autobahn, wird die ganze Brache vom<br />
Wyssloch bis hinunter zum idyllischen Egelsee in eine Kunst-Spielwiese<br />
verwandelt. Eine Spezialsauna von Joep van Lieshout in Gestalt eines Totenkopfes<br />
kommt neben die alte Scheune mit einer Videoinstallation von<br />
Aernout Mik zu stehen, die Häuserzeile den Bach entlang wird ergänzt von<br />
drei camouflierten Blendfassaden der Basler Künstlerinnen Claudia und<br />
Julia Müller, die Einblick in einen verwunschenen Wald mit Vexierbildern<br />
geben. Eine spezielle Erfahrung bietet unser Fesselballon, der jeweils zwei<br />
Besucher bis auf luftige sechzig Meter Höhe hebt, um den Blick des Angelus<br />
novus hinunter auf die Welt freizugeben. Das Ufer des Egelsees wird in einer<br />
gemeinsamen Aktion des Botanischen Gartens, der Stadtgärtnerei Bern, des<br />
Zentrum Paul Klee sowie der Lehrlinge von vier Gärtnereibetrieben in einen<br />
verwunschenen Garten verwandelt, den die Windspiele von Pierre Huyghe<br />
sanft zum Klingen bringen. Für die sehnlichsten Wünsche der Besucherinnen<br />
und Besucher steht ein «Wish Tree« von Yoko Ono bereit. Die auf Zettelchen<br />
an den Baum gebundenen Wünsche werden gesammelt und später an einen<br />
speziellen Ort in Island überführt. Die Gartenbau-Ingenieurin Regula Treichler<br />
und die Landschaftsarchitektin Doris Tausendpfund haben Livia Klee<br />
interviewt, die vor bald neunzig Jahren als Töchterchen des Dessauer Bauhausmeisters<br />
Hannes Meyer im Garten hinter dem Meisterhaus Felix Klee<br />
kennengelernt und lange Jahrzehnte später geheiratet hat. Ihre Erinnerungen<br />
an diesen Garten sind nun in »Livias Garten« übertragen worden. Und von<br />
der französischen Künstlergruppe Claire Fontaine blinken wie ein sibyllinisches<br />
Orakel in wechselnder Reihenfolge die Worte einer Leuchtschrift am<br />
Turm der alten Burgervilla des Restaurants Schöngrün: »You« »will« »go«<br />
»to« »war« »not« »come« »back« »die«.<br />
Kopfpunkt von »Jenseits von Eden. Eine Gartenschau« bilden die spektakulären<br />
Ostermundiger Steinbrüche, wo Klee selbst gearbeitet hat. Sie sind<br />
bereits Teil und Ziel der bestehenden »Wege zu Klee«, welche die Besucher<br />
zu Fuss vom Bahnhof Bern zum Zentrum Paul Klee und – eine halbe Fussmarschstunde<br />
weiter – bis zu den Steinbrüchen führen. Dort ganz in der<br />
Nähe stellt Thomas Hirschhorn – zum erstenmal seit der Abwahl von<br />
Bundesrat Blocher wieder in der Schweiz – seine speziell zur Ausstellung<br />
erarbeitete Installation »Holzweg« in den Wald. Sie fragt ganz direkt und<br />
ohne Umschweife nach der Gewalt, die in uns allen steckt, schlummert<br />
und ausbricht.<br />
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Lost Paradise – Vorwort<br />
An jedem Wochenende von Anfang Juni bis Mitte September kommt<br />
es regelmässig zu Kunst-Aktionen und Live-Performances zwischen Hochseilakrobatik,<br />
Land-Art, Kickgolf und Open-Air-Happenings, mit denen<br />
sich das Brachland in eine gastfreundliche Picknick-Wiese für das Publikum<br />
verwandelt, das auch bei Wind und Wetter »jenseits von Eden« in extra<br />
aufgestellten Gartenpavillons geschützt ist.<br />
Sie schwankt im wahrsten Sinne zwischen Himmel und Hölle, die<br />
Gartenschau des Zentrum Paul Klee, und bietet Stoff zur Versöhnung mit<br />
all den Phantomen, Ängsten und der Panik, die uns bisweilen heimsuchen,<br />
indem sie einen Blick in den Vorgarten des Paradieses gewährt. Wir danken<br />
von Herzen allen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, die uns in die<br />
Sphären hinter der sicheren Existenz begleiten, so wie es Dantes Cicerone<br />
getan hat.<br />
Für die Konzeption und Realisierung dieses Grossprojekts hat sich<br />
das gesamte Zentrum mit aller Kraft engagiert. Der uneingeschränkte Dank<br />
gehört darum allen Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und Volunteers. Herr<br />
Bundespräsident Pascal Couchepin würdigt diese kollektive Anstrengung,<br />
indem er das Patronat der Ausstellung übernommen hat. Das Aufgleisen<br />
der Projektleitung lag in den sicheren Händen Ursina Baranduns und<br />
Gonca Kuleli-Korus. Hätte der Chef Hausdienst Alain Krähenbühl das<br />
Aussenraumprojekt nicht zu dem seinen gemacht, wäre es nicht zustande<br />
gekommen. Willy Athenstädt hat sein ganzes planerisches Fachwissen und<br />
Verhandlungsgeschick eingebracht und unser »Hausszenograph« Pius<br />
Tschumi mit Nadja Vitt Licht und Raum einmal mehr unverkennbar sichere<br />
Gestalt gegeben. Zwischen allen bewegte sich mit Ruhe und Klarheit<br />
Anna Bürkli, die, unterstützt von Marianne Suter, massgebliche Koordinationsarbeit<br />
geleistet hat. Audio Guides und <strong>Katalog</strong> haben Annette<br />
Häcki, Viviane Burkhalter und Claudia Kaufmann betreut. Das Graphic<br />
Design stammt von Emanuel Tschumi. Mit von der Partie in den unterschiedlichsten<br />
Rollen waren ausserdem: Martin Schneider für die Sicherheit,<br />
Patrizia Zeppetella mit einem Sondereinsatz für die Aufbereitung der<br />
Gemälde, Hansruedi Pauli, Selim Memedi und Nelson Platoni für den<br />
Aufbau, Erwin Schenk und Boris Cotting für die audiovisuellen Medien,<br />
Martin Blatter fürs Licht, Sonja Kellerhals für die Finanzen und Karin<br />
Lange für das Verhandeln mit Partnerinnen und Partnern.<br />
Natürlich wäre »Lost Paradise« keine Ausstellung geworden ohne all<br />
die grosszügigen Leihgeber, die unser Unterfangen unterstützt haben, allen<br />
voran das Israel National Museum, das Hiroshima Peace Memorial Mu-<br />
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Lost Paradise – Vorwort<br />
seum, unsere Partnerinstitution das Kunstmuseum Bern mit Matthias Frehner<br />
und Samuel Vitali, das Fotomuseum Winterthur, die Albertina in Wien,<br />
die Galerie Kornfeld sowie all die privaten Leihgeberinnen und Leihgeber<br />
– spezieller Dank gehört an dieser Stelle Thomas Koerfer –, die Galerien<br />
Hauser und Wirth, Peter Kilchmann, Eva Presenhuber und alle Künstlerinnen<br />
und Künstler. Grosser Dank gebührt Greenpeace Schweiz, welche<br />
die Gletscher-Arbeit von Spencer Tunick ins verlorene Paradies nach Bern<br />
heruntergebracht hat. Dank einmal mehr auch der Maurice E. and Martha<br />
Müller Foundation für die Bereitschaft, dass wir auf ihrem Gelände die<br />
Kunstwerke von Spencer Tunick und Sol LeWitt realisieren durften. Danke<br />
der Walter A. Bechtler-Stiftung für die Erlaubnis und grosszügige Unterstützung<br />
bei der Realisierung von Sol LeWitts »Cube«. Dank an den<br />
aussenstehenden Unterstützer der ersten Stunde: René Häfeli, Stadtgärtner<br />
von Bern, der all die sichtbaren und unsichtbaren Wege durch den Papierdschungel<br />
freigemacht hat. Und Dank natürlich dem Botanischen Garten<br />
Bern, dem wir noch hundert Jahre der schönsten Weiterexistenz wünschen;<br />
Dank den Gärtnereien Woodtli, Feller AG, Gartenbau Bächler und Güttinger<br />
und Vogel Gartenbau samt ihren Lehrlingen, die den Egelsee verzaubert<br />
haben.<br />
Und all dies wäre nicht einmal über den Ideenstatus hinausgewachsen,<br />
hätte nicht die Paul-Klee-Stiftung der Burgergemeinde Bern Anfang 2007<br />
entschieden, das Aussenraumprojekt vollumfänglich zu finanzieren und<br />
damit allen Bernerinnen und Bernern, allen unseren Gästen aus dem In-<br />
und Ausland ein überaus grosszügiges Geschenk zu machen. Namentlich<br />
zu Dank verpflichtet sind wir dem Engagement der Herren Lorenz Meyer,<br />
Rudolf Stämpfli und Josef Helfenstein. Dank sagen wir gerne und niemals<br />
genug auch unserer Betriebspartnerin Coop für die langfristige Begleitung<br />
des Hauses, der Schweizerischen Mobiliar für die Unterstützung des Fesselballons,<br />
der Securitas für die Bereitschaft, das Sicherheitsdispositiv<br />
mitzutragen und der Gemeinde Ostermundigen für die engagierte Unterstützung<br />
der Arbeit von Thomas Hirschhorn. Zu guter Letzt möchte ich<br />
mich bei <strong>Armin</strong> <strong>Kerber</strong> bedanken, dem kuratorischen Weggefährten und<br />
Mitgärtner seit der ersten Stunde, als wir das Saatgut prüften und uns<br />
gegenseitig von totgesagten Parks und prächtigen Gärten erzählten.<br />
Juri Steiner<br />
Direktor<br />
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muss so aussehen.<br />
Walter Benjamin<br />
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<strong>Armin</strong> <strong>Kerber</strong><br />
Der Blick des Engels<br />
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(1) — »Man glaubt nicht immer, was man sieht. Traumatische Erlebnisse<br />
sind oft von einer Art Dissoziation begleitet. Das, was sich vor den eigenen<br />
Augen abspielt, erscheint unwirklich.« Dies schreibt die amerikanische<br />
Autorin Siri Hustvedt in ihrem autobiographischen Essay mit dem Titel<br />
»9/11, ein Jahr danach«, in dem sie ihre eigenen Wahrnehmungen und<br />
Erfahrungen als Augenzeugin des Terrorangriffes auf die Twin Towers in<br />
New York schildert. Dass alles, was sich vor unser eigenen Augen abspielt,<br />
nicht immer die Wirklichkeit glaubhaft widerspiegelt, wie sie doch eigentlich<br />
ist oder wie sie sein sollte, ist eine der ältesten Fragestellungen des<br />
philosophischen Denkens und gleichzeitig auch schon wieder trivial. Die<br />
Einsicht, dass nichts ist, wie es ist und wie es scheint und immer alles anders<br />
erscheinen kann als es ist, verkommt schnell zum banalen Sprachspiel<br />
und verblasst zur »connaissance de luxe«. Ist die Wirklichkeit eine Katastrophe,<br />
sieht alles sofort ganz anders aus.<br />
Nicht nur in der Mediengeschichte gilt das Attentat vom 11. September<br />
2002 inzwischen als der zentrale Einschnitt, der das 21. vom 20. Jahrhundert<br />
trennt, ähnlich wie das Attentat von Sarajevo auf Erzherzog Franz<br />
Ferdinand und seine Gemahlin Sophie Chotek im Jahre 1914 als die Zäsur<br />
zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert gilt: Katastrophen als die historischen<br />
Meilensteine, mit denen der Lauf der Jahrhunderte markiert wird,<br />
und jeder hat seine eigene Signatur. In Sarajevo waren es noch zwei aristokratische<br />
Repräsentationsfiguren, deren Ermordung das kommende Ende<br />
der feudalistischen Nationalmonarchien blutig auf das Pflaster zeichnete.<br />
In New York waren es mehrere tausend Business People, die kollektiv zu<br />
Staub zerfielen und als anonyme Märtyrer das nahende Ende der Unbesiegbarkeit<br />
demokratischen Fortschrittsglaubens signalisieren.<br />
Auch dies gehört inzwischen zum medialen Allgemeinwissen, dass<br />
das 20. Jahrhundert so viele Katastrophen, so viele Menschen-Abschlachtungen,<br />
so viele Völkermorde, Gräuel und Terror hervorgebracht hat wie<br />
keines zuvor. Was von Menschen verursachte Katastrophen angeht, steht<br />
das 20. Jahrhundert unangefochten an der Spitze der menschlichen<br />
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Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />
Unglücksgeschichte. Bei den Naturkatastrophen ist die Bilanz schwieriger<br />
zu ziehen: Gibt es überhaupt eine Zäsur oder einen Moment, an dem die<br />
Schöpfungsgeschichte der Erde mit ihren zugleich aufbauenden und zerstörerischen<br />
Prozessen als abgeschlossen gelten kann? Vielleicht wird die<br />
Bilanz des 21. Jahrhunderts zeigen, welche Naturkatastrophen keine Katastrophen<br />
der Natur waren, sondern von menschlichen Händen und<br />
Köpfen zu verantworten sind.<br />
»Der 11. September war nicht unvorstellbar. Wir alle konnten ihn<br />
uns vorstellen«, schreibt Siri Hustvedt weiter. Auch darin ist das 20. Jahrhundert<br />
einmalig: Immer wieder neue und grossartigere Vorstellungswelten<br />
für seine Katastrophen werden entworfen, nicht zuletzt dank dem<br />
Siegeszug der neuen Bild-Technologien Foto, Film und Fernsehen. Sigmund<br />
Freud war einer der ersten, der nachhaltig erkannte, dass gerade derjenige,<br />
der traumatisiert ist vom unmittelbaren Erleben der Katastrophe, der inneren<br />
Vorstellungswelt entkommen will, die sich in ihm eingebrannt hat.<br />
Der Mann hinter der Front, der den Schrecken des Krieges nicht am eigenen<br />
Leib erfahren hat, geht anders ins Kino als derjenige, der knapp das<br />
Lazarett überlebt hat. Wer sich etwas vorstellt, was er nicht kennt, ist<br />
immer ein anderer Kunstbetrachter als derjenige, der die Katastrophe<br />
durchlebt hat. Der gepeinigte Augenzeuge will die Bilder vergessen, der<br />
interessierte Betrachter will sich an sie erinnern.<br />
Inzwischen werden Oscar-prämierte Filme mit brennenden Menschen<br />
von Millionen zivilisierter Menschen gesehen, Bilder von grausamer Zerstörungskraft<br />
in Kunst-Galerien von gebildeten Bürgern goutiert. Das<br />
Dilemma ist dabei alt: Bilden die Menschen ihre Katastrophen ab, um sie<br />
im Bild zu bannen, sie »heimzuholen« ins gefahrlose Reich der Kinosessel<br />
und Museumswände, damit sie so ihre Ängste verarbeiten? Oder stimulieren<br />
die im Bild fixierten Katastrophen einen stets neuen Sog, aus dem<br />
heraus wieder eine neue Kettenreaktion von Katastrophen entsteht? Je<br />
unlösbarer dieses Dilemma, umso gravierender erscheinen Kunstwerke<br />
und Artefakte, die das Trauma der Katastrophe vorstellbar machen, ohne<br />
es zu überhöhen oder zu entschärfen.<br />
(2) — Eines der berühmtesten Bilder des 20. Jahrhunderts, das sich diesem<br />
Dilemma nicht nur stellt, sondern es zu überwinden sucht, ist Pablo Picassos<br />
»Guernica«, gemalt nach der totalen Zerstörung der spanischen Pro-<br />
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Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />
vinzstadt Guernica durch die Faschisten. Das Bild ist tausendfach analysiert<br />
und interpretiert worden und zeigt in höchster Konzentration und gleichzeitig<br />
radikalster Fragmentierung die Spuren und die Überreste der Zerstörung,<br />
die als Zeichen und Symbole zu sagen scheinen: Was bleibt, wenn<br />
die Katastrophe vorüber ist, ist die Katastrophe. Aber neben diesem ultimativen<br />
Endzeit-Gestus – und darin liegt die Besonderheit des Bildes – steht<br />
»Guernica« zugleich als grosses Fanal des<br />
Widerstands. Anders als viele Schreckensgemälde<br />
setzt das Bild »Guernica« nicht nur einen zornigen<br />
oder traurigen Impuls der Verzweiflung frei, sondern klagt die Parteinahme<br />
mit den Ermordeten und Gemetzelten ein, ohne sich auf vorschnelle<br />
ideologische Signale festzulegen. Der präzisen Vorstellung und gnadenlosen<br />
Abbildung der Katastrophe wohnt zugleich der Appell inne, sie für<br />
immer zu beenden.<br />
Wenn man so will, dann kann man den »Angelus novus« von<br />
Paul Klee auf vielfältige Weise als Gegenpol zu »Guernica« lesen.<br />
Beide Bilder sind Ikonen des 20. Jahrhunderts, beide sind eng verknüpft<br />
mit seiner Katastrophengeschichte. Während Pablo Picasso mit den<br />
Schrecken im Blick quasi als Augenzeuge, der nicht vergessen will, das Bild<br />
»Guernica« gemalt hat, ist es umgedreht nicht der Blick des Malers, sondern<br />
erst die Deutungs- und Wirkungsgeschichte des Bildes selbst, die den<br />
»Angelus novus« in die Position gebracht hat, in der er heute steht. In<br />
seinen berühmten geschichtsphilosophischen Thesen aus dem Jahre 1939<br />
schreibt Walter Benjamin:<br />
»Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heisst. Ein Engel<br />
ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas<br />
zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind weit aufgerissen, sein<br />
Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte<br />
muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet.<br />
Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine<br />
einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie<br />
ihm vor die Füsse schleudert.«<br />
Mit diesen Sätzen macht Walter Benjamin, der als Flüchtling nahezu<br />
mittellos mit dem »Angelus novus« als unverkäuflichem Handgepäck im<br />
Pariser Exil lebt, den Engel selbst zum permanenten und unmittelbaren<br />
Augenzeugen der allumfassenden Katastrophe. In dieser Allegorie bringt<br />
er den welthistorischen Zustand vor dem 2. Weltkrieg prophetisch auf den<br />
Punkt. Die »Kette der Begebenheiten« sieht folgendermassen aus: Der<br />
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Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />
Nationalsozialismus ist auf dem Höhepunkt seiner Macht und gerade<br />
dabei, mit letzter Konsequenz den Holocaust Wirklichkeit werden zu<br />
lassen. Der Bolschewismus führt Schauprozesse durch, die ersten Gulags<br />
werden errichtet und im Hitler-Stalin-Pakt ein Scheinfrieden mit dem Faschismus<br />
inszeniert. Angesichts dieses absoluten Katastrophen-Szenarios<br />
hat der »Angelus novus« keine Chance mehr, als paradiesischer Retter und<br />
Beschützer der Menschen zu erscheinen. Vielmehr ist der Engel selbst aus<br />
dem Paradies vertrieben und den Trümmern der menschlichen Geschichte<br />
leidvoll ausgesetzt.<br />
Diese Wendung geschieht, vom Bild selbst aus gesehen, unerwartet.<br />
Mit Sicherheit hatte Paul Klee diese Perspektive nicht im Sinn, als er das<br />
Bild malte. Es war zunächst Walter Benjamins Freund, der jüdische Gelehrte<br />
und ursprüngliche Käufer des Bildes Gershom Scholem, der den<br />
»Angelus novus« gewissermassen zu einem jüdischen Engel umdeutete.<br />
Und es war die radikale Verschärfung in Benjamins Interpretation, mit der<br />
er das christliche Engelskonzept der rettenden Fürsorglichkeit vollends aus<br />
den Fugen hob. Erst mit dieser Lesart macht Benjamin den »Angelus<br />
novus« zu einer der grossen Kunst-Ikonen des zwanzigsten Jahrhunderts.<br />
Während auf Picassos grossem Gemälde »Guernica« die realen und<br />
grausamen Zeichen der historischen Katastrophe in äusserster Verdichtung<br />
zu erkennen sind, sehen wir auf Klees kleinem Aquarell auf den ersten<br />
Blick nicht die Spur einer Katastrophe. Wir sehen nichts weiter als den<br />
Augenzeugen dessen, was wir uns selbst vorstellen müssen. Insofern ist<br />
der »Angelus novus« eine radikal moderne Konstruktion: Es liegt am<br />
Betrachter des Bildes, was er sieht und welche Interpretation er leisten will,<br />
das Bild selbst verrät nichts, der Blick des Engels bleibt gleichgültig und<br />
abstrakt, er kann alles oder nichts bedeuten. Die Katastrophe bleibt definitiv<br />
aus dem Bild ausgeschlossen, genauso wie der Engel definitiv vom<br />
Paradies geschieden ist. In dieser doppelten Abwesenheit spiegeln sich Paul<br />
Klees Bild und Walter Benjamins Interpretation ineinander. Mit den Worten<br />
Benjamins: »Blicken zwei Spiegel einander an, so spielt der Satan<br />
seinen liebsten Trick und öffnet hier auf seine Weise (wie sein Partner in<br />
den Blicken der Liebenden tut) die Perspektive ins Unendliche.«<br />
Das Resultat für den Betrachter, wenn er sich einmal auf Benjamins<br />
Lesart eingelassen hat, ist folgenreich. Denn wenn man das Bild ansieht,<br />
kann man beide Absenzen, das Paradies und die Katastrophe, nicht mehr<br />
ignorieren, sie – im wahrsten Sinn der doppelten Negation – nicht mehr<br />
nicht sehen, obwohl sie doch beide offensichtlich nicht sichtbar sind. In<br />
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diesem Widerspruch begegnen sich das unausgesprochene Geheimnis und<br />
die grosse Modernität des »Angelus novus« als Sinnbild der Katastrophengeschichte<br />
des 20. Jahrhunderts.<br />
(3) — Eine Ausstellung, die den »Angelus novus« nicht einfach in das<br />
Sortiment der anderen Engel-Bilder von Paul Klee einordnet, sondern sich<br />
auf seine einzigartige Interpretationsgeschichte einlässt, steht vor der einfachen<br />
Frage: Was sieht der »Angelus novus«? Präziser gefragt: Was sieht<br />
der »Angelus novus«, wenn er im Museum hängt? Die Antwort ist genauso<br />
einfach wie die Frage: Bilder. Nicht irgendwelche Bilder, sondern Bilder<br />
und Relikte von Katastrophen; Kunstwerke und Dokumente, die eine<br />
Vorstellung davon geben, was dieses letzte Jahrhundert an Unvorstellbarem<br />
hat Wirklichkeit werden lassen.<br />
»Lost Paradise« versucht in diesem Sinn, den Blick des Engels selbst<br />
zum Konstruktionsprinzip der Ausstellung zu machen und eine adäquate<br />
Szenografie dafür zu erfinden. Die beiden Bilder des »Angelus novus«,<br />
also die Zeichnung und das Aquarell hängen zentral in der Mitte der<br />
längsseitigen Wand, frontal gegenüber der Eingangstür. Der rechteckige<br />
Raum selbst ist leer, alle Stellwände sind zur Seite geräumt, es gibt keine<br />
Nischen, keine Kabinette, keine Abteilungen. Der Besucher, der die grosse<br />
schwarze Kammer betritt, sieht sich in gerader Linie dem »Angelus novus«<br />
gegenüber. Er wird, wenn man so will, zu seinem Komplizen und übernimmt<br />
Auge in Auge quasi spiegelbildlich seine Perspektive: den Blick des<br />
Engels, ein Panoptikum von mehr als 150 Katastrophenbildern des 20 Jahrhunderts.<br />
Surrealistisch, abstrakt, gegenständlich, zentral-perspektivisch, collagierend,<br />
fotorealistisch, gemalt, gezeichnet, fotografiert, gefilmt: So sehr<br />
sich auch die Darstellungsformen unterscheiden und in ihrer grossen Vielfalt<br />
die gesamte Palette der formal-ästhetischen Errungenschaften des<br />
20. Jahrhunderts in einer grossen Synopsis versammeln, das Sujet bleibt<br />
sich gleich und wiederholt sich in gut 150 Variationen. Es gibt keinen<br />
Fluchtpunkt und keinen Nebenraum, in die sich der »Lost-Paradise«-<br />
Besucher zurückziehen könnte. Genauso wenig stehen kuratorische Ironie<br />
oder Dekonstruktion als Mittel der Distanzierung im Raum. Wohin man<br />
sieht, es ist die Katastrophe. In seinem unvollendeten Passagenwerk schreibt<br />
Walter Benjamin über diese Darstellungsform: »Pan-Optikum: nicht nur,<br />
37
Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />
dass man alles sieht, man sieht auf alle Weise.« Auch auf die Gefahr hin,<br />
dass sich in diesem »fensterlosen Haus«(Walter Benjamin) Dissoziation<br />
einstellt, das Panorama entlässt niemanden aus seiner Welt-Vorstellung,<br />
es sei denn, man schliesst die Augen. Ob dann die Bilder nicht mehr zu<br />
sehen sind, ist eine andere Frage, woran nahtlos die nächste anschliesst:<br />
Kann das Museum eine der paradiesischen Oasen sein, an dem man selbst<br />
die Wahlfreiheit hat, sich der gesehenen Bilder zu erinnern oder sie zu<br />
vergessen?<br />
Wenn man schliesslich das »Lost Paradise« verlassen hat, wartet draussen<br />
im weit gezogenen Vorgarten zum Fruchtland, nur ein paar Schritte<br />
über die Autobahn hinweg, erneut der »Angelus novus«. Auf den ersten<br />
Blick ist er als Klon erkennbar, denn erstens ist er ein Drilling, zweitens<br />
überdimensional gross, und drittens befinden sich alle drei Engel auf einem<br />
Ballon. Als kleine Hommage auf Paul Klees unerfüllte Flug-Lust kann man<br />
mit diesem Ballon aufsteigen, hinauf in den Himmel, getragen von 2500<br />
Liter Helium, und herabschauen auf die Gartenschau »Jenseits von Eden«:<br />
auf das überdimensionale Pop-Denkmal »Complicated Pile« von Paul Mc-<br />
Carthy mit seiner aggressiven Eindeutigkeit, das eine unmittelbare Gegen-<br />
Korrespondenz zu den harmonischen drei Hügelwellen von Renzo Piano<br />
und dem hermetischen Konzept-Geheimnis des »Cube« von Sol LeWitt<br />
bildet. Vor den Mehrfamilienhäusern entlang dem Wyssloch stehen spiegelbildlich<br />
angeordnet drei Häuser-Fassaden der Schwestern Claudia &<br />
Julia Müller. Wie riesige Tore eröffnen sie den Blick in eine phantastische<br />
Dschungel-Welt, und unten am Bach erkennt man Joep van Lieshouts<br />
»Wellness-Skull«, der sich spätestens dann als ironisches Memento Mori<br />
einer aufs Glück konditionierten Wohlstandsgesellschaft entpuppt, wenn<br />
die Innenwelt des Totenkopfs sich als eine profane Sauna herausstellt. Das<br />
Mahnmal des Todes ist ein Wohlfühlbereich aus Plastik, oder, wie Walter<br />
Benjamin über das Glück im Zeitalter seiner technischen Herstellbarkeit<br />
schreibt: »Das Glück kennt Rezepte wie Pudding. Es kommt auf Grund<br />
einer genauen Dosierung verschiedener Elemente zustande. Es ist ein<br />
Effekt.«<br />
Wie unwirklich auch immer das Bild aus der Perspektive von dort<br />
oben erscheinen wird, das die zahlreichen weit verstreuten Kunstwerke<br />
und die vielseitigen »Weekend«-Performances der Gartenschau vermitteln:<br />
es könnte ein Versöhnliches sein, grundiert von einer kleinen Dosis Angst.<br />
Man weiss nie, wann die Katastrophe kommt. Selten kommt sie dann,<br />
wenn man sich in Gefahr denkt, noch seltener im Museum. Spätestens da<br />
38
Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />
oben – »Katastrophe« heisst schliesslich im ursprünglichen Sinn nichts<br />
weiter als »Wendung zum Niedergang« – wünscht man sich einen Engel,<br />
der auch im 21. Jahrhundert noch einen direkten Draht zum Paradies hat.<br />
Dabei ist eines sehr wahrscheinlich: Das Bild von oben, das man mit dem<br />
Blick des Engels als Augenzeuge »jenseits von Eden« gewinnt, wird man<br />
vermutlich nicht so schnell vergessen. Man wird sehen.<br />
39
Annelies Štrba<br />
Tschernobyl, 1996<br />
40
Der wahre Sinn der Kunst<br />
liegt nicht darin,<br />
schöne Objekte zu<br />
schaffen. Es ist vielmehr<br />
eine Methode, um zu<br />
verstehen. Ein Weg, die<br />
Welt zu durchdringen<br />
und den eigenen Platz zu<br />
finden.<br />
Paul Auster<br />
41
Tacita Dean<br />
Götterdämmerung, aus: Russian Ending, 2001<br />
Ein Sklave des Kapitals, aus: Russian Ending, 2001<br />
Der Rückzug nach Verdun, aus: Russian Ending, 2001<br />
La Bataille d’Arras, aus: Russian Ending, 2001<br />
Russian Ending, 2001<br />
Die zwanzig Fotogravuren der britischen Künstlerin Tacita Dean aus dem Jahr 2001 basieren auf einer Sammlung<br />
von historischen Postkarten. Die Ereignisse, die auf den Postkarten abgebildet sind, erzählen von<br />
grösseren und kleineren Unglücksfällen, Katastrophen und Tragödien des frühen 20. Jahrhunderts. Die einzelnen<br />
Bilder tragen den Titel ihres Ausgangsbildes wie etwa »Die Explosion in dem Kanal«, »The Tragedy<br />
of Hughesovka Bridge« oder »La Bataille d’Arras«. Tacita Dean hat von Hand Regieanweisungen in die<br />
Bilder eingeschrieben. Damit stellt die Künstlerin ihre subjektiv ausgewählten Katastrophen und Ereignisse<br />
aus der Geschichte als Fiktion in Frage. Die Postkarten werden von ihrer Zeugenschaft enthoben. Sie sind<br />
zu Ausgangsbildern für einen unheilvollen Filmschluss transformiert, für das Russian Ending. Indem sie ihre<br />
Arbeit unter dem Titel »Russian Ending« zusammenfasst, verweist die Künstlerin auf eine frühe Praxis in der<br />
dänischen Stummfilmproduktion, die jeweils zwei Filmenden produzierte: ein optimistisches Happy End für<br />
den amerikanischen Markt, und einen traurigen Schluss für das russische Publikum.<br />
42
Tacita Dean<br />
The Sinking of the SS Plympton, aus: Russian Ending, 2001<br />
Ballon des Aérostiers de Campagne, aus: Russian Ending, 2001<br />
43
Hiroshima Peace Memorial Museum<br />
Melted head of Buddhist statue, Mikio Karatsu,<br />
44
Hiroshima Peace Memorial Museum<br />
School Uniform, Segawa Masumi<br />
Hiroshima Peace Memorial Museum<br />
Am 6. August 1945 ging die verheerende amerikanische Atombombe in Hiroshima nieder. Binnen weniger<br />
Sekunden mussten 200’000 Menschen ihr Leben lassen, 80’000 wurden verletzt. Die aus dem Peace Memorial<br />
Museum in Hiroshima ausgeliehenen Zeugen dieser Katastrophe lösen im Betrachter Schrecken und tiefe<br />
Betroffenheit aus, noch verstärkt durch die Tatsache, dass es sich dabei um Gegenstände des alltäglichen<br />
Lebens handelt. Wir kennen die Geschichte jedes einzelnen Objekts und wir wissen, wer ihre Besitzer waren:<br />
Yoshie Terao war am 6. August 1945 25 Jahre alt und zu Hause, als in 600 Meter Entfernung die Bombe<br />
niederging. Die junge Frau konnte sich selber aus den Trümmern retten, überlebte aber nur bis am 18. August.<br />
Das Sommerkleid, das sie am Tag des Bombenabwurfs getragen hatte, haben ihre Eltern dem Peace Memorial<br />
Museum übergeben. Andere Objekte, wie die in sich zusammengekrümmte Keramikflasche, zeugen von der<br />
unermesslichen Hitze, die das Eisen schmelzen, die Gehsteige kochen und selbst Steine zerbersten liess.<br />
45
Hiroshima Peace Memorial Museum<br />
Dress, Hiroshi Terao<br />
46
Alain Resnais<br />
Hiroshima mon amour, 1959, Filmstill<br />
47
Juri Steiner<br />
»Tu n’as rien vu à<br />
Hiroshima«<br />
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Paul Klees Vater Hans war <strong>Deutsch</strong>er aus dem fränkischen Städtchen Tann,<br />
die Mutter Ida kam aus Basel. Zusammen lebten sie in der Schweiz, seit<br />
Hans eine Stelle als Musiklehrer am Bernischen Staatsseminar Hofwil<br />
angetreten hatte. Und so wurde Paul Klee 1879 in Münchenbuchsee geboren<br />
und absolvierte die Schulen im Herzen der malerischen Schweizer<br />
Bundeshauptstadt. Sein Kontakt mit dem deutschen »Vaterland« intensivierte<br />
sich von 1898 bis 1901, als Klee in München zu studieren begann,<br />
und wurde dann ab 1906 dauerhaft, als er in die Kunstmetro pole übersiedelte.<br />
Erst 1921 zog er von dort weiter nach Weimar ans Bauhaus.<br />
Dazwischen wurde er 1916 als deutscher Staatsangehöriger zum Kriegsdienst<br />
einberufen. Doch weil das Bayerische Königshaus die Schonung<br />
der Künstlerschaft befahl, wurde der Soldat Klee nicht an die Front<br />
geschickt.<br />
Im Sog der russischen Oktoberrevolution, der sich abzeichnenden<br />
Kriegsniederlage <strong>Deutsch</strong>lands und der Versorgungsnot kam es 1918 zur<br />
reichsweiten, so genannten Novemberrevolution. Am 7. November 1918<br />
rief Kurt Eisner den Freien Volksstaat Bayern aus und wurde vom Arbeiter-,<br />
Bauern- und Soldatenrat zum ersten Ministerpräsidenten der Bayerischen<br />
Republik gewählt. Nach Eisners Ermordung im Februar 1919 übernahm<br />
ein »Zentralrat« die Macht und proklamierte am 7. April 1919 die<br />
Räterepublik. In ihr bildete sich ein »Aktionsausschuss revolutionärer<br />
Künstler«, dem unter anderem der bedeutende Pionier des dadaistischen<br />
Films Hans Richter angehörte. Zu den Funktionen und Zielen dieses Ausschusses<br />
zählten »die Förderung der neuen Kunst, die Organisierung der<br />
Mai-Demonstration, die Sozialisierung von Theater und Kino, die Beschlagnahme<br />
der Residenz, der Nymphenburger Porzellan-Manufaktur,<br />
der Schack-Galerie, der Villa Stuck, des Maximilianeums etc., die soziale<br />
Fürsorge, die Beseitigung des Ateliermangels, sowie die Umgestaltung der<br />
Kunstakademie und der Kunstgewerbeschule«. Paul Klee wurde vom<br />
49
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Ausschuss direkt angefragt; erhalten ist seine Antwort an den Maler Fritz<br />
Schaefler vom 12. April 1919, in der er seine Loyalität zusicherte und<br />
seine Dienste anbot:<br />
Sehr geehrter Herr Schaefler! München, 12. April 1919<br />
Der Aktionsausschuss revolutionärer Künstler möge ganz über meine<br />
künstlerische Kraft verfügen. Dass ich mich dahin zugehörig betrachte ist<br />
ja selbstverständlich, da ich doch mehrere Jahre vor dem Krieg schon in<br />
der Art produziere, die jetzt auf eine breitere öffentliche Basis gestellt<br />
werden soll. Mein Werk und meine sonstige künstlerische Kraft und<br />
Erkenntnis steht zur Verfügung!<br />
Mit dem besten Gruss<br />
Ihr Klee<br />
Dem Antrag auf Aufnahme Paul Klees wurde an einer Sitzung am<br />
22.4.1919, fünf Tage nachdem Reichwehrminister Gustav Noske den<br />
Einsatz von Reichswehrverbänden gegen München beschlossen hatte,<br />
zugestimmt. Viel weiter scheint der revolutionäre Kontakt danach aber<br />
nicht mehr gediehen zu sein. Die Ereignisse begannen sich zu überstürzen.<br />
Nachdem es zu Massakern der Freikorps an Angehörigen der »Roten<br />
Armee« der Räterepublik sowie unbeteiligten Zivilisten auf der einen und<br />
der Ermordung von rechtsextremistischen Geiseln durch die Rotgardisten<br />
auf der anderen Seite gekommen war, löste sich der Aktionsausschuss<br />
revolutionärer Künstler mit der Einnahme Münchens durch die Reichswehr<br />
Anfang Mai 1919 nach folgender, letzter öffentlicher Mitteilung auf: »...<br />
Wir erklären: Wir sind nicht die ‚Vertreter’ der Münchener, der Bayerischen<br />
oder sonst irgendwelcher Künstler, die zum kapitalistischen Zeitalter gehören,<br />
wir sind die Vertreter und Bevollmächtigten einer Idee, und unser<br />
Ziel ist, an dem Aufbau der neuen Gemeinschaft und deren ideellen Entwicklung<br />
praktisch mitzuarbeiten. Wir fordern alle, die gleichen Sinnes<br />
sind, auf, uns zu helfen. Das erwarten wir von unserer Generation, nicht<br />
von den Vertretern der alten, die uns nicht helfen können. Der Aktionsausschuss<br />
revolutionärer Künstler: i.A. Richter, Tautz.«<br />
Fast zur gleichen Zeit in München entstand Klees kleine,<br />
weltberühmte aquarellierte Zeichnung »Angelus novus« (neuer<br />
Engel) vermutlich im so genannten »Werneck-Schlösschen«, wo<br />
50
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Klee nach seiner Entlassung aus dem Militär ab Frühjahr 1919 ein Atelier<br />
bezogen hatte. Zum Mythos und Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts<br />
wurde der »Angelus novus« aber nicht durch seinen Schöpfer, sondern<br />
vielmehr durch seinen ersten Besitzer, den deutsch-jüdischen Kunst- und<br />
Kulturtheoretiker Walter Benjamin, der das Werk 1921 während eines<br />
Besuches bei seinem Freund Gersholm Scholem in München an der ersten<br />
Klee-Ausstellung in der Galerie Goltz am Odeonsplatz kaufte. Da Paul<br />
Klee schon aus München weggezogen war und der Kauf des »Angelus<br />
novus« über Goltz abgewickelt wurde, sind sich die Historiker einig, dass<br />
sich Käufer und Künstler nicht begegnet sind.<br />
Mitschuld oder Anklage? — Man kann sich Paul Klee aus unserer Warte<br />
des frühen 21. Jahrhunderts nur schlecht als deutschen Militär in Uniform<br />
und politbewegten Künstler im Tumult der Münchner Räterepublik vorstellen,<br />
eine Vision, die zu sehr – wenngleich auf der politischen Gegenseite<br />
– an die Karriere des Gefreiten und Bürgerbräuputschisten Adolf Hitler<br />
gebunden ist. Doch bildet diese Kombination des politischen Soldaten und<br />
Künstlers Anfang des 20. Jahrhunderts einen festen Teil der Avantgarde.<br />
Die Serie »Portfolio Soldaten« (1991-1994) des Schweizer Künstlers Pietro<br />
Mattioli zeigt neun Fotografien von prominenten<br />
und bedeu- tenden Avantgardekünstlern des 20. Jahrhunderts<br />
in Uniform. Klee hätte er gut dazu gesellen<br />
können, sagt Mattioli, gibt es doch mehrere Aufnahmen von Klee mit<br />
seiner Einheit, dem Ersatz-Bataillon der Landsturm-Kompanie in Landshut.<br />
Hinter Mattiolis Arbeit steht die grundsätzliche Frage nach der Rolle<br />
oder gar der Mitschuld der Avantgardekünstler und ihrem Kampf um<br />
Aussenseitertum, Autonomie und moralischen Gegenwerte an den Gräueln<br />
des 20. Jahrhunderts. Paul Mann hat in seinem Buch »The Theory-<br />
Death of the Avant-Garde« mit Nachdruck auf das Paradox der Avantgarde<br />
hingewiesen: auf ihre Opposition, die das Bürgertum stützte, gerade<br />
weil sie dazu in Opposition trat: »War der Futurismus revolutionär oder<br />
faschistisch? War Dada affirmativ oder negativ? War der Surrealismus<br />
ästhetisch oder revolutionär?« Suchte die Avantgarde die Autonomie auf<br />
dem Musenberg oder das Engagement auf den Barrikaden? Kommentatoren<br />
der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts finden sich selbst immer<br />
wieder unfähig, Pro und Contra zu sortieren, ohne dem jeweiligen Künstler<br />
Gewalt anzutun. Doch diese Gewalt ist der radikal dialektischen Natur<br />
der Avantgarden eingeschrieben. Im 20. Jahrhundert geht jede explizite<br />
51
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Form von kultureller Opposition eine implizite Allianz mit der herrschenden<br />
Macht ein, und jede dieser Allianzen beschreibt auch eine Konfrontation,<br />
einen Bruch. Hinter der einfachen Auflistung von ästhetischen und<br />
ideologischen Oppositionen existiert eine sehr viel komplexere und konfliktreichere<br />
Dialektik, welche vielleicht der charakteristischste Gegenstand<br />
in der Geschichte der Avantgarde ist.<br />
Der Schweizer Kunsthistoriker Beat Wyss verortet den grossen Bruch<br />
mit der Tradition, den die Moderne vollzieht, bei den deutschen Philosophen<br />
Schopenhauer und Nietzsche. Damit verankert er die Klassische<br />
Moderne tief im 19. Jahrhundert, als die Funktion der Kunst aus der<br />
Affirmation der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse gelöst wurde,<br />
um sich dem Umsturz aller konventionellen und gesellschaftlichen Werte<br />
zu verpflichten. Bei Nietzsche revoltiert die Kunst gegen Hegels vernünftigen<br />
Weltgeist, um sich allein den Trieben des Individuums hinzugeben.<br />
Im ästhetischen Aufbegehren des Einzelnen enthebt sich die Kunst, die<br />
an keine übergeordnete Instanz mehr gebunden ist, auch der Aufgabe,<br />
den Menschen ästhetisch zu einem gesellschaftlichen Wesen heranzubilden.<br />
Damit führt Nietzsche eine Grösse ein, die für die Kunst des<br />
20. Jahrhunderts entscheidend sein wird: Die Negation und Zerstörung<br />
des Bestehenden.<br />
»Gadji beri bimba« — Und in der Zerstörung des Bestehenden waren sie<br />
Experten, die »revolutionären Künstler«. Hugo Ball, der sich von München<br />
herkommend durch die Schweiz schlug, ging in seinem berühmten kubistischen<br />
Kostüm, das er im Zürcher Cabaret Voltaire, der Geburtsstätte<br />
der dadais- tischen Künstlerbewegung am 23. Juni 1916 zum<br />
Rezitieren des Lautgedichts »Gadji beri bimba« getragen hatte,<br />
als Zertrümmerer der Sprache in die Kunst- und Literaturgeschichte ein:<br />
»Mit diesen Tongedichten wollten wir verzichten auf eine Sprache, die<br />
verwüstet und unmöglich geworden ist durch den Journalismus. Wir müssen<br />
uns in die tiefste Alchemie des Wortes zurückziehen und selbst die<br />
Alchemie des Wortes verlassen, um so der Dichtung ihre heiligste Domäne<br />
zu bewahren.« Dieser Rückzug aus der Sprache hat ganz unmittelbar<br />
mit der aus den Fugen geratenen Welt des Ersten Weltkriegs zu tun. Die<br />
Lügen der Machthaber und das Leid der Menschen im Krieg wurden<br />
schlechterdings »unsagbar«. Den Künstlern verschlug es die Sprache; die<br />
Dadaisten erkannten, wie manipulierbar Worte sind und entlarvten ihren<br />
Missbrauch durch Könige und Feldmarschälle. Auf ihren sprachzerstöre-<br />
52
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
rischen Expeditionen im Cabaret Voltaire mutierte das Alphabet zu Schleifen<br />
und Spiralen, die sich hinterher hasten und zu unleserlichen Zeilen<br />
gerinnen. Und während des Rezitierens im kubistischen Kostüm hatte Ball<br />
eine Eingebung: Er erkannte die Kraft der Gestaltenfülle jenseits der Sprache,<br />
sah den Ozean an Äusserungsmöglichkeiten vor sich, unabsehbar und<br />
abenteuerlich jenseits der Besinnung: »Der Dadaismus – ein Maskenspiel,<br />
ein Gelächter«, schreibt Ball später, als er sich von Dada ab- und den<br />
mystischen Seiten des Katholizismus zugewandt hatte.<br />
Himmel über Bern — Zwischen Hugo Ball, Walter Benjamin und Paul<br />
Klee besteht ein Beziehungsnetz der Avantgarde, das sich – ziemlich unerwartet<br />
– über Bern spinnt. Hugo Ball, Walter und Dora Benjamin wohnten<br />
1919 Haus an Haus an der Marzilistrasse und pflegten Kontakt. Später<br />
übersiedelte Ball mit der Dichterin Emmy Hennings in das Dörfchen Agnuzzo<br />
am Luganersee, wo er nach der Konversion zum Katholizismus<br />
seine hagiographischen Studien aufnahm, aus denen 1923 das Buch »Byzantinisches<br />
Christentum. Drei Heiligenleben« entstand. Es sei durchaus<br />
möglich, so schreibt der Berner Klee Experte Oskar Bätschmann, dass Klee<br />
sich an Hugo Balls Angelologie erinnerte, als er in den letzten Lebensjahren<br />
seine Heerscharen von Engeln unterschiedlichster Stufen erschuf. Auf<br />
diese Weise schlösse sich der Engelskreis zwischen Ball, Benjamin und Klee<br />
im Himmel über Bern. Auf alle Fälle wurde Klees »Angelus novus« für<br />
Benjamin zum Wichtigsten, was er an irdischen Gütern besass. Das Ausmass<br />
seiner Leidenschaft trug gar die Züge einer Fixierung, wie Johann<br />
Konrad Eberlein in seinem Buch »›Angelus novus‹ Paul Klees Bild und<br />
Walter Benjamins Deutung« schreibt. Auch in Zeiten härtester Not brachte<br />
es Benjamin offensichtlich nicht über sich, das Bild zu veräussern. Erst<br />
im Juni 1940, als der Autor des »Passagen«-Werks vor den anrückenden<br />
<strong>Deutsch</strong>en aus Paris fliehen musste, schnitt er gemäss Scholem das Bild<br />
aus dem Rahmen und steckte es in einen der beiden Koffer mit wichtigen<br />
Manuskripten, die der befreundete Philosoph Georges Bataille dann in der<br />
Bibliothèque Nationale für ihn versteckte. Benjamin hatte Bataille gebeten,<br />
ihm diese Manuskripte nach dem Krieg zurückzugeben oder sie im Falle<br />
seines Todes an den Freund Theodor W. Adorno weiterzuleiten. Schon<br />
kurz darauf setzte Benjamin am 26. September 1940 in Port Bou an der<br />
französisch-spanischen Grenze in auswegsloser Lage seinem Leben ein<br />
Ende. Zusammen mit einer kleinen Gruppe konnte er sich zwar bis in die<br />
Pyrenäen durchschlagen; doch an der spanischen Grenzstation wurden die<br />
53
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Visa der Gruppe nicht anerkannt und den Flüchtlingen der Übertritt auf<br />
die spanische Seite verwehrt. Für Benjamin hätte die Rückkehr nach<br />
Frankreich die sichere Deportation in ein deutsches Konzentrationslager<br />
bedeutet.<br />
Der »Angelus novus« verbrachte die deutsche Besatzungszeit in Paris.<br />
Und die Kriegs- und Nachkriegswirren verzögerten eine prompte Übergabe<br />
an Adorno, wofür sich Bataille – der inzwischen nicht mehr in der Bibliothèque<br />
Nationale arbeitete und das Werk samt der Manuskripte in<br />
seiner Wohnung verwahrte – ausdrücklich in einem Brief vom Oktober<br />
1945 entschuldigte. Der Brief ging an Pierre Bonnasse, einen unter dem<br />
Pseudonym Pierre Missac publizierenden französischen Schriftsteller, mit<br />
dem Walter Benjamin befreundet gewesen war. Bonnasse forschte im Auftrag<br />
von Dora Benjamin, der in der Schweiz lebenden Schwester, nach dem<br />
Verbleib des Nachlasses. Auf weit verzweigten Pfaden – der in den USA<br />
lebende Theodor W. Adorno war 1945 von Europa aus schwer zu erreichen<br />
– wurde dieser als »Nachlass parisien« oder »erster Nachlass parisien«<br />
bezeichnete Teil von Benjamins Hinterlassenschaft zusammen mit dem<br />
»Angelus novus« schliesslich auch ausgehändigt. Anfang 1947 wurde er<br />
von der Frau eines Angehörigen der US-Botschaft in Paris in die USA gebracht<br />
und dort Adorno übergeben. Via Adorno kam der »Angelus novus«<br />
dann schliesslich auch an Gershom Scholem. 1982, nach dem Tod Scholems,<br />
wurde das Bild zum ersten Mal im Israel Museum in Jerusalem<br />
ausgestellt. 1987 ging es dann als Geschenk von Fania und Gershom<br />
Scholem, John und Paul Herring sowie Jo-Carole und Ronald Lauder in<br />
den Besitz des Museums über.<br />
Engel der Geschichte — Walter Benjamins lebenslange historische, philosophische,<br />
ästhetische und politische Reflexionen über das Bild sind es,<br />
die den »Angelus novus« zur Ikone des ohnmächtigen Leidens an der<br />
nackten Gewalt und der zügellosen Brutalität des 20. Jahrhunderts gemacht<br />
haben, wie Johann Konrad Eberlein und Oskar Bätschmann in<br />
jüngerer Zeit herausgearbeitet haben: Walter Benjamin schätzte den Künstler<br />
Paul Klee schon früh, was Briefstellen an den Freund Gershom Scholem<br />
belegen. Klee war für Benjamin der moderne Künstler schlechthin, einer,<br />
der Technik und Naturwissenschaften zur Grundlage seiner Kunst gemacht<br />
hatte, der mit seinen »surrealistischen Überblendungen« die sinnliche Welt<br />
kennzeichnete und die reale Welt der Gegenwart erfasste. Benjamin las<br />
Bücher über Klee und erwähnte ihn öfter in seinen Briefen. Obwohl also<br />
54
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
zu erwarten war, dass er sich intensiv mit dem »Angelus novus« auseinandersetzen<br />
würde, ist doch überraschend, welchen Umfang die Deutungen<br />
des Bildes in seinem Denken einnehmen sollten und welche weiten<br />
Wege er gehen würde.<br />
Die weit aufgerissenen Knopfaugen des Engels sehen die einzige Katastrophe,<br />
ohne sie zu spiegeln. Die Ausstellung »Lost paradise« versucht<br />
ihrerseits mit den Artefakten von Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts<br />
ein grobes Panorama dessen zu rekonstruieren, was der Engel der Geschichte<br />
sieht: den Sturm und das nackte Leben, den durch eine Welt der<br />
Zerstörungen umherirrenden Menschen. Noch vor Benjamins Deutung<br />
des Engels bezeichnet bereits Gershom Scholem in einem Geburtstagsgedicht<br />
für Benjamin am 15. Juli 1921 das Auge des Engels als schwarz und<br />
schildert ihn als Boten mit dunklen, aber nicht explizit unheilvollen Bezügen.<br />
Damit erschöpft sich Scholems Einfluss auf Benjamins »Angelus«-<br />
Rezeption aber nicht. Scholem machte Benjamin mit der jüdisch-theologischen<br />
Tradition, der kabalistischen beziehungsweise talmudischen<br />
Legende bekannt, wonach »die Engel – neue jeden Augenblick in unzähligen<br />
Scharen – geschaffen werden, um, nachdem sie vor Gott ihren Hymnus<br />
gesungen, aufzuhören und im Nichts zu vergehen«. Diese auf Scholem<br />
zurückgehende jüdisch-theologische Deutung des »Angelus novus« wurde<br />
für Benjamin zum Ursprung für alle seinen folgenden Beschäftigungen mit<br />
Klees Bild, wie Eberlein schreibt. Mit Sicherheit hatte Paul Klee diese<br />
Tradition nicht im Sinn. Es war also Scholem, der den »Angelus« zu seinem,<br />
zu einem jüdischen Engel machte, und damit Benjamins Fantasie im<br />
Spiegel dieses kleinen Klee-Bildes entfachte und anheizte.<br />
Tod von oben — In Klees Œuvre kommt den Engeln eine besondere Bedeutung<br />
zu, obschon dies vermutlich nichts mit Scholems und Benjamins<br />
Projektionen, sondern ganz wesentlich mit dem Umstand zu tun hat, dass<br />
es sich um geheimnisvolle fliegende Wesen handelt. In einer zentralen<br />
Passage seiner Tagebücher aus der Zeit des Ersten Weltkriegs schreibt Klee<br />
über sich selbst: »Ich habe diesen Krieg in mir längst gehabt. Daher geht<br />
er mich innerlich nichts an. Um mich aus meinen Trümmern herauszuarbeiten<br />
musste ich fliegen. Und ich flog. In jener zertrümmerten Welt weile<br />
ich nur noch in der Erinnerung, wie man zuweilen zurückdenkt. Somit bin<br />
ich abstract mit Erinnerung.« Krieg, zertrümmerte Welt, Fliegen, Erinnerung:<br />
Das ist Benjamins Beschreibung des »Angelus novus« gar nicht so<br />
unähnlich. Bezüglich der fliegenden Selbstrepräsentation Klees ruft Oskar<br />
55
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Bätschmann seinerseits in Erinnerung, dass der Kleespezialist Otto. K.<br />
Werckmeister darauf hingewiesen hat, dass Klee in den ersten beiden<br />
Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts das Fliegen als ambivalente<br />
Metapher für Triumph und Scheitern der künstlerischen Imagination betrachtete:<br />
»Ein frühes Dokument für diese Ambivalenz ist das tragikomische<br />
Sinnbild ›Der Held mit dem Flügel‹; dieser macht unentwegt Flugversuche,<br />
obwohl ihn die Natur nur mit einem Engelsflügel ausgestattet hat.«<br />
Fliegen und Abstürzen sind starke metaphorische Motive, einander gerade<br />
auch im profanen Leben nahe: Während des Ersten Weltkrieges leistete<br />
Klee Dienst auf dem Feldflugplatz Schleissheim, bevor er zur Fliegerschule<br />
Gersthofen versetzt wurde, wo es zu seinen Aufgaben gehörte,<br />
Flugzeugabstürze der noch unerfahrenen Flugschüler zu fotografieren:<br />
»Diese Woche hatten wir hier drei Tote, einer wurde vom Propeller bearbeitet,<br />
zwei derhuzten sich. Ein vierter sauste gestern mit Krach und Riss<br />
und Schurf aufs Dach der Werft. Zu tief geflogen, an einer Telegraphenstange<br />
hängen geblieben, auf dem Dach einmal aufgehupft und überpurzelt<br />
und verkehrt liegen geblieben wie ein Trümmerhäufchen. Ein Gerenne von<br />
allen Seiten, im Nu das Dach schwarz von Monteurkitteln. Tragbahre,<br />
Leitern. Der Photograph. Ein Mensch rausgelöst und bewusstlos fortgetragen.<br />
Gellende Kommandos. Ein Kinoeffekt erster Güte.« Werckmeister<br />
hat Klees dualistisches Komplementärverhältnis »zwischen dem schockhaft<br />
wirklichen Erlebnis des Absturzes in Tod und Trümmer und der entgegen<br />
gesetzten abstrakten Allegorie eines Aufstiegs zu dauerhafter künstlerischer<br />
Existenz« eingehend analysiert. Ganz anders als die sarkastischen Beschreibungen,<br />
aus denen die Distanz des Unbeteiligten spricht, zeigen die Zeichnungen<br />
aus Klees Militärzeit eine fast panische Vision des Todes,<br />
der von oben kommt: Flug- zeuge, die Klee als Todesschwadronen<br />
in seinen Skizzenbü- chern festgehalten hat.<br />
Als Künstler und militärischer Fotoreporter bewegte sich Klee in einer<br />
– wie man heute sagen würde – Mediasphäre, wo sich Aktion, Information<br />
und Gegeninformation diverser Inszenierungen von Macht, Manipulation,<br />
Imagination und Illusion treffen. Anders gesagt: Die mediatisierte<br />
Welt ist ein permanentes Zerfliessen von Wahrnehmungs- und Vorstellungsbildern,<br />
was dem nahe kommen würde, was Benjamin mit Klees<br />
»surrealistischen Überblendungen« beschrieben hat. Künstlerisch hat Klee<br />
seine Eindrücke in Zeichnungen von brennenden und todbringenden Flugzeugen<br />
übersetzt. Heute, bald ein Jahrhundert nach Klee, verbindet die<br />
Kunst einer Tacita Dean Dokumentarisches und Ästhetisches. In ihrer<br />
56
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Arbeit »The Russian Ending«, arrangiert sie Fotodokumente aus den<br />
1910er und 1920er Jahren neu und kreiert in diesem instabilen<br />
Feld den Reiz, dass eine künstlerische Arbeit gleich zeitig<br />
geschichtliche Kritik und unmittelbare Präsenz, Diskurs<br />
und Werk sein kann. Angesichts des Impulses dieser künstlerischen Gegenwart<br />
ist bei Tacita Dean keine Rede mehr davon, objektives Dokumentieren<br />
von subjektivem Interpretieren zu trennen, wie Klee es als Fotoreporter<br />
und Künstler tat; zu unterscheiden, was ästhetisch von beständiger<br />
oder für den Moment von repräsentativer Relevanz ist. Tacita Deans bewusste<br />
Ambivalenz zeigt eine grundsätzliche Krux der zeitgenössischen<br />
Kunst, die sich dem Imperativ der Kommunikation des »Hier und Jetzt«<br />
der Massenmedien mit den Mitteln der Massenmedien entgegenstellt.<br />
Dass die Kunst im von Benjamin ausgerufenen Zeitalter der technischen<br />
Reproduzierbarkeit mit der Zeit mitstürzt, als Bilderlieferantin par<br />
excellence immer schneller wird, ist nicht mehr als folgerichtig. Doch<br />
versucht die Kunst heute immer mehr Dokumentation und ästhetische<br />
Distanz zu vereinen. Seit dem historischen Stichtag Nine-Eleven beispielsweise<br />
gibt es immer wieder Versuche, die Zäsur, welche die in die New<br />
Yorker Zwillingstürme einschiessenden Passagierflugzeuge geschnitten<br />
haben, künstlerisch aus den immer gleichen Videobildern zu destillieren.<br />
So versucht Francis Alÿs mit seiner Arbeit »An Eye for an Eye« aus<br />
den Bildern, die wir seit jener langen TV-Nacht vom September<br />
2001 kennen, mehr als das ungläubige Staunen herauszuholen,<br />
das in uns die präzis orchestrierte Zusammenstellung der Repetition<br />
hervorruft. Endlich scheint der Betrachter etwas darüber zu begreifen,<br />
dass wir es mit einem Kaleidoskop an Zu- und Unfällen, Katastrophen<br />
und Kataklysmen zu tun haben, die ex-abrupto immer öfter, aber<br />
vor allem immer schneller auf uns einstürzen. Und von dieser Beschleunigung<br />
beeinflusst ist die Kunst ebenso wie es die Medien, die Politik oder<br />
die Wirtschaft sind.<br />
Kunst, Katastrophen und Massenmedien — Dass die Kunst im System<br />
zwischen Darstellung und Kommunikation komplexer funktioniert als die<br />
Massenmedien, ist ihr Vorteil. Und die totale Freiheit der Thematisierung<br />
ist ihr eigentliches Potential gegenüber einer ökonomisierten Information.<br />
Hans Ulrich Reck geht in seiner Untersuchung »Kunst als Medientheorie«<br />
aus dem Jahr 2003 soweit, dass er »Ästhetik als Medium der Thematisierung«<br />
und »Kultur als Programmentwicklung und -durchsetzung« dar-<br />
57
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
stellt. Damit steht die Agenda der Informationsmedien in ihrem Kampf<br />
um die Publikumsgunst und ihrem vermeintlichen Zwang nach Vereinfachung,<br />
Personalisierung, Aktualität der offenen Agenda der Kunst gegenüber.<br />
Die Kunst kann sich den Luxus der Komplexität leisten, einem nicht<br />
zu sagen was, sondern woran man denken soll. Damit arbeitet die Kunst<br />
unabhängig von der Presse an der Kartografie der Aktualität und benennt<br />
ihrerseits – medienkritisch – die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen.<br />
So zeigen Anri Sala und Galic/Gredig zwar Schauplätze<br />
des Krieges, aber nicht aus dem heissen Blickwinkel<br />
der Tagesaktualität heraus. Sie zeigen Orte, die die Kameras<br />
der TV-Stationen links liegen lassen – etwa die Kampfzonen, lange nachdem<br />
die Journalisten wieder abgezogen sind, oder, wie Anri Sala, den nur<br />
noch von streunenden Hunden belebten Zoo in Tirana in der Videoarbeit<br />
»Arena« (2001). Hier erschliesst sich in einer sehr langsamen<br />
Kamerafahrt dem Auge des Betrachters der verlassene und verwahrloste<br />
Zoo. Der Glanz vergangener Tage ist bedrückender<br />
Trostlosigkeit und Leere gewichen. Trotz der Ruhe, Langsamkeit und<br />
Aktionslosigkeit vermittelt der Ort Unruhe und ein Aufbegehren gegen<br />
den Verfall. Unter der Diktatur besass der Zoo nur einheimische Tiere.<br />
Nach 1990 kaufte die Regierung auch afrikanische und asiatische Tiere<br />
wie Tiger und Löwen. Dies war Ausdruck der Hoffnung, möglichst schnell<br />
den Anschluss an die westliche Welt zu finden. Nach 1997 wurden die<br />
meisten Tiere während der darauf folgenden Unruhen getötet und entführt.<br />
Das Kunsthaus Bregenz schreibt zu Anri Sala, der im Rahmen der Gruppenausstellung<br />
»Remind« im Jahr 2004 prominent vertreten war: »Der<br />
Verlust gesellschaftlicher Ordnung wird in der Gegenüberstellung von<br />
innen und aussen – von Tiergehegen und angrenzenden Grünflächen –<br />
fühlbar. Nach der wirtschaftlichen Depression der späten 1990er Jahre<br />
finden sich hier nur noch vereinzelt Tiere in den heruntergekommenen<br />
Käfigen. Die inzwischen verwilderten Besucheranlagen sind nun statt von<br />
Menschen von Rudeln streunender Hunde bevölkert. Als herrenlose Zeugen<br />
urbaner Verwahrlosung bemächtigen sie sich dieses Raums, der zum<br />
Spiegelbild für den Verfall eines repressiven Systems und des nachfolgenden<br />
wirtschaftlichen Bankrotts wird. Das ursprüngliche Verständnis eines Zoos<br />
als repräsentative Einrichtung, die der Zurschaustellung, Belehrung und<br />
wissenschaftlichen Zwecken dient, verkehrt sich hier ins Gegenteil. Anri<br />
Salas ›Arena‹ wird zum dokumentarischen Schauplatz ehemaliger Gefangenschaft,<br />
von Unterdrückung und Tod. Salas Fokussierung auf seinen<br />
58
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
geografischen und kulturellen Ursprung bildet einen starken Kontrast zur<br />
Gegenwart. Der Zoo erinnert an die politische und gesellschaftliche Vergangenheit<br />
sowie an die Realität in Albanien.«<br />
Der Niederländer Aernout Mik zeigt in seiner komplex choreographierten<br />
Videoarbeit »Scapegoats« von 2006 anhand der<br />
Rituale zwischen gefangen genommener Zi- vilbevölkerung<br />
und ihren paramilitärischen Bewachern, dass es ein<br />
wichtiges, fast selbstverständliches Interessensfeld der aktuellen Kunstproduktion<br />
ist, die Dokumentationsstrategien zu infiltrieren, mit denen das<br />
Fernsehen, die Presse, das Radio, das Internet operieren. Mittels Infiltration,<br />
Montagen und Zweckentfremdungen denunziert die Kunst die Art<br />
und Weise, mit welcher Information und – nicht erst in Zeiten »eingebetteter«<br />
Kriegsreporter – Desinformation produziert wird. Die Kunst zielt<br />
dabei meist mit dem Selbstverständnis einer Gegeninformationsplattform<br />
auf die Demaskierung von Medienlügen, indem sie den potentiellen Plural<br />
einer »Information« aufzeigt. Mainstream-Codes werden aufgegriffen und<br />
der öffentliche Raum mit ästhetischen Guerillamethoden zurückgefordert,<br />
um eine Sphäre zu schaffen, worin über die Macht der Medien diskutiert<br />
werden kann. Der polnische Künstler Zbigniew Libera macht dies deutlich,<br />
indem er berühmte Pressefotos des 20. Jahrhunderts nachstellt und so<br />
verfremdet, dass man erst auf den zweiten Blick merkt, dass etwas nicht<br />
stimmen kann: Der verstümmelte Che Guevara raucht zufrieden mit seinen<br />
Häschern eine Zigarette, das vietnamesische Mädchen, das vor den GIs<br />
davonrennt, lächelt. Auch die Männer hinter dem Stacheldraht des Kriegsgefangenenlagers<br />
lächeln, als ob sie Teil einer Welt wären, in<br />
der Information nur ein Teil der ewig rieselnden Unterhaltungsindustrie<br />
ist.<br />
Der kritische Geist solcher »Appropriation Art« bedient sich der<br />
Repräsentationen der von den Medien besetzten Information. Wie aber<br />
steht es mit jenen Produzenten von Information, die sich vom Journalismus<br />
her in die medienaktivistische Kunstzone vorwagen, gewissermassen Hugo<br />
Balls weiter oben erwähnte Basis-Kritik des Journalismus von 1916 durch<br />
die Medien selbst lancieren? Die Taktiken der experimentellen<br />
»Independent«-Medien mit ihrem Individuationsslogan »Be your own<br />
media!« schneiden sich mit denen der sogenannten »Self-Medias«, wie sie<br />
in der Kunst bereits seit den späten 1960er Jahren existieren. Dabei handelte<br />
es sich noch um relativ bescheidene, individuelle Alternativen zu den<br />
Massenmedien, die sich so nahe als möglich am Geschehen, der gelebten<br />
59
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Realität, bewegen, um die Isolation der Kunstwelt aufzuheben. Kunst-<br />
Infiltration in die Sphären der Informationsmedien, wie sie ab den neunziger<br />
Jahren etwa Pierre Huyghe mit seinen »Mobil TV«-Projekten realisierte,<br />
sollte es den Journalisten ihrerseits einfach machen, von der<br />
Information her über die unsichtbare Demarkationslinie in die Kunst<br />
überzuwechseln. Denn für den Journalisten ist die Kunst eine Freizone,<br />
ganz im Sinne von Gilles Deleuze, der die künstlerische Aktivität als Akt<br />
der Resistenz gegen den Fluss des Kapitalismus verstand. Dabei geht es<br />
aber heute nicht mehr darum, im Stil der Künstler der 1980er Jahre das<br />
semantische System der Regimes der Repräsentation im globalen Netzwerk<br />
zu analysieren. Was die Kunst der Information heute bieten kann, ist ein<br />
Refugium ausserhalb von Vereinfachungen und Entertainment – eine Freiheit,<br />
die nicht von fehlenden Zuschaueranteilen kastriert und vom Druck<br />
des Medienkriegs kontrolliert wird. Und weil Kunst nicht nach Quoten<br />
gemessen wird, hält sie einer alternativen Form von Information den Weg<br />
offen, sich unter ihrem Schutz zu entwickeln, um von hier aus unabhängige<br />
Stimmen, die sonst ungehört blieben, in die flurbereinigte Medienlandschaft<br />
zu tragen. Der positive Einfluss dieses Transfers käme selbstverständlich<br />
nicht nur den Ideologien der Massenmedien zu gute, sondern<br />
auch den Erzeugnissen der Independent Media, denen bisweilen etwas<br />
mehr Komplexität ihres eigenen Weltbilds Not täte.<br />
»Ästhetik des Widerstreits« — Wie aber hält es die Kunsttheorie der Gegenwart<br />
mit der gesellschaftlichen Bestimmung der Kunst, mit der »Art<br />
engagé«, so wie sie die Avantgarden seit den »Aktionsausschüssen revolutionärer<br />
Künstler« bis in die 1960er und 1970er Jahre des letzten Jahrhunderts<br />
auf ihre Banner geschrieben hatten? Wolfgang Welschs Ȁsthetisches<br />
Denken« lenkt die soziale Mission der Kunst, insofern sie Gültigkeit für<br />
ihre zeitgenössische Gegenwart beanspruchen darf, wieder hin zur Affirmation,<br />
obschon die seit den klassischen Avantgarden mittlerweile postmodern<br />
gewordene Kunst nicht mehr im Dienste eines Ideals steht. Im<br />
ästhetischen Diskurs des 21. Jahrhunderts hat sich die Kunst zum Spiegel<br />
der real existierenden Pluralität der Gesellschaft gewandelt. Für Welsch<br />
erschöpft sich ihr Zweck im Abbilden der Welt als Wegweiser durch die<br />
Komplexität der Verhältnisse. Vom Glauben an die Veränderbarkeit der<br />
Gesellschaft hat sich Welsch verabschiedet und setzt sich in Anlehnung an<br />
François Lyotard für eine «Ästhetik des Widerstreits» ein. Der Kunstdiskurs<br />
findet demnach innerhalb des Systems statt und greift nicht auf ein ausser<br />
60
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
ihr Liegendes über. Welsch: »Die postmoderne Ästhetik geht nicht von<br />
einem archimedischen Punkt jenseits der Kunst aus und stützt sich auch<br />
in ihrem gesellschaftlichen Widerstand nicht auf einen solch jenseitigen<br />
Punkt, sondern sie analysiert inmitten der Wirklichkeit und ihrer Spannung.<br />
Das ist realistischer und heute vielleicht allein aussichtsreich.«<br />
Die Situation der Klassischen Avantgarde, zu der Paul Klee zählt, war<br />
eine andere. Ihre Virulenz bestand im Widerstand sowie im »Spiel« mit<br />
dem Willen zur Macht, mit dem Potential jenes despotischen Künstlerindividuums<br />
Nietzscheanischen Zuschnitts: »Ihr Werk ist ein instinktives<br />
Formenschaffen, Formenaufdrücken, es sind die unfreiwilligsten, unbewusstesten<br />
Künstler, die es gibt. Sie wissen nicht, was Schuld, was Verantwortlichkeit,<br />
was Rücksicht ist, diese geborenen Organisatoren; in ihnen<br />
waltet jener furchtbare Künstler-Egoismus, der wie Erz blickt und sich im<br />
›Werke‹, wie die Mutter in ihrem Kinde, in alle Ewigkeit gerechtfertigt<br />
weiss.« (Friedrich Nietzsche) Prominente Exegeten der Moderne wie Jean<br />
Clair oder Hans Magnus Enzensberger greifen die Analogie zwischen<br />
Despot und Künstler auf und gehen in Richtung Mitschuld der Avantgarde<br />
an den politischen Terrorregimes des 20. Jahrhunderts. Avantgarde<br />
bezeichnen sie als »erste Manifestation der Massenbarbarei«, als »Ausdruck<br />
des Willens zur Macht, der auf das politische Anwendungsgebiet<br />
wartete« (Jean Clair). Unter dieser Leseweise mutieren etwa Piet Mondrian<br />
oder Kasimir Malewitsch bei Jean Clair zu »militanten Kämpfern (...)<br />
intolerant und fanatisch.« Beat Wyss ist moderater: »Zumindest in ihrem<br />
messianischen Vordenkertum war die Kunst der Moderne nicht nur Opfer,<br />
sondern auch Täter. Bei dieser Feststellung geht es nicht um das Anschwärzen<br />
einer früheren Generation aus dem sicheren Blickwinkel der späten<br />
Geburt, sondern um die Erkenntnis, dass die Kunst niemals ganz anders<br />
und viel besser ist als ihre Zeit.«<br />
In Opposition zur Theorie der Mitschuld stehen Avantgarde-Spezialisten<br />
wie Greil Marcus oder Roberto Ohrt, die mit frischem Blickwinkel<br />
und unorthodoxer Methodik am Avantgarde-Modell Peter Bürgers aus<br />
den siebziger Jahren weiterdenken. Danach haben die klassischen Avantgarde-Bewegungen<br />
den eigenen Lebens- und Kunstbegriff ebenso in Frage<br />
gestellt wie die vorhergegangenen, die sie bekämpften. Der wirksamste<br />
Terror, der unter dieser Betrachtungsweise von den Aposteln der Avantgarde<br />
ausging, ist der autodestruktive, in den sich das provokante, moderne,<br />
modische, dilettantische, ungerührte und unproduktive Wesen des<br />
Avantgardisten hineinzusteigern pflegte.<br />
61
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Traum und Lüge — Wie unterschiedlich die Auseinandersetzung der Kunst<br />
mit dem Despotismus geworden ist, zeigen beispielhaft zwei Werke, die<br />
sich im Abstand von siebzig Jahren mit dem spanischen Franco-Regime<br />
auseinandersetzen. 2004 lässt der junge spanische Künstler Fernando<br />
Sánchez Castillo in seiner Video-Arbeit »Gato Rico muere de un Ataque<br />
al Corazón en Chicago / Rich Cat Dies of Heart Attack in Chicago« ein<br />
monumentales, in Stahl gegossenes Porträt des Ex-Diktators<br />
Franco malträtieren. An ein Auto gebunden, wird es über einen<br />
holprigen Platz gezerrt. Diese Arbeit steht in einer Bildtradition,<br />
die für die Demontage herrschaftlicher Systeme steht, beginnend mit den<br />
Pariser Kommunarden, als diese 1871 auf der Place Vendôme die Siegessäule<br />
in Schutt und Asche legten, bis hin zu den Fernsehbildern, auf denen<br />
im Irak vom amerikanischen Militär inszeniert Statuen von Saddam Hussein<br />
niedergerissen wurden. 31 Jahre nach Francos Tod sorgt diese Arbeit<br />
noch immer für Aufregung. »Es war schon eigenartig«, so Castillo in einem<br />
Interview, »ich musste die Arbeit in Spanien einer Kommission vorlegen,<br />
da ich damit auch in Brasilien auf der Biennale São Paulo vertreten war.<br />
Und da meinte man, nun ja, spanische Soldaten sind gerade im Irakkrieg,<br />
und sie thematisieren da unsere eigene Diktatur, das gibt gewisse Probleme.<br />
Also wurde ich ein bisschen zynisch, und meinte: Na ja, sehen sie es doch<br />
so: wir kämpfen aktuell gegen einen Diktator und ich kämpfe in meinem<br />
Video gegen einen Diktator. Alles in allem würde ich aber sagen, es gibt<br />
noch genug Menschen in Spanien, die die Zeit Francos nicht als reine<br />
Diktatur ansehen.«<br />
Gemeinsam mit Castillos Videoarbeit zeigt die Ausstellung »Lost<br />
Paradise« von Pablo Picasso die 1937 entstandene, comicartig aufgebaute<br />
Grafikfolge »Sueño y mentira de Franco« (»Traum und Lüge Francos«)<br />
als Zeugnis der Parteinahme des Künstlers für das republikanische<br />
Spanien und als ein Beispiel politischer »art engagé«,<br />
die sich ihrerseits auf die Druckgrafiken der »Desastres de la<br />
Guerra« (1810–1820) von Francisco de Goya beziehen. Die »Desastres«<br />
zeigen die Folgen und Gräueltaten während der napoleonischen Herrschaft<br />
und dem Unabhängigkeitskrieg der spanischen Bevölkerung. Picasso Bilderfolge<br />
»Sueno y mentira« ist im gleichen Jahr wie das monumentale<br />
Antikriegsbild »Guernica« (siehe S. 35) für den spanischen Pavillon der<br />
Weltausstellung in Paris entstanden. Ursprünglich wollte Picasso »Traum<br />
und Lüge Francos« in grosser Stückzahl vervielfältigen, um die Kopien<br />
von Flugzeugen aus über jenen spanischen Städten abzuwerfen, die in der<br />
62
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Hand von Francos Nationalisten waren. Schliesslich wurde die Auflage<br />
reduziert und an Sammler verkauft. Der Erlös ging an die Republikaner<br />
nach Spanien.<br />
Die Darstellbarkeit der Realität — Wie wenig man sich auch den Zeichnungen<br />
entziehen kann, mit denen Pablo Picasso den Alptraum Franco<br />
schildert, so unweigerlich fragt der Betrachter doch nach der Darstellbarkeit<br />
des Grauens, mit dem es der Künstler aufnimmt. Hugo Ball und seine<br />
Spiegelgasse-Dadaisten haben die Kunst in die Krise gestürzt, indem sie<br />
den Sinn der Welt in Trümmer schlugen und zur General-Dekomposition<br />
der Fundamente der Klassischen Ästhetik ansetzten. Dabei haben sie, ohne<br />
Nutzniesser ihrer eigenen herkulischen Tat sein zu wollen, den Weg frei<br />
gemacht für eine neue »surrealistische« und später »informelle« Ästhetik.<br />
Georges Bataille hat diesen Prozess in der Revue »documents« zwischen<br />
1929 und 1930 theoretisch reflektiert und formuliert: von »goût« hin zu<br />
»désir«, von »beauté« hin zu »intensité«, von »forme« hin zu »informe«.<br />
Auf diese Weise veränderte sich der Wahrnehmungsfokus seit der Zeit des<br />
Surrealismus sowohl für den Schöpfer wie für den Betrachter. Die Welt<br />
wurde »informell«, das Universum zu einer Art »Speichelfleck«, wie Bataille<br />
sagt, und zum Thema für die Kunst, in deren Ikonographie die Sonne<br />
nicht mehr die Dinge der Welt erleuchtet, sondern die Menschen bis<br />
zum hellen Wahnsinn blendet, bis sie sich schliesslich einen Finger ausreissen<br />
oder das Ohr abschneiden, bis das Auge nicht mehr im Zentrum des<br />
Gesichts liegt, als Fenster der Seele, sondern zur »friandise cannibale«<br />
wird, die wir heute noch in Luis Buñuels »Chien andalou« mit aufgeregtem<br />
Ekel von der Leinwand saugen. Moderne Kunst beginnt für Bataille in<br />
jenem Moment, in dem die gleichen Ursachen aufhören, die gleichen Effekte<br />
zu erzielen.<br />
Solche absonderlichen Bewusstseinsmomente, die das Gesichtsfeld<br />
verschieben, stellen die Frage nach der objektiven Reproduzierbarkeit des<br />
Anscheins und zetteln eine Diskussion um die Nimesis, die Darstellbarkeit<br />
in der Kunst, an. Schon Honoré de Balzac goss Öl ins Feuer, als er in dem<br />
schönen Stück phantastischer Literatur »Das unbekannte Meisterwerk«<br />
schrieb: »Versuch die Hand deiner Geliebten in Gips zu giessen und lege<br />
sie vor dich hin; du wirst ein entsetzliches Leichenteil vor dir sehen, ohne<br />
jede Ähnlichkeit, und du wirst gezwungen sein, den Mann mit dem Meissel<br />
aufzusuchen, der, ohne sie genau zu kopieren, dir die Bewegung und<br />
das Leben dieser Hand gestaltet. Wir müssen den Geist, die Seele, die<br />
63
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
Physiognomie der Dinge und Lebewesen erfassen.« Hans Belting beschreibt<br />
anhand der berühmten Balzac-Novelle den Kampf des modernen Künstlers<br />
um ein Ideal von Kunst, in dem er nicht gewinnen kann: »Im Ideal der<br />
Vollendung verbarg sich eine Idee von Kunst, die gar nicht an der Praxis<br />
orientiert war. Der Widerspruch zwischen Idee und Werk liess sich nicht<br />
auflösen, weil nur die Idee absolut sein konnte. In dem Augenblick, da sie<br />
Werk wurde, musste sie verloren gehen. (...) Ein Gemälde enthielt das<br />
Ideal der Vollendung paradoxerweise nur so lange, wie es unvollendet war.<br />
So lange versprach es, einen unmöglichen Beweis zu erbringen. (...) die<br />
Kunst war eine Fiktion und kein Werk.« Georges Batailles »Informe« trug<br />
nicht unwesentlich dazu bei, dass sich eine destruktive Ambiguität der<br />
künstlerischen Wahrnehmung bemächtigte, eine scheinbare Unordnung<br />
der Nicht-Offensichtlichkeit gegen die Ordnung des Bekannten. Georges<br />
Didi-Huberman hat in »La ressemblence informe«, herausgearbeitet, dass<br />
»informe« dabei aber nicht Verweigerung, sondern eher spezifische Hinterfragung<br />
der Form im Sinne etwa von Alberto Giacometti – oder Paul<br />
Klee – bedeute.<br />
Hiroshima mon amour — Nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte Batailles<br />
Befreiungsschlag das Kino. »Hiroshima mon amour«, ein Coprodukt der<br />
Schriftstellerin Marguerite Duras und des Cineasten Alain Resnais, der<br />
1955 den Dokumentarfilm »Nuit et brouillard« über die Befreiung des<br />
Konzentrationslagers Buchenwald realisiert hat, versinnbildlicht auf verschiedene<br />
Art die postapokalyptische Transformation des Mediums Films.<br />
Denn »Hiroshima mon amour« führt vor, wie von der Form ein psychologisch<br />
und sozial desintegrierter, informeller Kadaver übrig blieb. Die<br />
durch die Atombombe konkret gewordene Angst vor dem Weltuntergang<br />
drängte sich dem Bewusstsein der Nachkriegszeit unerbittlich auf. Schriftsteller<br />
ebenso wie Maler wurden mit dieser alltäglichen Wirklichkeit unmittelbar<br />
konfrontiert. Schreiben und Malen erschienen nun als Existenziale<br />
nicht mehr durch den humanistischen Glauben an einen Auftrag der<br />
Kunst motiviert, sondern wurden zum Ausdruck der Unmöglichkeit eines<br />
natürlichen und unbefangenen Lebens.<br />
Der 1959 fertig gedrehte Film »Hiroshima mon amour« spiegelt die<br />
traumatische Situation der politischen und ethischen Orientierungslosigkeit.<br />
Die Bildsprache führt über die Kernspaltung in die Abstraktion nichtidentifizierbarer,<br />
bewegter Elemente. »Tu n’as rien vu à Hiroshima«,<br />
64
Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />
spricht eine männliche Stimme mit starkem japanischem Akzent aus dem<br />
Off. Vor der entstellten Kulisse der ausradierten Stadt suchen die beiden<br />
traumatisierten Protagonisten des Films wie Adam und Eva nach dem<br />
Sündenfall eine Zukunft jenseits der Trümmer der Vergangenheit. Auf den<br />
heutigen Betrachter wirkt »Hiroshima mon amour« so, als ob darin das<br />
Ende der Geschichte in einer uferlosen, schwülen japanischen Nacht zelebriert<br />
würde. In der magischen Stille nach dem hereingebrochenen Fatum<br />
ist selbst Kultur nur mehr ein Gräberfeld. Die Zeitrechnung geht sukzessive<br />
in die Postmoderne über. Hubermann dazu: »Es geht nicht um einen<br />
tatsächlichen Abbruch des geschichtlichen Prozesses oder des künstlerischen<br />
Tuns, sondern um den Gang der Geschichte, die ihr Ende überlebt,<br />
weil sie von ihm gelebt hat, von der Phänomenologie einer Kunst, die durch<br />
die Bedrohung des Todes nicht gestoppt, sondern im Gegenteil unterhalten<br />
wird, als die stets wiederholte und immer wieder aufgehobene Erneuerung<br />
des eigenen Todesurteils.«<br />
Paul Klee hat in den Darmstädter Vorlesungen über »kosmogenetisch<br />
entwickelte« Malerei gesprochen und eine seiner Engel-Abstraktionen<br />
»Engel im Werden« betitelt. Dazu hat er erklärt, dass es nicht eigentlich<br />
um den Engel, sondern um den Ort seiner Entstehung gehe, um den Ort<br />
der Genesis. Diese Aussage definiert das Prinzip von der Schöpfung eines<br />
imaginären Raumes. Die Transzendenz des Seins wird auf einen äusseren<br />
Punkt gesetzt. Genau lässt sich die Transzendenz dabei nicht bestimmen;<br />
sie ist ein Fluchtpunkt ausserhalb des Bildes, gestaltlos, unbegreifbar. Und<br />
sie wird willkürlich gesetzt, um aus ihrem äusseren Ort, aus ihrer Perspektive<br />
einen »imaginären« Raum zu erschaffen. Im »Angelus novus« sind<br />
die Welten der Lebendigen und der Toten vereint, so wie sie nur von einer<br />
äusseren Perspektive – der Engelsperspektive – gesehen werden können.<br />
Kurzum: dieses Bild ist ein geschlossenes Zeichensystem, welches das paradoxe<br />
Ideal der Vollendung enthält, weil es unvollendet ist, weil die<br />
Knopfaugen des Engels nichts von dem Preis geben, was nur von einem<br />
äusseren Ort aus betrachtet werden kann. Und darum schweigt es auch:<br />
»Tu n’as rien vu à Hiroshima«.<br />
65
Wenn ein Mensch<br />
die Hölle nicht versteht,<br />
so versteht er<br />
nicht sein eigenes Herz.<br />
Alfred Tennyson<br />
66
Fazal Sheikh<br />
Ohne Titel, aus: Afghan Children Born in Exile, 1998<br />
Afghan Children Born in Exile<br />
Der in New York geborene Fotograf Fazal Sheikh dokumentierte Ende der 1990er Jahre die Zustände der<br />
Auf fanglager im Norden von Pakistan.<br />
Zu sehen sind weder Wunden, katastrophale sanitäre Verhältnisse, noch der Hunger. Was Fazal Sheikh<br />
uns vor Augen führt, sind Porträtfotografien von Kindern und Jugendlichen. Allein der Titel verrät deren<br />
Schicksal. »When two bulls fight, the leg of the calf is broken«, schreibt Fazal Sheikh. Seine subtilen Kinderporträts<br />
sprechen es kommentarlos aus: »Wenn zwei Stiere kämpfen, ist das Bein des Kalbes gebrochen.«<br />
Es handelt sich um »Afghan Children Born in Exile«, im Exil geborene afghanische Kinder in Nordpakistanischen<br />
Flüchtlingslagern. Ihre Heimat kennen sie nicht. Ihre Gesichter sind maskenhaft, ohne jede<br />
Mymik. Kein Lächeln ist ihnen zu entnehmen. Die Kinder sind Teil eines Volkes, das seine Heimat nicht kennen<br />
gelernt hat. Afghanistan hat an mehreren Bürgerkriegen gelitten: Zuerst am Krieg der Mujahedins gegen<br />
Russland, und dann an den Kämpfen von verschiednen Gruppierungen im Land, bis zum Regime der Taliban.<br />
Die Spuren des leidgeprüften Landes widerspiegeln sich in den grossen Augen der Kinder. Insofern ist jedes<br />
Kind ein Engel der Geschichte.<br />
67
Fazal Sheikh, Ohne Titel, aus: Afghan Children Born in Exile, 1998<br />
68
Nan Goldin<br />
Nan one month after being battered, 1984<br />
Die amerikanische Fotografin Nan Goldin thematisiert in ihren Arbeiten Sex, Drogen und Gewalt. Quelle und<br />
Inspiration für die schonungslos aufgenommenen Bilder sind ihr Leben und ihr Freundeskreis.<br />
Das Selbstporträt von 1984 zeigt das das durch schwere Verletzungen entstellte Gesicht der Künstlerin.<br />
Die Augenpartie ist durch die erlittenen Schläge, die bereits einen Monat her sind, noch immer verfärbt.<br />
Vor wurfsvoll blickt Nan Goldin direkt in die Kamera. Wem gilt dieser herausfordernde Blick? Uns, ihrem<br />
damaligen Freund, der sie mit Fäusten traktierte, oder ihr selber?<br />
Die Spuren in ihrem Gesicht sind Zeugnis eines Zusammenseins, das von nahester Zweisamkeit, Intimität<br />
und Liebe in Verachtung und Ignoranz, Respektlosigkeit und Gewalt umschlagen kann. Die Fotografie<br />
konfroniert uns direkt und ohne Umschweife mit den Spuren körperlicher Gewalt. Sie hält uns den Spiegel<br />
des anderen Ichs vor das Gesicht, deckt auf, was sich Verborgenen vollzieht: Erschrocken erkennen wir, was<br />
wir imstande sind uns selbst anzutun, ob wir nun jemanden schlagen oder wir jemanden zum Schlagen herausfordern..<br />
69
Alberto Giacometti<br />
Frau aus Venedig I, 1956<br />
70
Ralph Eugene Meatyard<br />
Romance of Ambrose Bierce #3, aus: Portfolio # 3, 1964<br />
71
Vom Paradies kann ich<br />
nicht sprechen,<br />
denn ich war nicht dort.<br />
Sir John Manderville (14Jhd.)<br />
72
Dmitri Baltermants<br />
Chto takoe chelovek? (What kind of man is this?), 1943<br />
Der russische Photograph Dmitri Baltermants war während des zweiten Weltkriegs Fotoreporter bei der<br />
Roten Armee. Seine Bilder dokumentieren den kollektiven Schock, das Grauen des Krieges sowie das individuelle<br />
Leid.<br />
Die Fotografie »Chto takoe chelovek? (What kind of man is this)« entstand nach dem Massaker der<br />
Nazis 1942 im Krim-Dorf Kerch. Gefallene Männer liegen reihenweise auf einem Feld. Der düstere Himmel<br />
unterstreicht die Dramatik. Es scheint, als sei die Welt still gestanden und die Szene eingefroren, tot, starr.<br />
Überlebende suchen verzweifelt nach ihren Familienangehörigen. Einige sind fündig geworden. Eine Frau<br />
entdeckt unter den Leichen ihren Mann. Eine andere trauert in gebückter Haltung. Die Hoffnung, dass er<br />
doch nicht unter denjenigen sein könnte, die hier liegen, zerschlägt sich binnen des Bruchteils einer Sekunde.<br />
Baltermants hält diesen Moment der niederschmetternden Wahrheit, des Erkennens fest und dokumentiert<br />
damit das Moment der Gewissheit, dass er nie mehr wieder zurückkommt. Es gibt keinen Zweifel mehr, nur<br />
noch grosses Leid.<br />
73
Pablo Picasso<br />
Sueño y mentira de Franco, 1937<br />
Erst der Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1936 weckte Pablo Picassos politisches Engagement.<br />
Mit künstlerischen Mitteln griff er in den Kampf ein. In Anerkennung seines persönlichen Einsatzes für die<br />
Republikaner wurde er in Abwesenheit zum Direktor des Museo Nacional del Prado in Madrid ernannt.<br />
Unter dem Titel »Sueño y mentira de Franco« schafft er zwei grosse Radierungen mit je neun Szenen.<br />
Mit dem ersten Blatt begann Picasso am 8. Januar 1937 und vollendete es noch am gleichen Tag. Es enthält Karikaturen<br />
des Generals Francisco Franco. Das zweite Blatt blieb bis zum 7. Juni liegen. Thematisch be schäftigte<br />
er sich in den neun Bildern der zweiten Radierung mit einer Karikatur, zwei Allegorien auf das leidende<br />
Spanien und zwei Darstellungen des republikanischen Stiers im Kampf mit dem »Franco-Ungheuer«. Die vier<br />
im Juni entstandenen Bildsequenzen zeigen Motive wie die schreiende Frau und die Mütter, die sich um ihre<br />
Kinder sorgen, die wir aus seinem grossen Antikriegsbild »Guernica« kennen. Mit diesem Wandgemälde für<br />
die Weltausstellung von 1937 in Paris reagierte Picasso auf die Bombardierung des baskischen Städtchens<br />
Guernica.<br />
74
Paul Klee<br />
Fliegersturz, 1920<br />
76
Paul Klee<br />
Krieg in der Höhe, 1914<br />
77
Paul Klee<br />
Sturz, 1933<br />
vorzeichen schwerer Schicksale, 1914<br />
Angelus militans, 1939<br />
Die beiden Getroffenen, 1913<br />
78
Paul Klee, Der grosse Kaiser, zum Kampf gerüstet, 1921<br />
79
Pietro Mattioli<br />
Y. Tanguy, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />
Beuys, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />
F. Léger, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />
Max Ernst, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />
Lucio Fontana, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />
G. Braque, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />
80
Alle Bemühungen um die<br />
Ästhetisierung der<br />
Politik gipfeln in einem<br />
Punkt. Dieser Punkt<br />
ist der Krieg.<br />
Walter Benjamin<br />
81
Alfred Kubin<br />
Anarchie, 1912–1915<br />
82
Alfred Kubin<br />
Der Guckkasten, um 1915<br />
Alfred Kubins krisenreiches Leben spiegelt sich in seinem Werk, das in jeder Beziehung als fantastisch bezeichnet<br />
werden kann und von einem düsteren Grundton durchzogen ist. Der Künstler bewegte sich mit seinem fast<br />
ausschliesslich grafischen Werk auf den Wegen von Traum und Albtraum, wobei sich Wirkliches und Irreales<br />
auf verschiedenen Ebenen und Systemen vermischten. Kubin schuf Monster, Chimären und Dämonen. Er<br />
offenbarte in seinem Schaffen seine Ängste und Schreckensfantasien.<br />
Auf dem Blatt mit dem Titel »Der Guckkasten« sind vier Gestalten zu sehen, die sowohl menschliche<br />
wie insektenartige Züge aufweisen und deren Extremitäten seltsam verkrümmt sind. Die mittlere Figur im<br />
Vordergrund ist damit beschäftigt, in einen hölzernen Kasten zu gucken. Was es dort zu sehen gibt, offenbart<br />
sich dem Betrachter nicht.<br />
Die »Anarchie« zeigt Kubin in Gestalt einer schwarz gekleideten weiblichen Gestalt, die eine Peitsche<br />
über ihrem Kopf schwingt. Ihr zu Füssen sitzt eine Krähe, auf dem Boden rechts hinter ihr liegt ein Helm. Im<br />
Mittelgrund bewegt sich eine Gruppe von Soldaten. Die Szenerie spielt vor Gebäuden, von denen das eine mit<br />
fantastischen Turmelementen versehen ist, deren Funktion im Unklaren bleibt.<br />
83
Wer, wenn ich schriee,<br />
hörte mich denn aus der<br />
Engel Ordnungen?<br />
und gesetzt selbst, es<br />
nähme einer mich<br />
plötzlich ans Herz: ich<br />
verginge von seinem<br />
stärkeren Dasein.<br />
Denn das Schöne ist nichts<br />
als des Schrecklichen<br />
Anfang, den wir noch<br />
grade ertragen, und<br />
wir bewundern es so, weil<br />
es gelassen verschmäht,<br />
uns zu zerstören. Ein<br />
jeder Engel ist schrecklich.<br />
Rainer Maria Rilke<br />
84
Anselm Kiefer<br />
der Engel der Geschichte, 1989<br />
85
Luc Tuymans<br />
Kristallnacht, 1986<br />
Studie zu «Gaskammer”, 1986<br />
86
Luc Tuymans<br />
Sick children, 1989<br />
Die drei Studienblätter des belgischen Malers Luc Tuymans sind im Besitz des Kunstmuseums Bern. Sie<br />
erzählen keine Geschichten. Aber sie benennen Fakten aus der Geschichte.<br />
Die Studie zum Gemälde »Gaskammer«, mit dem Tuymans vor rund zwanzig Jahren begonnen hat<br />
über die Darstellbarkeit des Grauens zu reflektieren, ist ein unscheinbares Aquarell, das aus wenigen, schon<br />
fast zärtlich gesetzten Pinselstrichen besteht. Nur die schwarz gesetzten Fenster und Abflussgitter irritieren<br />
und zwingen den Blick, das Bild genauer zu betrachten.<br />
Der Künstler, der als Maler des Unmalbaren gilt, baut auf das Wissen um die historischen Fakten,<br />
die er in seinen Bildern thematisiert. Die Gouache auf Wellkarton, schwarze Pinselzeichnungen auf einem<br />
abgedunkelten grünen Untergrund, ist abstrakt gehalten. Um zu verstehen, worauf sich der Titel »Kristallnacht«<br />
bezieht, muss man die Bilder der in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von den Nazis<br />
abgetragenen und zerstörten Synagogen gesehen haben.<br />
Luc Tuymans entwirft seine Gemälde strikt nach Vorlagen, nach Fotografien oder Videostills. Seine<br />
Bildwelt schöpft er aus der Geschichte der jüngeren Neuzeit. Er thematisiert die kollektiven und individuellen<br />
Verbrechen. Aber er zeigt nicht die Fakten des Grauenvollen. Es sind die Titel und die Bilder, die hinter den<br />
Bildern entstehen, die erst das Grauen aufkommen lassen.<br />
87
Adolf Wölfli<br />
Trauer=Marsch, 1929–1930<br />
88
Ich begreife nicht, wie<br />
eine reine Hand eine<br />
Zeitung berühren kann,<br />
ohne Krämpfe<br />
von Ekel zu bekommen.<br />
Charles Baudelaire<br />
90
Zbigniew Libera<br />
Nepal, 2003, aus der Serie »Posytywy«<br />
Im Bild »Nepal« zitiert der polnische Künstler Zbigniew Libera eine historische und eindeutig konnotierte<br />
Foto grafie. Auf den ersten Blick ist das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Pressebild von Nick Ut zu<br />
erkennen. Dies zeigt die vor dem Napalm Angriff flüchtenden Kinder, in der Mitte die nackte, damals acht<br />
Jahre alte Kim Phuc, die schwere Brandverletzungen erlitten hat. Liberas Kinder schreien jedoch nicht. Sie<br />
lachen und rennen aus Spass. Die Anordnung der Personen auf dem Bild entspricht dem Vorbild. Anstelle<br />
einer Strasse ist ausgetrocknetes Ackerland zu sehen. Die Stimmung ist trotz der fröhlichen Kinder düster, der<br />
Himmel verhangen.<br />
Unsere Aufmerksamkeit richtet sich gleich auf das nackte Mädchen, das mit leicht erhobenen Armen<br />
und mit nach vorne gebeugtem Körper auf uns zuzurennen scheint. Im Gegensatz zum Vorbild erschliesst sich<br />
uns bei diesem Bild kein Sinn. Es ist unerklärlich, was das nackte Mädchen inmitten der Gruppe von Kindern<br />
und Erwachsenen in Gleitschirm-Ausrüstung verloren hat.<br />
Das Bild wird vom Künstler mit einer zusätzlichen Narrationsebene versehen, indem er es als Pressebild<br />
inszeniert. Es scheint, als wäre es aus einer Zeitschrift herausgerissen worden. Unten rechts stehen Textfragmente.<br />
Hieraus ergibt sich auch der Titel des Werks: »Nepal«, was wiederum direkt auf »Napalm« verweist.<br />
91
Zbigniew Libera<br />
Mieszkancy, aus: Pozytywy, 2003<br />
Porazka W Przelaju, aus: Pozytywy, 2003<br />
92
Galic/Gredig<br />
Ohne Titel, aus: Ma biće bolje, 2001–2005<br />
Goran Galic, geb. 1977 in Luzern, und Gian-Reto Gredig, geb. 1976 in Chur, leben beide in Zürich. Ihre<br />
Arbeit lebt einerseits von der Bilderlust, von der Faszination des Bildes, das uns in diese Welt hineinzieht,<br />
und andererseits vom Ikonoklasmus, vom grossen Bilderzweifel, vom Gedanken, dass Bilder blenden und<br />
vortäuschen, dass sie erst durch Sprache oder durch eine geeignete Anordnung kontextualisiert und damit<br />
lesbar werden. Ausgezogen, in der Heimat seiner Eltern dem Vorwurf zu begegnen, die Serben seien an allem<br />
schuld, findet sich Goran Galic, und mit ihm Gian-Reto Gredig, mit der Frage konfrontiert: Wer erklärt die<br />
Wahrheit des Bildes?<br />
93
Galic/Gredig<br />
Ohne Titel, aus: Ma biće bolje, 2001–2005<br />
94
Fernando Sánchez Castillo<br />
Gato Rico muere de un Ataque al Corazón en Chicago / Rich Cat Dies of Heart Attack in Chicago, 2004<br />
Fernando Sánchez Castillo studiert die Beziehung zwischen Geschichte und Politik, zwischen Kunst und<br />
Macht, zwischen Öffentlichkeit und kollektivem Gedächtnis. Sein Ausgangsmaterial sind die Relikte der Vergangenheit,<br />
die als Statuen und Monumente erhalten sind.<br />
Das Video »Gato Rico muere de un Ataque al Corazón en Chicago / Rich Cat Dies of Heart Attack<br />
in Chicago« beschäftigt sich mit der jüngsten Geschichte Spaniens, mit der 36-jährigen Diktatur Francisco<br />
Francos, die erst 1975 mit dessen Tod ein Ende nahm. Der absurde Titel des Videos ist eine Reverenz auf<br />
die Schlagzeile zu einem Zeitungsartikel, der 1968 in Sao Paulo erschien, als in Brasilien die Pressefreiheit<br />
abgeschafft wurde. Im Artikel wurden nicht die relevanten Aktualitäten thematisiert, sondern das ultimativ<br />
Banale vorgeführt.<br />
Das Video zeigt schrittweise, wie der abgetrennte Kopf einer Bronze-Statue diversesten menschlichen<br />
und mechanischen Einwirkungen ausgesetzt wird. Das Malträtieren des Kopfes geschieht als symbolische<br />
Handlung, die sich in ihrer Unwirksamkeit bis ins Absurde, Komische steigert. Die monumentalen und ästhetisch<br />
übersteigerten Bilder sind mit dramatischer klassischer Musik unterlegt. Gruppen von Menschen treten<br />
auf den Kopf ein. Sie schwenken Fahnen, werfen Steine, begiessen ihn mit Wasser, später mit Benzin und<br />
zünden ihn an. In der Folge wird er an ein Seil gebunden, an einen gepanzerten Wagen fixiert und von diesem<br />
herumgeschleift. Der Kopf ist ramponiert, aber nicht zerstört. Das von einem Bauer aufgefundene, deformierte<br />
objet trouvé erhält durch ihn als Eselstränke eine neue Funktion.<br />
95
Fernando Sánchez Castillo<br />
Gato Rico muere de un Ataque al Corazón en Chicago / Rich Cat Dies of Heart Attack in Chicago, 2004<br />
96
Jeff Wall<br />
The Crooked Path, 1991<br />
97
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Der Vorgarten zum<br />
Fruchtland<br />
98
Fesselballon Angelus novus<br />
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Der Fesselballon wurde eigens für das Gartenprojekt »Jenseits von Eden. Eine Gartenschau« vom Zentrum<br />
Paul Klee produziert.<br />
Der Ballon ist mit einem dreifachen Aufdruck von Paul Klee’s »Angelus novus«, dem Leitmotiv der<br />
Ausstellung »Lost Paradise« im Untergeschoss des Zentrum Paul Klee versehen. An den Seilen festgezurrt,<br />
steigen die Besucherinnen und Besucher selbst in himmlische sechzig Meter Höhe und können aus der Perspektive<br />
des Engels die Welt überblicken. Die Zukunft im Rücken, im Blickfeld nur das, was bereits Vergangenheit<br />
ist. Sie werden selbst zum Engel der Geschichte.<br />
99
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
100
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
101
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Paul Mc Carthy<br />
Complicated Pile, 2007<br />
Der amerikanische Performance-Künstler und Plastiker Paul McCarthy setzt mit »Complicated Pile« ein<br />
gigantisches Zeichen hinter den Wellen des Zentrum Paul Klee. Das aus Zeltstoff hergestellte und durch<br />
Gebläse in Form gehaltene Objekt ist die genaue Nachbildung eines Hundekots. Der Protoyp stammt aus dem<br />
Atelier des Künstlers, wo dessen Hund einst sein Häufchen liegen liess. Massstabgetreu wurde die Vorlage in<br />
eine über fünfzehn Meter hohe Plastik umgesetzt.<br />
Der Künstler gilt als ein bissiger Kommentator der dunklen Seite der amerikanischen Kultur. Er setzt<br />
sich seit Beginn seines Schaffens mit den Abgründen der Zivilisation wie Sex, Macht und Doppelmoral auseinander.<br />
Das Spiel mit Exkrementen kehrt in seinem Werk mehrmals wieder. Zusammen mit seinem Künstlerfreund<br />
Jason Rhoades zeigte er 2002 gesammelte Fäkalien in Glasflaschen unter dem Titel »Shit Plug«. Das<br />
Setzen eines monumentalen Hundehaufens als künstlerische Geste kann nicht mehr als spezifischer Kommentar<br />
gelesen werden, sondern als eine Bemerkung zur Welt an sich.<br />
102
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
103
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
104
Sol LeWitt<br />
Cube, 2008<br />
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Sol LeWitt wurde 1928 als Sohn russischer Emigranten in Hartford Connecticut geboren. 2007 verstarb er in<br />
New York. Der Künstler, der als Wegbereiter der Concept Art gilt, hat ein vielseitiges Œuvre hinterlassen. Er<br />
beschäftigte sich mit dem Wall Drawing, der Gouache, der Zeichnung, der Druckgrafik, der Fotografie und<br />
der Edition und schuf ausserdem dreidimensionale Arbeiten. Dabei ist die Form des Kubus, der Cube, eine<br />
zentrale geometrische Figur, die bereits in seinem Frühwerk auftrat. Auf der Landschaftsskulptur des Zentrum<br />
Paul Klee hinter den drei Hügeln von Renzo Piano wurde der Cube aus Kalksandsteinen in den Massen von<br />
rund 5 x 5 x 5 Metern aufgebaut. Nachdem in den 1980er und 1990er Jahren in Zürich, ausgehend von der<br />
Diskussion um einen möglichen Standort des Cube, eine intensive Debatte um Kunst im öffentlichen Raum<br />
entbrannt ist, findet nun der Cube – zumindest vorübergehend - einen Standort in Bern.<br />
105
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Claudia und Julia Müller<br />
Nachtwald, 2008<br />
Vor den Mehrfamilienhäusern auf der Wiese im Wyssloch lagern drei dunkel gestaltete, in den Dimensionen<br />
den Fassaden nachempfundene Bildinstallationen. Das Tryptichon hat den Wald, genauer den Nachtwald<br />
zum Thema. Wir sehen Ausschnitte von wuchtigen Baumstämmen vor dunklem Himmel, mit gespinstartigen,<br />
fein gezeichneten Bäumchen und Verästelungen dazwischen. Nach und nach schälen sich aus diesem Nachtwald<br />
noch weitere Bilder heraus. Das riesige Bild spielt mit unserer Wahrnehmung: Überall erkennen wir<br />
plötzlich Gesichter oder auch nur einzelne Sinnesorgane wie Zunge, Ohr und Auge. So weckt der Nachtwald<br />
dunkle Fantasien, Geschöpfe, Albtraum und Nachtmahr. Das komplexe Vexierbild, das die in Basel lebenden<br />
Schwestern Claudia und Julia Müller geschaffen haben, fügt sich in eine Reihe von Illusionsräumen, die die<br />
Künstlerinnen ausgehend von ihrem zeichnerischen Werk entwerfen.<br />
106
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
107
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
108
Claire Fontaine<br />
Ibis redibis non morieris in bello, 2006/08<br />
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Am Turm der Villa Schöngrün, die heute das Restaurant des Zentrum Paul Klee beherbergt, leuchten kreisförmig<br />
angeordnet Neonbuchstaben, die den Schriftzug »ibis redibis non morieris in bello« bilden. In der<br />
griechischen Mythologie erwartete diese sibyllinische Antwort jene Soldaten, die in den Krieg ziehen mussten<br />
und zuvor das Orakel über den Ausgang ihrer Mission befragten. Der Satz kann auf zwei gegensätzliche<br />
Arten gelesen werden. »Du wirst in den Krieg ziehen, zurückkehren und nicht sterben« ist die eine Lesart, die<br />
andere: »Du wirst in den Krieg ziehen, nicht zurückkehren und sterben«. Entscheidend ist, ob das Komma vor<br />
oder hinter dem Wort »non« gesetzt wird, doch dies sagte die Prophetin den Soldaten nicht.<br />
Die Autorschaft dieses Werks ist das Künstlerkollektiv Claire Fontaine. Es wurde 2004 in Paris<br />
gegründet und hat sich den Namen einer bekannten französischen Schulheftmarke gegeben. Mit »Fontaine«<br />
werden aber auch berühmte Kunstschaffende in Verbindung gebracht: Marcel Duchamps Urinoir heisst auf<br />
Englisch »Fountain«, und Bruce Naumanns hat ein »Selfportrait as a Fountain« geschaffen. Claire Fontaine<br />
wird als »Ready-Made-Künstlerin« definiert, deren Arbeiten häufig die Gestalt von Werken anderer Kunstschaffender<br />
annehmen. Das Kollektiv versteht seine Arbeitsweise nicht als Aneignung im Sinne der Appropriation<br />
Art, sondern will sie eindeutig als Akte von Diebstahl verstanden wissen. Diesen Diebstahl im Geiste<br />
von Robin Hood, das heisst als Aufruf zu zivilem Ungehorsam und zur politischen Agitation, betreibt das<br />
Künstlerkollektiv mittels Neonarbeiten, Plastiken, Videoarbeiten, Gemälden und Texten.<br />
109
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
110
Aernout Mik<br />
Scapegoats, 2006<br />
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Der 1962 in Groningen geborene Künstler Aernout Mik gehört zu den international höchst anerkannten<br />
Video-Künstlern seiner Generation. Er entwickelt absurde Szenen, latente Katastrophen-Situationen. Sie sind<br />
akribisch konstruiert und werden als Loop gezeigt. Mik spielt mit der Realität und führt die Betrachter<br />
in die Irre. Der Künstler geht von kollektiven Vorstellungen aus, wie sie beispielsweise über das Verhalten<br />
von Polizisten gegenüber illegalen Einwanderern herrschen, recherchiert aber bewusst nicht, wie sie sich<br />
tatsächlich verhalten. Er bedient sich des Materials Mensch wie ein Bildhauer und schafft so »lebende Installationen«.<br />
Für seine Inszenierungen arbeitet Mik mit Laiendarstellern. Im Video »Scapegoats« sind in einer<br />
grossen Halle Soldaten zu sehen, die Zivilisten bewachen. Doch die Situation verändert sich, so dass bald<br />
nicht mehr klar ist, wer die Bewacher und wer die Bewachten sind, wenn etwa Kinder beginnen, Erwachsene<br />
mit Maschinengewehren vor sich herzutreiben. Dadurch, dass der Künstler auf Sprache verzichtet, wird die<br />
Situation noch rätselhafter.<br />
111
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Joep van Lieshout<br />
Wellness Skull, 2007<br />
Der niederländische Künstler Joep van Lieshout arbeitet an der Schnittstelle von Kunst, Architektur, Design<br />
und Lebenskunst. Er konzipiert ganze Städte und deren Funktion und entwickelt Objekte und Installationen.<br />
Sein Werk dreht sich um Behausung, Verpflegung, Entsorgung, Fortbewegung und Fortpflanzung. Im Rahmen<br />
der Ausstellung »Jenseits von Eden. Eine Gartenschau« zeigt das Zentrum Paul Klee einen überdimensionalen<br />
Totenkopf, der in seinem Inneren ein Wellness Center beherbergt. Viereinhalb Meter in der Höhe und sechs<br />
Meter in der Breite misst der »Wellness Skull«. Im Nacken des Schädels ist ein kleines Bad eingebaut; der<br />
Kopf des Schädels beinhaltet eine Sauna. Der Kopf steht für Vergnügen und Gesundheit sowie Eitelkeit und<br />
Dekadenz. Die Arbeit weist auf das Sterben und Vergehen hin, sie symbolisiert den Tod, den Glauben an das<br />
Danach und das Ende des Lebens.<br />
112
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
113
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Pierre Huyghe<br />
All But One/ Alle ausser einem, 2002<br />
Das vielseitige Werk des in Paris lebenden Künstlers Pierre Huyghe besteht aus Interventionen im öffentlichen<br />
Raum, Installationen, Filmen, Videoarbeiten, Texten, Fotografien, Computeranimationen, Skulpturen und<br />
Architektur. Er ist bekannt für die Verschränkung von Realität und Fiktion, die in seinem Werk ein wiederkehrendes<br />
Element ist. Seine installativen und filmischen Arbeiten basieren oft auf der Aneignung eines realen<br />
und eines fiktiven Szenarios, hinterfragen die Zeit und das kollektive Gedächtnis. Pierre Huyghe reagiert auf<br />
bestehende Phänomene, er nimmt Themen aus der Populärkultur auf und beschäftigt sich mit Brauchtum, mit<br />
den Medien Comic und Kino. Im Zusammenhang mit dem Projekt »Jenseits von Eden. Eine Gartenschau«<br />
werden um den Egelsee zehn Freiluft-Windglockenspiele platziert, die der Künstler 2002 als Edition unter dem<br />
Titel »All But One / Alle ausser einem« entworfen hat.<br />
114
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
115
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Thomas Hirschhorn<br />
Holzweg, 2008<br />
Der in Paris lebende Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn hat die Ausseninstallation »Holzweg« nahe des<br />
Steinbruchs Ostermundigen eigens für das Zentrum Paul Klee konzipiert und geschaffen.<br />
Die Installation thematisiert die Gewalt an sich und den Willen sich dieser zu stellen. Der Holzweg<br />
führt einen bekanntlich auf die falsche Spur. Dennoch muss dieser gemäs Thomas Hirschhorn bis ans Ende<br />
gegangen werden, wo wir dem Ort des Konfliktes zwischen Natur und Kunst begegnen. Der Standort Wald<br />
steht hier für dieses Konfliktfeld. Wer den Weg zu Ende geht, befindet sich mitten im Wald mit einer Installation<br />
konfrontiert, die aus einem weissen Auto, natürlichem und künstlich hergestellten Holz in allen Dimensionen,<br />
afrikanischen Plastiken, Gartenstühlen sowie weiteren Materialien aus dem Atelier des Künstlers<br />
besteht. Die Begegnung mit der Gewalt, mit dem Negativen und die Auseinandersetzung damit sieht der<br />
Künstler als unabdingbaren Teil der Welt, dem sich niemand entziehen kann.<br />
116
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
117
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger<br />
Die Verquickung, 2008<br />
In ihrem jüngsten monumentalen Werk »Die Verquickung« haben die Schweizer Künstler Gerda Steiner und<br />
Jörg Lenzlinger in wochenlanger Feinarbeit die 150 Meter lange Museumsstrasse des Zentrum Paul Klee für<br />
den Ausstellungszyklus »Jenseits von Eden. Eine Gartenschau« in einen filigranen, künstlichen Dschungel<br />
verwandelt. In ihrer Sorgfalt und Geduld sind Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger dem Hauskünstler Paul Klee<br />
nicht unähnlich, was die beiden auch gerne eingestehen. Sie verweisen sogar auf ihre Vorlieben für die Naturwissenschaften<br />
und den Alltagshumor, die sie mit Klee teilen. Mit Ästen und besonderen Pflanzenteilen aus<br />
dem Botanischen Garten Bern haben sie Materialien aus ihrem eigenen Fundus verquickt und neue poetische<br />
Elemente geschaffen und ergänzt. Jedes Detail erzählt eine Geschichte, über die Reisen des Künstlerpaars,<br />
von Fremdem und Eigenem und über das Staunen angesichts der Welt. Innerhalb dieses wuchernden Systems<br />
pendeln ein grosses und ein kleineres »Gehänge« wie zwei Hausgeister zwischen Erd- und Untergeschoss des<br />
mittleren Hügels des Zentrum Paul Klee. Sie setzen die beiden Ausstellungen »In Paul Klees Zaubergarten«<br />
und »Lost Paradise – Der Blick des Engels« wie Himmel und Hölle miteinander in Beziehung.<br />
118
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
119
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Yoko Ono<br />
Wish Tree, 2008<br />
Der »Wish Tree« basiert auf einem Konzept der japanischen Performance-Künstlerin Yoko Ono. Demzufolge<br />
sind alle Besucher und Besucherinnen eingeladen, ihre Wünsche auf einen Zettel zu schreiben und am Wunschbaum<br />
zu befestigen. Die Wünsche werden gesammelt und an einem Ort in Island vergraben. Dieser Ort<br />
beherbergt sämtliche Wünsche, die weltweit im Zusammenhang mit Yokos Onos »Wish trees« aufgeschrieben<br />
wurden.<br />
Die Künstlerin verweist damit auf eine japanische Tradition, Wünsche auf Papier festzuhalten und an<br />
ausgewählten Kultorten zu befestigen. Der Wunschbaum vor dem Zentrum Paul Klee lebt von der Beteiligung<br />
und Intervention der Besucher. Im Zusammenhang mit der Ausstellung »Lost Paradise – Der Blick des Engels«<br />
ist er Hoffnungsträger und stille Quelle für die Utopie einer verheissungsvollen Zukunft.<br />
120
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
121
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
Livias Garten, 2008<br />
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil entwickelte zusammen mit dem<br />
Zentrum Paul Klee das Projekt »Livias Garten«. Livia Klee, Schwiegertochter Paul Klees, lernte ihren Mann<br />
Felix Klee bereits als Kind im Bauhaus in Dessau kennen. Entsprechend ihren Erinnerungen ist auf dem<br />
Gelände vor dem Zentrum Paul Klee ein »Bauhausgarten« nachempfunden worden, der eine kleine Zeitreise<br />
in jene kultivierte Natur ermöglicht, die auch Paul Klee als Bauhaus-Lehrer mitgestaltete. Entstanden ist eine<br />
vielfältige Welt aus streifenartig angelegten Beeten mit Büschen und Blumen, Weidenhäusern und Erdhügeln.<br />
»Livias Garten« lädt kleine und grosse Besucher ein zum Spielen, Verstecken, Verweilen und Entdecken.<br />
122
Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />
123
31.Mai. bis 26. Oktober 2008<br />
Zentrum Paul Klee, Bern<br />
Jenseits von Eden – Eine Gartenschau<br />
Lost Paradise – der Blick des Engels<br />
Werkliste<br />
Francis Alÿs, Untitled, (An Eye for an Eye),<br />
2000–2003, Courtesy the artist and Galerie Peter<br />
Kilchmann<br />
Nobuyoshi Araki<br />
Untitled, aus der Serie Bondage, 1997, Farbfotografie,<br />
51 x 61 cm, Sammlung Thomas Koerfer<br />
Untitled, aus der Serie Private Diary, 1996, Farbfotografie,<br />
51 x 61 cm, Sammlung Thomas Koerfer<br />
Hugo Ball, animierte Fotografie 2005,<br />
Kunstumsetz ung, Zürich<br />
Dmitri Baltermants, Chto takoe chelovek? (What kind<br />
of man is this), 1943, Abzug auf Silbergelatinepapier,<br />
48 x 57.3 cm, Sammlung Thomas Koerfer<br />
Max Buri, Bildnisstudie eines bärtigen Mannes, um<br />
1895, Oel auf Leinwand, 25.2 x 20.6 cm,<br />
Kunstmuseum Bern, Geschenk Emil Buri, Oberhofen<br />
Larry Clark, Accidental Gunshot Wound,<br />
aus: Tulsa Portfolio, Publishing Inc., NY,<br />
1980, Silbergelatine-Abzug, 20.8 x 31.3 cm,<br />
Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />
Tacita Dean, Russian Ending, 2001, 20-teilig, Fotogravur,<br />
Sammlung Fotomuseum Winterthur, Ankauf<br />
mit Unterstützung von Thomas Koerfer<br />
Olafur Eliasson, Ohne Titel, aus: Island Series,<br />
C-Print, 60 x 89 cm, Sammlung Fotomuseum<br />
Winterthur, Dauerleihgabe Sammlung Andreas Züst<br />
Peter Fischli/ David Weiss, Ohne Titel (Kleine Wurzel),<br />
1987, Synthetischer Gummi, gegossen, 46.5 x 57 x 37<br />
cm, Courtesy the artists and Galerie Eva Presenhuber,<br />
Zurich; Monika Sprüth & Philomene Magers,<br />
Cologne/Munich/London; Mathew Marks Gallery,<br />
New York<br />
Claire Fontaine<br />
Ibis redibis non morieris in bello, 2006/2008<br />
Robert Frank, Hoboken, New Jersey, 1955/c.1990,<br />
Silbergelatine-Abzug, 38.9 x 58 cm, Sammlung<br />
Fotomuseum Winterthur, Nachlass George Reinhart<br />
124<br />
Goran Galic/Gian-Reto Gredig, Ma bice bolje,<br />
2001–2005, C-Prints und Video auf DVD,<br />
14 min 15 sec, auf Aluminium, Sammlung<br />
Fotomuseum Winterthur, Ankauf mit Unterstützung<br />
des Bundesamtes für Kultur<br />
Alberto Giacometti, Frau aus Venedig I, 1956, Bronze,<br />
106 x 13.5 x 29 cm, Kunstmuseum Bern<br />
Nan Goldin, Nan one month after being battered,<br />
1984, Cibachrome Print, 50.8 x 61 cm,<br />
Sammlung Thomas Koerfer<br />
John Gossage<br />
Liesenstr., aus: Berlin in the Time of the Wall,<br />
1988/2006, Silbergelatine-Abzug, 23.3 x 16.8 cm,<br />
Sammlung Fotomuseum Winterthur, Ankauf<br />
mit Unterstützung der Johann Jacob Rieter-Stiftung,<br />
Winterthur<br />
Inside the «No mans Land», Lennéstr., aus: Berlin in<br />
the Time of the Wall, 1985/2006,<br />
Silbergelatine-Abzug, 36.3 x 45.5 cm, Sammlung<br />
Fotomuseum Winterthur, Schenkung John Gossage im<br />
Gedenken an George Reinhart<br />
Hiroshima Peace Memorial Museum<br />
Melted head of Buddhist statue, Mikio Karatsu,<br />
1988/07/16, 12.5 x 10.5 x 4.5 cm<br />
School Uniform, Segawa Masumi, 2001/09/27,<br />
12.5 x 10.5 x 4.5 cm<br />
Marble, Yukimi Matsuda, 1983/06/29,<br />
12.5 x 10.5 x 4.5 cm<br />
Dress, Hiroshi Terao, 1973/07/30, 53 x 94 cm<br />
Ceramic Bottle, Yoshiaki Chagawa, 2001/01/18<br />
Thomas Hirschhorn, Holzweg, 2008, Installation<br />
Ferdinand Hodler (zugeschrieben), Studienkopf nach<br />
einem kahlköpfigen Alten im offenen Hemd,<br />
um 1874, Öl auf Leinwand auf Karton aufgezogen,<br />
51 x 35 cm, Kunstmuseum Bern<br />
Pierre Huyghe, All But One/ Alle ausser einem, 2002<br />
Anselm Kiefer, der Engel der Geschichte, 1989, Acryl,<br />
Emulsion und Deckweiss auf Photographie, Collage,<br />
84 x 92.5 cm, Sammlung Gerd de Vries, Berlin<br />
Alfred Kubin<br />
Die Leimfabrik, 1912, Tusche, Feder, aquarelliert,<br />
19.9 x 31.2 cm<br />
Der Guckkasten, um 1915, Tusche, 36.4 x 26.4 cm,<br />
Angst, ca. 1900, Tusche, Feder, laviert, gespritzt,<br />
24.8 x 32.4 cm<br />
Anarchie, 1912–1915, Tusche, Feder, aquarelliert,<br />
38.8 x 30.9 cm<br />
Haushammerlinde, ca. 1900, Tusche, Feder, laviert,<br />
ge spritzt, 16.3 x 30.4 cm<br />
alle ALBERTINA, Wien
Salomon Landolt, Brand einer Kirche, Öl auf Holz,<br />
30.6 x 36.5 cm, Kunstmuseum Bern,<br />
Geschenk Herr von Fischer-Manuel, Bern<br />
Pierre Nicolas Legrand (de Sérant), Kains Brudermord,<br />
um 1820, Oel auf Leinwand, 67 x 81 cm, Kunstmuseum<br />
Bern, Geschenk Elise Neynens-Kissling, Bern<br />
Leopold Lindberg, Matto regiert, 1947, Film (Ausschnitt)<br />
Sol LeWitt, Cube, 2008, Kalksandstein, 5 x 5 x 5 m<br />
Zbigniew Libera<br />
Pozytywy, 2003, 8-teilige Serie, C-Print, 129 x 170.5<br />
cm, Sammlung Fotomuseum Winterthur,<br />
Schenkung Thomas Koerfer<br />
Concentration Camp, 1996, Lego-Bausatz, Haus der<br />
Geschichte der Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land, Bonn<br />
Pietro Mattioli<br />
Portfolio Soldaten, 1991–1994, 9 Silbergelatine-<br />
Abzüge, Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />
Paul McCarthy, Complicated Pile, 2007, Vinyl überzogenes<br />
Nylonfabrikat, 6 Gebläse, Unikat,<br />
1575 x 3350 x 1580 cm, Courtesy the artist and<br />
Hauser & Wirth Zürich London<br />
Jean-Luc Godard, De l’Origine Du XXIe Siecle, 2000,<br />
Film<br />
Paul Klee<br />
Die beiden Getroffenen, 1913, 85, Feder auf Papier<br />
auf Karton, 7,1 x 8 cm, ZPK, Bern<br />
Der <strong>Deutsch</strong>e im Geräuf, 1914, 167, Feder auf Papier<br />
auf Karton, 16,4 x 24,8 cm, ZPK, Bern<br />
tod auf d. Schlachtfeld, 1914, 172, Feder auf Papier<br />
auf Karton, 9/8,5 x 17,3/17,6 cm, ZPK, Bern,<br />
Schenkung Livia Klee<br />
Krieg in der Höhe, 1914, 173, Feder auf Papier auf<br />
Karton, 12 x 17/17,5 cm, ZPK, Bern<br />
vorzeichen schwerer Schicksale, 1914, 178.a, Feder<br />
auf Papier auf Karton, a) 7,3 x 18,8 cm b)<br />
8,9 x 11,8 cm, ZPK, Bern<br />
Der Tod für die Idee, 1915, 1, Lithographie auf Karton,<br />
15,6 x 8,6 cm, ZPK, Bern<br />
nebel überziehn die untergehende Welt, 1915, 15,<br />
Feder auf Papier auf Karton, a) 8 x 4,6 cm b)<br />
11,3 x 12,1 cm, ZPK, Bern<br />
Zerstörung und Hoffnung, 1916, 55, aquarellierte<br />
Lithographie, 40.5 x 33 cm, ZPK, Bern<br />
als ich Rekrut war, 1916, 81, Feder auf Papier auf<br />
Karton, 17,3 x 11 cm, ZPK, Bern, Schenkung Livia<br />
Klee<br />
Weihnachtsarbeiten für die Feldgrauen, 1916,<br />
Hinterglasmalerei, 12,9 x 17,8 cm, ZPK, Bern<br />
Millionenmord das macht nichts, 1918, 7, Feder auf<br />
Papier auf Karton, 21,5 x 12,8 cm, ZPK, Bern,<br />
Schenkung Richard Sisson<br />
Vogel-Flugzeuge, 1918, 210, Bleistift auf Papier auf<br />
Karton, 21,7 x 27,4 cm, Privatbesitz Schweiz,<br />
Depositum im ZPK, Bern<br />
Angelus novus, 1920, 32, Ölpause und Aquarell auf<br />
Papier auf Karton, 31,8 x 24,2 cm, Collection<br />
of the Israel Museum, Jerusalem, Schenkung John und<br />
Paul Herring, Jo Carole und Ronald Lauder, Fania<br />
und Gershom Scholem<br />
Angelus novus, 1920, 69, Bleistift auf Papier auf<br />
Karton, 30 x 22 cm, Privatbesitz, Schweiz<br />
Fliegersturz, 1920, 209, Bleistift auf Papier auf Karton,<br />
27,9 x 22 cm, ZPK, Bern<br />
Der grosse Kaiser, zum Kampf gerüstet, 1921, 131,<br />
Ölpause und Aquarell auf Grundierung auf Leinen auf<br />
Papier auf Karton, 42,4 x 31,2 cm, ZPK, Bern,<br />
Schenkung Livia Klee<br />
Schande, 1933, 15, Pinsel auf Papier auf Karton,<br />
47,2 x 62,6 cm, ZPK, Bern<br />
Sturz, 1933, 46, Pinsel auf Papier auf Karton,<br />
31,3/31,6 x 47,5 cm, ZPK, Bern<br />
er geht, 1933, 80, Bleistift auf Papier auf Karton,<br />
29,5 x 32,3 cm, ZPK, Bern<br />
Anklage auf der Strasse, 1933, 85, Kreide auf Papier<br />
auf Karton, 16,9 x 25 cm, ZPK, Bern<br />
Kindermord, 1933, 113, Kreide auf Papier auf Karton,<br />
20,9 x 32,9 cm, ZPK, Bern<br />
Menschenjagd, 1933, 115, Bleistift auf Papier auf<br />
Karton, 23/23,2 x 32,3 cm, ZPK, Bern<br />
Blutgericht, 1933, 127, Kreide auf Papier auf Karton,<br />
13,2 x 20,7 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im<br />
ZPK, Bern<br />
Schiesserei, 1933, 131, Kreide auf Papier auf Karton,<br />
8,5 x 21 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im ZPK,<br />
Bern<br />
Gewalt, 1933, 138, Kreide auf Papier auf Karton,<br />
17,1 x 20,9 cm, ZPK, Bern<br />
Fluch ihnen!, 1933, 157, Kreide auf Papier auf<br />
Karton, 27,6 x 20,9 cm, ZPK, Bern<br />
an Schnüren, 1933, 175, Kreide auf Papier auf Karton,<br />
32,9 x 20,9 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im<br />
ZPK, Bern<br />
Dressur, 1933, 194, Kreide auf Papier auf Karton,<br />
24,3 x 20,9 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im<br />
ZPK, Bern<br />
hinzurichten, 1933, 202, Kreide auf Papier auf Karton,<br />
32,8 x 20,9 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im<br />
ZPK, Bern<br />
militarismus der Hexen, 1933, 329, Bleistift auf Papier<br />
auf Karton, 23,2 x 27,3 cm, ZPK, Bern<br />
auch «ER» Dictator!, 1933, 339, Bleistift auf Papier<br />
auf Karton, 29,5 x 21,8 cm, ZPK, Bern, Schenkung<br />
Livia Klee<br />
eilen nach Schutz, 1933, 389, Kreide auf Papier auf<br />
Karton, 21,7 x 29,8 cm, ZPK, Bern, Schenkung Livia<br />
Klee<br />
von der Liste gestrichen, 1933, 424, Ölfarbe auf<br />
Papier auf Karton, 31,5 x 24 cm, ZPK, Bern,<br />
Schenkung Livia Klee<br />
125
Geheim Richter, 1933, 463, Kleisterfarbe auf Papier<br />
auf Karton, 41,3 x 28,9 cm, ZPK, Bern, Schenkung<br />
Livia Klee<br />
heil!, 1939, 435, Bleistift auf Papier auf Karton,<br />
29,7 x 20,9 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im<br />
ZPK, Bern<br />
Luft-ungeheuer, 1939, 628, Bleistift auf Papier auf<br />
Karton, 20,9 x 29,7 cm, ZPK, Bern<br />
Angelus militans, 1939, 1028, Kreide auf Papier auf<br />
Karton, 44,3 x 29,9 cm, ZPK, Bern<br />
Paul Klees Truppeneinheit der Landsturm-Kompanie,<br />
Landshut (Paul Klee: in der Bildmitte, 2. Reihe<br />
stehend), 1916, Sommer, ZPK, Bern, Schenkung<br />
Familie Klee<br />
Ralph Eugene Meatyard, Romance of Ambrose Bierce<br />
#3, aus: Portfolio # 3, 1964, Silbergelatine-Abzug,<br />
17.1 x 17.3 cm, Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />
Aernout Mik, Scapegoats, 2006, Digitales Video auf<br />
Festplatte, Loop, Courtesy carlier / gebauer<br />
Boris Mikhailov, Sowjet-Montage (123-teilige<br />
Bildserie in 3 Panels), 1968, s/w-Fotografien, teilweise<br />
handkoloriert, 180 x 124 x 3.5 cm,<br />
Sammlung Thomas Koerfer<br />
Claudia & Julia Müller, Nachtwald I-III, 8 - farbiger<br />
Inkjet-print auf Netzvinyl, montiert auf Baugerüsten,<br />
je 12.25 x 12 x 3.9 m, 2008<br />
Arnold Odermatt, Wolfenschiessen, 1969/2004,<br />
Silbergelatine-Abzug, 30 x 40 cm,<br />
Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />
Yoko Ono, Wish Tree, 2008, Installation<br />
Meret Oppenheim, Das Messer, 1975, Glassplitter,<br />
Hanf, Knöpfe bemalt auf Fleischmesser, 2 x 32 x 13 cm,<br />
Kunstmuseum Bern, Legat der Künstlerin<br />
Tony Oursler, Still Life, 1998, Projektor, Videoband,<br />
Schädel aus Glasfaser und Bücher, 68.6 x 55.9 x 91.5 cm,<br />
Sammlung Thomas Koerfer<br />
Adrian Paci, Vajtojca, 2002, Video, 14› min,<br />
Courtesy Galerie Peter Kilchmann, Zurich<br />
Gilles Peress, Ohne Titel, aus: Rwanda, 1994,<br />
Silbergelatine-Abzug, 32.6 x 48.7 cm, Sammlung<br />
Fotomuseum Winterthur, Schenkung Volkart Stiftung<br />
Pablo Picasso, Sueño y mentira de franco, 1937,<br />
«Chine appliqué» auf Japan-Papier, Radierung, Aquatinta<br />
und Schabtechnik, 59.5 x 40 cm, E. W. K, Bern<br />
Alain Resnais<br />
Hiroshima mon amour, 1959, Film<br />
Nuit et Brouillard, 1955, Film<br />
126<br />
Anri Sala<br />
Time after Time, 2003, DVD, 5 min 22 sec, Ton,<br />
Courtesy of the artist and Hauser & Wirth Zürich<br />
London<br />
Arena, 2001, DVD, 4 min, Ton, Courtesy of the artist<br />
and Hauser & Wirth Zürich London<br />
Sebastião Salgado, Brazil, 1986, Silbergelatine-Abzug,<br />
54.3 x 36.3 cm, Sammlung Fotomuseum Winterthur,<br />
Nachlass George Reinhart<br />
Fernando Sánchez Castillo, Gato Rico muere de un<br />
Ataque al Corazón en Chicago / Rich Cat Dies of<br />
Heart Attack in Chicago, 2004, Video (HD - DVD),<br />
Courtesy of Fernando Sanchez & Galeria Juana de<br />
Aizpuru<br />
Igor Savchenko, 7.90–4, 1990m aus: Alphabet of<br />
Gestures 1, Silbergelatine-Abzug, 13.5 x 16 cm,<br />
Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />
Allan Sekula, Ohne Titel, aus: Waiting for Tear Gas,<br />
1999-2000, 81-teilige Dia-Installation mit Wandtext,<br />
Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />
Fazal Sheikh, Afghan Children Born in Exile, 1998,<br />
20-teilige Serie, Silbergelatine-Abzug, 37 x 37 cm,<br />
Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />
SNFU, ...And No One Else Wanted to Play, 1985,<br />
Plattencover (nach Diane Arbus: Child with Toy Hand<br />
Grenade in Central Park, New York City, USA (1962))<br />
Annie Stebler-Hopf, Am Seziertisch (Professor Poirier,<br />
Paris), um 1889, Öl auf Leinwand, 114 x 147 cm,<br />
Kunstmuseum Bern, Geschenk des Gatten aus dem<br />
Nachlass der Künstlerin<br />
Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, Die Verquickung,<br />
2008, Installation<br />
Annelies Štrba, Tschernobyl, 1996, Sammlung<br />
Fotomuseum Winterthur, Dauerleihgabe Sammlung<br />
Andreas Züst<br />
Jean Tinguely, Suzuki (Hiroshima), 1963, kinetisches<br />
Werk aus diversen Materialien, Fundstücke,<br />
z.T. vorgefunden auf dem Trümmerfeld von Nagasaki,<br />
140 x 70 x 50 cm, Schenkung Niki de Saint Phalle,<br />
Museum Tinguely, Basel<br />
Jakob Tuggener<br />
Ohne Titel, aus: Die Seemühle, 1944, Silbergelatine-<br />
Abzug, 12.2 x 16.1 cm, Sammlung Fotomuseum<br />
Winterthur, Nachlass George Reinhart<br />
Ohne Titel, aus: Die Seemühle, 1944, Silbergelatine-<br />
Abzug, 12.2 x 16.1 cm, Sammlung Fotomuseum<br />
Winterthur, Nachlass George Reinhart
Spencer Tunick, Switzerland, Aletsch Glacier 2–6<br />
(Greenpeace) 2007, 2007<br />
Luc Tuymans<br />
Kristallnacht, 1986, Gouache auf Wellkarton,<br />
26.5 x 90 cm, Kunstmuseum Bern, Schenkung des<br />
Künstlers<br />
Sick children, 1989, Bleistift auf Pergaminpapier auf<br />
Karton, 26.5 x 30.5 cm, Kunstmuseum Bern<br />
Studie zu «Gaskammer», 1986, Aquarell und Bleistift<br />
auf Papier, 30.5 x 40 cm, Kunstmuseum Bern<br />
Joep van Lieshout<br />
Untitled, 2007, Tinte auf Papier<br />
Untitled, 2007, Tinte auf Papier<br />
Untitled, 2007, Tinte auf Papier<br />
Wellness Skull, 2007, Kunststoff, Fiberglas, Stahl,<br />
Holz,<br />
Man Ripped open, 2008, geschäumter Kunststoff<br />
Man Ripped open, 2008, geschäumter Kunststoff<br />
Linked Sleep Sanitary Units, 2007, Holz, Stahl,<br />
153 x 71 x 37 cm<br />
Untitled, 2007, Tinte auf Papier<br />
alle Courtesy Galerie Bob van Orsouw<br />
Ben Vautier, Ben ist allein, 1971, Acryl auf Leinwand,<br />
30 x 40 cm, Kunstmuseum Bern, Annemarie und<br />
Victor Loeb-Stiftung, Bern<br />
Clara von Rappard, Seele, Brahmane (nach Goethe),<br />
1885, Öl auf Leinwand, 80.6 x 139 cm, Kunstmuseum<br />
Bern, Geschenk Edouard Davinet, Bern<br />
Jeff Wall, The Crooked Path, 1991, Grossbilddia in<br />
Leuchtkasten, 119 x 149 cm, Hesta AG, Zug<br />
Adolf Wölfli<br />
Ohne Titel (Explosion), 1929, Bleistift, Collage auf<br />
Zeitungspapier<br />
Trauer=Marsch Seite 5,761-6,627 (Heft ohne Titel),<br />
1930, Bleistift, Farbstift und Collage auf<br />
Zeitungspapier<br />
ohne Titel (Präsident Wilson), 1929, Bleistift, Collage<br />
auf Papier, 70 x 50 cm<br />
ohne Titel (Zürich/Kriegsschiff), 1929, Bleistift,<br />
Collage auf Papier, 70 x 50 cm<br />
Trauer=Marsch Seite 3,122-3,324 (Heft ohne Titel),<br />
1929, Bleistift, Farbstift und Collage auf Papier<br />
Trauer=Marsch Seite 3,544-3,969 (Heft ohne Titel),<br />
1929, Bleistift, Farbstift und Collage auf<br />
Zeitungspapier<br />
alle Adolf-Wölfli-Stiftung, Kunstmuseum Bern, Bern<br />
Artur Zmijewski, 80064, 2004, Video übertragen auf<br />
DVD, 11 min., Farbe, Ton, Courtesy the artist and<br />
Galerie Peter Kilchmann, Zurich<br />
Textnachweis<br />
S. 4 aus: Johann Konrad Eberlein »Angelus Novus«,<br />
FrBr./B 2006<br />
Zitate S. 66, 72, 90 aus: Jorge Luis Borges,<br />
Das Buch vom Himmel und der Hölle, Ffm, 1993<br />
S.81 aus: Rainer Maria Rilke, Gedichte, Ffm 1976<br />
Alle Benjamin-Zitate im Text »Der Blick des<br />
Engels« aus: Walter Benjamin GW V 1/2, Ffm 1982<br />
Siri Hustvedt; Being a Man, HH 2006<br />
Fotonachweis<br />
© für die Abbildungen bei den Künstlerinnen und<br />
Künstlern ausser<br />
S. 5: © The Israel Museum, Jerusalem<br />
S. 6: S. 14–31; S. 98-123: © Martin Stollenwerk,<br />
Zürich<br />
S. 44–46: © Hiroshima Peace Memorial Museum,<br />
Hiroshima<br />
S. 47: © Argos Films, France<br />
S. 70: © pro litteris, Zürich<br />
S. 74/75: © Galerie E.W. Kornfeld, Bern<br />
S. 76–79: Zentrum Paul Klee<br />
S. 82/83: Albertina Wien<br />
S. 86/87: Kunstmuseum Bern, ProLith AG, Bern<br />
S. 88/89: Adolf Wölfli-Stiftung, ProLith AG, Bern?<br />
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Impressum<br />
Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung<br />
»Lost Paradise« in der Gartenschau »Jenseits von Eden«<br />
Zentrum Paul Klee, Bern<br />
31.5 – 26.10.2008<br />
Ausstellung und <strong>Katalog</strong>: Juri Steiner & <strong>Armin</strong> <strong>Kerber</strong><br />
Szenografie: Pius Tschumi, Nadja Vitt, Kunstumsetzung GmbH, Zürich<br />
Assistenz: Anna Bürkli<br />
Redaktion: Anna Bürkli, <strong>Armin</strong> <strong>Kerber</strong>, Juri Steiner<br />
Lektorat: Claudia Kaufmann<br />
Gestaltung: Emanuel Tschumi<br />
Reproduktionen: Dr. Cantz’sche Druckerei, Osterfildern<br />
Druck: fgb freiburger graphische betriebe<br />
Gedruckt auf Furioso 150 g/m 2 von m-real Biberist, Schweiz<br />
Herausgeber: Zentrum Paul Klee, Bern<br />
© 2008 Hatje Cantz Verlag, Osterfildern, Zentrum Paul Klee, Bern und Autoren<br />
Umschlagabbildung:<br />
Angelus novus, 1920, 32, Ölpause und Aquarell auf Papier auf Karton, 31,8 x 24,2 cm, Collection<br />
of the Israel Museum, Jerusalem, Schenkung John und Paul Herring, Jo Carole und Ronald Lauder,<br />
Fania und Gershom Scholem<br />
Unterstützt von der Paul Klee-Stiftung der Burgergemeinde Bern<br />
Zentrum Paul Klee<br />
Monument im Fruchtland 3<br />
3006 Bern<br />
Schweiz<br />
Postadresse:<br />
Zentrum Paul Klee<br />
Postfach<br />
CH – 3000 Bern 31<br />
Tel. +41 31 359 01 01<br />
Fax +41 31 359 01 02<br />
www.zpk.org<br />
E-Mail: kontakt@zpk.org<br />
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