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Katalog Deutsch - Armin Kerber

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Lost Paradise<br />

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Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Lost Paradise<br />

–<br />

Der Blick<br />

des<br />

Engels


Vom »Angelus novus« existieren zwei Versionen. Die mit sorgfältigen Bleistiftstrichen auf Papier gebrachte<br />

Zeichnung ist die Originalzeichnung und erste Gestalt des »Angelus novus«. Diese Vorlage pauste Paul Klee<br />

mittels eines von ihm selbst entwickelten »Öldruckverfahrens« durch und schuf so den im Werkverzeichnis<br />

als »Ölpause und Aquarell auf Papier und Karton« bezeichneten »Angelus novus«, der als »Engel der<br />

Geschichte« berühmt geworden ist.<br />

»Das so genannte »Öldruckverfahren« hatte Klee bereits Anfang 1913 aus seiner Zeichentätigkeit<br />

heraus entwickelt. Mit dieser Methode schuf er »Ölfarbenzeichnungen« anhand gezeichneter Vorlagen,<br />

die er anschliessend aquarellierte. Dazu bedeckte Klee einen Bogen mit schwarzer Ölfarbe, den er mit der<br />

bestrichenen Fläche nach unten zwischen die Originalzeichnung und ein leeres Blatt Papier legte. Mit einem<br />

Griffel zog er jene Umrisse der Zeichnung nach, die er auf das Papier übertragen wollte. Auf der Durchpause<br />

zeigte sich die gewünschte Wirkung: zarte und manchmal leicht verschleierte Linien neben Spuren schwarzer<br />

Ölfarbe, verursacht durch den Druck der Hand und die Reibung. Während die Originalzeichnung unverändert<br />

erhalten blieb, konnte Klee das neue Werk nun zusätzlich mit Farbe oder anderen Gestaltungsmitteln<br />

ergänzen. Das Original konnte sogar mehrfach als Vorlage für eine farbige Ausgestaltung benutzt werden. Auf<br />

diese Weise entstanden zwischen 1919 und 1925 über 240 Arbeiten.<br />

Die in dieser Technik geschaffenen Werke wurden entsprechend einer Vereinbarung mit der Galerie<br />

Goltz in München für mehr als den doppelten Preis einer Zeichnung in den Handel gebracht. Mit der Galerie<br />

Goltz hatte Paul Klee 1919 einen Generalvertretungsvertrag abgeschlossen. Im grossen Stil wandte Klee das<br />

Öldruckverfahren ab 1920 an. Ab 1925 führte er allerdings nur noch wenige Ölfarbenzeichnungen aus. Es<br />

war das Jahr, in dem Hans Goltz, Inhaber der Galerie, Paul Klee wegen der schlechten Kunstmarktlage um<br />

die Senkung seiner Preise bat. Daraufhin kündigte der Maler den Vertrag mit dem Kunsthändler.« (Johann<br />

Konrad Eberlein)<br />

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Paul Klee<br />

Angelus novus, 1920<br />

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Paul Klee<br />

Angelus novus (Zeichnung), 1920<br />

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Vorwort<br />

Lost Paradise – Vorwort<br />

Versuch einer Versöhnung — Das vergangene, unsäglich gewaltreiche und<br />

leidvolle zwanzigste Jahrhundert wurde nicht termingerecht, dafür aber<br />

symbolisch treffend mit einem Terrorakt abgeschlossen. Der elfte September<br />

2001 hat all dem Unvorstellbaren an Krieg, Völkermord und Menschenrechtsverletzungen<br />

eine neue Katastrophen-Dimension hinzugefügt,<br />

welche die Welt tief greifend verunsichert hat. Der »Kampf der Kulturen«<br />

ist seit dem Attentat auf die Twin Towers nicht mehr einzudämmen und<br />

macht, dass uns das Prinzip von Gewalt und Gegengewalt täglich im Griff<br />

hält: Afghanistan und der Irak sind weit entfernt davon, befriedet zu werden.<br />

Iran und Nordkorea wollen sich als Atommächte etablieren. Die Farc<br />

handeln mit Uranium. Sollte Dr. Marcel Junod (1904 bis 1961) Recht<br />

behalten? Als Gesandter des Roten Kreuzes leistete der Neuenburger Arzt<br />

im August 1945 als einer der ersten Hilfe in Hiroshima, machte Fotos von<br />

der Zerwüstung durch die Atombombe und schrieb zu seinen Schwarzweiss-Abzügen,<br />

dass es sich nicht um Bilder der Vergangenheit oder der<br />

Gegenwart, sondern um Bilder der Zukunft handle.<br />

Zu all den die Welt umspannenden politischen und religiösen Konflikten<br />

droht uns heute noch die Klimakatastrophe – auch sie ein Vermächtnis<br />

des vergangenen, aus den Fugen geratenen zwanzigsten Jahrhunderts,<br />

aus dem wir kommen. Welche Auswege gibt es? Wie ändern wir unser<br />

Verhalten uns selbst und der Natur gegenüber? Für das Zentrum Paul Klee,<br />

das sich nicht nur künstlerischen, sondern ebenfalls gesellschaftlichen<br />

Themen stellt, scheint der Zeitpunkt angemessen, sich all den Katastrophen<br />

von Klees Jahrhundert noch einmal anzunehmen, gespiegelt über den berühmten<br />

»Angelus novus«, den Engel der Geschichte, der aus dem Paradies<br />

vertrieben auf die Welt hinunter blickt und dessen Knopfaugen all die<br />

Gräuel sehen und gesehen haben, das Gesehene aber für sich behalten.<br />

Um zu versuchen, den stummen Blick des Engels zu teilen, wollen wir<br />

es unternehmen, aus dessen Engelsperspektive hinunter zu schauen auf<br />

das Panorama des verlorenen Paradieses, in dem wir leben. Zum ersten<br />

Mal in der jungen Geschichte des Zentrum Paul Klee werden zu diesem<br />

Zweck das gesamte Innere und die Landschaft um die drei Hügel von<br />

Renzo Piano herum unter einem Motto gemeinsam bespielt: »Jenseits von<br />

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Lost Paradise – Vorwort<br />

Eden. Eine Gartenschau« heisst die Raum und Zeit übergreifende Ausstellung,<br />

die einen neuen Schritt der Kunst-Präsentation wagt.<br />

Doch suchen wir bei unserer Recherche nicht die Desolation, sondern<br />

nach Optionen der Versöhnung. Für diese Versöhnung der menschlichen<br />

Existenz zwischen Diesseits und Jenseits steht seit jeher der Hortus conclusus<br />

als gestaltete Vision des Garten Eden. Im Erdgeschoss des mittleren<br />

Hügels stellen wir darum unter dem Titel »In Paul Klees Zaubergarten«<br />

hundertsechzig Meisterwerke Paul Klees aus, die um das Thema »Garten<br />

und Natur« kreisen. Klees intensives Naturstudium steht dabei genauso<br />

im Zentrum wie die neu entdeckten Fakten zu Klees Erforschung der<br />

Naturlehre Goethes.<br />

Im Kontrast zum paradiesischen Zaubergarten Paul Klees, der im<br />

Erdgeschoss des Zentrum Paul Klee wuchert, steht im Untergeschoss die<br />

Ausstellung »Lost Paradise«, die sich um das erwähnte, zentrale Werk von<br />

Paul Klee gruppiert: den »Angelus novus« aus dem Jahr 1920 – eine der<br />

ganz grossen Kunst-Ikonen des zwanzigsten Jahrhunderts. Es kommt einer<br />

kleinen Sensation gleich, dass der »Angelus novus« für unsere Ausstellung<br />

»Jenseits von Eden« zum ersten Mal seit fast dreissig Jahren ausserhalb<br />

von Jerusalem zu sehen ist. Die besondere Stellung des Bildes im Werk<br />

Paul Klees ist dem Geschichtsphilosophen Walter Benjamin (1892 – 1940)<br />

zu verdanken. Er beschreibt Klees Engel als Vertriebenen aus dem Paradies,<br />

der alle Katastrophen der Menschheitsgeschichte in seinem Blick fokussiert.<br />

Aus der Perspektive des Engels zeigt die Ausstellung »Lost Paradise«<br />

Künstlerinnen und Künstler, die sich mit der Darstellung von Desastern,<br />

Atrozität, Leiden, alltäglicher Brutalität und Gewalt auseinandersetzen.<br />

Die Ausleihzeit des »Angelus novus« ist auf die Tage vom 29. Mai<br />

bis 6. Juni 2008 beschränkt. Das Werk wird von Klees Originalzeichnung<br />

»Angelus novus« aus einer Privatsammlung begleitet, die während drei<br />

Monaten gezeigt werden kann. Verbunden werden der »Zaubergarten«<br />

und »Lost paradise« von der raumgreifenden Installation «Die Verquickung«<br />

von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger. Die beiden verwandeln die<br />

gesamte Museumsstrasse samt der Zone zwischen den Ausstellungen in<br />

einen künstlichen, hybriden Naturkosmos, der pendelt: vom unschuldigen<br />

Paradies in den vollzogenen Sündenfall und von da wieder zurück.<br />

Hinter dem Zentrum Paul Klee besetzt eine spektakuläre skatologische<br />

Grossinstallation von Paul McCarthy den Acker der Landschaftsskulptur<br />

und eröffnet den drei Hügeln einen neuen Horizont. Sol LeWitts »Cube«<br />

setzt sich stoisch und hermetisch wie eine Kaaba in die Topografie und er-<br />

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Lost Paradise – Vorwort<br />

gänzt die Primärformen von Pianos Wellen und des Fesselballons im Wyssloch.<br />

Dort, nach vorne hin über die Autobahn, wird die ganze Brache vom<br />

Wyssloch bis hinunter zum idyllischen Egelsee in eine Kunst-Spielwiese<br />

verwandelt. Eine Spezialsauna von Joep van Lieshout in Gestalt eines Totenkopfes<br />

kommt neben die alte Scheune mit einer Videoinstallation von<br />

Aernout Mik zu stehen, die Häuserzeile den Bach entlang wird ergänzt von<br />

drei camouflierten Blendfassaden der Basler Künstlerinnen Claudia und<br />

Julia Müller, die Einblick in einen verwunschenen Wald mit Vexierbildern<br />

geben. Eine spezielle Erfahrung bietet unser Fesselballon, der jeweils zwei<br />

Besucher bis auf luftige sechzig Meter Höhe hebt, um den Blick des Angelus<br />

novus hinunter auf die Welt freizugeben. Das Ufer des Egelsees wird in einer<br />

gemeinsamen Aktion des Botanischen Gartens, der Stadtgärtnerei Bern, des<br />

Zentrum Paul Klee sowie der Lehrlinge von vier Gärtnereibetrieben in einen<br />

verwunschenen Garten verwandelt, den die Windspiele von Pierre Huyghe<br />

sanft zum Klingen bringen. Für die sehnlichsten Wünsche der Besucherinnen<br />

und Besucher steht ein «Wish Tree« von Yoko Ono bereit. Die auf Zettelchen<br />

an den Baum gebundenen Wünsche werden gesammelt und später an einen<br />

speziellen Ort in Island überführt. Die Gartenbau-Ingenieurin Regula Treichler<br />

und die Landschaftsarchitektin Doris Tausendpfund haben Livia Klee<br />

interviewt, die vor bald neunzig Jahren als Töchterchen des Dessauer Bauhausmeisters<br />

Hannes Meyer im Garten hinter dem Meisterhaus Felix Klee<br />

kennengelernt und lange Jahrzehnte später geheiratet hat. Ihre Erinnerungen<br />

an diesen Garten sind nun in »Livias Garten« übertragen worden. Und von<br />

der französischen Künstlergruppe Claire Fontaine blinken wie ein sibyllinisches<br />

Orakel in wechselnder Reihenfolge die Worte einer Leuchtschrift am<br />

Turm der alten Burgervilla des Restaurants Schöngrün: »You« »will« »go«<br />

»to« »war« »not« »come« »back« »die«.<br />

Kopfpunkt von »Jenseits von Eden. Eine Gartenschau« bilden die spektakulären<br />

Ostermundiger Steinbrüche, wo Klee selbst gearbeitet hat. Sie sind<br />

bereits Teil und Ziel der bestehenden »Wege zu Klee«, welche die Besucher<br />

zu Fuss vom Bahnhof Bern zum Zentrum Paul Klee und – eine halbe Fussmarschstunde<br />

weiter – bis zu den Steinbrüchen führen. Dort ganz in der<br />

Nähe stellt Thomas Hirschhorn – zum erstenmal seit der Abwahl von<br />

Bundesrat Blocher wieder in der Schweiz – seine speziell zur Ausstellung<br />

erarbeitete Installation »Holzweg« in den Wald. Sie fragt ganz direkt und<br />

ohne Umschweife nach der Gewalt, die in uns allen steckt, schlummert<br />

und ausbricht.<br />

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Lost Paradise – Vorwort<br />

An jedem Wochenende von Anfang Juni bis Mitte September kommt<br />

es regelmässig zu Kunst-Aktionen und Live-Performances zwischen Hochseilakrobatik,<br />

Land-Art, Kickgolf und Open-Air-Happenings, mit denen<br />

sich das Brachland in eine gastfreundliche Picknick-Wiese für das Publikum<br />

verwandelt, das auch bei Wind und Wetter »jenseits von Eden« in extra<br />

aufgestellten Gartenpavillons geschützt ist.<br />

Sie schwankt im wahrsten Sinne zwischen Himmel und Hölle, die<br />

Gartenschau des Zentrum Paul Klee, und bietet Stoff zur Versöhnung mit<br />

all den Phantomen, Ängsten und der Panik, die uns bisweilen heimsuchen,<br />

indem sie einen Blick in den Vorgarten des Paradieses gewährt. Wir danken<br />

von Herzen allen beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, die uns in die<br />

Sphären hinter der sicheren Existenz begleiten, so wie es Dantes Cicerone<br />

getan hat.<br />

Für die Konzeption und Realisierung dieses Grossprojekts hat sich<br />

das gesamte Zentrum mit aller Kraft engagiert. Der uneingeschränkte Dank<br />

gehört darum allen Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und Volunteers. Herr<br />

Bundespräsident Pascal Couchepin würdigt diese kollektive Anstrengung,<br />

indem er das Patronat der Ausstellung übernommen hat. Das Aufgleisen<br />

der Projektleitung lag in den sicheren Händen Ursina Baranduns und<br />

Gonca Kuleli-Korus. Hätte der Chef Hausdienst Alain Krähenbühl das<br />

Aussenraumprojekt nicht zu dem seinen gemacht, wäre es nicht zustande<br />

gekommen. Willy Athenstädt hat sein ganzes planerisches Fachwissen und<br />

Verhandlungsgeschick eingebracht und unser »Hausszenograph« Pius<br />

Tschumi mit Nadja Vitt Licht und Raum einmal mehr unverkennbar sichere<br />

Gestalt gegeben. Zwischen allen bewegte sich mit Ruhe und Klarheit<br />

Anna Bürkli, die, unterstützt von Marianne Suter, massgebliche Koordinationsarbeit<br />

geleistet hat. Audio Guides und <strong>Katalog</strong> haben Annette<br />

Häcki, Viviane Burkhalter und Claudia Kaufmann betreut. Das Graphic<br />

Design stammt von Emanuel Tschumi. Mit von der Partie in den unterschiedlichsten<br />

Rollen waren ausserdem: Martin Schneider für die Sicherheit,<br />

Patrizia Zeppetella mit einem Sondereinsatz für die Aufbereitung der<br />

Gemälde, Hansruedi Pauli, Selim Memedi und Nelson Platoni für den<br />

Aufbau, Erwin Schenk und Boris Cotting für die audiovisuellen Medien,<br />

Martin Blatter fürs Licht, Sonja Kellerhals für die Finanzen und Karin<br />

Lange für das Verhandeln mit Partnerinnen und Partnern.<br />

Natürlich wäre »Lost Paradise« keine Ausstellung geworden ohne all<br />

die grosszügigen Leihgeber, die unser Unterfangen unterstützt haben, allen<br />

voran das Israel National Museum, das Hiroshima Peace Memorial Mu-<br />

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Lost Paradise – Vorwort<br />

seum, unsere Partnerinstitution das Kunstmuseum Bern mit Matthias Frehner<br />

und Samuel Vitali, das Fotomuseum Winterthur, die Albertina in Wien,<br />

die Galerie Kornfeld sowie all die privaten Leihgeberinnen und Leihgeber<br />

– spezieller Dank gehört an dieser Stelle Thomas Koerfer –, die Galerien<br />

Hauser und Wirth, Peter Kilchmann, Eva Presenhuber und alle Künstlerinnen<br />

und Künstler. Grosser Dank gebührt Greenpeace Schweiz, welche<br />

die Gletscher-Arbeit von Spencer Tunick ins verlorene Paradies nach Bern<br />

heruntergebracht hat. Dank einmal mehr auch der Maurice E. and Martha<br />

Müller Foundation für die Bereitschaft, dass wir auf ihrem Gelände die<br />

Kunstwerke von Spencer Tunick und Sol LeWitt realisieren durften. Danke<br />

der Walter A. Bechtler-Stiftung für die Erlaubnis und grosszügige Unterstützung<br />

bei der Realisierung von Sol LeWitts »Cube«. Dank an den<br />

aussenstehenden Unterstützer der ersten Stunde: René Häfeli, Stadtgärtner<br />

von Bern, der all die sichtbaren und unsichtbaren Wege durch den Papierdschungel<br />

freigemacht hat. Und Dank natürlich dem Botanischen Garten<br />

Bern, dem wir noch hundert Jahre der schönsten Weiterexistenz wünschen;<br />

Dank den Gärtnereien Woodtli, Feller AG, Gartenbau Bächler und Güttinger<br />

und Vogel Gartenbau samt ihren Lehrlingen, die den Egelsee verzaubert<br />

haben.<br />

Und all dies wäre nicht einmal über den Ideenstatus hinausgewachsen,<br />

hätte nicht die Paul-Klee-Stiftung der Burgergemeinde Bern Anfang 2007<br />

entschieden, das Aussenraumprojekt vollumfänglich zu finanzieren und<br />

damit allen Bernerinnen und Bernern, allen unseren Gästen aus dem In-<br />

und Ausland ein überaus grosszügiges Geschenk zu machen. Namentlich<br />

zu Dank verpflichtet sind wir dem Engagement der Herren Lorenz Meyer,<br />

Rudolf Stämpfli und Josef Helfenstein. Dank sagen wir gerne und niemals<br />

genug auch unserer Betriebspartnerin Coop für die langfristige Begleitung<br />

des Hauses, der Schweizerischen Mobiliar für die Unterstützung des Fesselballons,<br />

der Securitas für die Bereitschaft, das Sicherheitsdispositiv<br />

mitzutragen und der Gemeinde Ostermundigen für die engagierte Unterstützung<br />

der Arbeit von Thomas Hirschhorn. Zu guter Letzt möchte ich<br />

mich bei <strong>Armin</strong> <strong>Kerber</strong> bedanken, dem kuratorischen Weggefährten und<br />

Mitgärtner seit der ersten Stunde, als wir das Saatgut prüften und uns<br />

gegenseitig von totgesagten Parks und prächtigen Gärten erzählten.<br />

Juri Steiner<br />

Direktor<br />

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Der Engel der Geschichte<br />

muss so aussehen.<br />

Walter Benjamin<br />

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<strong>Armin</strong> <strong>Kerber</strong><br />

Der Blick des Engels<br />

Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />

(1) — »Man glaubt nicht immer, was man sieht. Traumatische Erlebnisse<br />

sind oft von einer Art Dissoziation begleitet. Das, was sich vor den eigenen<br />

Augen abspielt, erscheint unwirklich.« Dies schreibt die amerikanische<br />

Autorin Siri Hustvedt in ihrem autobiographischen Essay mit dem Titel<br />

»9/11, ein Jahr danach«, in dem sie ihre eigenen Wahrnehmungen und<br />

Erfahrungen als Augenzeugin des Terrorangriffes auf die Twin Towers in<br />

New York schildert. Dass alles, was sich vor unser eigenen Augen abspielt,<br />

nicht immer die Wirklichkeit glaubhaft widerspiegelt, wie sie doch eigentlich<br />

ist oder wie sie sein sollte, ist eine der ältesten Fragestellungen des<br />

philosophischen Denkens und gleichzeitig auch schon wieder trivial. Die<br />

Einsicht, dass nichts ist, wie es ist und wie es scheint und immer alles anders<br />

erscheinen kann als es ist, verkommt schnell zum banalen Sprachspiel<br />

und verblasst zur »connaissance de luxe«. Ist die Wirklichkeit eine Katastrophe,<br />

sieht alles sofort ganz anders aus.<br />

Nicht nur in der Mediengeschichte gilt das Attentat vom 11. September<br />

2002 inzwischen als der zentrale Einschnitt, der das 21. vom 20. Jahrhundert<br />

trennt, ähnlich wie das Attentat von Sarajevo auf Erzherzog Franz<br />

Ferdinand und seine Gemahlin Sophie Chotek im Jahre 1914 als die Zäsur<br />

zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert gilt: Katastrophen als die historischen<br />

Meilensteine, mit denen der Lauf der Jahrhunderte markiert wird,<br />

und jeder hat seine eigene Signatur. In Sarajevo waren es noch zwei aristokratische<br />

Repräsentationsfiguren, deren Ermordung das kommende Ende<br />

der feudalistischen Nationalmonarchien blutig auf das Pflaster zeichnete.<br />

In New York waren es mehrere tausend Business People, die kollektiv zu<br />

Staub zerfielen und als anonyme Märtyrer das nahende Ende der Unbesiegbarkeit<br />

demokratischen Fortschrittsglaubens signalisieren.<br />

Auch dies gehört inzwischen zum medialen Allgemeinwissen, dass<br />

das 20. Jahrhundert so viele Katastrophen, so viele Menschen-Abschlachtungen,<br />

so viele Völkermorde, Gräuel und Terror hervorgebracht hat wie<br />

keines zuvor. Was von Menschen verursachte Katastrophen angeht, steht<br />

das 20. Jahrhundert unangefochten an der Spitze der menschlichen<br />

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Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />

Unglücksgeschichte. Bei den Naturkatastrophen ist die Bilanz schwieriger<br />

zu ziehen: Gibt es überhaupt eine Zäsur oder einen Moment, an dem die<br />

Schöpfungsgeschichte der Erde mit ihren zugleich aufbauenden und zerstörerischen<br />

Prozessen als abgeschlossen gelten kann? Vielleicht wird die<br />

Bilanz des 21. Jahrhunderts zeigen, welche Naturkatastrophen keine Katastrophen<br />

der Natur waren, sondern von menschlichen Händen und<br />

Köpfen zu verantworten sind.<br />

»Der 11. September war nicht unvorstellbar. Wir alle konnten ihn<br />

uns vorstellen«, schreibt Siri Hustvedt weiter. Auch darin ist das 20. Jahrhundert<br />

einmalig: Immer wieder neue und grossartigere Vorstellungswelten<br />

für seine Katastrophen werden entworfen, nicht zuletzt dank dem<br />

Siegeszug der neuen Bild-Technologien Foto, Film und Fernsehen. Sigmund<br />

Freud war einer der ersten, der nachhaltig erkannte, dass gerade derjenige,<br />

der traumatisiert ist vom unmittelbaren Erleben der Katastrophe, der inneren<br />

Vorstellungswelt entkommen will, die sich in ihm eingebrannt hat.<br />

Der Mann hinter der Front, der den Schrecken des Krieges nicht am eigenen<br />

Leib erfahren hat, geht anders ins Kino als derjenige, der knapp das<br />

Lazarett überlebt hat. Wer sich etwas vorstellt, was er nicht kennt, ist<br />

immer ein anderer Kunstbetrachter als derjenige, der die Katastrophe<br />

durchlebt hat. Der gepeinigte Augenzeuge will die Bilder vergessen, der<br />

interessierte Betrachter will sich an sie erinnern.<br />

Inzwischen werden Oscar-prämierte Filme mit brennenden Menschen<br />

von Millionen zivilisierter Menschen gesehen, Bilder von grausamer Zerstörungskraft<br />

in Kunst-Galerien von gebildeten Bürgern goutiert. Das<br />

Dilemma ist dabei alt: Bilden die Menschen ihre Katastrophen ab, um sie<br />

im Bild zu bannen, sie »heimzuholen« ins gefahrlose Reich der Kinosessel<br />

und Museumswände, damit sie so ihre Ängste verarbeiten? Oder stimulieren<br />

die im Bild fixierten Katastrophen einen stets neuen Sog, aus dem<br />

heraus wieder eine neue Kettenreaktion von Katastrophen entsteht? Je<br />

unlösbarer dieses Dilemma, umso gravierender erscheinen Kunstwerke<br />

und Artefakte, die das Trauma der Katastrophe vorstellbar machen, ohne<br />

es zu überhöhen oder zu entschärfen.<br />

(2) — Eines der berühmtesten Bilder des 20. Jahrhunderts, das sich diesem<br />

Dilemma nicht nur stellt, sondern es zu überwinden sucht, ist Pablo Picassos<br />

»Guernica«, gemalt nach der totalen Zerstörung der spanischen Pro-<br />

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Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />

vinzstadt Guernica durch die Faschisten. Das Bild ist tausendfach analysiert<br />

und interpretiert worden und zeigt in höchster Konzentration und gleichzeitig<br />

radikalster Fragmentierung die Spuren und die Überreste der Zerstörung,<br />

die als Zeichen und Symbole zu sagen scheinen: Was bleibt, wenn<br />

die Katastrophe vorüber ist, ist die Katastrophe. Aber neben diesem ultimativen<br />

Endzeit-Gestus – und darin liegt die Besonderheit des Bildes – steht<br />

»Guernica« zugleich als grosses Fanal des<br />

Widerstands. Anders als viele Schreckensgemälde<br />

setzt das Bild »Guernica« nicht nur einen zornigen<br />

oder traurigen Impuls der Verzweiflung frei, sondern klagt die Parteinahme<br />

mit den Ermordeten und Gemetzelten ein, ohne sich auf vorschnelle<br />

ideologische Signale festzulegen. Der präzisen Vorstellung und gnadenlosen<br />

Abbildung der Katastrophe wohnt zugleich der Appell inne, sie für<br />

immer zu beenden.<br />

Wenn man so will, dann kann man den »Angelus novus« von<br />

Paul Klee auf vielfältige Weise als Gegenpol zu »Guernica« lesen.<br />

Beide Bilder sind Ikonen des 20. Jahrhunderts, beide sind eng verknüpft<br />

mit seiner Katastrophengeschichte. Während Pablo Picasso mit den<br />

Schrecken im Blick quasi als Augenzeuge, der nicht vergessen will, das Bild<br />

»Guernica« gemalt hat, ist es umgedreht nicht der Blick des Malers, sondern<br />

erst die Deutungs- und Wirkungsgeschichte des Bildes selbst, die den<br />

»Angelus novus« in die Position gebracht hat, in der er heute steht. In<br />

seinen berühmten geschichtsphilosophischen Thesen aus dem Jahre 1939<br />

schreibt Walter Benjamin:<br />

»Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heisst. Ein Engel<br />

ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas<br />

zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind weit aufgerissen, sein<br />

Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte<br />

muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet.<br />

Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine<br />

einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie<br />

ihm vor die Füsse schleudert.«<br />

Mit diesen Sätzen macht Walter Benjamin, der als Flüchtling nahezu<br />

mittellos mit dem »Angelus novus« als unverkäuflichem Handgepäck im<br />

Pariser Exil lebt, den Engel selbst zum permanenten und unmittelbaren<br />

Augenzeugen der allumfassenden Katastrophe. In dieser Allegorie bringt<br />

er den welthistorischen Zustand vor dem 2. Weltkrieg prophetisch auf den<br />

Punkt. Die »Kette der Begebenheiten« sieht folgendermassen aus: Der<br />

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Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />

Nationalsozialismus ist auf dem Höhepunkt seiner Macht und gerade<br />

dabei, mit letzter Konsequenz den Holocaust Wirklichkeit werden zu<br />

lassen. Der Bolschewismus führt Schauprozesse durch, die ersten Gulags<br />

werden errichtet und im Hitler-Stalin-Pakt ein Scheinfrieden mit dem Faschismus<br />

inszeniert. Angesichts dieses absoluten Katastrophen-Szenarios<br />

hat der »Angelus novus« keine Chance mehr, als paradiesischer Retter und<br />

Beschützer der Menschen zu erscheinen. Vielmehr ist der Engel selbst aus<br />

dem Paradies vertrieben und den Trümmern der menschlichen Geschichte<br />

leidvoll ausgesetzt.<br />

Diese Wendung geschieht, vom Bild selbst aus gesehen, unerwartet.<br />

Mit Sicherheit hatte Paul Klee diese Perspektive nicht im Sinn, als er das<br />

Bild malte. Es war zunächst Walter Benjamins Freund, der jüdische Gelehrte<br />

und ursprüngliche Käufer des Bildes Gershom Scholem, der den<br />

»Angelus novus« gewissermassen zu einem jüdischen Engel umdeutete.<br />

Und es war die radikale Verschärfung in Benjamins Interpretation, mit der<br />

er das christliche Engelskonzept der rettenden Fürsorglichkeit vollends aus<br />

den Fugen hob. Erst mit dieser Lesart macht Benjamin den »Angelus<br />

novus« zu einer der grossen Kunst-Ikonen des zwanzigsten Jahrhunderts.<br />

Während auf Picassos grossem Gemälde »Guernica« die realen und<br />

grausamen Zeichen der historischen Katastrophe in äusserster Verdichtung<br />

zu erkennen sind, sehen wir auf Klees kleinem Aquarell auf den ersten<br />

Blick nicht die Spur einer Katastrophe. Wir sehen nichts weiter als den<br />

Augenzeugen dessen, was wir uns selbst vorstellen müssen. Insofern ist<br />

der »Angelus novus« eine radikal moderne Konstruktion: Es liegt am<br />

Betrachter des Bildes, was er sieht und welche Interpretation er leisten will,<br />

das Bild selbst verrät nichts, der Blick des Engels bleibt gleichgültig und<br />

abstrakt, er kann alles oder nichts bedeuten. Die Katastrophe bleibt definitiv<br />

aus dem Bild ausgeschlossen, genauso wie der Engel definitiv vom<br />

Paradies geschieden ist. In dieser doppelten Abwesenheit spiegeln sich Paul<br />

Klees Bild und Walter Benjamins Interpretation ineinander. Mit den Worten<br />

Benjamins: »Blicken zwei Spiegel einander an, so spielt der Satan<br />

seinen liebsten Trick und öffnet hier auf seine Weise (wie sein Partner in<br />

den Blicken der Liebenden tut) die Perspektive ins Unendliche.«<br />

Das Resultat für den Betrachter, wenn er sich einmal auf Benjamins<br />

Lesart eingelassen hat, ist folgenreich. Denn wenn man das Bild ansieht,<br />

kann man beide Absenzen, das Paradies und die Katastrophe, nicht mehr<br />

ignorieren, sie – im wahrsten Sinn der doppelten Negation – nicht mehr<br />

nicht sehen, obwohl sie doch beide offensichtlich nicht sichtbar sind. In<br />

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Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />

diesem Widerspruch begegnen sich das unausgesprochene Geheimnis und<br />

die grosse Modernität des »Angelus novus« als Sinnbild der Katastrophengeschichte<br />

des 20. Jahrhunderts.<br />

(3) — Eine Ausstellung, die den »Angelus novus« nicht einfach in das<br />

Sortiment der anderen Engel-Bilder von Paul Klee einordnet, sondern sich<br />

auf seine einzigartige Interpretationsgeschichte einlässt, steht vor der einfachen<br />

Frage: Was sieht der »Angelus novus«? Präziser gefragt: Was sieht<br />

der »Angelus novus«, wenn er im Museum hängt? Die Antwort ist genauso<br />

einfach wie die Frage: Bilder. Nicht irgendwelche Bilder, sondern Bilder<br />

und Relikte von Katastrophen; Kunstwerke und Dokumente, die eine<br />

Vorstellung davon geben, was dieses letzte Jahrhundert an Unvorstellbarem<br />

hat Wirklichkeit werden lassen.<br />

»Lost Paradise« versucht in diesem Sinn, den Blick des Engels selbst<br />

zum Konstruktionsprinzip der Ausstellung zu machen und eine adäquate<br />

Szenografie dafür zu erfinden. Die beiden Bilder des »Angelus novus«,<br />

also die Zeichnung und das Aquarell hängen zentral in der Mitte der<br />

längsseitigen Wand, frontal gegenüber der Eingangstür. Der rechteckige<br />

Raum selbst ist leer, alle Stellwände sind zur Seite geräumt, es gibt keine<br />

Nischen, keine Kabinette, keine Abteilungen. Der Besucher, der die grosse<br />

schwarze Kammer betritt, sieht sich in gerader Linie dem »Angelus novus«<br />

gegenüber. Er wird, wenn man so will, zu seinem Komplizen und übernimmt<br />

Auge in Auge quasi spiegelbildlich seine Perspektive: den Blick des<br />

Engels, ein Panoptikum von mehr als 150 Katastrophenbildern des 20 Jahrhunderts.<br />

Surrealistisch, abstrakt, gegenständlich, zentral-perspektivisch, collagierend,<br />

fotorealistisch, gemalt, gezeichnet, fotografiert, gefilmt: So sehr<br />

sich auch die Darstellungsformen unterscheiden und in ihrer grossen Vielfalt<br />

die gesamte Palette der formal-ästhetischen Errungenschaften des<br />

20. Jahrhunderts in einer grossen Synopsis versammeln, das Sujet bleibt<br />

sich gleich und wiederholt sich in gut 150 Variationen. Es gibt keinen<br />

Fluchtpunkt und keinen Nebenraum, in die sich der »Lost-Paradise«-<br />

Besucher zurückziehen könnte. Genauso wenig stehen kuratorische Ironie<br />

oder Dekonstruktion als Mittel der Distanzierung im Raum. Wohin man<br />

sieht, es ist die Katastrophe. In seinem unvollendeten Passagenwerk schreibt<br />

Walter Benjamin über diese Darstellungsform: »Pan-Optikum: nicht nur,<br />

37


Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />

dass man alles sieht, man sieht auf alle Weise.« Auch auf die Gefahr hin,<br />

dass sich in diesem »fensterlosen Haus«(Walter Benjamin) Dissoziation<br />

einstellt, das Panorama entlässt niemanden aus seiner Welt-Vorstellung,<br />

es sei denn, man schliesst die Augen. Ob dann die Bilder nicht mehr zu<br />

sehen sind, ist eine andere Frage, woran nahtlos die nächste anschliesst:<br />

Kann das Museum eine der paradiesischen Oasen sein, an dem man selbst<br />

die Wahlfreiheit hat, sich der gesehenen Bilder zu erinnern oder sie zu<br />

vergessen?<br />

Wenn man schliesslich das »Lost Paradise« verlassen hat, wartet draussen<br />

im weit gezogenen Vorgarten zum Fruchtland, nur ein paar Schritte<br />

über die Autobahn hinweg, erneut der »Angelus novus«. Auf den ersten<br />

Blick ist er als Klon erkennbar, denn erstens ist er ein Drilling, zweitens<br />

überdimensional gross, und drittens befinden sich alle drei Engel auf einem<br />

Ballon. Als kleine Hommage auf Paul Klees unerfüllte Flug-Lust kann man<br />

mit diesem Ballon aufsteigen, hinauf in den Himmel, getragen von 2500<br />

Liter Helium, und herabschauen auf die Gartenschau »Jenseits von Eden«:<br />

auf das überdimensionale Pop-Denkmal »Complicated Pile« von Paul Mc-<br />

Carthy mit seiner aggressiven Eindeutigkeit, das eine unmittelbare Gegen-<br />

Korrespondenz zu den harmonischen drei Hügelwellen von Renzo Piano<br />

und dem hermetischen Konzept-Geheimnis des »Cube« von Sol LeWitt<br />

bildet. Vor den Mehrfamilienhäusern entlang dem Wyssloch stehen spiegelbildlich<br />

angeordnet drei Häuser-Fassaden der Schwestern Claudia &<br />

Julia Müller. Wie riesige Tore eröffnen sie den Blick in eine phantastische<br />

Dschungel-Welt, und unten am Bach erkennt man Joep van Lieshouts<br />

»Wellness-Skull«, der sich spätestens dann als ironisches Memento Mori<br />

einer aufs Glück konditionierten Wohlstandsgesellschaft entpuppt, wenn<br />

die Innenwelt des Totenkopfs sich als eine profane Sauna herausstellt. Das<br />

Mahnmal des Todes ist ein Wohlfühlbereich aus Plastik, oder, wie Walter<br />

Benjamin über das Glück im Zeitalter seiner technischen Herstellbarkeit<br />

schreibt: »Das Glück kennt Rezepte wie Pudding. Es kommt auf Grund<br />

einer genauen Dosierung verschiedener Elemente zustande. Es ist ein<br />

Effekt.«<br />

Wie unwirklich auch immer das Bild aus der Perspektive von dort<br />

oben erscheinen wird, das die zahlreichen weit verstreuten Kunstwerke<br />

und die vielseitigen »Weekend«-Performances der Gartenschau vermitteln:<br />

es könnte ein Versöhnliches sein, grundiert von einer kleinen Dosis Angst.<br />

Man weiss nie, wann die Katastrophe kommt. Selten kommt sie dann,<br />

wenn man sich in Gefahr denkt, noch seltener im Museum. Spätestens da<br />

38


Lost Paradise – Der Blick des Engels<br />

oben – »Katastrophe« heisst schliesslich im ursprünglichen Sinn nichts<br />

weiter als »Wendung zum Niedergang« – wünscht man sich einen Engel,<br />

der auch im 21. Jahrhundert noch einen direkten Draht zum Paradies hat.<br />

Dabei ist eines sehr wahrscheinlich: Das Bild von oben, das man mit dem<br />

Blick des Engels als Augenzeuge »jenseits von Eden« gewinnt, wird man<br />

vermutlich nicht so schnell vergessen. Man wird sehen.<br />

39


Annelies Štrba<br />

Tschernobyl, 1996<br />

40


Der wahre Sinn der Kunst<br />

liegt nicht darin,<br />

schöne Objekte zu<br />

schaffen. Es ist vielmehr<br />

eine Methode, um zu<br />

verstehen. Ein Weg, die<br />

Welt zu durchdringen<br />

und den eigenen Platz zu<br />

finden.<br />

Paul Auster<br />

41


Tacita Dean<br />

Götterdämmerung, aus: Russian Ending, 2001<br />

Ein Sklave des Kapitals, aus: Russian Ending, 2001<br />

Der Rückzug nach Verdun, aus: Russian Ending, 2001<br />

La Bataille d’Arras, aus: Russian Ending, 2001<br />

Russian Ending, 2001<br />

Die zwanzig Fotogravuren der britischen Künstlerin Tacita Dean aus dem Jahr 2001 basieren auf einer Sammlung<br />

von historischen Postkarten. Die Ereignisse, die auf den Postkarten abgebildet sind, erzählen von<br />

grösseren und kleineren Unglücksfällen, Katastrophen und Tragödien des frühen 20. Jahrhunderts. Die einzelnen<br />

Bilder tragen den Titel ihres Ausgangsbildes wie etwa »Die Explosion in dem Kanal«, »The Tragedy<br />

of Hughesovka Bridge« oder »La Bataille d’Arras«. Tacita Dean hat von Hand Regieanweisungen in die<br />

Bilder eingeschrieben. Damit stellt die Künstlerin ihre subjektiv ausgewählten Katastrophen und Ereignisse<br />

aus der Geschichte als Fiktion in Frage. Die Postkarten werden von ihrer Zeugenschaft enthoben. Sie sind<br />

zu Ausgangsbildern für einen unheilvollen Filmschluss transformiert, für das Russian Ending. Indem sie ihre<br />

Arbeit unter dem Titel »Russian Ending« zusammenfasst, verweist die Künstlerin auf eine frühe Praxis in der<br />

dänischen Stummfilmproduktion, die jeweils zwei Filmenden produzierte: ein optimistisches Happy End für<br />

den amerikanischen Markt, und einen traurigen Schluss für das russische Publikum.<br />

42


Tacita Dean<br />

The Sinking of the SS Plympton, aus: Russian Ending, 2001<br />

Ballon des Aérostiers de Campagne, aus: Russian Ending, 2001<br />

43


Hiroshima Peace Memorial Museum<br />

Melted head of Buddhist statue, Mikio Karatsu,<br />

44


Hiroshima Peace Memorial Museum<br />

School Uniform, Segawa Masumi<br />

Hiroshima Peace Memorial Museum<br />

Am 6. August 1945 ging die verheerende amerikanische Atombombe in Hiroshima nieder. Binnen weniger<br />

Sekunden mussten 200’000 Menschen ihr Leben lassen, 80’000 wurden verletzt. Die aus dem Peace Memorial<br />

Museum in Hiroshima ausgeliehenen Zeugen dieser Katastrophe lösen im Betrachter Schrecken und tiefe<br />

Betroffenheit aus, noch verstärkt durch die Tatsache, dass es sich dabei um Gegenstände des alltäglichen<br />

Lebens handelt. Wir kennen die Geschichte jedes einzelnen Objekts und wir wissen, wer ihre Besitzer waren:<br />

Yoshie Terao war am 6. August 1945 25 Jahre alt und zu Hause, als in 600 Meter Entfernung die Bombe<br />

niederging. Die junge Frau konnte sich selber aus den Trümmern retten, überlebte aber nur bis am 18. August.<br />

Das Sommerkleid, das sie am Tag des Bombenabwurfs getragen hatte, haben ihre Eltern dem Peace Memorial<br />

Museum übergeben. Andere Objekte, wie die in sich zusammengekrümmte Keramikflasche, zeugen von der<br />

unermesslichen Hitze, die das Eisen schmelzen, die Gehsteige kochen und selbst Steine zerbersten liess.<br />

45


Hiroshima Peace Memorial Museum<br />

Dress, Hiroshi Terao<br />

46


Alain Resnais<br />

Hiroshima mon amour, 1959, Filmstill<br />

47


Juri Steiner<br />

»Tu n’as rien vu à<br />

Hiroshima«<br />

Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Paul Klees Vater Hans war <strong>Deutsch</strong>er aus dem fränkischen Städtchen Tann,<br />

die Mutter Ida kam aus Basel. Zusammen lebten sie in der Schweiz, seit<br />

Hans eine Stelle als Musiklehrer am Bernischen Staatsseminar Hofwil<br />

angetreten hatte. Und so wurde Paul Klee 1879 in Münchenbuchsee geboren<br />

und absolvierte die Schulen im Herzen der malerischen Schweizer<br />

Bundeshauptstadt. Sein Kontakt mit dem deutschen »Vaterland« intensivierte<br />

sich von 1898 bis 1901, als Klee in München zu studieren begann,<br />

und wurde dann ab 1906 dauerhaft, als er in die Kunstmetro pole übersiedelte.<br />

Erst 1921 zog er von dort weiter nach Weimar ans Bauhaus.<br />

Dazwischen wurde er 1916 als deutscher Staatsangehöriger zum Kriegsdienst<br />

einberufen. Doch weil das Bayerische Königshaus die Schonung<br />

der Künstlerschaft befahl, wurde der Soldat Klee nicht an die Front<br />

geschickt.<br />

Im Sog der russischen Oktoberrevolution, der sich abzeichnenden<br />

Kriegsniederlage <strong>Deutsch</strong>lands und der Versorgungsnot kam es 1918 zur<br />

reichsweiten, so genannten Novemberrevolution. Am 7. November 1918<br />

rief Kurt Eisner den Freien Volksstaat Bayern aus und wurde vom Arbeiter-,<br />

Bauern- und Soldatenrat zum ersten Ministerpräsidenten der Bayerischen<br />

Republik gewählt. Nach Eisners Ermordung im Februar 1919 übernahm<br />

ein »Zentralrat« die Macht und proklamierte am 7. April 1919 die<br />

Räterepublik. In ihr bildete sich ein »Aktionsausschuss revolutionärer<br />

Künstler«, dem unter anderem der bedeutende Pionier des dadaistischen<br />

Films Hans Richter angehörte. Zu den Funktionen und Zielen dieses Ausschusses<br />

zählten »die Förderung der neuen Kunst, die Organisierung der<br />

Mai-Demonstration, die Sozialisierung von Theater und Kino, die Beschlagnahme<br />

der Residenz, der Nymphenburger Porzellan-Manufaktur,<br />

der Schack-Galerie, der Villa Stuck, des Maximilianeums etc., die soziale<br />

Fürsorge, die Beseitigung des Ateliermangels, sowie die Umgestaltung der<br />

Kunstakademie und der Kunstgewerbeschule«. Paul Klee wurde vom<br />

49


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Ausschuss direkt angefragt; erhalten ist seine Antwort an den Maler Fritz<br />

Schaefler vom 12. April 1919, in der er seine Loyalität zusicherte und<br />

seine Dienste anbot:<br />

Sehr geehrter Herr Schaefler! München, 12. April 1919<br />

Der Aktionsausschuss revolutionärer Künstler möge ganz über meine<br />

künstlerische Kraft verfügen. Dass ich mich dahin zugehörig betrachte ist<br />

ja selbstverständlich, da ich doch mehrere Jahre vor dem Krieg schon in<br />

der Art produziere, die jetzt auf eine breitere öffentliche Basis gestellt<br />

werden soll. Mein Werk und meine sonstige künstlerische Kraft und<br />

Erkenntnis steht zur Verfügung!<br />

Mit dem besten Gruss<br />

Ihr Klee<br />

Dem Antrag auf Aufnahme Paul Klees wurde an einer Sitzung am<br />

22.4.1919, fünf Tage nachdem Reichwehrminister Gustav Noske den<br />

Einsatz von Reichswehrverbänden gegen München beschlossen hatte,<br />

zugestimmt. Viel weiter scheint der revolutionäre Kontakt danach aber<br />

nicht mehr gediehen zu sein. Die Ereignisse begannen sich zu überstürzen.<br />

Nachdem es zu Massakern der Freikorps an Angehörigen der »Roten<br />

Armee« der Räterepublik sowie unbeteiligten Zivilisten auf der einen und<br />

der Ermordung von rechtsextremistischen Geiseln durch die Rotgardisten<br />

auf der anderen Seite gekommen war, löste sich der Aktionsausschuss<br />

revolutionärer Künstler mit der Einnahme Münchens durch die Reichswehr<br />

Anfang Mai 1919 nach folgender, letzter öffentlicher Mitteilung auf: »...<br />

Wir erklären: Wir sind nicht die ‚Vertreter’ der Münchener, der Bayerischen<br />

oder sonst irgendwelcher Künstler, die zum kapitalistischen Zeitalter gehören,<br />

wir sind die Vertreter und Bevollmächtigten einer Idee, und unser<br />

Ziel ist, an dem Aufbau der neuen Gemeinschaft und deren ideellen Entwicklung<br />

praktisch mitzuarbeiten. Wir fordern alle, die gleichen Sinnes<br />

sind, auf, uns zu helfen. Das erwarten wir von unserer Generation, nicht<br />

von den Vertretern der alten, die uns nicht helfen können. Der Aktionsausschuss<br />

revolutionärer Künstler: i.A. Richter, Tautz.«<br />

Fast zur gleichen Zeit in München entstand Klees kleine,<br />

weltberühmte aquarellierte Zeichnung »Angelus novus« (neuer<br />

Engel) vermutlich im so genannten »Werneck-Schlösschen«, wo<br />

50


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Klee nach seiner Entlassung aus dem Militär ab Frühjahr 1919 ein Atelier<br />

bezogen hatte. Zum Mythos und Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts<br />

wurde der »Angelus novus« aber nicht durch seinen Schöpfer, sondern<br />

vielmehr durch seinen ersten Besitzer, den deutsch-jüdischen Kunst- und<br />

Kulturtheoretiker Walter Benjamin, der das Werk 1921 während eines<br />

Besuches bei seinem Freund Gersholm Scholem in München an der ersten<br />

Klee-Ausstellung in der Galerie Goltz am Odeonsplatz kaufte. Da Paul<br />

Klee schon aus München weggezogen war und der Kauf des »Angelus<br />

novus« über Goltz abgewickelt wurde, sind sich die Historiker einig, dass<br />

sich Käufer und Künstler nicht begegnet sind.<br />

Mitschuld oder Anklage? — Man kann sich Paul Klee aus unserer Warte<br />

des frühen 21. Jahrhunderts nur schlecht als deutschen Militär in Uniform<br />

und politbewegten Künstler im Tumult der Münchner Räterepublik vorstellen,<br />

eine Vision, die zu sehr – wenngleich auf der politischen Gegenseite<br />

– an die Karriere des Gefreiten und Bürgerbräuputschisten Adolf Hitler<br />

gebunden ist. Doch bildet diese Kombination des politischen Soldaten und<br />

Künstlers Anfang des 20. Jahrhunderts einen festen Teil der Avantgarde.<br />

Die Serie »Portfolio Soldaten« (1991-1994) des Schweizer Künstlers Pietro<br />

Mattioli zeigt neun Fotografien von prominenten<br />

und bedeu- tenden Avantgardekünstlern des 20. Jahrhunderts<br />

in Uniform. Klee hätte er gut dazu gesellen<br />

können, sagt Mattioli, gibt es doch mehrere Aufnahmen von Klee mit<br />

seiner Einheit, dem Ersatz-Bataillon der Landsturm-Kompanie in Landshut.<br />

Hinter Mattiolis Arbeit steht die grundsätzliche Frage nach der Rolle<br />

oder gar der Mitschuld der Avantgardekünstler und ihrem Kampf um<br />

Aussenseitertum, Autonomie und moralischen Gegenwerte an den Gräueln<br />

des 20. Jahrhunderts. Paul Mann hat in seinem Buch »The Theory-<br />

Death of the Avant-Garde« mit Nachdruck auf das Paradox der Avantgarde<br />

hingewiesen: auf ihre Opposition, die das Bürgertum stützte, gerade<br />

weil sie dazu in Opposition trat: »War der Futurismus revolutionär oder<br />

faschistisch? War Dada affirmativ oder negativ? War der Surrealismus<br />

ästhetisch oder revolutionär?« Suchte die Avantgarde die Autonomie auf<br />

dem Musenberg oder das Engagement auf den Barrikaden? Kommentatoren<br />

der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts finden sich selbst immer<br />

wieder unfähig, Pro und Contra zu sortieren, ohne dem jeweiligen Künstler<br />

Gewalt anzutun. Doch diese Gewalt ist der radikal dialektischen Natur<br />

der Avantgarden eingeschrieben. Im 20. Jahrhundert geht jede explizite<br />

51


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Form von kultureller Opposition eine implizite Allianz mit der herrschenden<br />

Macht ein, und jede dieser Allianzen beschreibt auch eine Konfrontation,<br />

einen Bruch. Hinter der einfachen Auflistung von ästhetischen und<br />

ideologischen Oppositionen existiert eine sehr viel komplexere und konfliktreichere<br />

Dialektik, welche vielleicht der charakteristischste Gegenstand<br />

in der Geschichte der Avantgarde ist.<br />

Der Schweizer Kunsthistoriker Beat Wyss verortet den grossen Bruch<br />

mit der Tradition, den die Moderne vollzieht, bei den deutschen Philosophen<br />

Schopenhauer und Nietzsche. Damit verankert er die Klassische<br />

Moderne tief im 19. Jahrhundert, als die Funktion der Kunst aus der<br />

Affirmation der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse gelöst wurde,<br />

um sich dem Umsturz aller konventionellen und gesellschaftlichen Werte<br />

zu verpflichten. Bei Nietzsche revoltiert die Kunst gegen Hegels vernünftigen<br />

Weltgeist, um sich allein den Trieben des Individuums hinzugeben.<br />

Im ästhetischen Aufbegehren des Einzelnen enthebt sich die Kunst, die<br />

an keine übergeordnete Instanz mehr gebunden ist, auch der Aufgabe,<br />

den Menschen ästhetisch zu einem gesellschaftlichen Wesen heranzubilden.<br />

Damit führt Nietzsche eine Grösse ein, die für die Kunst des<br />

20. Jahrhunderts entscheidend sein wird: Die Negation und Zerstörung<br />

des Bestehenden.<br />

»Gadji beri bimba« — Und in der Zerstörung des Bestehenden waren sie<br />

Experten, die »revolutionären Künstler«. Hugo Ball, der sich von München<br />

herkommend durch die Schweiz schlug, ging in seinem berühmten kubistischen<br />

Kostüm, das er im Zürcher Cabaret Voltaire, der Geburtsstätte<br />

der dadais- tischen Künstlerbewegung am 23. Juni 1916 zum<br />

Rezitieren des Lautgedichts »Gadji beri bimba« getragen hatte,<br />

als Zertrümmerer der Sprache in die Kunst- und Literaturgeschichte ein:<br />

»Mit diesen Tongedichten wollten wir verzichten auf eine Sprache, die<br />

verwüstet und unmöglich geworden ist durch den Journalismus. Wir müssen<br />

uns in die tiefste Alchemie des Wortes zurückziehen und selbst die<br />

Alchemie des Wortes verlassen, um so der Dichtung ihre heiligste Domäne<br />

zu bewahren.« Dieser Rückzug aus der Sprache hat ganz unmittelbar<br />

mit der aus den Fugen geratenen Welt des Ersten Weltkriegs zu tun. Die<br />

Lügen der Machthaber und das Leid der Menschen im Krieg wurden<br />

schlechterdings »unsagbar«. Den Künstlern verschlug es die Sprache; die<br />

Dadaisten erkannten, wie manipulierbar Worte sind und entlarvten ihren<br />

Missbrauch durch Könige und Feldmarschälle. Auf ihren sprachzerstöre-<br />

52


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

rischen Expeditionen im Cabaret Voltaire mutierte das Alphabet zu Schleifen<br />

und Spiralen, die sich hinterher hasten und zu unleserlichen Zeilen<br />

gerinnen. Und während des Rezitierens im kubistischen Kostüm hatte Ball<br />

eine Eingebung: Er erkannte die Kraft der Gestaltenfülle jenseits der Sprache,<br />

sah den Ozean an Äusserungsmöglichkeiten vor sich, unabsehbar und<br />

abenteuerlich jenseits der Besinnung: »Der Dadaismus – ein Maskenspiel,<br />

ein Gelächter«, schreibt Ball später, als er sich von Dada ab- und den<br />

mystischen Seiten des Katholizismus zugewandt hatte.<br />

Himmel über Bern — Zwischen Hugo Ball, Walter Benjamin und Paul<br />

Klee besteht ein Beziehungsnetz der Avantgarde, das sich – ziemlich unerwartet<br />

– über Bern spinnt. Hugo Ball, Walter und Dora Benjamin wohnten<br />

1919 Haus an Haus an der Marzilistrasse und pflegten Kontakt. Später<br />

übersiedelte Ball mit der Dichterin Emmy Hennings in das Dörfchen Agnuzzo<br />

am Luganersee, wo er nach der Konversion zum Katholizismus<br />

seine hagiographischen Studien aufnahm, aus denen 1923 das Buch »Byzantinisches<br />

Christentum. Drei Heiligenleben« entstand. Es sei durchaus<br />

möglich, so schreibt der Berner Klee Experte Oskar Bätschmann, dass Klee<br />

sich an Hugo Balls Angelologie erinnerte, als er in den letzten Lebensjahren<br />

seine Heerscharen von Engeln unterschiedlichster Stufen erschuf. Auf<br />

diese Weise schlösse sich der Engelskreis zwischen Ball, Benjamin und Klee<br />

im Himmel über Bern. Auf alle Fälle wurde Klees »Angelus novus« für<br />

Benjamin zum Wichtigsten, was er an irdischen Gütern besass. Das Ausmass<br />

seiner Leidenschaft trug gar die Züge einer Fixierung, wie Johann<br />

Konrad Eberlein in seinem Buch »›Angelus novus‹ Paul Klees Bild und<br />

Walter Benjamins Deutung« schreibt. Auch in Zeiten härtester Not brachte<br />

es Benjamin offensichtlich nicht über sich, das Bild zu veräussern. Erst<br />

im Juni 1940, als der Autor des »Passagen«-Werks vor den anrückenden<br />

<strong>Deutsch</strong>en aus Paris fliehen musste, schnitt er gemäss Scholem das Bild<br />

aus dem Rahmen und steckte es in einen der beiden Koffer mit wichtigen<br />

Manuskripten, die der befreundete Philosoph Georges Bataille dann in der<br />

Bibliothèque Nationale für ihn versteckte. Benjamin hatte Bataille gebeten,<br />

ihm diese Manuskripte nach dem Krieg zurückzugeben oder sie im Falle<br />

seines Todes an den Freund Theodor W. Adorno weiterzuleiten. Schon<br />

kurz darauf setzte Benjamin am 26. September 1940 in Port Bou an der<br />

französisch-spanischen Grenze in auswegsloser Lage seinem Leben ein<br />

Ende. Zusammen mit einer kleinen Gruppe konnte er sich zwar bis in die<br />

Pyrenäen durchschlagen; doch an der spanischen Grenzstation wurden die<br />

53


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Visa der Gruppe nicht anerkannt und den Flüchtlingen der Übertritt auf<br />

die spanische Seite verwehrt. Für Benjamin hätte die Rückkehr nach<br />

Frankreich die sichere Deportation in ein deutsches Konzentrationslager<br />

bedeutet.<br />

Der »Angelus novus« verbrachte die deutsche Besatzungszeit in Paris.<br />

Und die Kriegs- und Nachkriegswirren verzögerten eine prompte Übergabe<br />

an Adorno, wofür sich Bataille – der inzwischen nicht mehr in der Bibliothèque<br />

Nationale arbeitete und das Werk samt der Manuskripte in<br />

seiner Wohnung verwahrte – ausdrücklich in einem Brief vom Oktober<br />

1945 entschuldigte. Der Brief ging an Pierre Bonnasse, einen unter dem<br />

Pseudonym Pierre Missac publizierenden französischen Schriftsteller, mit<br />

dem Walter Benjamin befreundet gewesen war. Bonnasse forschte im Auftrag<br />

von Dora Benjamin, der in der Schweiz lebenden Schwester, nach dem<br />

Verbleib des Nachlasses. Auf weit verzweigten Pfaden – der in den USA<br />

lebende Theodor W. Adorno war 1945 von Europa aus schwer zu erreichen<br />

– wurde dieser als »Nachlass parisien« oder »erster Nachlass parisien«<br />

bezeichnete Teil von Benjamins Hinterlassenschaft zusammen mit dem<br />

»Angelus novus« schliesslich auch ausgehändigt. Anfang 1947 wurde er<br />

von der Frau eines Angehörigen der US-Botschaft in Paris in die USA gebracht<br />

und dort Adorno übergeben. Via Adorno kam der »Angelus novus«<br />

dann schliesslich auch an Gershom Scholem. 1982, nach dem Tod Scholems,<br />

wurde das Bild zum ersten Mal im Israel Museum in Jerusalem<br />

ausgestellt. 1987 ging es dann als Geschenk von Fania und Gershom<br />

Scholem, John und Paul Herring sowie Jo-Carole und Ronald Lauder in<br />

den Besitz des Museums über.<br />

Engel der Geschichte — Walter Benjamins lebenslange historische, philosophische,<br />

ästhetische und politische Reflexionen über das Bild sind es,<br />

die den »Angelus novus« zur Ikone des ohnmächtigen Leidens an der<br />

nackten Gewalt und der zügellosen Brutalität des 20. Jahrhunderts gemacht<br />

haben, wie Johann Konrad Eberlein und Oskar Bätschmann in<br />

jüngerer Zeit herausgearbeitet haben: Walter Benjamin schätzte den Künstler<br />

Paul Klee schon früh, was Briefstellen an den Freund Gershom Scholem<br />

belegen. Klee war für Benjamin der moderne Künstler schlechthin, einer,<br />

der Technik und Naturwissenschaften zur Grundlage seiner Kunst gemacht<br />

hatte, der mit seinen »surrealistischen Überblendungen« die sinnliche Welt<br />

kennzeichnete und die reale Welt der Gegenwart erfasste. Benjamin las<br />

Bücher über Klee und erwähnte ihn öfter in seinen Briefen. Obwohl also<br />

54


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

zu erwarten war, dass er sich intensiv mit dem »Angelus novus« auseinandersetzen<br />

würde, ist doch überraschend, welchen Umfang die Deutungen<br />

des Bildes in seinem Denken einnehmen sollten und welche weiten<br />

Wege er gehen würde.<br />

Die weit aufgerissenen Knopfaugen des Engels sehen die einzige Katastrophe,<br />

ohne sie zu spiegeln. Die Ausstellung »Lost paradise« versucht<br />

ihrerseits mit den Artefakten von Künstlern des 20. und 21. Jahrhunderts<br />

ein grobes Panorama dessen zu rekonstruieren, was der Engel der Geschichte<br />

sieht: den Sturm und das nackte Leben, den durch eine Welt der<br />

Zerstörungen umherirrenden Menschen. Noch vor Benjamins Deutung<br />

des Engels bezeichnet bereits Gershom Scholem in einem Geburtstagsgedicht<br />

für Benjamin am 15. Juli 1921 das Auge des Engels als schwarz und<br />

schildert ihn als Boten mit dunklen, aber nicht explizit unheilvollen Bezügen.<br />

Damit erschöpft sich Scholems Einfluss auf Benjamins »Angelus«-<br />

Rezeption aber nicht. Scholem machte Benjamin mit der jüdisch-theologischen<br />

Tradition, der kabalistischen beziehungsweise talmudischen<br />

Legende bekannt, wonach »die Engel – neue jeden Augenblick in unzähligen<br />

Scharen – geschaffen werden, um, nachdem sie vor Gott ihren Hymnus<br />

gesungen, aufzuhören und im Nichts zu vergehen«. Diese auf Scholem<br />

zurückgehende jüdisch-theologische Deutung des »Angelus novus« wurde<br />

für Benjamin zum Ursprung für alle seinen folgenden Beschäftigungen mit<br />

Klees Bild, wie Eberlein schreibt. Mit Sicherheit hatte Paul Klee diese<br />

Tradition nicht im Sinn. Es war also Scholem, der den »Angelus« zu seinem,<br />

zu einem jüdischen Engel machte, und damit Benjamins Fantasie im<br />

Spiegel dieses kleinen Klee-Bildes entfachte und anheizte.<br />

Tod von oben — In Klees Œuvre kommt den Engeln eine besondere Bedeutung<br />

zu, obschon dies vermutlich nichts mit Scholems und Benjamins<br />

Projektionen, sondern ganz wesentlich mit dem Umstand zu tun hat, dass<br />

es sich um geheimnisvolle fliegende Wesen handelt. In einer zentralen<br />

Passage seiner Tagebücher aus der Zeit des Ersten Weltkriegs schreibt Klee<br />

über sich selbst: »Ich habe diesen Krieg in mir längst gehabt. Daher geht<br />

er mich innerlich nichts an. Um mich aus meinen Trümmern herauszuarbeiten<br />

musste ich fliegen. Und ich flog. In jener zertrümmerten Welt weile<br />

ich nur noch in der Erinnerung, wie man zuweilen zurückdenkt. Somit bin<br />

ich abstract mit Erinnerung.« Krieg, zertrümmerte Welt, Fliegen, Erinnerung:<br />

Das ist Benjamins Beschreibung des »Angelus novus« gar nicht so<br />

unähnlich. Bezüglich der fliegenden Selbstrepräsentation Klees ruft Oskar<br />

55


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Bätschmann seinerseits in Erinnerung, dass der Kleespezialist Otto. K.<br />

Werckmeister darauf hingewiesen hat, dass Klee in den ersten beiden<br />

Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts das Fliegen als ambivalente<br />

Metapher für Triumph und Scheitern der künstlerischen Imagination betrachtete:<br />

»Ein frühes Dokument für diese Ambivalenz ist das tragikomische<br />

Sinnbild ›Der Held mit dem Flügel‹; dieser macht unentwegt Flugversuche,<br />

obwohl ihn die Natur nur mit einem Engelsflügel ausgestattet hat.«<br />

Fliegen und Abstürzen sind starke metaphorische Motive, einander gerade<br />

auch im profanen Leben nahe: Während des Ersten Weltkrieges leistete<br />

Klee Dienst auf dem Feldflugplatz Schleissheim, bevor er zur Fliegerschule<br />

Gersthofen versetzt wurde, wo es zu seinen Aufgaben gehörte,<br />

Flugzeugabstürze der noch unerfahrenen Flugschüler zu fotografieren:<br />

»Diese Woche hatten wir hier drei Tote, einer wurde vom Propeller bearbeitet,<br />

zwei derhuzten sich. Ein vierter sauste gestern mit Krach und Riss<br />

und Schurf aufs Dach der Werft. Zu tief geflogen, an einer Telegraphenstange<br />

hängen geblieben, auf dem Dach einmal aufgehupft und überpurzelt<br />

und verkehrt liegen geblieben wie ein Trümmerhäufchen. Ein Gerenne von<br />

allen Seiten, im Nu das Dach schwarz von Monteurkitteln. Tragbahre,<br />

Leitern. Der Photograph. Ein Mensch rausgelöst und bewusstlos fortgetragen.<br />

Gellende Kommandos. Ein Kinoeffekt erster Güte.« Werckmeister<br />

hat Klees dualistisches Komplementärverhältnis »zwischen dem schockhaft<br />

wirklichen Erlebnis des Absturzes in Tod und Trümmer und der entgegen<br />

gesetzten abstrakten Allegorie eines Aufstiegs zu dauerhafter künstlerischer<br />

Existenz« eingehend analysiert. Ganz anders als die sarkastischen Beschreibungen,<br />

aus denen die Distanz des Unbeteiligten spricht, zeigen die Zeichnungen<br />

aus Klees Militärzeit eine fast panische Vision des Todes,<br />

der von oben kommt: Flug- zeuge, die Klee als Todesschwadronen<br />

in seinen Skizzenbü- chern festgehalten hat.<br />

Als Künstler und militärischer Fotoreporter bewegte sich Klee in einer<br />

– wie man heute sagen würde – Mediasphäre, wo sich Aktion, Information<br />

und Gegeninformation diverser Inszenierungen von Macht, Manipulation,<br />

Imagination und Illusion treffen. Anders gesagt: Die mediatisierte<br />

Welt ist ein permanentes Zerfliessen von Wahrnehmungs- und Vorstellungsbildern,<br />

was dem nahe kommen würde, was Benjamin mit Klees<br />

»surrealistischen Überblendungen« beschrieben hat. Künstlerisch hat Klee<br />

seine Eindrücke in Zeichnungen von brennenden und todbringenden Flugzeugen<br />

übersetzt. Heute, bald ein Jahrhundert nach Klee, verbindet die<br />

Kunst einer Tacita Dean Dokumentarisches und Ästhetisches. In ihrer<br />

56


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Arbeit »The Russian Ending«, arrangiert sie Fotodokumente aus den<br />

1910er und 1920er Jahren neu und kreiert in diesem instabilen<br />

Feld den Reiz, dass eine künstlerische Arbeit gleich zeitig<br />

geschichtliche Kritik und unmittelbare Präsenz, Diskurs<br />

und Werk sein kann. Angesichts des Impulses dieser künstlerischen Gegenwart<br />

ist bei Tacita Dean keine Rede mehr davon, objektives Dokumentieren<br />

von subjektivem Interpretieren zu trennen, wie Klee es als Fotoreporter<br />

und Künstler tat; zu unterscheiden, was ästhetisch von beständiger<br />

oder für den Moment von repräsentativer Relevanz ist. Tacita Deans bewusste<br />

Ambivalenz zeigt eine grundsätzliche Krux der zeitgenössischen<br />

Kunst, die sich dem Imperativ der Kommunikation des »Hier und Jetzt«<br />

der Massenmedien mit den Mitteln der Massenmedien entgegenstellt.<br />

Dass die Kunst im von Benjamin ausgerufenen Zeitalter der technischen<br />

Reproduzierbarkeit mit der Zeit mitstürzt, als Bilderlieferantin par<br />

excellence immer schneller wird, ist nicht mehr als folgerichtig. Doch<br />

versucht die Kunst heute immer mehr Dokumentation und ästhetische<br />

Distanz zu vereinen. Seit dem historischen Stichtag Nine-Eleven beispielsweise<br />

gibt es immer wieder Versuche, die Zäsur, welche die in die New<br />

Yorker Zwillingstürme einschiessenden Passagierflugzeuge geschnitten<br />

haben, künstlerisch aus den immer gleichen Videobildern zu destillieren.<br />

So versucht Francis Alÿs mit seiner Arbeit »An Eye for an Eye« aus<br />

den Bildern, die wir seit jener langen TV-Nacht vom September<br />

2001 kennen, mehr als das ungläubige Staunen herauszuholen,<br />

das in uns die präzis orchestrierte Zusammenstellung der Repetition<br />

hervorruft. Endlich scheint der Betrachter etwas darüber zu begreifen,<br />

dass wir es mit einem Kaleidoskop an Zu- und Unfällen, Katastrophen<br />

und Kataklysmen zu tun haben, die ex-abrupto immer öfter, aber<br />

vor allem immer schneller auf uns einstürzen. Und von dieser Beschleunigung<br />

beeinflusst ist die Kunst ebenso wie es die Medien, die Politik oder<br />

die Wirtschaft sind.<br />

Kunst, Katastrophen und Massenmedien — Dass die Kunst im System<br />

zwischen Darstellung und Kommunikation komplexer funktioniert als die<br />

Massenmedien, ist ihr Vorteil. Und die totale Freiheit der Thematisierung<br />

ist ihr eigentliches Potential gegenüber einer ökonomisierten Information.<br />

Hans Ulrich Reck geht in seiner Untersuchung »Kunst als Medientheorie«<br />

aus dem Jahr 2003 soweit, dass er »Ästhetik als Medium der Thematisierung«<br />

und »Kultur als Programmentwicklung und -durchsetzung« dar-<br />

57


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

stellt. Damit steht die Agenda der Informationsmedien in ihrem Kampf<br />

um die Publikumsgunst und ihrem vermeintlichen Zwang nach Vereinfachung,<br />

Personalisierung, Aktualität der offenen Agenda der Kunst gegenüber.<br />

Die Kunst kann sich den Luxus der Komplexität leisten, einem nicht<br />

zu sagen was, sondern woran man denken soll. Damit arbeitet die Kunst<br />

unabhängig von der Presse an der Kartografie der Aktualität und benennt<br />

ihrerseits – medienkritisch – die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen.<br />

So zeigen Anri Sala und Galic/Gredig zwar Schauplätze<br />

des Krieges, aber nicht aus dem heissen Blickwinkel<br />

der Tagesaktualität heraus. Sie zeigen Orte, die die Kameras<br />

der TV-Stationen links liegen lassen – etwa die Kampfzonen, lange nachdem<br />

die Journalisten wieder abgezogen sind, oder, wie Anri Sala, den nur<br />

noch von streunenden Hunden belebten Zoo in Tirana in der Videoarbeit<br />

»Arena« (2001). Hier erschliesst sich in einer sehr langsamen<br />

Kamerafahrt dem Auge des Betrachters der verlassene und verwahrloste<br />

Zoo. Der Glanz vergangener Tage ist bedrückender<br />

Trostlosigkeit und Leere gewichen. Trotz der Ruhe, Langsamkeit und<br />

Aktionslosigkeit vermittelt der Ort Unruhe und ein Aufbegehren gegen<br />

den Verfall. Unter der Diktatur besass der Zoo nur einheimische Tiere.<br />

Nach 1990 kaufte die Regierung auch afrikanische und asiatische Tiere<br />

wie Tiger und Löwen. Dies war Ausdruck der Hoffnung, möglichst schnell<br />

den Anschluss an die westliche Welt zu finden. Nach 1997 wurden die<br />

meisten Tiere während der darauf folgenden Unruhen getötet und entführt.<br />

Das Kunsthaus Bregenz schreibt zu Anri Sala, der im Rahmen der Gruppenausstellung<br />

»Remind« im Jahr 2004 prominent vertreten war: »Der<br />

Verlust gesellschaftlicher Ordnung wird in der Gegenüberstellung von<br />

innen und aussen – von Tiergehegen und angrenzenden Grünflächen –<br />

fühlbar. Nach der wirtschaftlichen Depression der späten 1990er Jahre<br />

finden sich hier nur noch vereinzelt Tiere in den heruntergekommenen<br />

Käfigen. Die inzwischen verwilderten Besucheranlagen sind nun statt von<br />

Menschen von Rudeln streunender Hunde bevölkert. Als herrenlose Zeugen<br />

urbaner Verwahrlosung bemächtigen sie sich dieses Raums, der zum<br />

Spiegelbild für den Verfall eines repressiven Systems und des nachfolgenden<br />

wirtschaftlichen Bankrotts wird. Das ursprüngliche Verständnis eines Zoos<br />

als repräsentative Einrichtung, die der Zurschaustellung, Belehrung und<br />

wissenschaftlichen Zwecken dient, verkehrt sich hier ins Gegenteil. Anri<br />

Salas ›Arena‹ wird zum dokumentarischen Schauplatz ehemaliger Gefangenschaft,<br />

von Unterdrückung und Tod. Salas Fokussierung auf seinen<br />

58


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

geografischen und kulturellen Ursprung bildet einen starken Kontrast zur<br />

Gegenwart. Der Zoo erinnert an die politische und gesellschaftliche Vergangenheit<br />

sowie an die Realität in Albanien.«<br />

Der Niederländer Aernout Mik zeigt in seiner komplex choreographierten<br />

Videoarbeit »Scapegoats« von 2006 anhand der<br />

Rituale zwischen gefangen genommener Zi- vilbevölkerung<br />

und ihren paramilitärischen Bewachern, dass es ein<br />

wichtiges, fast selbstverständliches Interessensfeld der aktuellen Kunstproduktion<br />

ist, die Dokumentationsstrategien zu infiltrieren, mit denen das<br />

Fernsehen, die Presse, das Radio, das Internet operieren. Mittels Infiltration,<br />

Montagen und Zweckentfremdungen denunziert die Kunst die Art<br />

und Weise, mit welcher Information und – nicht erst in Zeiten »eingebetteter«<br />

Kriegsreporter – Desinformation produziert wird. Die Kunst zielt<br />

dabei meist mit dem Selbstverständnis einer Gegeninformationsplattform<br />

auf die Demaskierung von Medienlügen, indem sie den potentiellen Plural<br />

einer »Information« aufzeigt. Mainstream-Codes werden aufgegriffen und<br />

der öffentliche Raum mit ästhetischen Guerillamethoden zurückgefordert,<br />

um eine Sphäre zu schaffen, worin über die Macht der Medien diskutiert<br />

werden kann. Der polnische Künstler Zbigniew Libera macht dies deutlich,<br />

indem er berühmte Pressefotos des 20. Jahrhunderts nachstellt und so<br />

verfremdet, dass man erst auf den zweiten Blick merkt, dass etwas nicht<br />

stimmen kann: Der verstümmelte Che Guevara raucht zufrieden mit seinen<br />

Häschern eine Zigarette, das vietnamesische Mädchen, das vor den GIs<br />

davonrennt, lächelt. Auch die Männer hinter dem Stacheldraht des Kriegsgefangenenlagers<br />

lächeln, als ob sie Teil einer Welt wären, in<br />

der Information nur ein Teil der ewig rieselnden Unterhaltungsindustrie<br />

ist.<br />

Der kritische Geist solcher »Appropriation Art« bedient sich der<br />

Repräsentationen der von den Medien besetzten Information. Wie aber<br />

steht es mit jenen Produzenten von Information, die sich vom Journalismus<br />

her in die medienaktivistische Kunstzone vorwagen, gewissermassen Hugo<br />

Balls weiter oben erwähnte Basis-Kritik des Journalismus von 1916 durch<br />

die Medien selbst lancieren? Die Taktiken der experimentellen<br />

»Independent«-Medien mit ihrem Individuationsslogan »Be your own<br />

media!« schneiden sich mit denen der sogenannten »Self-Medias«, wie sie<br />

in der Kunst bereits seit den späten 1960er Jahren existieren. Dabei handelte<br />

es sich noch um relativ bescheidene, individuelle Alternativen zu den<br />

Massenmedien, die sich so nahe als möglich am Geschehen, der gelebten<br />

59


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Realität, bewegen, um die Isolation der Kunstwelt aufzuheben. Kunst-<br />

Infiltration in die Sphären der Informationsmedien, wie sie ab den neunziger<br />

Jahren etwa Pierre Huyghe mit seinen »Mobil TV«-Projekten realisierte,<br />

sollte es den Journalisten ihrerseits einfach machen, von der<br />

Information her über die unsichtbare Demarkationslinie in die Kunst<br />

überzuwechseln. Denn für den Journalisten ist die Kunst eine Freizone,<br />

ganz im Sinne von Gilles Deleuze, der die künstlerische Aktivität als Akt<br />

der Resistenz gegen den Fluss des Kapitalismus verstand. Dabei geht es<br />

aber heute nicht mehr darum, im Stil der Künstler der 1980er Jahre das<br />

semantische System der Regimes der Repräsentation im globalen Netzwerk<br />

zu analysieren. Was die Kunst der Information heute bieten kann, ist ein<br />

Refugium ausserhalb von Vereinfachungen und Entertainment – eine Freiheit,<br />

die nicht von fehlenden Zuschaueranteilen kastriert und vom Druck<br />

des Medienkriegs kontrolliert wird. Und weil Kunst nicht nach Quoten<br />

gemessen wird, hält sie einer alternativen Form von Information den Weg<br />

offen, sich unter ihrem Schutz zu entwickeln, um von hier aus unabhängige<br />

Stimmen, die sonst ungehört blieben, in die flurbereinigte Medienlandschaft<br />

zu tragen. Der positive Einfluss dieses Transfers käme selbstverständlich<br />

nicht nur den Ideologien der Massenmedien zu gute, sondern<br />

auch den Erzeugnissen der Independent Media, denen bisweilen etwas<br />

mehr Komplexität ihres eigenen Weltbilds Not täte.<br />

»Ästhetik des Widerstreits« — Wie aber hält es die Kunsttheorie der Gegenwart<br />

mit der gesellschaftlichen Bestimmung der Kunst, mit der »Art<br />

engagé«, so wie sie die Avantgarden seit den »Aktionsausschüssen revolutionärer<br />

Künstler« bis in die 1960er und 1970er Jahre des letzten Jahrhunderts<br />

auf ihre Banner geschrieben hatten? Wolfgang Welschs Ȁsthetisches<br />

Denken« lenkt die soziale Mission der Kunst, insofern sie Gültigkeit für<br />

ihre zeitgenössische Gegenwart beanspruchen darf, wieder hin zur Affirmation,<br />

obschon die seit den klassischen Avantgarden mittlerweile postmodern<br />

gewordene Kunst nicht mehr im Dienste eines Ideals steht. Im<br />

ästhetischen Diskurs des 21. Jahrhunderts hat sich die Kunst zum Spiegel<br />

der real existierenden Pluralität der Gesellschaft gewandelt. Für Welsch<br />

erschöpft sich ihr Zweck im Abbilden der Welt als Wegweiser durch die<br />

Komplexität der Verhältnisse. Vom Glauben an die Veränderbarkeit der<br />

Gesellschaft hat sich Welsch verabschiedet und setzt sich in Anlehnung an<br />

François Lyotard für eine «Ästhetik des Widerstreits» ein. Der Kunstdiskurs<br />

findet demnach innerhalb des Systems statt und greift nicht auf ein ausser<br />

60


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

ihr Liegendes über. Welsch: »Die postmoderne Ästhetik geht nicht von<br />

einem archimedischen Punkt jenseits der Kunst aus und stützt sich auch<br />

in ihrem gesellschaftlichen Widerstand nicht auf einen solch jenseitigen<br />

Punkt, sondern sie analysiert inmitten der Wirklichkeit und ihrer Spannung.<br />

Das ist realistischer und heute vielleicht allein aussichtsreich.«<br />

Die Situation der Klassischen Avantgarde, zu der Paul Klee zählt, war<br />

eine andere. Ihre Virulenz bestand im Widerstand sowie im »Spiel« mit<br />

dem Willen zur Macht, mit dem Potential jenes despotischen Künstlerindividuums<br />

Nietzscheanischen Zuschnitts: »Ihr Werk ist ein instinktives<br />

Formenschaffen, Formenaufdrücken, es sind die unfreiwilligsten, unbewusstesten<br />

Künstler, die es gibt. Sie wissen nicht, was Schuld, was Verantwortlichkeit,<br />

was Rücksicht ist, diese geborenen Organisatoren; in ihnen<br />

waltet jener furchtbare Künstler-Egoismus, der wie Erz blickt und sich im<br />

›Werke‹, wie die Mutter in ihrem Kinde, in alle Ewigkeit gerechtfertigt<br />

weiss.« (Friedrich Nietzsche) Prominente Exegeten der Moderne wie Jean<br />

Clair oder Hans Magnus Enzensberger greifen die Analogie zwischen<br />

Despot und Künstler auf und gehen in Richtung Mitschuld der Avantgarde<br />

an den politischen Terrorregimes des 20. Jahrhunderts. Avantgarde<br />

bezeichnen sie als »erste Manifestation der Massenbarbarei«, als »Ausdruck<br />

des Willens zur Macht, der auf das politische Anwendungsgebiet<br />

wartete« (Jean Clair). Unter dieser Leseweise mutieren etwa Piet Mondrian<br />

oder Kasimir Malewitsch bei Jean Clair zu »militanten Kämpfern (...)<br />

intolerant und fanatisch.« Beat Wyss ist moderater: »Zumindest in ihrem<br />

messianischen Vordenkertum war die Kunst der Moderne nicht nur Opfer,<br />

sondern auch Täter. Bei dieser Feststellung geht es nicht um das Anschwärzen<br />

einer früheren Generation aus dem sicheren Blickwinkel der späten<br />

Geburt, sondern um die Erkenntnis, dass die Kunst niemals ganz anders<br />

und viel besser ist als ihre Zeit.«<br />

In Opposition zur Theorie der Mitschuld stehen Avantgarde-Spezialisten<br />

wie Greil Marcus oder Roberto Ohrt, die mit frischem Blickwinkel<br />

und unorthodoxer Methodik am Avantgarde-Modell Peter Bürgers aus<br />

den siebziger Jahren weiterdenken. Danach haben die klassischen Avantgarde-Bewegungen<br />

den eigenen Lebens- und Kunstbegriff ebenso in Frage<br />

gestellt wie die vorhergegangenen, die sie bekämpften. Der wirksamste<br />

Terror, der unter dieser Betrachtungsweise von den Aposteln der Avantgarde<br />

ausging, ist der autodestruktive, in den sich das provokante, moderne,<br />

modische, dilettantische, ungerührte und unproduktive Wesen des<br />

Avantgardisten hineinzusteigern pflegte.<br />

61


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Traum und Lüge — Wie unterschiedlich die Auseinandersetzung der Kunst<br />

mit dem Despotismus geworden ist, zeigen beispielhaft zwei Werke, die<br />

sich im Abstand von siebzig Jahren mit dem spanischen Franco-Regime<br />

auseinandersetzen. 2004 lässt der junge spanische Künstler Fernando<br />

Sánchez Castillo in seiner Video-Arbeit »Gato Rico muere de un Ataque<br />

al Corazón en Chicago / Rich Cat Dies of Heart Attack in Chicago« ein<br />

monumentales, in Stahl gegossenes Porträt des Ex-Diktators<br />

Franco malträtieren. An ein Auto gebunden, wird es über einen<br />

holprigen Platz gezerrt. Diese Arbeit steht in einer Bildtradition,<br />

die für die Demontage herrschaftlicher Systeme steht, beginnend mit den<br />

Pariser Kommunarden, als diese 1871 auf der Place Vendôme die Siegessäule<br />

in Schutt und Asche legten, bis hin zu den Fernsehbildern, auf denen<br />

im Irak vom amerikanischen Militär inszeniert Statuen von Saddam Hussein<br />

niedergerissen wurden. 31 Jahre nach Francos Tod sorgt diese Arbeit<br />

noch immer für Aufregung. »Es war schon eigenartig«, so Castillo in einem<br />

Interview, »ich musste die Arbeit in Spanien einer Kommission vorlegen,<br />

da ich damit auch in Brasilien auf der Biennale São Paulo vertreten war.<br />

Und da meinte man, nun ja, spanische Soldaten sind gerade im Irakkrieg,<br />

und sie thematisieren da unsere eigene Diktatur, das gibt gewisse Probleme.<br />

Also wurde ich ein bisschen zynisch, und meinte: Na ja, sehen sie es doch<br />

so: wir kämpfen aktuell gegen einen Diktator und ich kämpfe in meinem<br />

Video gegen einen Diktator. Alles in allem würde ich aber sagen, es gibt<br />

noch genug Menschen in Spanien, die die Zeit Francos nicht als reine<br />

Diktatur ansehen.«<br />

Gemeinsam mit Castillos Videoarbeit zeigt die Ausstellung »Lost<br />

Paradise« von Pablo Picasso die 1937 entstandene, comicartig aufgebaute<br />

Grafikfolge »Sueño y mentira de Franco« (»Traum und Lüge Francos«)<br />

als Zeugnis der Parteinahme des Künstlers für das republikanische<br />

Spanien und als ein Beispiel politischer »art engagé«,<br />

die sich ihrerseits auf die Druckgrafiken der »Desastres de la<br />

Guerra« (1810–1820) von Francisco de Goya beziehen. Die »Desastres«<br />

zeigen die Folgen und Gräueltaten während der napoleonischen Herrschaft<br />

und dem Unabhängigkeitskrieg der spanischen Bevölkerung. Picasso Bilderfolge<br />

»Sueno y mentira« ist im gleichen Jahr wie das monumentale<br />

Antikriegsbild »Guernica« (siehe S. 35) für den spanischen Pavillon der<br />

Weltausstellung in Paris entstanden. Ursprünglich wollte Picasso »Traum<br />

und Lüge Francos« in grosser Stückzahl vervielfältigen, um die Kopien<br />

von Flugzeugen aus über jenen spanischen Städten abzuwerfen, die in der<br />

62


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Hand von Francos Nationalisten waren. Schliesslich wurde die Auflage<br />

reduziert und an Sammler verkauft. Der Erlös ging an die Republikaner<br />

nach Spanien.<br />

Die Darstellbarkeit der Realität — Wie wenig man sich auch den Zeichnungen<br />

entziehen kann, mit denen Pablo Picasso den Alptraum Franco<br />

schildert, so unweigerlich fragt der Betrachter doch nach der Darstellbarkeit<br />

des Grauens, mit dem es der Künstler aufnimmt. Hugo Ball und seine<br />

Spiegelgasse-Dadaisten haben die Kunst in die Krise gestürzt, indem sie<br />

den Sinn der Welt in Trümmer schlugen und zur General-Dekomposition<br />

der Fundamente der Klassischen Ästhetik ansetzten. Dabei haben sie, ohne<br />

Nutzniesser ihrer eigenen herkulischen Tat sein zu wollen, den Weg frei<br />

gemacht für eine neue »surrealistische« und später »informelle« Ästhetik.<br />

Georges Bataille hat diesen Prozess in der Revue »documents« zwischen<br />

1929 und 1930 theoretisch reflektiert und formuliert: von »goût« hin zu<br />

»désir«, von »beauté« hin zu »intensité«, von »forme« hin zu »informe«.<br />

Auf diese Weise veränderte sich der Wahrnehmungsfokus seit der Zeit des<br />

Surrealismus sowohl für den Schöpfer wie für den Betrachter. Die Welt<br />

wurde »informell«, das Universum zu einer Art »Speichelfleck«, wie Bataille<br />

sagt, und zum Thema für die Kunst, in deren Ikonographie die Sonne<br />

nicht mehr die Dinge der Welt erleuchtet, sondern die Menschen bis<br />

zum hellen Wahnsinn blendet, bis sie sich schliesslich einen Finger ausreissen<br />

oder das Ohr abschneiden, bis das Auge nicht mehr im Zentrum des<br />

Gesichts liegt, als Fenster der Seele, sondern zur »friandise cannibale«<br />

wird, die wir heute noch in Luis Buñuels »Chien andalou« mit aufgeregtem<br />

Ekel von der Leinwand saugen. Moderne Kunst beginnt für Bataille in<br />

jenem Moment, in dem die gleichen Ursachen aufhören, die gleichen Effekte<br />

zu erzielen.<br />

Solche absonderlichen Bewusstseinsmomente, die das Gesichtsfeld<br />

verschieben, stellen die Frage nach der objektiven Reproduzierbarkeit des<br />

Anscheins und zetteln eine Diskussion um die Nimesis, die Darstellbarkeit<br />

in der Kunst, an. Schon Honoré de Balzac goss Öl ins Feuer, als er in dem<br />

schönen Stück phantastischer Literatur »Das unbekannte Meisterwerk«<br />

schrieb: »Versuch die Hand deiner Geliebten in Gips zu giessen und lege<br />

sie vor dich hin; du wirst ein entsetzliches Leichenteil vor dir sehen, ohne<br />

jede Ähnlichkeit, und du wirst gezwungen sein, den Mann mit dem Meissel<br />

aufzusuchen, der, ohne sie genau zu kopieren, dir die Bewegung und<br />

das Leben dieser Hand gestaltet. Wir müssen den Geist, die Seele, die<br />

63


Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

Physiognomie der Dinge und Lebewesen erfassen.« Hans Belting beschreibt<br />

anhand der berühmten Balzac-Novelle den Kampf des modernen Künstlers<br />

um ein Ideal von Kunst, in dem er nicht gewinnen kann: »Im Ideal der<br />

Vollendung verbarg sich eine Idee von Kunst, die gar nicht an der Praxis<br />

orientiert war. Der Widerspruch zwischen Idee und Werk liess sich nicht<br />

auflösen, weil nur die Idee absolut sein konnte. In dem Augenblick, da sie<br />

Werk wurde, musste sie verloren gehen. (...) Ein Gemälde enthielt das<br />

Ideal der Vollendung paradoxerweise nur so lange, wie es unvollendet war.<br />

So lange versprach es, einen unmöglichen Beweis zu erbringen. (...) die<br />

Kunst war eine Fiktion und kein Werk.« Georges Batailles »Informe« trug<br />

nicht unwesentlich dazu bei, dass sich eine destruktive Ambiguität der<br />

künstlerischen Wahrnehmung bemächtigte, eine scheinbare Unordnung<br />

der Nicht-Offensichtlichkeit gegen die Ordnung des Bekannten. Georges<br />

Didi-Huberman hat in »La ressemblence informe«, herausgearbeitet, dass<br />

»informe« dabei aber nicht Verweigerung, sondern eher spezifische Hinterfragung<br />

der Form im Sinne etwa von Alberto Giacometti – oder Paul<br />

Klee – bedeute.<br />

Hiroshima mon amour — Nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte Batailles<br />

Befreiungsschlag das Kino. »Hiroshima mon amour«, ein Coprodukt der<br />

Schriftstellerin Marguerite Duras und des Cineasten Alain Resnais, der<br />

1955 den Dokumentarfilm »Nuit et brouillard« über die Befreiung des<br />

Konzentrationslagers Buchenwald realisiert hat, versinnbildlicht auf verschiedene<br />

Art die postapokalyptische Transformation des Mediums Films.<br />

Denn »Hiroshima mon amour« führt vor, wie von der Form ein psychologisch<br />

und sozial desintegrierter, informeller Kadaver übrig blieb. Die<br />

durch die Atombombe konkret gewordene Angst vor dem Weltuntergang<br />

drängte sich dem Bewusstsein der Nachkriegszeit unerbittlich auf. Schriftsteller<br />

ebenso wie Maler wurden mit dieser alltäglichen Wirklichkeit unmittelbar<br />

konfrontiert. Schreiben und Malen erschienen nun als Existenziale<br />

nicht mehr durch den humanistischen Glauben an einen Auftrag der<br />

Kunst motiviert, sondern wurden zum Ausdruck der Unmöglichkeit eines<br />

natürlichen und unbefangenen Lebens.<br />

Der 1959 fertig gedrehte Film »Hiroshima mon amour« spiegelt die<br />

traumatische Situation der politischen und ethischen Orientierungslosigkeit.<br />

Die Bildsprache führt über die Kernspaltung in die Abstraktion nichtidentifizierbarer,<br />

bewegter Elemente. »Tu n’as rien vu à Hiroshima«,<br />

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Lost Paradise – »Tu n’as rien vu à Hiroshima«<br />

spricht eine männliche Stimme mit starkem japanischem Akzent aus dem<br />

Off. Vor der entstellten Kulisse der ausradierten Stadt suchen die beiden<br />

traumatisierten Protagonisten des Films wie Adam und Eva nach dem<br />

Sündenfall eine Zukunft jenseits der Trümmer der Vergangenheit. Auf den<br />

heutigen Betrachter wirkt »Hiroshima mon amour« so, als ob darin das<br />

Ende der Geschichte in einer uferlosen, schwülen japanischen Nacht zelebriert<br />

würde. In der magischen Stille nach dem hereingebrochenen Fatum<br />

ist selbst Kultur nur mehr ein Gräberfeld. Die Zeitrechnung geht sukzessive<br />

in die Postmoderne über. Hubermann dazu: »Es geht nicht um einen<br />

tatsächlichen Abbruch des geschichtlichen Prozesses oder des künstlerischen<br />

Tuns, sondern um den Gang der Geschichte, die ihr Ende überlebt,<br />

weil sie von ihm gelebt hat, von der Phänomenologie einer Kunst, die durch<br />

die Bedrohung des Todes nicht gestoppt, sondern im Gegenteil unterhalten<br />

wird, als die stets wiederholte und immer wieder aufgehobene Erneuerung<br />

des eigenen Todesurteils.«<br />

Paul Klee hat in den Darmstädter Vorlesungen über »kosmogenetisch<br />

entwickelte« Malerei gesprochen und eine seiner Engel-Abstraktionen<br />

»Engel im Werden« betitelt. Dazu hat er erklärt, dass es nicht eigentlich<br />

um den Engel, sondern um den Ort seiner Entstehung gehe, um den Ort<br />

der Genesis. Diese Aussage definiert das Prinzip von der Schöpfung eines<br />

imaginären Raumes. Die Transzendenz des Seins wird auf einen äusseren<br />

Punkt gesetzt. Genau lässt sich die Transzendenz dabei nicht bestimmen;<br />

sie ist ein Fluchtpunkt ausserhalb des Bildes, gestaltlos, unbegreifbar. Und<br />

sie wird willkürlich gesetzt, um aus ihrem äusseren Ort, aus ihrer Perspektive<br />

einen »imaginären« Raum zu erschaffen. Im »Angelus novus« sind<br />

die Welten der Lebendigen und der Toten vereint, so wie sie nur von einer<br />

äusseren Perspektive – der Engelsperspektive – gesehen werden können.<br />

Kurzum: dieses Bild ist ein geschlossenes Zeichensystem, welches das paradoxe<br />

Ideal der Vollendung enthält, weil es unvollendet ist, weil die<br />

Knopfaugen des Engels nichts von dem Preis geben, was nur von einem<br />

äusseren Ort aus betrachtet werden kann. Und darum schweigt es auch:<br />

»Tu n’as rien vu à Hiroshima«.<br />

65


Wenn ein Mensch<br />

die Hölle nicht versteht,<br />

so versteht er<br />

nicht sein eigenes Herz.<br />

Alfred Tennyson<br />

66


Fazal Sheikh<br />

Ohne Titel, aus: Afghan Children Born in Exile, 1998<br />

Afghan Children Born in Exile<br />

Der in New York geborene Fotograf Fazal Sheikh dokumentierte Ende der 1990er Jahre die Zustände der<br />

Auf fanglager im Norden von Pakistan.<br />

Zu sehen sind weder Wunden, katastrophale sanitäre Verhältnisse, noch der Hunger. Was Fazal Sheikh<br />

uns vor Augen führt, sind Porträtfotografien von Kindern und Jugendlichen. Allein der Titel verrät deren<br />

Schicksal. »When two bulls fight, the leg of the calf is broken«, schreibt Fazal Sheikh. Seine subtilen Kinderporträts<br />

sprechen es kommentarlos aus: »Wenn zwei Stiere kämpfen, ist das Bein des Kalbes gebrochen.«<br />

Es handelt sich um »Afghan Children Born in Exile«, im Exil geborene afghanische Kinder in Nordpakistanischen<br />

Flüchtlingslagern. Ihre Heimat kennen sie nicht. Ihre Gesichter sind maskenhaft, ohne jede<br />

Mymik. Kein Lächeln ist ihnen zu entnehmen. Die Kinder sind Teil eines Volkes, das seine Heimat nicht kennen<br />

gelernt hat. Afghanistan hat an mehreren Bürgerkriegen gelitten: Zuerst am Krieg der Mujahedins gegen<br />

Russland, und dann an den Kämpfen von verschiednen Gruppierungen im Land, bis zum Regime der Taliban.<br />

Die Spuren des leidgeprüften Landes widerspiegeln sich in den grossen Augen der Kinder. Insofern ist jedes<br />

Kind ein Engel der Geschichte.<br />

67


Fazal Sheikh, Ohne Titel, aus: Afghan Children Born in Exile, 1998<br />

68


Nan Goldin<br />

Nan one month after being battered, 1984<br />

Die amerikanische Fotografin Nan Goldin thematisiert in ihren Arbeiten Sex, Drogen und Gewalt. Quelle und<br />

Inspiration für die schonungslos aufgenommenen Bilder sind ihr Leben und ihr Freundeskreis.<br />

Das Selbstporträt von 1984 zeigt das das durch schwere Verletzungen entstellte Gesicht der Künstlerin.<br />

Die Augenpartie ist durch die erlittenen Schläge, die bereits einen Monat her sind, noch immer verfärbt.<br />

Vor wurfsvoll blickt Nan Goldin direkt in die Kamera. Wem gilt dieser herausfordernde Blick? Uns, ihrem<br />

damaligen Freund, der sie mit Fäusten traktierte, oder ihr selber?<br />

Die Spuren in ihrem Gesicht sind Zeugnis eines Zusammenseins, das von nahester Zweisamkeit, Intimität<br />

und Liebe in Verachtung und Ignoranz, Respektlosigkeit und Gewalt umschlagen kann. Die Fotografie<br />

konfroniert uns direkt und ohne Umschweife mit den Spuren körperlicher Gewalt. Sie hält uns den Spiegel<br />

des anderen Ichs vor das Gesicht, deckt auf, was sich Verborgenen vollzieht: Erschrocken erkennen wir, was<br />

wir imstande sind uns selbst anzutun, ob wir nun jemanden schlagen oder wir jemanden zum Schlagen herausfordern..<br />

69


Alberto Giacometti<br />

Frau aus Venedig I, 1956<br />

70


Ralph Eugene Meatyard<br />

Romance of Ambrose Bierce #3, aus: Portfolio # 3, 1964<br />

71


Vom Paradies kann ich<br />

nicht sprechen,<br />

denn ich war nicht dort.<br />

Sir John Manderville (14Jhd.)<br />

72


Dmitri Baltermants<br />

Chto takoe chelovek? (What kind of man is this?), 1943<br />

Der russische Photograph Dmitri Baltermants war während des zweiten Weltkriegs Fotoreporter bei der<br />

Roten Armee. Seine Bilder dokumentieren den kollektiven Schock, das Grauen des Krieges sowie das individuelle<br />

Leid.<br />

Die Fotografie »Chto takoe chelovek? (What kind of man is this)« entstand nach dem Massaker der<br />

Nazis 1942 im Krim-Dorf Kerch. Gefallene Männer liegen reihenweise auf einem Feld. Der düstere Himmel<br />

unterstreicht die Dramatik. Es scheint, als sei die Welt still gestanden und die Szene eingefroren, tot, starr.<br />

Überlebende suchen verzweifelt nach ihren Familienangehörigen. Einige sind fündig geworden. Eine Frau<br />

entdeckt unter den Leichen ihren Mann. Eine andere trauert in gebückter Haltung. Die Hoffnung, dass er<br />

doch nicht unter denjenigen sein könnte, die hier liegen, zerschlägt sich binnen des Bruchteils einer Sekunde.<br />

Baltermants hält diesen Moment der niederschmetternden Wahrheit, des Erkennens fest und dokumentiert<br />

damit das Moment der Gewissheit, dass er nie mehr wieder zurückkommt. Es gibt keinen Zweifel mehr, nur<br />

noch grosses Leid.<br />

73


Pablo Picasso<br />

Sueño y mentira de Franco, 1937<br />

Erst der Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1936 weckte Pablo Picassos politisches Engagement.<br />

Mit künstlerischen Mitteln griff er in den Kampf ein. In Anerkennung seines persönlichen Einsatzes für die<br />

Republikaner wurde er in Abwesenheit zum Direktor des Museo Nacional del Prado in Madrid ernannt.<br />

Unter dem Titel »Sueño y mentira de Franco« schafft er zwei grosse Radierungen mit je neun Szenen.<br />

Mit dem ersten Blatt begann Picasso am 8. Januar 1937 und vollendete es noch am gleichen Tag. Es enthält Karikaturen<br />

des Generals Francisco Franco. Das zweite Blatt blieb bis zum 7. Juni liegen. Thematisch be schäftigte<br />

er sich in den neun Bildern der zweiten Radierung mit einer Karikatur, zwei Allegorien auf das leidende<br />

Spanien und zwei Darstellungen des republikanischen Stiers im Kampf mit dem »Franco-Ungheuer«. Die vier<br />

im Juni entstandenen Bildsequenzen zeigen Motive wie die schreiende Frau und die Mütter, die sich um ihre<br />

Kinder sorgen, die wir aus seinem grossen Antikriegsbild »Guernica« kennen. Mit diesem Wandgemälde für<br />

die Weltausstellung von 1937 in Paris reagierte Picasso auf die Bombardierung des baskischen Städtchens<br />

Guernica.<br />

74


Paul Klee<br />

Fliegersturz, 1920<br />

76


Paul Klee<br />

Krieg in der Höhe, 1914<br />

77


Paul Klee<br />

Sturz, 1933<br />

vorzeichen schwerer Schicksale, 1914<br />

Angelus militans, 1939<br />

Die beiden Getroffenen, 1913<br />

78


Paul Klee, Der grosse Kaiser, zum Kampf gerüstet, 1921<br />

79


Pietro Mattioli<br />

Y. Tanguy, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />

Beuys, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />

F. Léger, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />

Max Ernst, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />

Lucio Fontana, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />

G. Braque, aus: Portfolio Soldaten, 1991–1994<br />

80


Alle Bemühungen um die<br />

Ästhetisierung der<br />

Politik gipfeln in einem<br />

Punkt. Dieser Punkt<br />

ist der Krieg.<br />

Walter Benjamin<br />

81


Alfred Kubin<br />

Anarchie, 1912–1915<br />

82


Alfred Kubin<br />

Der Guckkasten, um 1915<br />

Alfred Kubins krisenreiches Leben spiegelt sich in seinem Werk, das in jeder Beziehung als fantastisch bezeichnet<br />

werden kann und von einem düsteren Grundton durchzogen ist. Der Künstler bewegte sich mit seinem fast<br />

ausschliesslich grafischen Werk auf den Wegen von Traum und Albtraum, wobei sich Wirkliches und Irreales<br />

auf verschiedenen Ebenen und Systemen vermischten. Kubin schuf Monster, Chimären und Dämonen. Er<br />

offenbarte in seinem Schaffen seine Ängste und Schreckensfantasien.<br />

Auf dem Blatt mit dem Titel »Der Guckkasten« sind vier Gestalten zu sehen, die sowohl menschliche<br />

wie insektenartige Züge aufweisen und deren Extremitäten seltsam verkrümmt sind. Die mittlere Figur im<br />

Vordergrund ist damit beschäftigt, in einen hölzernen Kasten zu gucken. Was es dort zu sehen gibt, offenbart<br />

sich dem Betrachter nicht.<br />

Die »Anarchie« zeigt Kubin in Gestalt einer schwarz gekleideten weiblichen Gestalt, die eine Peitsche<br />

über ihrem Kopf schwingt. Ihr zu Füssen sitzt eine Krähe, auf dem Boden rechts hinter ihr liegt ein Helm. Im<br />

Mittelgrund bewegt sich eine Gruppe von Soldaten. Die Szenerie spielt vor Gebäuden, von denen das eine mit<br />

fantastischen Turmelementen versehen ist, deren Funktion im Unklaren bleibt.<br />

83


Wer, wenn ich schriee,<br />

hörte mich denn aus der<br />

Engel Ordnungen?<br />

und gesetzt selbst, es<br />

nähme einer mich<br />

plötzlich ans Herz: ich<br />

verginge von seinem<br />

stärkeren Dasein.<br />

Denn das Schöne ist nichts<br />

als des Schrecklichen<br />

Anfang, den wir noch<br />

grade ertragen, und<br />

wir bewundern es so, weil<br />

es gelassen verschmäht,<br />

uns zu zerstören. Ein<br />

jeder Engel ist schrecklich.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

84


Anselm Kiefer<br />

der Engel der Geschichte, 1989<br />

85


Luc Tuymans<br />

Kristallnacht, 1986<br />

Studie zu «Gaskammer”, 1986<br />

86


Luc Tuymans<br />

Sick children, 1989<br />

Die drei Studienblätter des belgischen Malers Luc Tuymans sind im Besitz des Kunstmuseums Bern. Sie<br />

erzählen keine Geschichten. Aber sie benennen Fakten aus der Geschichte.<br />

Die Studie zum Gemälde »Gaskammer«, mit dem Tuymans vor rund zwanzig Jahren begonnen hat<br />

über die Darstellbarkeit des Grauens zu reflektieren, ist ein unscheinbares Aquarell, das aus wenigen, schon<br />

fast zärtlich gesetzten Pinselstrichen besteht. Nur die schwarz gesetzten Fenster und Abflussgitter irritieren<br />

und zwingen den Blick, das Bild genauer zu betrachten.<br />

Der Künstler, der als Maler des Unmalbaren gilt, baut auf das Wissen um die historischen Fakten,<br />

die er in seinen Bildern thematisiert. Die Gouache auf Wellkarton, schwarze Pinselzeichnungen auf einem<br />

abgedunkelten grünen Untergrund, ist abstrakt gehalten. Um zu verstehen, worauf sich der Titel »Kristallnacht«<br />

bezieht, muss man die Bilder der in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von den Nazis<br />

abgetragenen und zerstörten Synagogen gesehen haben.<br />

Luc Tuymans entwirft seine Gemälde strikt nach Vorlagen, nach Fotografien oder Videostills. Seine<br />

Bildwelt schöpft er aus der Geschichte der jüngeren Neuzeit. Er thematisiert die kollektiven und individuellen<br />

Verbrechen. Aber er zeigt nicht die Fakten des Grauenvollen. Es sind die Titel und die Bilder, die hinter den<br />

Bildern entstehen, die erst das Grauen aufkommen lassen.<br />

87


Adolf Wölfli<br />

Trauer=Marsch, 1929–1930<br />

88


Ich begreife nicht, wie<br />

eine reine Hand eine<br />

Zeitung berühren kann,<br />

ohne Krämpfe<br />

von Ekel zu bekommen.<br />

Charles Baudelaire<br />

90


Zbigniew Libera<br />

Nepal, 2003, aus der Serie »Posytywy«<br />

Im Bild »Nepal« zitiert der polnische Künstler Zbigniew Libera eine historische und eindeutig konnotierte<br />

Foto grafie. Auf den ersten Blick ist das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Pressebild von Nick Ut zu<br />

erkennen. Dies zeigt die vor dem Napalm Angriff flüchtenden Kinder, in der Mitte die nackte, damals acht<br />

Jahre alte Kim Phuc, die schwere Brandverletzungen erlitten hat. Liberas Kinder schreien jedoch nicht. Sie<br />

lachen und rennen aus Spass. Die Anordnung der Personen auf dem Bild entspricht dem Vorbild. Anstelle<br />

einer Strasse ist ausgetrocknetes Ackerland zu sehen. Die Stimmung ist trotz der fröhlichen Kinder düster, der<br />

Himmel verhangen.<br />

Unsere Aufmerksamkeit richtet sich gleich auf das nackte Mädchen, das mit leicht erhobenen Armen<br />

und mit nach vorne gebeugtem Körper auf uns zuzurennen scheint. Im Gegensatz zum Vorbild erschliesst sich<br />

uns bei diesem Bild kein Sinn. Es ist unerklärlich, was das nackte Mädchen inmitten der Gruppe von Kindern<br />

und Erwachsenen in Gleitschirm-Ausrüstung verloren hat.<br />

Das Bild wird vom Künstler mit einer zusätzlichen Narrationsebene versehen, indem er es als Pressebild<br />

inszeniert. Es scheint, als wäre es aus einer Zeitschrift herausgerissen worden. Unten rechts stehen Textfragmente.<br />

Hieraus ergibt sich auch der Titel des Werks: »Nepal«, was wiederum direkt auf »Napalm« verweist.<br />

91


Zbigniew Libera<br />

Mieszkancy, aus: Pozytywy, 2003<br />

Porazka W Przelaju, aus: Pozytywy, 2003<br />

92


Galic/Gredig<br />

Ohne Titel, aus: Ma biće bolje, 2001–2005<br />

Goran Galic, geb. 1977 in Luzern, und Gian-Reto Gredig, geb. 1976 in Chur, leben beide in Zürich. Ihre<br />

Arbeit lebt einerseits von der Bilderlust, von der Faszination des Bildes, das uns in diese Welt hineinzieht,<br />

und andererseits vom Ikonoklasmus, vom grossen Bilderzweifel, vom Gedanken, dass Bilder blenden und<br />

vortäuschen, dass sie erst durch Sprache oder durch eine geeignete Anordnung kontextualisiert und damit<br />

lesbar werden. Ausgezogen, in der Heimat seiner Eltern dem Vorwurf zu begegnen, die Serben seien an allem<br />

schuld, findet sich Goran Galic, und mit ihm Gian-Reto Gredig, mit der Frage konfrontiert: Wer erklärt die<br />

Wahrheit des Bildes?<br />

93


Galic/Gredig<br />

Ohne Titel, aus: Ma biće bolje, 2001–2005<br />

94


Fernando Sánchez Castillo<br />

Gato Rico muere de un Ataque al Corazón en Chicago / Rich Cat Dies of Heart Attack in Chicago, 2004<br />

Fernando Sánchez Castillo studiert die Beziehung zwischen Geschichte und Politik, zwischen Kunst und<br />

Macht, zwischen Öffentlichkeit und kollektivem Gedächtnis. Sein Ausgangsmaterial sind die Relikte der Vergangenheit,<br />

die als Statuen und Monumente erhalten sind.<br />

Das Video »Gato Rico muere de un Ataque al Corazón en Chicago / Rich Cat Dies of Heart Attack<br />

in Chicago« beschäftigt sich mit der jüngsten Geschichte Spaniens, mit der 36-jährigen Diktatur Francisco<br />

Francos, die erst 1975 mit dessen Tod ein Ende nahm. Der absurde Titel des Videos ist eine Reverenz auf<br />

die Schlagzeile zu einem Zeitungsartikel, der 1968 in Sao Paulo erschien, als in Brasilien die Pressefreiheit<br />

abgeschafft wurde. Im Artikel wurden nicht die relevanten Aktualitäten thematisiert, sondern das ultimativ<br />

Banale vorgeführt.<br />

Das Video zeigt schrittweise, wie der abgetrennte Kopf einer Bronze-Statue diversesten menschlichen<br />

und mechanischen Einwirkungen ausgesetzt wird. Das Malträtieren des Kopfes geschieht als symbolische<br />

Handlung, die sich in ihrer Unwirksamkeit bis ins Absurde, Komische steigert. Die monumentalen und ästhetisch<br />

übersteigerten Bilder sind mit dramatischer klassischer Musik unterlegt. Gruppen von Menschen treten<br />

auf den Kopf ein. Sie schwenken Fahnen, werfen Steine, begiessen ihn mit Wasser, später mit Benzin und<br />

zünden ihn an. In der Folge wird er an ein Seil gebunden, an einen gepanzerten Wagen fixiert und von diesem<br />

herumgeschleift. Der Kopf ist ramponiert, aber nicht zerstört. Das von einem Bauer aufgefundene, deformierte<br />

objet trouvé erhält durch ihn als Eselstränke eine neue Funktion.<br />

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Fernando Sánchez Castillo<br />

Gato Rico muere de un Ataque al Corazón en Chicago / Rich Cat Dies of Heart Attack in Chicago, 2004<br />

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Jeff Wall<br />

The Crooked Path, 1991<br />

97


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Der Vorgarten zum<br />

Fruchtland<br />

98


Fesselballon Angelus novus<br />

Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Der Fesselballon wurde eigens für das Gartenprojekt »Jenseits von Eden. Eine Gartenschau« vom Zentrum<br />

Paul Klee produziert.<br />

Der Ballon ist mit einem dreifachen Aufdruck von Paul Klee’s »Angelus novus«, dem Leitmotiv der<br />

Ausstellung »Lost Paradise« im Untergeschoss des Zentrum Paul Klee versehen. An den Seilen festgezurrt,<br />

steigen die Besucherinnen und Besucher selbst in himmlische sechzig Meter Höhe und können aus der Perspektive<br />

des Engels die Welt überblicken. Die Zukunft im Rücken, im Blickfeld nur das, was bereits Vergangenheit<br />

ist. Sie werden selbst zum Engel der Geschichte.<br />

99


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

100


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

101


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Paul Mc Carthy<br />

Complicated Pile, 2007<br />

Der amerikanische Performance-Künstler und Plastiker Paul McCarthy setzt mit »Complicated Pile« ein<br />

gigantisches Zeichen hinter den Wellen des Zentrum Paul Klee. Das aus Zeltstoff hergestellte und durch<br />

Gebläse in Form gehaltene Objekt ist die genaue Nachbildung eines Hundekots. Der Protoyp stammt aus dem<br />

Atelier des Künstlers, wo dessen Hund einst sein Häufchen liegen liess. Massstabgetreu wurde die Vorlage in<br />

eine über fünfzehn Meter hohe Plastik umgesetzt.<br />

Der Künstler gilt als ein bissiger Kommentator der dunklen Seite der amerikanischen Kultur. Er setzt<br />

sich seit Beginn seines Schaffens mit den Abgründen der Zivilisation wie Sex, Macht und Doppelmoral auseinander.<br />

Das Spiel mit Exkrementen kehrt in seinem Werk mehrmals wieder. Zusammen mit seinem Künstlerfreund<br />

Jason Rhoades zeigte er 2002 gesammelte Fäkalien in Glasflaschen unter dem Titel »Shit Plug«. Das<br />

Setzen eines monumentalen Hundehaufens als künstlerische Geste kann nicht mehr als spezifischer Kommentar<br />

gelesen werden, sondern als eine Bemerkung zur Welt an sich.<br />

102


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

103


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

104


Sol LeWitt<br />

Cube, 2008<br />

Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Sol LeWitt wurde 1928 als Sohn russischer Emigranten in Hartford Connecticut geboren. 2007 verstarb er in<br />

New York. Der Künstler, der als Wegbereiter der Concept Art gilt, hat ein vielseitiges Œuvre hinterlassen. Er<br />

beschäftigte sich mit dem Wall Drawing, der Gouache, der Zeichnung, der Druckgrafik, der Fotografie und<br />

der Edition und schuf ausserdem dreidimensionale Arbeiten. Dabei ist die Form des Kubus, der Cube, eine<br />

zentrale geometrische Figur, die bereits in seinem Frühwerk auftrat. Auf der Landschaftsskulptur des Zentrum<br />

Paul Klee hinter den drei Hügeln von Renzo Piano wurde der Cube aus Kalksandsteinen in den Massen von<br />

rund 5 x 5 x 5 Metern aufgebaut. Nachdem in den 1980er und 1990er Jahren in Zürich, ausgehend von der<br />

Diskussion um einen möglichen Standort des Cube, eine intensive Debatte um Kunst im öffentlichen Raum<br />

entbrannt ist, findet nun der Cube – zumindest vorübergehend - einen Standort in Bern.<br />

105


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Claudia und Julia Müller<br />

Nachtwald, 2008<br />

Vor den Mehrfamilienhäusern auf der Wiese im Wyssloch lagern drei dunkel gestaltete, in den Dimensionen<br />

den Fassaden nachempfundene Bildinstallationen. Das Tryptichon hat den Wald, genauer den Nachtwald<br />

zum Thema. Wir sehen Ausschnitte von wuchtigen Baumstämmen vor dunklem Himmel, mit gespinstartigen,<br />

fein gezeichneten Bäumchen und Verästelungen dazwischen. Nach und nach schälen sich aus diesem Nachtwald<br />

noch weitere Bilder heraus. Das riesige Bild spielt mit unserer Wahrnehmung: Überall erkennen wir<br />

plötzlich Gesichter oder auch nur einzelne Sinnesorgane wie Zunge, Ohr und Auge. So weckt der Nachtwald<br />

dunkle Fantasien, Geschöpfe, Albtraum und Nachtmahr. Das komplexe Vexierbild, das die in Basel lebenden<br />

Schwestern Claudia und Julia Müller geschaffen haben, fügt sich in eine Reihe von Illusionsräumen, die die<br />

Künstlerinnen ausgehend von ihrem zeichnerischen Werk entwerfen.<br />

106


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

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Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

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Claire Fontaine<br />

Ibis redibis non morieris in bello, 2006/08<br />

Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Am Turm der Villa Schöngrün, die heute das Restaurant des Zentrum Paul Klee beherbergt, leuchten kreisförmig<br />

angeordnet Neonbuchstaben, die den Schriftzug »ibis redibis non morieris in bello« bilden. In der<br />

griechischen Mythologie erwartete diese sibyllinische Antwort jene Soldaten, die in den Krieg ziehen mussten<br />

und zuvor das Orakel über den Ausgang ihrer Mission befragten. Der Satz kann auf zwei gegensätzliche<br />

Arten gelesen werden. »Du wirst in den Krieg ziehen, zurückkehren und nicht sterben« ist die eine Lesart, die<br />

andere: »Du wirst in den Krieg ziehen, nicht zurückkehren und sterben«. Entscheidend ist, ob das Komma vor<br />

oder hinter dem Wort »non« gesetzt wird, doch dies sagte die Prophetin den Soldaten nicht.<br />

Die Autorschaft dieses Werks ist das Künstlerkollektiv Claire Fontaine. Es wurde 2004 in Paris<br />

gegründet und hat sich den Namen einer bekannten französischen Schulheftmarke gegeben. Mit »Fontaine«<br />

werden aber auch berühmte Kunstschaffende in Verbindung gebracht: Marcel Duchamps Urinoir heisst auf<br />

Englisch »Fountain«, und Bruce Naumanns hat ein »Selfportrait as a Fountain« geschaffen. Claire Fontaine<br />

wird als »Ready-Made-Künstlerin« definiert, deren Arbeiten häufig die Gestalt von Werken anderer Kunstschaffender<br />

annehmen. Das Kollektiv versteht seine Arbeitsweise nicht als Aneignung im Sinne der Appropriation<br />

Art, sondern will sie eindeutig als Akte von Diebstahl verstanden wissen. Diesen Diebstahl im Geiste<br />

von Robin Hood, das heisst als Aufruf zu zivilem Ungehorsam und zur politischen Agitation, betreibt das<br />

Künstlerkollektiv mittels Neonarbeiten, Plastiken, Videoarbeiten, Gemälden und Texten.<br />

109


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

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Aernout Mik<br />

Scapegoats, 2006<br />

Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Der 1962 in Groningen geborene Künstler Aernout Mik gehört zu den international höchst anerkannten<br />

Video-Künstlern seiner Generation. Er entwickelt absurde Szenen, latente Katastrophen-Situationen. Sie sind<br />

akribisch konstruiert und werden als Loop gezeigt. Mik spielt mit der Realität und führt die Betrachter<br />

in die Irre. Der Künstler geht von kollektiven Vorstellungen aus, wie sie beispielsweise über das Verhalten<br />

von Polizisten gegenüber illegalen Einwanderern herrschen, recherchiert aber bewusst nicht, wie sie sich<br />

tatsächlich verhalten. Er bedient sich des Materials Mensch wie ein Bildhauer und schafft so »lebende Installationen«.<br />

Für seine Inszenierungen arbeitet Mik mit Laiendarstellern. Im Video »Scapegoats« sind in einer<br />

grossen Halle Soldaten zu sehen, die Zivilisten bewachen. Doch die Situation verändert sich, so dass bald<br />

nicht mehr klar ist, wer die Bewacher und wer die Bewachten sind, wenn etwa Kinder beginnen, Erwachsene<br />

mit Maschinengewehren vor sich herzutreiben. Dadurch, dass der Künstler auf Sprache verzichtet, wird die<br />

Situation noch rätselhafter.<br />

111


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Joep van Lieshout<br />

Wellness Skull, 2007<br />

Der niederländische Künstler Joep van Lieshout arbeitet an der Schnittstelle von Kunst, Architektur, Design<br />

und Lebenskunst. Er konzipiert ganze Städte und deren Funktion und entwickelt Objekte und Installationen.<br />

Sein Werk dreht sich um Behausung, Verpflegung, Entsorgung, Fortbewegung und Fortpflanzung. Im Rahmen<br />

der Ausstellung »Jenseits von Eden. Eine Gartenschau« zeigt das Zentrum Paul Klee einen überdimensionalen<br />

Totenkopf, der in seinem Inneren ein Wellness Center beherbergt. Viereinhalb Meter in der Höhe und sechs<br />

Meter in der Breite misst der »Wellness Skull«. Im Nacken des Schädels ist ein kleines Bad eingebaut; der<br />

Kopf des Schädels beinhaltet eine Sauna. Der Kopf steht für Vergnügen und Gesundheit sowie Eitelkeit und<br />

Dekadenz. Die Arbeit weist auf das Sterben und Vergehen hin, sie symbolisiert den Tod, den Glauben an das<br />

Danach und das Ende des Lebens.<br />

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Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

113


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Pierre Huyghe<br />

All But One/ Alle ausser einem, 2002<br />

Das vielseitige Werk des in Paris lebenden Künstlers Pierre Huyghe besteht aus Interventionen im öffentlichen<br />

Raum, Installationen, Filmen, Videoarbeiten, Texten, Fotografien, Computeranimationen, Skulpturen und<br />

Architektur. Er ist bekannt für die Verschränkung von Realität und Fiktion, die in seinem Werk ein wiederkehrendes<br />

Element ist. Seine installativen und filmischen Arbeiten basieren oft auf der Aneignung eines realen<br />

und eines fiktiven Szenarios, hinterfragen die Zeit und das kollektive Gedächtnis. Pierre Huyghe reagiert auf<br />

bestehende Phänomene, er nimmt Themen aus der Populärkultur auf und beschäftigt sich mit Brauchtum, mit<br />

den Medien Comic und Kino. Im Zusammenhang mit dem Projekt »Jenseits von Eden. Eine Gartenschau«<br />

werden um den Egelsee zehn Freiluft-Windglockenspiele platziert, die der Künstler 2002 als Edition unter dem<br />

Titel »All But One / Alle ausser einem« entworfen hat.<br />

114


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

115


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Thomas Hirschhorn<br />

Holzweg, 2008<br />

Der in Paris lebende Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn hat die Ausseninstallation »Holzweg« nahe des<br />

Steinbruchs Ostermundigen eigens für das Zentrum Paul Klee konzipiert und geschaffen.<br />

Die Installation thematisiert die Gewalt an sich und den Willen sich dieser zu stellen. Der Holzweg<br />

führt einen bekanntlich auf die falsche Spur. Dennoch muss dieser gemäs Thomas Hirschhorn bis ans Ende<br />

gegangen werden, wo wir dem Ort des Konfliktes zwischen Natur und Kunst begegnen. Der Standort Wald<br />

steht hier für dieses Konfliktfeld. Wer den Weg zu Ende geht, befindet sich mitten im Wald mit einer Installation<br />

konfrontiert, die aus einem weissen Auto, natürlichem und künstlich hergestellten Holz in allen Dimensionen,<br />

afrikanischen Plastiken, Gartenstühlen sowie weiteren Materialien aus dem Atelier des Künstlers<br />

besteht. Die Begegnung mit der Gewalt, mit dem Negativen und die Auseinandersetzung damit sieht der<br />

Künstler als unabdingbaren Teil der Welt, dem sich niemand entziehen kann.<br />

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Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

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Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger<br />

Die Verquickung, 2008<br />

In ihrem jüngsten monumentalen Werk »Die Verquickung« haben die Schweizer Künstler Gerda Steiner und<br />

Jörg Lenzlinger in wochenlanger Feinarbeit die 150 Meter lange Museumsstrasse des Zentrum Paul Klee für<br />

den Ausstellungszyklus »Jenseits von Eden. Eine Gartenschau« in einen filigranen, künstlichen Dschungel<br />

verwandelt. In ihrer Sorgfalt und Geduld sind Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger dem Hauskünstler Paul Klee<br />

nicht unähnlich, was die beiden auch gerne eingestehen. Sie verweisen sogar auf ihre Vorlieben für die Naturwissenschaften<br />

und den Alltagshumor, die sie mit Klee teilen. Mit Ästen und besonderen Pflanzenteilen aus<br />

dem Botanischen Garten Bern haben sie Materialien aus ihrem eigenen Fundus verquickt und neue poetische<br />

Elemente geschaffen und ergänzt. Jedes Detail erzählt eine Geschichte, über die Reisen des Künstlerpaars,<br />

von Fremdem und Eigenem und über das Staunen angesichts der Welt. Innerhalb dieses wuchernden Systems<br />

pendeln ein grosses und ein kleineres »Gehänge« wie zwei Hausgeister zwischen Erd- und Untergeschoss des<br />

mittleren Hügels des Zentrum Paul Klee. Sie setzen die beiden Ausstellungen »In Paul Klees Zaubergarten«<br />

und »Lost Paradise – Der Blick des Engels« wie Himmel und Hölle miteinander in Beziehung.<br />

118


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

119


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Yoko Ono<br />

Wish Tree, 2008<br />

Der »Wish Tree« basiert auf einem Konzept der japanischen Performance-Künstlerin Yoko Ono. Demzufolge<br />

sind alle Besucher und Besucherinnen eingeladen, ihre Wünsche auf einen Zettel zu schreiben und am Wunschbaum<br />

zu befestigen. Die Wünsche werden gesammelt und an einem Ort in Island vergraben. Dieser Ort<br />

beherbergt sämtliche Wünsche, die weltweit im Zusammenhang mit Yokos Onos »Wish trees« aufgeschrieben<br />

wurden.<br />

Die Künstlerin verweist damit auf eine japanische Tradition, Wünsche auf Papier festzuhalten und an<br />

ausgewählten Kultorten zu befestigen. Der Wunschbaum vor dem Zentrum Paul Klee lebt von der Beteiligung<br />

und Intervention der Besucher. Im Zusammenhang mit der Ausstellung »Lost Paradise – Der Blick des Engels«<br />

ist er Hoffnungsträger und stille Quelle für die Utopie einer verheissungsvollen Zukunft.<br />

120


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

121


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

Livias Garten, 2008<br />

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil entwickelte zusammen mit dem<br />

Zentrum Paul Klee das Projekt »Livias Garten«. Livia Klee, Schwiegertochter Paul Klees, lernte ihren Mann<br />

Felix Klee bereits als Kind im Bauhaus in Dessau kennen. Entsprechend ihren Erinnerungen ist auf dem<br />

Gelände vor dem Zentrum Paul Klee ein »Bauhausgarten« nachempfunden worden, der eine kleine Zeitreise<br />

in jene kultivierte Natur ermöglicht, die auch Paul Klee als Bauhaus-Lehrer mitgestaltete. Entstanden ist eine<br />

vielfältige Welt aus streifenartig angelegten Beeten mit Büschen und Blumen, Weidenhäusern und Erdhügeln.<br />

»Livias Garten« lädt kleine und grosse Besucher ein zum Spielen, Verstecken, Verweilen und Entdecken.<br />

122


Jenseits von Eden. Eine Gartenschau<br />

123


31.Mai. bis 26. Oktober 2008<br />

Zentrum Paul Klee, Bern<br />

Jenseits von Eden – Eine Gartenschau<br />

Lost Paradise – der Blick des Engels<br />

Werkliste<br />

Francis Alÿs, Untitled, (An Eye for an Eye),<br />

2000–2003, Courtesy the artist and Galerie Peter<br />

Kilchmann<br />

Nobuyoshi Araki<br />

Untitled, aus der Serie Bondage, 1997, Farbfotografie,<br />

51 x 61 cm, Sammlung Thomas Koerfer<br />

Untitled, aus der Serie Private Diary, 1996, Farbfotografie,<br />

51 x 61 cm, Sammlung Thomas Koerfer<br />

Hugo Ball, animierte Fotografie 2005,<br />

Kunstumsetz ung, Zürich<br />

Dmitri Baltermants, Chto takoe chelovek? (What kind<br />

of man is this), 1943, Abzug auf Silbergelatinepapier,<br />

48 x 57.3 cm, Sammlung Thomas Koerfer<br />

Max Buri, Bildnisstudie eines bärtigen Mannes, um<br />

1895, Oel auf Leinwand, 25.2 x 20.6 cm,<br />

Kunstmuseum Bern, Geschenk Emil Buri, Oberhofen<br />

Larry Clark, Accidental Gunshot Wound,<br />

aus: Tulsa Portfolio, Publishing Inc., NY,<br />

1980, Silbergelatine-Abzug, 20.8 x 31.3 cm,<br />

Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />

Tacita Dean, Russian Ending, 2001, 20-teilig, Fotogravur,<br />

Sammlung Fotomuseum Winterthur, Ankauf<br />

mit Unterstützung von Thomas Koerfer<br />

Olafur Eliasson, Ohne Titel, aus: Island Series,<br />

C-Print, 60 x 89 cm, Sammlung Fotomuseum<br />

Winterthur, Dauerleihgabe Sammlung Andreas Züst<br />

Peter Fischli/ David Weiss, Ohne Titel (Kleine Wurzel),<br />

1987, Synthetischer Gummi, gegossen, 46.5 x 57 x 37<br />

cm, Courtesy the artists and Galerie Eva Presenhuber,<br />

Zurich; Monika Sprüth & Philomene Magers,<br />

Cologne/Munich/London; Mathew Marks Gallery,<br />

New York<br />

Claire Fontaine<br />

Ibis redibis non morieris in bello, 2006/2008<br />

Robert Frank, Hoboken, New Jersey, 1955/c.1990,<br />

Silbergelatine-Abzug, 38.9 x 58 cm, Sammlung<br />

Fotomuseum Winterthur, Nachlass George Reinhart<br />

124<br />

Goran Galic/Gian-Reto Gredig, Ma bice bolje,<br />

2001–2005, C-Prints und Video auf DVD,<br />

14 min 15 sec, auf Aluminium, Sammlung<br />

Fotomuseum Winterthur, Ankauf mit Unterstützung<br />

des Bundesamtes für Kultur<br />

Alberto Giacometti, Frau aus Venedig I, 1956, Bronze,<br />

106 x 13.5 x 29 cm, Kunstmuseum Bern<br />

Nan Goldin, Nan one month after being battered,<br />

1984, Cibachrome Print, 50.8 x 61 cm,<br />

Sammlung Thomas Koerfer<br />

John Gossage<br />

Liesenstr., aus: Berlin in the Time of the Wall,<br />

1988/2006, Silbergelatine-Abzug, 23.3 x 16.8 cm,<br />

Sammlung Fotomuseum Winterthur, Ankauf<br />

mit Unterstützung der Johann Jacob Rieter-Stiftung,<br />

Winterthur<br />

Inside the «No mans Land», Lennéstr., aus: Berlin in<br />

the Time of the Wall, 1985/2006,<br />

Silbergelatine-Abzug, 36.3 x 45.5 cm, Sammlung<br />

Fotomuseum Winterthur, Schenkung John Gossage im<br />

Gedenken an George Reinhart<br />

Hiroshima Peace Memorial Museum<br />

Melted head of Buddhist statue, Mikio Karatsu,<br />

1988/07/16, 12.5 x 10.5 x 4.5 cm<br />

School Uniform, Segawa Masumi, 2001/09/27,<br />

12.5 x 10.5 x 4.5 cm<br />

Marble, Yukimi Matsuda, 1983/06/29,<br />

12.5 x 10.5 x 4.5 cm<br />

Dress, Hiroshi Terao, 1973/07/30, 53 x 94 cm<br />

Ceramic Bottle, Yoshiaki Chagawa, 2001/01/18<br />

Thomas Hirschhorn, Holzweg, 2008, Installation<br />

Ferdinand Hodler (zugeschrieben), Studienkopf nach<br />

einem kahlköpfigen Alten im offenen Hemd,<br />

um 1874, Öl auf Leinwand auf Karton aufgezogen,<br />

51 x 35 cm, Kunstmuseum Bern<br />

Pierre Huyghe, All But One/ Alle ausser einem, 2002<br />

Anselm Kiefer, der Engel der Geschichte, 1989, Acryl,<br />

Emulsion und Deckweiss auf Photographie, Collage,<br />

84 x 92.5 cm, Sammlung Gerd de Vries, Berlin<br />

Alfred Kubin<br />

Die Leimfabrik, 1912, Tusche, Feder, aquarelliert,<br />

19.9 x 31.2 cm<br />

Der Guckkasten, um 1915, Tusche, 36.4 x 26.4 cm,<br />

Angst, ca. 1900, Tusche, Feder, laviert, gespritzt,<br />

24.8 x 32.4 cm<br />

Anarchie, 1912–1915, Tusche, Feder, aquarelliert,<br />

38.8 x 30.9 cm<br />

Haushammerlinde, ca. 1900, Tusche, Feder, laviert,<br />

ge spritzt, 16.3 x 30.4 cm<br />

alle ALBERTINA, Wien


Salomon Landolt, Brand einer Kirche, Öl auf Holz,<br />

30.6 x 36.5 cm, Kunstmuseum Bern,<br />

Geschenk Herr von Fischer-Manuel, Bern<br />

Pierre Nicolas Legrand (de Sérant), Kains Brudermord,<br />

um 1820, Oel auf Leinwand, 67 x 81 cm, Kunstmuseum<br />

Bern, Geschenk Elise Neynens-Kissling, Bern<br />

Leopold Lindberg, Matto regiert, 1947, Film (Ausschnitt)<br />

Sol LeWitt, Cube, 2008, Kalksandstein, 5 x 5 x 5 m<br />

Zbigniew Libera<br />

Pozytywy, 2003, 8-teilige Serie, C-Print, 129 x 170.5<br />

cm, Sammlung Fotomuseum Winterthur,<br />

Schenkung Thomas Koerfer<br />

Concentration Camp, 1996, Lego-Bausatz, Haus der<br />

Geschichte der Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land, Bonn<br />

Pietro Mattioli<br />

Portfolio Soldaten, 1991–1994, 9 Silbergelatine-<br />

Abzüge, Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />

Paul McCarthy, Complicated Pile, 2007, Vinyl überzogenes<br />

Nylonfabrikat, 6 Gebläse, Unikat,<br />

1575 x 3350 x 1580 cm, Courtesy the artist and<br />

Hauser & Wirth Zürich London<br />

Jean-Luc Godard, De l’Origine Du XXIe Siecle, 2000,<br />

Film<br />

Paul Klee<br />

Die beiden Getroffenen, 1913, 85, Feder auf Papier<br />

auf Karton, 7,1 x 8 cm, ZPK, Bern<br />

Der <strong>Deutsch</strong>e im Geräuf, 1914, 167, Feder auf Papier<br />

auf Karton, 16,4 x 24,8 cm, ZPK, Bern<br />

tod auf d. Schlachtfeld, 1914, 172, Feder auf Papier<br />

auf Karton, 9/8,5 x 17,3/17,6 cm, ZPK, Bern,<br />

Schenkung Livia Klee<br />

Krieg in der Höhe, 1914, 173, Feder auf Papier auf<br />

Karton, 12 x 17/17,5 cm, ZPK, Bern<br />

vorzeichen schwerer Schicksale, 1914, 178.a, Feder<br />

auf Papier auf Karton, a) 7,3 x 18,8 cm b)<br />

8,9 x 11,8 cm, ZPK, Bern<br />

Der Tod für die Idee, 1915, 1, Lithographie auf Karton,<br />

15,6 x 8,6 cm, ZPK, Bern<br />

nebel überziehn die untergehende Welt, 1915, 15,<br />

Feder auf Papier auf Karton, a) 8 x 4,6 cm b)<br />

11,3 x 12,1 cm, ZPK, Bern<br />

Zerstörung und Hoffnung, 1916, 55, aquarellierte<br />

Lithographie, 40.5 x 33 cm, ZPK, Bern<br />

als ich Rekrut war, 1916, 81, Feder auf Papier auf<br />

Karton, 17,3 x 11 cm, ZPK, Bern, Schenkung Livia<br />

Klee<br />

Weihnachtsarbeiten für die Feldgrauen, 1916,<br />

Hinterglasmalerei, 12,9 x 17,8 cm, ZPK, Bern<br />

Millionenmord das macht nichts, 1918, 7, Feder auf<br />

Papier auf Karton, 21,5 x 12,8 cm, ZPK, Bern,<br />

Schenkung Richard Sisson<br />

Vogel-Flugzeuge, 1918, 210, Bleistift auf Papier auf<br />

Karton, 21,7 x 27,4 cm, Privatbesitz Schweiz,<br />

Depositum im ZPK, Bern<br />

Angelus novus, 1920, 32, Ölpause und Aquarell auf<br />

Papier auf Karton, 31,8 x 24,2 cm, Collection<br />

of the Israel Museum, Jerusalem, Schenkung John und<br />

Paul Herring, Jo Carole und Ronald Lauder, Fania<br />

und Gershom Scholem<br />

Angelus novus, 1920, 69, Bleistift auf Papier auf<br />

Karton, 30 x 22 cm, Privatbesitz, Schweiz<br />

Fliegersturz, 1920, 209, Bleistift auf Papier auf Karton,<br />

27,9 x 22 cm, ZPK, Bern<br />

Der grosse Kaiser, zum Kampf gerüstet, 1921, 131,<br />

Ölpause und Aquarell auf Grundierung auf Leinen auf<br />

Papier auf Karton, 42,4 x 31,2 cm, ZPK, Bern,<br />

Schenkung Livia Klee<br />

Schande, 1933, 15, Pinsel auf Papier auf Karton,<br />

47,2 x 62,6 cm, ZPK, Bern<br />

Sturz, 1933, 46, Pinsel auf Papier auf Karton,<br />

31,3/31,6 x 47,5 cm, ZPK, Bern<br />

er geht, 1933, 80, Bleistift auf Papier auf Karton,<br />

29,5 x 32,3 cm, ZPK, Bern<br />

Anklage auf der Strasse, 1933, 85, Kreide auf Papier<br />

auf Karton, 16,9 x 25 cm, ZPK, Bern<br />

Kindermord, 1933, 113, Kreide auf Papier auf Karton,<br />

20,9 x 32,9 cm, ZPK, Bern<br />

Menschenjagd, 1933, 115, Bleistift auf Papier auf<br />

Karton, 23/23,2 x 32,3 cm, ZPK, Bern<br />

Blutgericht, 1933, 127, Kreide auf Papier auf Karton,<br />

13,2 x 20,7 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im<br />

ZPK, Bern<br />

Schiesserei, 1933, 131, Kreide auf Papier auf Karton,<br />

8,5 x 21 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im ZPK,<br />

Bern<br />

Gewalt, 1933, 138, Kreide auf Papier auf Karton,<br />

17,1 x 20,9 cm, ZPK, Bern<br />

Fluch ihnen!, 1933, 157, Kreide auf Papier auf<br />

Karton, 27,6 x 20,9 cm, ZPK, Bern<br />

an Schnüren, 1933, 175, Kreide auf Papier auf Karton,<br />

32,9 x 20,9 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im<br />

ZPK, Bern<br />

Dressur, 1933, 194, Kreide auf Papier auf Karton,<br />

24,3 x 20,9 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im<br />

ZPK, Bern<br />

hinzurichten, 1933, 202, Kreide auf Papier auf Karton,<br />

32,8 x 20,9 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im<br />

ZPK, Bern<br />

militarismus der Hexen, 1933, 329, Bleistift auf Papier<br />

auf Karton, 23,2 x 27,3 cm, ZPK, Bern<br />

auch «ER» Dictator!, 1933, 339, Bleistift auf Papier<br />

auf Karton, 29,5 x 21,8 cm, ZPK, Bern, Schenkung<br />

Livia Klee<br />

eilen nach Schutz, 1933, 389, Kreide auf Papier auf<br />

Karton, 21,7 x 29,8 cm, ZPK, Bern, Schenkung Livia<br />

Klee<br />

von der Liste gestrichen, 1933, 424, Ölfarbe auf<br />

Papier auf Karton, 31,5 x 24 cm, ZPK, Bern,<br />

Schenkung Livia Klee<br />

125


Geheim Richter, 1933, 463, Kleisterfarbe auf Papier<br />

auf Karton, 41,3 x 28,9 cm, ZPK, Bern, Schenkung<br />

Livia Klee<br />

heil!, 1939, 435, Bleistift auf Papier auf Karton,<br />

29,7 x 20,9 cm, Privatbesitz Schweiz, Depositum im<br />

ZPK, Bern<br />

Luft-ungeheuer, 1939, 628, Bleistift auf Papier auf<br />

Karton, 20,9 x 29,7 cm, ZPK, Bern<br />

Angelus militans, 1939, 1028, Kreide auf Papier auf<br />

Karton, 44,3 x 29,9 cm, ZPK, Bern<br />

Paul Klees Truppeneinheit der Landsturm-Kompanie,<br />

Landshut (Paul Klee: in der Bildmitte, 2. Reihe<br />

stehend), 1916, Sommer, ZPK, Bern, Schenkung<br />

Familie Klee<br />

Ralph Eugene Meatyard, Romance of Ambrose Bierce<br />

#3, aus: Portfolio # 3, 1964, Silbergelatine-Abzug,<br />

17.1 x 17.3 cm, Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />

Aernout Mik, Scapegoats, 2006, Digitales Video auf<br />

Festplatte, Loop, Courtesy carlier / gebauer<br />

Boris Mikhailov, Sowjet-Montage (123-teilige<br />

Bildserie in 3 Panels), 1968, s/w-Fotografien, teilweise<br />

handkoloriert, 180 x 124 x 3.5 cm,<br />

Sammlung Thomas Koerfer<br />

Claudia & Julia Müller, Nachtwald I-III, 8 - farbiger<br />

Inkjet-print auf Netzvinyl, montiert auf Baugerüsten,<br />

je 12.25 x 12 x 3.9 m, 2008<br />

Arnold Odermatt, Wolfenschiessen, 1969/2004,<br />

Silbergelatine-Abzug, 30 x 40 cm,<br />

Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />

Yoko Ono, Wish Tree, 2008, Installation<br />

Meret Oppenheim, Das Messer, 1975, Glassplitter,<br />

Hanf, Knöpfe bemalt auf Fleischmesser, 2 x 32 x 13 cm,<br />

Kunstmuseum Bern, Legat der Künstlerin<br />

Tony Oursler, Still Life, 1998, Projektor, Videoband,<br />

Schädel aus Glasfaser und Bücher, 68.6 x 55.9 x 91.5 cm,<br />

Sammlung Thomas Koerfer<br />

Adrian Paci, Vajtojca, 2002, Video, 14› min,<br />

Courtesy Galerie Peter Kilchmann, Zurich<br />

Gilles Peress, Ohne Titel, aus: Rwanda, 1994,<br />

Silbergelatine-Abzug, 32.6 x 48.7 cm, Sammlung<br />

Fotomuseum Winterthur, Schenkung Volkart Stiftung<br />

Pablo Picasso, Sueño y mentira de franco, 1937,<br />

«Chine appliqué» auf Japan-Papier, Radierung, Aquatinta<br />

und Schabtechnik, 59.5 x 40 cm, E. W. K, Bern<br />

Alain Resnais<br />

Hiroshima mon amour, 1959, Film<br />

Nuit et Brouillard, 1955, Film<br />

126<br />

Anri Sala<br />

Time after Time, 2003, DVD, 5 min 22 sec, Ton,<br />

Courtesy of the artist and Hauser & Wirth Zürich<br />

London<br />

Arena, 2001, DVD, 4 min, Ton, Courtesy of the artist<br />

and Hauser & Wirth Zürich London<br />

Sebastião Salgado, Brazil, 1986, Silbergelatine-Abzug,<br />

54.3 x 36.3 cm, Sammlung Fotomuseum Winterthur,<br />

Nachlass George Reinhart<br />

Fernando Sánchez Castillo, Gato Rico muere de un<br />

Ataque al Corazón en Chicago / Rich Cat Dies of<br />

Heart Attack in Chicago, 2004, Video (HD - DVD),<br />

Courtesy of Fernando Sanchez & Galeria Juana de<br />

Aizpuru<br />

Igor Savchenko, 7.90–4, 1990m aus: Alphabet of<br />

Gestures 1, Silbergelatine-Abzug, 13.5 x 16 cm,<br />

Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />

Allan Sekula, Ohne Titel, aus: Waiting for Tear Gas,<br />

1999-2000, 81-teilige Dia-Installation mit Wandtext,<br />

Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />

Fazal Sheikh, Afghan Children Born in Exile, 1998,<br />

20-teilige Serie, Silbergelatine-Abzug, 37 x 37 cm,<br />

Sammlung Fotomuseum Winterthur<br />

SNFU, ...And No One Else Wanted to Play, 1985,<br />

Plattencover (nach Diane Arbus: Child with Toy Hand<br />

Grenade in Central Park, New York City, USA (1962))<br />

Annie Stebler-Hopf, Am Seziertisch (Professor Poirier,<br />

Paris), um 1889, Öl auf Leinwand, 114 x 147 cm,<br />

Kunstmuseum Bern, Geschenk des Gatten aus dem<br />

Nachlass der Künstlerin<br />

Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, Die Verquickung,<br />

2008, Installation<br />

Annelies Štrba, Tschernobyl, 1996, Sammlung<br />

Fotomuseum Winterthur, Dauerleihgabe Sammlung<br />

Andreas Züst<br />

Jean Tinguely, Suzuki (Hiroshima), 1963, kinetisches<br />

Werk aus diversen Materialien, Fundstücke,<br />

z.T. vorgefunden auf dem Trümmerfeld von Nagasaki,<br />

140 x 70 x 50 cm, Schenkung Niki de Saint Phalle,<br />

Museum Tinguely, Basel<br />

Jakob Tuggener<br />

Ohne Titel, aus: Die Seemühle, 1944, Silbergelatine-<br />

Abzug, 12.2 x 16.1 cm, Sammlung Fotomuseum<br />

Winterthur, Nachlass George Reinhart<br />

Ohne Titel, aus: Die Seemühle, 1944, Silbergelatine-<br />

Abzug, 12.2 x 16.1 cm, Sammlung Fotomuseum<br />

Winterthur, Nachlass George Reinhart


Spencer Tunick, Switzerland, Aletsch Glacier 2–6<br />

(Greenpeace) 2007, 2007<br />

Luc Tuymans<br />

Kristallnacht, 1986, Gouache auf Wellkarton,<br />

26.5 x 90 cm, Kunstmuseum Bern, Schenkung des<br />

Künstlers<br />

Sick children, 1989, Bleistift auf Pergaminpapier auf<br />

Karton, 26.5 x 30.5 cm, Kunstmuseum Bern<br />

Studie zu «Gaskammer», 1986, Aquarell und Bleistift<br />

auf Papier, 30.5 x 40 cm, Kunstmuseum Bern<br />

Joep van Lieshout<br />

Untitled, 2007, Tinte auf Papier<br />

Untitled, 2007, Tinte auf Papier<br />

Untitled, 2007, Tinte auf Papier<br />

Wellness Skull, 2007, Kunststoff, Fiberglas, Stahl,<br />

Holz,<br />

Man Ripped open, 2008, geschäumter Kunststoff<br />

Man Ripped open, 2008, geschäumter Kunststoff<br />

Linked Sleep Sanitary Units, 2007, Holz, Stahl,<br />

153 x 71 x 37 cm<br />

Untitled, 2007, Tinte auf Papier<br />

alle Courtesy Galerie Bob van Orsouw<br />

Ben Vautier, Ben ist allein, 1971, Acryl auf Leinwand,<br />

30 x 40 cm, Kunstmuseum Bern, Annemarie und<br />

Victor Loeb-Stiftung, Bern<br />

Clara von Rappard, Seele, Brahmane (nach Goethe),<br />

1885, Öl auf Leinwand, 80.6 x 139 cm, Kunstmuseum<br />

Bern, Geschenk Edouard Davinet, Bern<br />

Jeff Wall, The Crooked Path, 1991, Grossbilddia in<br />

Leuchtkasten, 119 x 149 cm, Hesta AG, Zug<br />

Adolf Wölfli<br />

Ohne Titel (Explosion), 1929, Bleistift, Collage auf<br />

Zeitungspapier<br />

Trauer=Marsch Seite 5,761-6,627 (Heft ohne Titel),<br />

1930, Bleistift, Farbstift und Collage auf<br />

Zeitungspapier<br />

ohne Titel (Präsident Wilson), 1929, Bleistift, Collage<br />

auf Papier, 70 x 50 cm<br />

ohne Titel (Zürich/Kriegsschiff), 1929, Bleistift,<br />

Collage auf Papier, 70 x 50 cm<br />

Trauer=Marsch Seite 3,122-3,324 (Heft ohne Titel),<br />

1929, Bleistift, Farbstift und Collage auf Papier<br />

Trauer=Marsch Seite 3,544-3,969 (Heft ohne Titel),<br />

1929, Bleistift, Farbstift und Collage auf<br />

Zeitungspapier<br />

alle Adolf-Wölfli-Stiftung, Kunstmuseum Bern, Bern<br />

Artur Zmijewski, 80064, 2004, Video übertragen auf<br />

DVD, 11 min., Farbe, Ton, Courtesy the artist and<br />

Galerie Peter Kilchmann, Zurich<br />

Textnachweis<br />

S. 4 aus: Johann Konrad Eberlein »Angelus Novus«,<br />

FrBr./B 2006<br />

Zitate S. 66, 72, 90 aus: Jorge Luis Borges,<br />

Das Buch vom Himmel und der Hölle, Ffm, 1993<br />

S.81 aus: Rainer Maria Rilke, Gedichte, Ffm 1976<br />

Alle Benjamin-Zitate im Text »Der Blick des<br />

Engels« aus: Walter Benjamin GW V 1/2, Ffm 1982<br />

Siri Hustvedt; Being a Man, HH 2006<br />

Fotonachweis<br />

© für die Abbildungen bei den Künstlerinnen und<br />

Künstlern ausser<br />

S. 5: © The Israel Museum, Jerusalem<br />

S. 6: S. 14–31; S. 98-123: © Martin Stollenwerk,<br />

Zürich<br />

S. 44–46: © Hiroshima Peace Memorial Museum,<br />

Hiroshima<br />

S. 47: © Argos Films, France<br />

S. 70: © pro litteris, Zürich<br />

S. 74/75: © Galerie E.W. Kornfeld, Bern<br />

S. 76–79: Zentrum Paul Klee<br />

S. 82/83: Albertina Wien<br />

S. 86/87: Kunstmuseum Bern, ProLith AG, Bern<br />

S. 88/89: Adolf Wölfli-Stiftung, ProLith AG, Bern?<br />

127


Impressum<br />

Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung<br />

»Lost Paradise« in der Gartenschau »Jenseits von Eden«<br />

Zentrum Paul Klee, Bern<br />

31.5 – 26.10.2008<br />

Ausstellung und <strong>Katalog</strong>: Juri Steiner & <strong>Armin</strong> <strong>Kerber</strong><br />

Szenografie: Pius Tschumi, Nadja Vitt, Kunstumsetzung GmbH, Zürich<br />

Assistenz: Anna Bürkli<br />

Redaktion: Anna Bürkli, <strong>Armin</strong> <strong>Kerber</strong>, Juri Steiner<br />

Lektorat: Claudia Kaufmann<br />

Gestaltung: Emanuel Tschumi<br />

Reproduktionen: Dr. Cantz’sche Druckerei, Osterfildern<br />

Druck: fgb freiburger graphische betriebe<br />

Gedruckt auf Furioso 150 g/m 2 von m-real Biberist, Schweiz<br />

Herausgeber: Zentrum Paul Klee, Bern<br />

© 2008 Hatje Cantz Verlag, Osterfildern, Zentrum Paul Klee, Bern und Autoren<br />

Umschlagabbildung:<br />

Angelus novus, 1920, 32, Ölpause und Aquarell auf Papier auf Karton, 31,8 x 24,2 cm, Collection<br />

of the Israel Museum, Jerusalem, Schenkung John und Paul Herring, Jo Carole und Ronald Lauder,<br />

Fania und Gershom Scholem<br />

Unterstützt von der Paul Klee-Stiftung der Burgergemeinde Bern<br />

Zentrum Paul Klee<br />

Monument im Fruchtland 3<br />

3006 Bern<br />

Schweiz<br />

Postadresse:<br />

Zentrum Paul Klee<br />

Postfach<br />

CH – 3000 Bern 31<br />

Tel. +41 31 359 01 01<br />

Fax +41 31 359 01 02<br />

www.zpk.org<br />

E-Mail: kontakt@zpk.org<br />

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