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8. Verwaltungsrecht AT Sachverhalt 2 - Lehrstuhl für Öffentliches ...

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Fall 2: Examens-Crashkurs Öffentliches Recht Universität BayreuthStahlschmelze Allgemeines <strong>Verwaltungsrecht</strong> Sommersemester 2009Rücknahme eines VA und EU-Recht Lösungsskizze Priv.-Doz. Dr. Kay WindthorstFall 2: „Stahlschmelze“Rechtsfragen:─ Rücknahme eines Verwaltungsakts bei Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht─ Rückforderung einer Subvention nach Rücknahme eines gemeinschaftsrechtswidrigenVerwaltungsaktsRechtsprechung:BVerwGE 106, 329; s. auch BVerwG, NVwZ 1990, 1161; BVerwGE 92, 81; EuGHE 1983,2633 – Deutsche Milchkontor; EuGHE 1997 I, 1591 – AlcanL ö s u n g s s k i z z e:Die Klage der S hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.Aufbauhinweis: Die S hat Klage zum Verwaltungsgericht gegen einen Bescheid mit zweiunterschiedlichen Regelungen erhoben, nämlich der Rücknahme der Bewilligung der Zuwendungeinerseits und der Rückforderung des Zuwendungsbetrages andererseits. Da diese Regelungenformal in einem Bescheid enthalten sind, gegen den eine Klage erhoben wurde,empfiehlt es sich, die notwendigen Differenzierungen zwischen diesen Regelungen im Rahmender Prüfung der Zulässigkeit einer Klage zu berücksichtigen, während bei der Prüfungder Begründetheit dieser Klage zweckmäßigerweise von vornherein zwischen den beiden Regelungenunterschieden werden sollte, da sie auf verschiedenen Rechtsgrundlagen beruhenund unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen unterliegen.A. Zulässigkeit der KlageI. Eröffnung des <strong>Verwaltungsrecht</strong>swegs1. Prüfung einer abdrängenden Sonderzuweisung zu den GemeinschaftsgerichtenDie Klage der S richtet sich zwar gegen Maßnahmen einer deutschen Behörde; diese werdenaber in einer an dieser Stelle noch nicht zu spezifizierenden Weise durch Gemeinschaftsrechtbeeinflusst. Daher liegt kein ausschließlich nach nationalem Recht zu beurteilender Fall, sondernein gemeinschaftsrechtlich influenzierter oder gar determinierter Fall vor. Bei einer solchenKonstellation stellt sich bereits bei Prüfung des Rechtswegs die Frage, nach welcherProzessrechtsordnung sich die Zulässigkeit der Klage richtet. So begründet etwa Art. 230 II,IV EGV die Zuständigkeit des EuGH für Klagen gegen Entscheidungen der EU-Kommission.Vorliegend sind Gegenstand der Klage aber die Entscheidungen einer deutschen Behörde.Dies hat zur Folge, dass deutsche Gerichte über die Rechtmäßigkeit dieses Handelns entscheiden.Das gilt unabhängig davon, ob deutsche Behörden durch ihr Handeln unmittelbaroder mittelbar Gemeinschaftsrecht vollziehen. Eine Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtewäre gegeben, wenn Mitgliedstaaten oder Private gegen das Verhalten von Gemeinschaftsorganenklagen oder wenn nationale Gerichte den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrensnach Art. 234 EGV anrufen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.- 1 -


Fall 2: Examens-Crashkurs Öffentliches Recht Universität BayreuthStahlschmelze Allgemeines <strong>Verwaltungsrecht</strong> Sommersemester 2009Rücknahme eines VA und EU-Recht Lösungsskizze Priv.-Doz. Dr. Kay WindthorstDaher unterfällt die Klage der S nicht der Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichte. Da auchsonstige auf- oder abdrängende Sonderzuweisungen nicht zu erkennen sind, beurteilt sich dereinschlägige Rechtsweg nach § 40 I VwGO.2. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher ArtDie Zuwendung verfolgt einen öffentlichen Zweck und ist somit eine Subvention. Die Entscheidung,ob eine Subvention in Form eines verlorenen Zuschusses gewährt wird, ist öffentlich-rechtlicherNatur. Gleiches gilt für die Rücknahme der Bewilligung. Für sie und für dieRückforderung des Subventionsbetrages sind die Regeln des Verwaltungsverfahrensgesetzesdes Freistaats Bayern maßgeblich, sofern nicht speziellere Bestimmungen eingreifen. Ob solchebestehen und vorliegend Anwendung finden, kann an dieser Stelle offen bleiben, da diebehördlichen Entscheidungen jedenfalls aufgrund von Sonderrecht ergangen sind. Daher liegteine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. v. § 40 I VwGO vor.Die Streitigkeit ist zudem erkennbar nichtverfassungsrechtlicher Art. Somit ist gem. § 40 IVwGO der <strong>Verwaltungsrecht</strong>sweg eröffnet.II.Statthafte Klageart1. RechtsschutzzielDie statthafte Klageart richtet sich aufgrund der auch im Verwaltungsprozess geltenden Dispositionsmaximenach dem Klägerbegehren. S verlangt die Aufhebung der Rücknahme- undder Rückforderungsentscheidung. Statthafte Klageart hierfür ist gem. § 42 I Alt. 1 VwGOeine Anfechtungsklage, sofern diese Entscheidungen als Verwaltungsakte zu qualifizierensind.2. Gegenstand der KlageDie Rücknahme- und die Rückforderungsentscheidung erfüllen – jede für sich – die Voraussetzungendes § 35 Satz 1 VwVfG des Bundes und sind somit Verwaltungsakte in diesemSinne. Die Rücknahme hat rechtsgestaltenden Inhalt, während die Rückforderung auf die Begründungeiner Leistungspflicht gerichtet ist. Die Regelungen sind zwar durch das gemeinsameZiel, die Subventionsvergabe rückgängig zu machen, miteinander verbunden, weisen abereigenständigen und somit teilbaren Inhalt auf. Da sie in einem Bescheid zusammengefasstsind und die Teilanfechtung eines Verwaltungsakts durch § 113 I 1 VwGO zugelassen wird,ist die Klage der S als statthafte Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt mit zwei Regelungsbestandteileneinzuordnen.III. Klagebefugnis, § 42 II VwGODie Klagebefugnis der S folgt aus der belastenden Natur der streitgegenständlichen Entscheidungen,die jedenfalls eine Verletzung dieses Unternehmens in seinem Grundrecht aus Art. 2I GG (i. V. m. Art. 19 III GG) als möglich erscheinen lassen.IV.Erfolgloser Widerspruch, §§ 68 ff. VwGOEin erfolgloser Widerspruch ist gem. § 68 I 1 VwGO wegen der belastenden Wirkung desVerwaltungsakts grundsätzlich erforderlich. Eine gesetzliche Ausnahme nach § 68 I 2 VwGOi. V. m. Art. 15 II BayAGVwGO besteht nicht, da der streitgegenständliche Verwaltungsaktvor Inkrafttreten dieser Sonderregelung erging.- 2 -


Fall 2: Examens-Crashkurs Öffentliches Recht Universität BayreuthStahlschmelze Allgemeines <strong>Verwaltungsrecht</strong> Sommersemester 2009Rücknahme eines VA und EU-Recht Lösungsskizze Priv.-Doz. Dr. Kay WindthorstDer Bescheid wurde aber vom Wirtschaftsministerium des Freistaat Bayerns erlassen. Dies isteine oberste Landesbehörde (Art. 43 BV), so dass gem. § 68 I 2 Nr. 1 VwGO kein Widerspruchsverfahrendurchzuführen ist.V. Klagefrist, § 74 I VwGODie Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage richtet sind nach § 74 I 2 VwGO. Laut<strong>Sachverhalt</strong> wurde sie eingehalten.Ergebnis: Die Klage der S ist zulässig.B. Begründetheit der KlageI. Richtiger Klagegegner, § 78 I Nr. 1 VwGODa das Landeswirtschaftsministerium den streitgegenständlichen Verwaltungsakt erlassen hat,ist die Klage gem. § 78 I Nr. 2 VwGO gegen den Freistaat Bayern zu richten.II.Entscheidungsvoraussetzungen des § 113 I 1 VwGODie Klage der S ist gem. § 113 I 1 VwGO begründet, wenn die Rücknahme und die Rückforderungrechtswidrig sind und S in ihren Rechten verletzen.1. Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Zuwendungsbewilligunga) Rechtsgrundlageaa)ErforderlichkeitDie Rücknahme der Zuwendung ist ein gestaltender Verwaltungsakt, der im Falle seinerWirksamkeit die durch die Bewilligung der Zuwendung begründete Begünstigung der S beseitigt.Wegen dieser belastenden Wirkung bedarf sie aufgrund des Vorbehalts des Gesetzeseiner Rechtsgrundlage.bb)ErmittlungDie Rücknahme erfolgte zwar wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht durch deutscheBehörden. Gemeinschaftsrecht stellt aber für diese Fälle keine Rechtsgrundlage zur Verfügung.Rechtliche Grundlage der Rücknahmeentscheidung ist somit gemäß dem Grundsatz derVerfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, dem das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigungder Gemeinschaft korrespondiert (Art. 5 I EGV), das nationale Recht. Da keine speziellegesetzliche Regelung eingreift, bildet Art. 48 BayVwVfG (nachfolgend zitiert als VwVfG)die einschlägige Rechtsgrundlage.b) Formelle Rechtmäßigkeit der Rücknahmeaa)Sachliche ZuständigkeitSachlich zuständig für die Rücknahme der Bewilligung ist die Behörde, die die Bewilligungerlassen hat. Dies ist das Bayerische Wirtschaftsministerium. Art. 48 V VwVfG kommt nichtzum Zuge, weil er nur die örtliche Zuständigkeit regelt.- 3 -


Fall 2: Examens-Crashkurs Öffentliches Recht Universität BayreuthStahlschmelze Allgemeines <strong>Verwaltungsrecht</strong> Sommersemester 2009Rücknahme eines VA und EU-Recht Lösungsskizze Priv.-Doz. Dr. Kay Windthorstbb)AnhörungVor Erlass der Rücknahmeentscheidung bedurfte es wegen ihrer belastenden Wirkung gemäßArt. 28 I VwVfG der Anhörung der Betroffenen, d. h. konkret: der S. Ob diese vorliegt, kannnach dem <strong>Sachverhalt</strong> nicht abschließend beurteilt werden. Allerdings ist dieser Verfahrensfehlergem. Art. 45 I Nr. 3, II VwVfG heilbar.cc)FormDie Rücknahmeentscheidung erging schriftlich. Von der Einhaltung der Formerfordernissedes Art. 37 III VwVfG ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im <strong>Sachverhalt</strong> auszugehen.Gleiches gilt für die Begründungserfordernisse nach Art. 39 I VwVfG.Ergebnis: Die Rücknahme ist formell rechtmäßig.c) Materielle Rechtmäßigkeit der Rücknahmeaa)Wirksamkeit des zurückgenommenen VerwaltungsaktsDie Bewilligung der Zuwendung ist – wie deren Rücknahme – ein Verwaltungsakt i. S. v.Art. 35 Satz 1 VwVfG. Dieser besitzt aufgrund der Bekanntgabe an S jedenfalls äußere Wirksamkeit(Art. 43 I, 41 I VwVfG), die im Rahmen des Art. 48 VwVfG ausreicht.bb)Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen VerwaltungsaktesDie Bewilligung muss bei ihrem Erlass wegen Verstoßes gegen bindendes Außenrechtrechtswidrig sein. Dazu gehören auch die unmittelbar bindenden Regelungen des Gemeinschaftsrechts.Diese ergeben sich zum einen aus Art. 87 I EGV, gegen den die Zuwendungsbewilligungverstößt. Zum anderen liegt eine Missachtung der Notifizierungspflicht nach Art.88 EGV durch den Mitgliedstaat vor. Diese Verpflichtung ist durch die Verordnung (EG) Nr.659/1999 des Rates vom 22.3.1999 (ABl EG Nr. L 83, S. 1), deren Regeln die Mitgliedstaatengem. Art. 249 II EGV unmittelbar binden, näher ausgestaltet worden. Danach müssen dieMitgliedstaaten neue Beihilfen vollständig anmelden (Art. 2 der EG-Verordnung). Unabhängigvon diesem Zuwiderhandeln gegen Gemeinschaftsrecht ergibt sich die Rechtswidrigkeitder Rücknahme schon aus dem rechtskräftigen Urteil des EuGH, das insoweit bindende Wirkungentfaltet.cc)Begünstigende Natur des zurückgenommenen VerwaltungsaktsDie Zuwendungsbewilligung begründet einen Vorteil i. S. v. Art. 48 I 2 VwVfG und ist somitein begünstigender Verwaltungsakt in diesem Sinne. Sie unterliegt daher grundsätzlich denEinschränkungen der Absätze 2 bis 4 des Art. 48 VwVfG.dd)Ausschluss der Rücknahme wegen Fristablaufs nach Art. 48 IV 1 VwVfGDie Jahresfrist des Art. 48 IV 1 VwVfG schließt die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktsaus. Dahinter steht der Grundsatz der Rechtssicherheit, der auch im Gemeinschaftsrechtgrundsätzlich anerkannt ist. Da dieses keine spezielle Regelung dieser Frist bereitstellt,sind die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Verfahrensautonomie prinzipiell zu solchenRegelungen befugt. Dies gilt indes nur unter dem Vorbehalt, dass sie sich nicht auf Bestimmungen,Übungen oder Umstände ihrer internen Rechtsordnungen berufen können, um sichder Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen zu entziehen.- 4 -


Fall 2: Examens-Crashkurs Öffentliches Recht Universität BayreuthStahlschmelze Allgemeines <strong>Verwaltungsrecht</strong> Sommersemester 2009Rücknahme eines VA und EU-Recht Lösungsskizze Priv.-Doz. Dr. Kay Windthorst(3) Vertrauen auf den Bestand des begünstigenden VerwaltungsaktsNach dem <strong>Sachverhalt</strong> ist davon auszugehen, dass S jedenfalls bis zum 15.1.1989 auf denBestand der Zuwendungsbewilligung vom 30.11.1986 gem. Art. 48 II 1 VwVfG vertraut hat.(4) Schutzwürdigkeit des VertrauensNeben dem tatsächlichen Vertrauen der S auf den Bestand der Bewilligung der Zuwendungverlangt Art. 48 II 1 VwVfG, dass dieses Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichenInteresse schutzwürdig ist.(5) Ausschluss der Schutzwürdigkeit nach Art. 48 II 3 VwVfGDas Vertrauen der S könnte nach Art. 48 II 3 Nr. 3 VwVfG ausgeschlossen sein. Dies setztvoraus, dass sie die Rechtswidrigkeit der Bewilligung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeitnicht kannte. Anhaltspunkte für eine positive Kenntnis der S von der Gemeinschaftsrechtswidrigkeitder Bewilligung bestehen nicht. Dagegen ist fraglich, ob der bloße Umstand,dass S nicht nachgeforscht hat, ob das Wirtschaftsministerium das Überwachungsverfahrennach § 88 EGV durchgeführt hat, den Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu begründen vermag(dazu BVerwGE 92, 81 [84] m. w. N.). Für die Annahme eines besonders schweren Verstoßesgegen diese Sorgfaltspflicht kann die Veröffentlichung der Mitteilung der Kommission ausdem Jahr 1983 angeführt werden, in der potenzielle Empfänger staatlicher Beihilfen daraufaufmerksam gemacht werden, dass sie bei Nichtdurchführung des Überwachungsverfahrensmit einer Rückforderung der Beihilfe rechnen müssen. Ob dies allein ausreicht, um dieSchutzwürdigkeit des Vertrauens a limine gem. Art. 48 II 3 Nr. 3 VwVfG auszuschließen, istnicht unumstritten, kann vorliegend aber dahingestellt bleiben. Denn die Schutzwürdigkeitdes Vertrauens muss aus anderen, nachfolgend erläuterten Gründen zurücktreten.(6) Überwiegendes, gemeinschaftsrechtlich begründetes öffentliches RücknahmeinteresseWie oben dargelegt, muss das nationale Recht, d. h. konkret: Art. 48 II VwVfG, so angewendetwerden, dass die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung staatlicher Beihilfen(Art. 14 I und II der EG-Verordnung), die eine Rücknahme entsprechender Bewilligungenimpliziert, nicht praktisch unmöglich und das Gemeinschaftsinteresse voll berücksichtigtwird. Diesem gemeinschaftsrechtlichen Gebot würde nicht hinreichend Rechnung getragen,wenn sich bei gemeinschaftsrechtswidrigen staatlichen Beihilfen, über die der Begünstigtebereits nach Art. 48 II 2 VwVfG disponiert hat, so dass ihm grundsätzlich die dort vorgeseheneRegelvermutung zugute kommt, das öffentliche Rücknahmeinteresse nur in den Fällen derBösgläubigkeit i. S. d. Art. 48 II 3 VwVfG durchsetzt. Da Bösgläubigkeit dieses Grades vielfach– wie auch im vorliegenden Fall – nicht eindeutig nachweisbar ist, hätte die Anwendungder in Art. 48 II 2 VwVfG normierten Regel zur Folge, dass die gemeinschaftsrechtlich geboteneRückforderung (Rücknahme) in weitem Umfang unmöglich wäre. Dadurch würde dasGemeinschaftsinteresse an der Wahrung der im EG-Vertrag niedergelegten Wettbewerbsordnung,namentlich die Beachtung der Vorgaben und Pflichten aus Art. 87 I und 88 EGV, erheblichbeeinträchtigt.Deshalb kommt dem öffentlichen Interesse in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich eingrößeres Gewicht zu als bei der Rücknahme von Geldleistungsverwaltungsakten, die nur gegennationales Recht verstoßen. In letztgenannten Fällen dient die Rücknahme dem öffentlichenInteresse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und dem fiskalischen Interesse. Dagegendient die Rücknahme gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte darüber hinaus der- 6 -


Fall 2: Examens-Crashkurs Öffentliches Recht Universität BayreuthStahlschmelze Allgemeines <strong>Verwaltungsrecht</strong> Sommersemester 2009Rücknahme eines VA und EU-Recht Lösungsskizze Priv.-Doz. Dr. Kay WindthorstDurchsetzung des Gemeinschaftsrechts. Dies erhöht das Gewicht des öffentlichen Rücknahmeinteresses.Diesem gebührt bei Abwägung im Rahmen des Art. 48 II 1 VwVfG auch dannder Vorrang gegenüber dem Vertrauensschutzinteresse des Begünstigten, wenn dieses nichtwegen Bösgläubigkeit i. S. v. Art. 48 II 3 VwVfG von vornherein schutzunwürdig ist. DasVertrauensschutzinteresse tritt angesichts des besonderen Gewichts des „gemeinschaftsrechtlichaufgeladenen“ Rücknahmeinteresses grundsätzlich zurück, wenn die staatliche Beihilfeohne Beachtung des in Art. 88 EGV zwingend vorgeschriebenen Überwachungsverfahrensgewährt wurde.Einem europaweit tätigen Unternehmen wie S ist es regelmäßig möglich und zumutbar, sichzu vergewissern, ob diese Voraussetzung erfüllt ist. Da S dies unterließ, ist ihr Vertrauen nurausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände schutzwürdig. Hierfür reicht es nach Ansichtdes EuGH nicht aus, dass die nationale Behörde dem Unternehmen die streitige Beihilfepraktisch aufgedrängt hat. Denn der Begünstigte kann sich wegen Nichteinhaltung des gemeinschaftsrechtlichvorgeschriebenen Notifizierungsverfahrens nicht auf ein berechtigtesVertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der Zuwendung berufen. Die Rücknahme der Beihilfeverstößt daher auch dann nicht gegen Treu und Glauben, wenn die Behörde durch ihr Verhaltenmaßgeblich zur Rechtswidrigkeit dieses Verwaltungsaktes beigetragen hat (EuGHE 1997I, 1591, Tz. 39 ff. – Alcan).Legt man dieses Anforderungsprofil zugrunde, setzt sich das öffentliche Rücknahmeinteressegegenüber dem Vertrauensschutzinteresse der S durch. Die Rücknahme der Bewilligung derZuwendung ist daher nicht durch Art. 48 II 1 VwVfG ausgeschlossen.ff)Ordnungsgemäße Ermessensausübung(1) EntschließungsermessenDas durch Art. 48 I 1 VwVfG grundsätzlich eröffnete Ermessen, ob der rechtswidrige Verwaltungsaktzurückgenommen wird („kann“), ist im vorliegenden Fall auf Null reduziert.Denn die Notwendigkeit der Rückforderung der Zuwendung steht kraft Gemeinschaftsrechtsfür die Beteiligten bindend fest (s. auch Art. 14 I und II der EG-Verordnung). Für ein abweichendesEntschließungsermessen besteht daher kein Raum.(2) Ermessen bezüglich des Umfangs der RücknahmeNach Art. 48 I 1 VwVfG kann der rechtswidrige Verwaltungsakt ganz oder teilweise zurückgenommenwerden. Der Bewilligungsbescheid hat zwar einen teilbaren Inhalt. Wegen seinervollumfänglichen Rechtswidrigkeit bestehen aber weder Anlass noch Grund für eine Teilrücknahme,so dass in dieser Frage kein Ermessensfehler zu erkennen ist.(3) Ermessen bezüglich des Zeitpunkts der RücknahmeArt. 48 I 1 VwVfG ermächtigt die Behörde, den rechtswidrigen Verwaltungsakt mit Wirkungfür die Zukunft (ex nunc) oder für die Vergangenheit (ex tunc) zurückzunehmen. Dieses Ermessenist wegen der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Rückforderung der Zuwendung aufNull reduziert. Denn die Rückforderung setzt voraus, dass die Bewilligung als Rechtsgrundder Zuwendung ex tunc beseitigt wird.Ergebnis: Die Rücknahme der Bewilligung ist materiell rechtmäßig. Die dagegen gerichteteAnfechtungsklage der S ist zulässig, aber unbegründet.- 7 -


Fall 2: Examens-Crashkurs Öffentliches Recht Universität BayreuthStahlschmelze Allgemeines <strong>Verwaltungsrecht</strong> Sommersemester 2009Rücknahme eines VA und EU-Recht Lösungsskizze Priv.-Doz. Dr. Kay Windthorst2. Rechtmäßigkeit der Rückforderung der Zuwendunga) Rechtsgrundlageaa)ErforderlichkeitDie Rückforderung der Zuwendung begründet eine Leistungspflicht der S und enthält somitneben der Rücknahme eine eigenständige Belastung. Daher bedarf sie gemäß dem Prinzipvom Vorbehalt des Gesetzes einer Rechtsgrundlage.bb)ErmittlungWie bereits im Zusammenhang mit der Rücknahme der Bewilligung dargelegt, erfolgt dieDurchführung der Rückforderung der Zuwendung grundsätzlich nach nationalem Recht. Daswird durch Art. 14 III der EG-Verordnung ausdrücklich bestätigt. Rechtsgrundlage der Rückforderungist somit Art. 49 a VwVfG. Bei Anwendung dieser nationalen Norm muss allerdingsdas gemeinschaftsrechtliche Gebot beachtet werden, dass dadurch die gemeinschaftsrechtlichgebotene Rückforderung der Zuwendung nicht praktisch unmöglich gemacht und imÜbrigen dem Gemeinschaftsinteresse vollumfänglich Rechnung getragen wird. Die Anwendungdes Art. 49 a VwVfG steht unter diesem Vorbehalt.b) Formelle Rechtmäßigkeit der RückforderungSachlich zuständig für die Rückforderung der Zuwendung ist die Behörde, die auch die Rücknahmeihrer Bewilligung vorzunehmen hat. Das Bayerische Wirtschaftsministerium ist somitsachlich zuständige Behörde. Hinsichtlich des Verfahrens gelten die Ausführungen zur Rücknahmeentsprechend. Da diese mit der Rückforderung in einem Bescheid zusammengefasstwurde, bedurfte es keiner gesonderten Anhörung. Die durch Art. 49 a I 2 VwVfG angeordneteSchriftform wurde gewahrt.Die Rückforderung der Zuwendung ist daher formell rechtmäßig.c) Materielle Rechtmäßigkeit der Rückforderungaa)Wirksame Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die VergangenheitDie Rücknahme der Bewilligung ist – wie diese – ein Verwaltungsakt, der mit Wirkung fürdie Vergangenheit zurückgenommen wurde. Die Wirksamkeit dieses gestaltenden Rechtsaktsbeurteilt sich nach Art. 43 VwVfG. Seine Wirksamkeit begegnet keinen Bedenken, da dieRücknahme – wie gezeigt – rechtmäßig ist.bb)Zulässigkeit der Rückforderung durch VerwaltungsaktArt. 49 a I 2 VwVfG ermächtigt die Behörde ausdrücklich dazu, die Rückforderung mittelsder Handlungsform Verwaltungsakt geltend zu machen.cc)Kein Wegfall der Bereicherung, Art. 49 a II VwVfGArt. 49 a II VwVfG verweist für den Wegfall der Bereicherung auf § 818 III BGB, schließtaber eine Entreicherung schon bei grob fahrlässiger Unkenntnis der Umstände aus, die zurRücknahme des Verwaltungsakts geführt haben. Diese Grundsätze, die sich aus dem Prinzipder Verhältnismäßigkeit ergeben, das auch im Gemeinschaftsrecht anerkannt ist, finden beiRückforderung gemeinschaftsrechtlich gebotener Zuwendungen grundsätzlich Anwendung.- 8 -


Fall 2: Examens-Crashkurs Öffentliches Recht Universität BayreuthStahlschmelze Allgemeines <strong>Verwaltungsrecht</strong> Sommersemester 2009Rücknahme eines VA und EU-Recht Lösungsskizze Priv.-Doz. Dr. Kay WindthorstDas gilt jedoch nur, wenn für den Wegfall der Bereicherung in diesen Fällen die gleichenVoraussetzungen wie in rein nationalen Fällen gelten und das Interesse der Gemeinschaft vollberücksichtigt wird (EuGHE 1983, 2633, Tz. 33 – Deutsche Milchkontor).Selbst wenn man vorliegend eine Entreicherung der S anerkennt (dazu EuGHE 1997 I, 1591,Tz. 46 – Alcan), kann sich dieses Unternehmen darauf grundsätzlich nur berufen, wenn seinVertrauen auf die Ordnungsmäßigkeit der Zuwendung schützenswert ist. Das ist im Hinblickauf das unterlassene Notifizierungsverfahren jedoch nur in besonderen atypischen Fällen anzuerkennen.Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben (vgl. EuGHE 1997 I,1591, Tz. 51 – Alcan).S kann sich daher nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen.dd)Pflicht zur RückforderungDa die Voraussetzungen der Rückforderung erfüllt sind, ist das Bayerische Wirtschaftsministeriumhierzu gem. Art. 49 a I 1 VwVfG verpflichtet („sind … zu erstatten“).Ergebnis: Die Rückforderung der Zuwendung ist materiell und formell rechtmäßig. Die Klageder S ist zulässig, aber unbegründet.- 9 -

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