6 PAULINUS VORBEREITUNGSJAHRSonderausgabe · 13. März 2011Was heißt Erlösung?3 nem Geist beschenkt sind, dieemWerk der Erlösung sichtbar imier und Heute Gestalt zu geben.Vor einigen Jahren lief in deneutschen Kinos über Wochen undonate ein Film, der viele Menschenehr beeindruckt hat: „Wie im Himel“von Kay Pollak.Die Story: Ein weltbekannterchwedischer Stardirigent zieht sichach einem Herzinfarkt von der inernationalenBühne zurück in seineimatdorf irgendwo im verschneienNorden Schwedens. Irgendeinamenloses Provinznest. Grund füriesen Infarkt war letztlich die tiefenzufriedenheit mit dem Musikberieb,den er als Dirigent erlebt hatte:ie Musik war in seinen Augen zuinem Geschäft verkommen, dieusiker in Routine und Mittelmäigkeiterstarrt, letztlich uninteresiertan dem, was sie machten.Er selbst – Daniel, so heißt dieauptperson – war seit seiner Kindeitauf der Suche nach der Musik,ie immer schon in jedem Menschenohnt, nach dem Ton, der Musik, dieu einem Menschen passt und seineanz persönliche Musik ist.Aus seinem Heimatdorf war seineutter zusammen mit ihm weggeogen,als er noch ein Kind war,eil er, der Geige spielende Junge,on einigen Mitschülern immerieder brutal misshandelt wordenar. Er kommt also „nach Hause“,ohnt dort in der alten Schule undrifft in dem Dorf auf einen erbärmichenKirchenchor. Da die Kantoenstellein der Gemeinde vakantst, erklärt er sich – zunächst gegeneine inneren Widerstände – aufrängen des Pfarrers bereit, denhor zu übernehmen. Und jetzt gechiehtdas Unerwartete: Immerehr wird Daniel zu einer Erlöserestalt.Durch die Art, wie er miten Menschen arbeitet, verhilft eredem und jeder von ihnen, zu sichelbst zu finden.Die Menschen befähigen,aufzustehen gegen das,was ihr Leben behindertDer Chorleiter wird zur Erlösergestalt: Er verhilft jedem Einzelnen, zu sich selbst und zu seinem Ton zu finden.Alle haben „Leichen im Keller“,Unaufgearbeitetes: Eine Frau wirdvon ihrem eifersüchtigen Mann verprügelt.Ein Mann wurde Zeit seinesLebens von anderen wegen seinerKörperfülle gehänselt. Eine jungeFrau ist auf der Suche nach der großenLiebe und wechselt ihre Männerbekanntschaftenwie andere Leutedas Hemd. Die Frau des Pfarrers leidetunter ihrem sexuell verklemmtenMann, der alles, was mit Sexualitätzu tun hat, als Sünde ansieht undunfähig geworden ist, eine liebevolleund auch körperlich erfüllende Beziehungzu seiner Frau zu haben. Einälterer Herr gesteht endlich einerFrau, dass er sie seit der gemeinsamenSchulzeit geliebt hat, ohne dasser es ihr je hatte sagen können.Das alles kommt zum Vorschein,wird auf einmal zum Thema in diesemkleinen Dorf, wo jeder jedenkennt. Und je mehr diese Menschensich selbst, ihre Leiden und ihre Bedürfnisseerkennen, umso mehr findensie auf einen Weg, sich selbstund sich gegenseitig anzunehmen,aufzustehen gegen die Unterdrückungen,die sie erleben und die siesich gegenseitig oft genug bereitethaben.Und Daniel? Für die Einen wird erzum Erlöser, für die Anderen – dieschlagenden, verklemmten Ehemännervor allem – zum Feind, weil erauf der Suche nach der Musik, dieauf einen Menschen passt, die Wahrheiteines jeden Lebens seiner Chorsängerinnenund -sänger an den Tagbringt und die Menschen fähigmacht, aufzustehen gegen das, wassie unterdrückt, leiden macht, ihr Lebenbehindert. Und diejenigen, dieden anderen das Leid verursachen,möchten ihn schließlich mit brutalerGewalt oder auf subtilere Art undWeise aus dem Weg räumen.Die Musik, die je seine/ihre ganzpersönliche ist. Der Dirigent, der fürdie einen zum Erlöser, für die anderenzum Feind wird. In der Geschichte, diedieser Film erzählt, lassen sich durchausZüge Jesu Christi entdecken:– Sein ständiges Bemühen darum,dem einzelnen Menschen gerecht zuwerden. Wenn Jesus etwa den blindenBartimäus fragt: „Was soll ich dirtun?“ (Mk 10, 51).– Die einen, die aus seinem Mund„Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68) hören; die anderen, die ihn mitaller ihnen zur Verfügung stehendenBrutalität aus dem Weg räumen.Erlösung? Das ist dann ein neuerAkt der Schöpfung. Menschen werdenneu geschaffen, werden zu neuenMenschen. „Wenn also jemand inChristus ist, dann ist er eine neueSchöpfung“ – sagt Paulus in seinemzweiten Brief an die Christengemeindein Korinth (2 Kor 5, 17). Mitanderen Worten: Wir kriechen nichtmehr hilflos unter der Last, dass unserLeben ja doch von Versagen gekennzeichnetist, dass so vieles vergeblichist, wofür wir uns krumm legen.Unter der Last auch, dass wirimmer wieder an uns selbst scheitern,hinter unserem guten Willenund hinter dem, was und wie wirsein wollten, meilenweit zurückbleiben.Vor Gott zählt, was neugeworden, was gut,was schön istDas alles – die Last – ist ein Teilunseres Lebens. Sicher. Aber: InChristus sind wir „eine neue Schöpfung!“In jeder und jedem von unssingt Gott seine Melodie des Lebens.In jeder und jedem von uns ist GottesLiebe gegenwärtig. In jeder undjedem von uns ist eine neue, eine erlösteWelt schon da – hier und jetzt,gegen allen Augenschein.Foto: ImagoErlöste Menschen. Den „neuenMenschen“ – den Gott in Jesus Christusselbst erschaffen hat, sieht er inuns. Mit diesem Blick schaut er unsan. Er starrt nicht auf unsere Fehler.Nicht unsere Schuld zählt vor ihm,nicht unser Versagen. Vor ihm zähltdas, was neu geworden, was gut, wasschön ist. Vor ihm sind wir wie amersten Schöpfungsmorgen, als Adamund Eva sich zum ersten Mal staunendanschauen. Und deshalb leideter umso mehr mit uns, wenn er mitansehen muss, wie wir immer wiederhinter unseren Möglichkeitenzurück bleiben. Den „neuen Menschen“in uns und im anderen gilt esfrei zu legen, aufzudecken, zumKlingen zu bringen.Den Klang des neuen Menschenin mir und in dem Menschen nebenmir zu vernehmen, das verändertmeine Hör- und Sehgewohnheiten.Wie verändert sich der andere,wenn ich ihn als „einen erlöstenMenschen“ höre und sehe – quer zudem, womit mir der andere auf dieNerven geht, was ich an ihm auszusetzenhabe? Wie verändert sichmein eigenes Leben, wenn ich mich– quer zu der manchmal erbarmungslosenKritik an mir selbst,quer zu meinen Fehlern, meinenSchwächen – und meiner Sünde –als „erlösten Menschen“ sehen undhören darf?Der Chorleiter Daniel schaufeltden ganzen Mist zur Seite, der aufdiesen Menschen liegt. Das ist keinleichtes Unterfangen. Es fordert vonihm und von den Menschen, um diees geht, unendlich viel Kraft. Die al-
Sonderausgabe · 13. März 2011 VORBEREITUNGSJAHRPAULINUS 7Was heißt Erlösung?Sie brechen selbstbewusst in ein neues Leben auf: die Chormitglieder.Foto: Imagoten Strukturen, die alten Muster, nachdenen man sich verhält, nach denenwir uns im Leben eingerichtet haben,sind stark. Die Schubladen und Kategorien,in die wir die anderen einordnen,sind oft kaum noch zu öffnen, zuverändern.Es erfordert Mut, sich auf den Wegzu sich selbst zu machen – oder – wiees in dem Film geschieht – sich mitnehmenzu lassen. Die Widerständesind gewaltig. Was ich habe, weiß ich.Was kommen wird, weiß ich nicht.Und das kann Angst machen.Es erfordert Mut, die Bilder von denanderen, die wir im Museum unsererVorstellungen aufgehängt haben undimmer wieder anschauen, neu zu malen.Und vielleicht sogar noch mehrMut, uns selbst neu zu sehen und unszuzutrauen, was wir nicht mehr fürmöglich gehalten hätten.Am Ende steht eine Welt, inder die ganze Schöpfung ihrLied des neuen Lebens singtDas „Mittel“, mit dem es Daniel gelingt,die Menschen zu „erlösen“, neuzu schaffen, ist schlicht: Es ist sein Interesse,seine Zuneigung zu den Menschen,mit denen er zu tun hat. Oderanders: Seine Liebe zu diesen Frauenund Männern. Ein alter Freund fragtihn später: „Wieso hast du gerade beidiesen Menschen die Musik gefunden,die du immer wieder gesucht hast?“Seine Antwort: „Weil ich sie liebe! Ja,weil ich sie liebe!“ Indem Menschenmit dem Blick der Liebe aufeinanderschauen und hinter all dem wenig Liebenswerten,dem Abstoßenden, demNervenden, den Wunden und Verbiegungen– damit rechnen, einen neuen,erlösten Menschen zu finden, findensie als Liebende und Geliebte zu sichund zum Anderen.Ein weiterer Jesus-Zug in diesemFilm: Daniel stirbt am Ende auf einerToilette einen unrühmlichen Herz-Tod. Im Moment seines Todes abersingt sein Chor auf der Bühne einesinternationalen Wettbewerbs undbringt mit seinem Gesang den ganzenriesigen Saal zum Singen.Seit dem Tod und der AuferstehungJesu von Nazaret singt die Schöpfungein neues Lied. In denen, die von seinemGeist erfüllt sind, klingt diesesLied weiter durch die Welt. „Wenn alsojemand in Christus ist, dann ist er eineneue Schöpfung: Das Alte ist vergangen,Neues ist geworden“ (2 Kor 5,17).Dieses Faktum ist nicht mehr umkehrbar,es ist nicht mehr ungeschehen zumachen. Es hat in Gott selbst seine Garantie.Am Ende steht eine Welt, in der dieMenschen und mit ihnen die ganzeSchöpfung ihr Lied der Freiheit unddes neuen Lebens singen werden –„wie im Himmel“, so dann auch aufder Erde.Der Trierer DomvikarDr. EngelbertFelten ist Leiter desTheologisch-PastoralenInstituts inMainz.Foto: Brigitte Bettscheider