Kapitel 2: 1854–1905 Johann Wilhelm Grevenberg: »chirurgischer ...

Kapitel 2: 1854–1905 Johann Wilhelm Grevenberg: »chirurgischer ... Kapitel 2: 1854–1905 Johann Wilhelm Grevenberg: »chirurgischer ...

geschichtsbuero.de
von geschichtsbuero.de Mehr von diesem Publisher
30.11.2012 Aufrufe

Kapitel 2: 1854 — 1905 22 Kapitel 2: 1854–1905 Johann Wilhelm Grevenberg: »chirurgischer Instrumentenmacher und Bandagist« Firmenschild »P.J. Dahlhausen« an der Hauswand in der Herzogstraße 19 in der Kölner Innenstadt (um 1917) Fortschritte der Medizin erfordern neue Instrumente Johann Wilhelm Grevenberg eröffnete sein Unternehmen 1854 in seinem Geburtshaus in der Marzellenstraße 86. In seiner Werkstatt fertigte und verkaufte er medizinische Instrumente, Orthopädiematerial und Bandagen. Der Zeitpunkt für die Gründung war nicht schlecht gewählt, denn die Medizin erlebte den Beginn umwälzender Veränderungen. Es wurde nicht nur die Ärzteausbildung verbessert, sondern auch bahnbrechende medizinische Entdeckungen gemacht, die völlig neue Behandlungsmethoden eröffneten. Seit 1847 ermöglichte die Einführung der Äthernarkose schmerzfreie Operationen. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts setzten sich die aseptischen Operationsmethoden von Semmelweis und Lister durch (s. Kasten S. 24), die die Todesfälle durch Infektion drastisch verringerten. Vorher verliefen Eingriffe in große Körperhöhlen zu mehr als 80 Prozent tödlich. Das Risiko wollte natürlich kaum jemand eingehen. Möglicherweise sah Grevenberg früh die Chancen dieser Entwicklung, denn jede neue Behandlungs- oder Operationsmethode erforderte auch neue Spezialinstrumente. Die konnte Grevenberg herstellen und liefern, so daß sich mit den Erfolgen und Fortschritten der Medizin auch sein Unternehmen entwickelte. Nach Zwischenstationen in der Marzellenstraße 78 und in der Herzogstraße 31 zog die Firma bereits 1864 in größere Geschäftsräume in die Herzogstraße 19. Johann Grevenbergs Familie Johann Wilhelm Grevenberg (1829 – 1903) heiratete bald nach der Firmengründung 1854 am 3. November 1855 Klara Kaiser, die 1834 in Mainz geborene Tochter des »Werkführers« Anton Kaiser und der Katharina Schäflein. Der Ehe war allerdings kein langes Glück beschieden: Nur elf Jahre nach der Hochzeit, am 24. Oktober 1866, starb die Klara mit nur 32 Jahren. Im folgenden Jahr, am 19. November 1867, heiratete Grevenberg die Maria Elisabeth Jos. Goossens. Sie war zwei Jahre älter als er, 1827 in Kleve geboren als Tochter von Heinrich Gregor Goossens und Johanna Berg. Johann Wilhelm Grevenberg hatte mindestens eine Tochter, die vor 1903 den Chirurgiemechanikermeister Wilhelm Vogel heiratete. Der fünf Jahre ältere Bruder Peter Josef Val. Grevenberg (1822 – 1890) hatte übrigens einen ganz anderen Weg beschritten und war »Hofopernsänger« geworden. Auch das spricht für den beruflichen Erfolg seines Vaters. In diesem Jahr wurde mit dem St. Marien-Hospital am Rheinufer auch das zweite neuzeitliche Kölner Krankenhaus eröffnet. Mit der räumlichen Veränderung vergrößerte sich das Angebot: Ab 1865 stellte die Firma Grevenberg nicht nur chirurgische Instrumente und Bandagen her, sondern fertigte auch orthopädische Maschinen und künstliche Gliedmaßen. Aufgrund der veränderten Operationsmethoden wurden – neben den Instrumenten – auch diese Erzeugnisse vermehrt nachgefragt. Zwischen 1890 und 1900 konnte Johann Wilhelm Grevenberg das Haus in der Herzogstraße kaufen – das junge Unternehmen entwickelte sich gut. 1864 zog Dahlhausen in neue und größere Geschäftsräume in der Herzogstraße 19 und konnte das Haus später auch kaufen. Bis 1931 hatte das Unternehmen hier seinen Sitz. Auf dem Foto aus dem Jahre 1917 ist sowohl der Name des alten Geschäftsinhabers Vogel-Grevenberg als auch der Namen Peter Josef Dahlhausen zu lesen, der die Firma 1915 übernahm. Kapitel 2: 1854 — 1905

<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905<br />

22<br />

<strong>Kapitel</strong> 2: <strong>1854–1905</strong> <strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>:<br />

<strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist«<br />

Firmenschild<br />

»P.J. Dahlhausen«<br />

an der Hauswand in der Herzogstraße<br />

19 in der Kölner Innenstadt<br />

(um 1917)<br />

Fortschritte der Medizin erfordern neue Instrumente<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong> eröffnete sein Unternehmen 1854 in seinem Geburtshaus<br />

in der Marzellenstraße 86. In seiner Werkstatt fertigte und verkaufte er medizinische<br />

Instrumente, Orthopädiematerial und Bandagen. Der Zeitpunkt für die Gründung war<br />

nicht schlecht gewählt, denn die Medizin erlebte den Beginn umwälzender Veränderungen.<br />

Es wurde nicht nur die Ärzteausbildung verbessert, sondern auch<br />

bahnbrechende medizinische Entdeckungen gemacht, die völlig neue<br />

Behandlungsmethoden eröffneten. Seit 1847 ermöglichte die Einführung<br />

der Äthernarkose schmerzfreie Operationen. In der zweiten Hälfte<br />

des 19.Jahrhunderts setzten sich die aseptischen Operationsmethoden<br />

von Semmelweis und Lister durch (s. Kasten S. 24), die die Todesfälle<br />

durch Infektion drastisch verringerten. Vorher verliefen Eingriffe in<br />

große Körperhöhlen zu mehr als 80 Prozent tödlich. Das Risiko wollte<br />

natürlich kaum jemand eingehen.<br />

Möglicherweise sah <strong>Grevenberg</strong> früh die Chancen dieser Entwicklung,<br />

denn jede neue Behandlungs- oder Operationsmethode erforderte<br />

auch neue Spezialinstrumente. Die konnte <strong>Grevenberg</strong> herstellen und<br />

liefern, so daß sich mit den Erfolgen und Fortschritten der Medizin auch sein Unternehmen<br />

entwickelte. Nach Zwischenstationen in der Marzellenstraße 78 und in der Herzogstraße<br />

31 zog die Firma bereits 1864 in größere Geschäftsräume in die Herzogstraße 19.<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Grevenberg</strong>s Familie <strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong> (1829 – 1903) heiratete bald nach der Firmengründung<br />

1854 am 3. November 1855 Klara Kaiser, die 1834 in Mainz geborene Tochter des »Werkführers«<br />

Anton Kaiser und der Katharina Schäflein. Der Ehe war allerdings kein langes Glück beschieden: Nur elf Jahre<br />

nach der Hochzeit, am 24. Oktober 1866, starb die Klara mit nur 32 Jahren. Im folgenden Jahr, am 19. November<br />

1867, heiratete <strong>Grevenberg</strong> die Maria Elisabeth Jos. Goossens. Sie war zwei Jahre älter als er, 1827 in<br />

Kleve geboren als Tochter von Heinrich Gregor Goossens und <strong>Johann</strong>a Berg. <strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong><br />

hatte mindestens eine Tochter, die vor 1903 den Chirurgiemechanikermeister <strong>Wilhelm</strong> Vogel heiratete.<br />

Der fünf Jahre ältere Bruder Peter Josef Val. <strong>Grevenberg</strong> (1822 – 1890) hatte übrigens einen ganz anderen<br />

Weg beschritten und war »Hofopernsänger« geworden. Auch das spricht für den beruflichen Erfolg<br />

seines Vaters.<br />

In diesem Jahr wurde mit dem St. Marien-Hospital<br />

am Rheinufer auch das zweite neuzeitliche Kölner<br />

Krankenhaus eröffnet.<br />

Mit der räumlichen Veränderung vergrößerte<br />

sich das Angebot: Ab 1865 stellte die Firma <strong>Grevenberg</strong><br />

nicht nur chirurgische Instrumente und<br />

Bandagen her, sondern fertigte auch orthopädische<br />

Maschinen und künstliche Gliedmaßen. Aufgrund<br />

der veränderten Operationsmethoden wurden –<br />

neben den Instrumenten – auch diese Erzeugnisse<br />

vermehrt nachgefragt. Zwischen 1890 und 1900<br />

konnte <strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong> das Haus in<br />

der Herzogstraße kaufen – das junge Unternehmen<br />

entwickelte sich gut.<br />

1864 zog Dahlhausen in neue und<br />

größere Geschäftsräume in der<br />

Herzogstraße 19 und konnte das<br />

Haus später auch kaufen. Bis 1931<br />

hatte das Unternehmen hier seinen<br />

Sitz. Auf dem Foto aus dem Jahre<br />

1917 ist sowohl der Name des alten<br />

Geschäftsinhabers Vogel-<strong>Grevenberg</strong><br />

als auch der Namen Peter<br />

Josef Dahlhausen zu lesen, der die<br />

Firma 1915 übernahm.<br />

<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905


<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905<br />

24<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist«<br />

Der Wiener Arzt<br />

Ignatz Philipp Semmelweis<br />

erkannte,<br />

daß das oft tödliche<br />

Kindbettfieber von den schmutzigen<br />

Händen der Ärzte versursacht<br />

wurde.<br />

Der Operationsstuhl der Tübinger<br />

Universitätsklinik aus dem Jahre<br />

1873 erinnert mehr an einen frühneuzeitlichen<br />

Folterstuhl als an<br />

einen Operationssaal, aus: Victor<br />

von Bruns, Handbuch der chirurgischen<br />

Praxis, Tübingen, 1873.<br />

»Ein Apparat mit doppelt geneigter<br />

Fläche, der für einen Oberschenkelbruch<br />

aus zwei durch ein<br />

federndes Gelenk<br />

verbundenen Rinnen<br />

construirt ist«;<br />

aus dem »Handbuch<br />

der niederen Chirurgie«<br />

von 1854.<br />

Äthernarkose, Antisepsis & Bakteriologie In der Berliner Charité begann 1847 der deutsche<br />

Siegeszug der in Boston erfundenen Äthernarkose, die Ende des 19. Jahrhunderts fester Bestandteil der<br />

Operationspraxis wurde. Zögerlicher verwendete man Chloroform. Lachgas hatte 1844 ein amerikanischer<br />

Arzt erstmals erfolgreich eingesetzt, aber es vergingen noch 17 Jahre, bis in Europa erstmals mit<br />

Lachgas operiert wurde, das damals nur mit großem Aufwand aufbereitet werden<br />

konnte. 1879 warb eine Bonner »Klinik für Zahnleidende« für ihre »schmerzlosen<br />

Zahnoperationen unter Einwirkung des neuerdings verbesserten Lachgases«. Die<br />

Lokalanästhesie wurde erst um die Jahrhundertwende von Berliner Ärzten entwickelt.<br />

Die erste Infiltrationsanästhesie auf dem Deutschen Chirurgenkongreß<br />

1894 wurde zunächst noch belächelt, später dann aber begeistert aufgenommen.<br />

Vor Einführung der Antisepsis waren Eingriffe in großen Körperhöhlen zu<br />

mehr als 80 Prozent tödlich verlaufen. Frauen waren besonders von<br />

der »unreinen« Medizin betroffen: Denn nachdem Ärzte die Hebammen<br />

als Geburtshelfer verdrängt hatten, starben Millionen von Frauen<br />

am Kindbettfieber. Erst der Wiener Arzt Ignatz Philipp Semmelweis<br />

(1818 – 1865) erkannte: »Kindbettfieber wird durch Kadaverteile<br />

verursacht, die den Händen des Arztes anhaften, wenn er vor<br />

der Geburt stehende Frauen untersucht.« Daher müsse der Arzt<br />

»seine Hände vor einer Visite gründlich säubern«, wofür Semmelweis<br />

eine Chlorlösung empfahl. Obwohl die Sterblichkeitsrate dadurch drastisch zurückging,<br />

erntete er nur Spott und wurde schließlich entlassen. In seinem ständigen Kampf<br />

um das Leben der Mütter wurde er schließlich in die Irrenanstalt Döbling bei Wien<br />

gebracht, wo er 1865 an einer sich selbst beigebrachten Infektion starb.<br />

In der Chirurgie setzte der in England praktizierende Joseph Lister (1827 – 1912) die<br />

Aspesis durch. Aufbauend auf den Erkenntnissen von Semmelweis und Louis<br />

Pasteur (1822 – 1895) aus den 1860er Jahren desinfizierte er nicht nur die Hände<br />

der Operateure, sondern auch die Luft und die ärztlichen Instrumente. Er<br />

entwickelte ein Sprayverfahren, um die Luft im Operationssaal mit Karbolsäurenebel<br />

zu desinfizieren. Obwohl diese Methode sowohl für den Operateur<br />

als auch für den Patienten Risiken barg, wurde sie bald weltweit über-<br />

Die Veränderung der Krankenhäuser<br />

<strong>Grevenberg</strong>s – und später Dahlhausens – wichtigste Kunden waren<br />

die Krankenhäuser, zunächst in Köln. Die Krankenhäuser benötigen<br />

Messer, Skalpelle und andere chirurgische Instrumente<br />

sowie ständig neues Verbandmaterial, dazu zahlreiche unterschiedliche Bandagen<br />

und künstliche Glieder. Allerdings gab es, als <strong>Grevenberg</strong> 1854<br />

sein Unternehmen gründete, in Köln nur das Bürgerhospital.<br />

Das allerdings hatte gerade erst (1843 – 47) einen<br />

Neubau bekommen, der mit seinem Korridorstil<br />

richtungsweisend für die weitere Krankenhausarchi-<br />

tektur werden sollte. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts veränderten sich die<br />

Krankenhäuser rasant – parallel zum medizinischen Fortschritt, der die<br />

chirurgischen Behandlungsmöglichkeiten erweiterte. Von Invaliden- und<br />

Altenheimen entwickelten sie sich zu Orten der Behandlung akuter Krankheiten<br />

und Verletzungen und wurden nun nicht nur von den Armen, sondern<br />

auch immer mehr von den wohlhabenden Bürgern genutzt. Mit dem<br />

St. Marien-Hospital (1854/64) und der Lindenburg (1855/72) wurden bald<br />

zwei weitere Kölner Krankenhäuser eröffnet.<br />

Die Krankenhausärzte erfanden neue Operationsmethoden und benötigen<br />

dafür neue Instrumente, die sie gemeinsam mit den Instrumentenmachern<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist« 25<br />

nommen. In Deutschland waren es der Leipziger Chirurg Karl Tiersch, der sich schon 1867 für die Antisepsis<br />

aussprach, und der junge Berliner Assistenzarzt James Israel, der zu Lister reiste, um die Antisepsis<br />

kennenzulernen. Er brachte sie nach<br />

Berlin mit, wo sie zunächst im Jüdischen<br />

Krankenhaus, dann auch im<br />

Universitätsklinikum genutzt wurde.<br />

Der Hallenser Chirurg Richard von<br />

Volkmann führte ab 1867 die antiseptische<br />

Wundbehandlung in Deutschland<br />

systematisch ein.<br />

Bemerkenswert kam die Antisepsis<br />

zum Durchbruch, als die Bakteriologie<br />

noch in den Anfängen steckte und die<br />

Krankheitserreger selbst noch weitgehend<br />

unbekannt waren. Erst seit Mitte<br />

der 1870er Jahre wurden immer mehr<br />

Keime entdeckt und Gegenmittel gesucht<br />

und erprobt. 1 Robert Koch<br />

(1843 – 1910) wies nach, daß die bisher<br />

genutzten Desinfektionsmittel<br />

zum Abtöten der Keime und Sporen<br />

nicht ausreichten und entwickelte die<br />

wirkungsvollere Sterilisation mit überhitztem<br />

Wasserdampf.<br />

Entwicklung der Operationsmöglichkeiten Mit den neuen Möglichkeiten wurden neue Operationen<br />

entwickelt: 1869 war zum ersten Mal eine kranke Niere gezielt entfernt worden, 1881 wurde die erste<br />

Magenresektion durchgeführt, 1882 zum ersten Mal operativ eine Gallenblase entfernt, 1884 erfolgte die<br />

erste erfolgreiche Blinddarmoperation. 1896 wagte man sich an die erste Herzoperation und nach 1900<br />

schließlich wurden die ersten Schilddrüsenoperationen und Hautverpflanzungen vorgenommen. In der<br />

Nerven- und Gehirnchirurgie kam es ebenfalls zu Weiterentwicklungen.<br />

Operationsraum Bellevue Hospital,<br />

New York, mit einem Karbolsäurezerstäuber<br />

des englischen<br />

Chirurgen Joseph Lister (1827–1912),<br />

des Verfechters der Antisepsis.<br />

»Fig. 99 stellt auf der einen Seite<br />

einen vollständig angelegten<br />

Oberschenkelknochenbruch-<br />

Verband dar, auf der anderen<br />

Seite sieht man das Femur.«<br />

Die verschiedenen Schlingen<br />

sollen die Knochen in der<br />

richtigen Position halten;<br />

aus dem »Handbuch der niederen<br />

Chirurgie« von 1854.<br />

<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905


<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905<br />

26<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist«<br />

1843 bis 1847 bekam<br />

das Bürgerhospital<br />

einen<br />

großzügigen<br />

Neubau, der mit<br />

seinem Korridorstil für den Krankenhausbau<br />

richtungsweisend<br />

werden sollte.<br />

Verschließbare Verbandstoff-<br />

Trommeln nach Schimmelbusch,<br />

rund, hochglanzpoliert und rostfest<br />

vernickelt (Braun Melsungen 1939).<br />

Kurt Schimmelbusch (1860–1895)<br />

hatte diese Trommeln 1888 zur<br />

effektiven Sterilisation von Verbandmaterial<br />

und Instrumenten<br />

entwickelt.<br />

Veränderungen im Kölner »Bürgerhospital« (1850) Bereits seit seiner Gründung 1802 hatte das<br />

Bürgerhospital eine Äußere (chirurgische) und eine Innere Abteilung, wobei der Chirurg zunächst dem<br />

Oberarzt der Inneren Abteilung unterstand. Die Chirurgie kümmerte sich lediglich um Wundverbände,<br />

Fisteln und schiente Frakturen. Nachdem 1841 Otto Fischer (1810 – 1885) der leitende Chirurg geworden war,<br />

wurden beide Abteilungen gleichberechtigt.<br />

Die Übernahme der Chirurgie<br />

durch Bernhard Bardenheuer<br />

(1839 – 1913) im Jahre 1874 markierte<br />

einen radikalen Umbruch in der<br />

Chirurgie, denn durch die Antisepsis<br />

wurden nun große Operationen<br />

möglich. Bardenheuer erprobte neue<br />

Techniken und übernahm sie bei<br />

Erfolg. 1875 führte er in Köln die Lister’sche<br />

Antisepsis ein – gegen den<br />

Widerstand der Verwaltung, die jährlichen<br />

Mehrkosten von rund 4 000<br />

Talern scheute (immerhin etwa zwei<br />

Beamtengehälter). Bardenheuers<br />

Assistent Kurt Schimmelbusch<br />

(1860 – 1895) entwickelte 1888 die sog. »Schimmelbusch-Trommel«<br />

zur Sterilisation von Verbandmaterial<br />

und Instrumenten. Angesichts dieser medizinischen<br />

Fortschritte nutzten nun auch wohlhabendere Bürger,<br />

die sich bisher zu Hause hatten operieren lassen, das<br />

Bürgerhospital, das mit 510 Betten (1900) zu einer der<br />

größten chirurgisch-operativen Krankenanstalten in<br />

Europa wurde.<br />

entwickelten. Weitere Instrumente und Apparaturen<br />

wurden gebraucht, um die benutzten<br />

Geräte für die nächste Operation aufzubereiten.<br />

Benötigte bisher selbst ein so großes Haus<br />

wie das Bürgerhospital nur wenige chirurgische Werkzeuge, so forderten die Ärzte nun<br />

eine große Anzahl der verschiedensten Gerätschaften. Den Instrumentenmachern eröffneten<br />

sich neue Aufgaben.<br />

Allerdings war <strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong> nicht der einzige Kölner »chirurgische<br />

Instrumentenmacher und Bandagist«. Das Adreßbuch der Stadt zählte 1854 15 weitere<br />

Bandagisten, chirurgische Instrumentenmacher und »orthopädische Korsettmacher«<br />

auf. Allerdings war die Fluktuation auf den Markt recht groß: 1860 waren einige Firmen<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist« 27<br />

verschwunden, andere dafür neu gegründet worden, so daß die Gesamtzahl konkurrierender<br />

Firmen fast konstant blieb. Bereits 1915 allerdings existierte keine dieser Firmen<br />

mehr – außer <strong>Grevenberg</strong>/Dahlhausen, das damit als ältestes Unternehmen seiner<br />

Branche in Köln gelten kann.<br />

Neue Krankenhäuser in Köln – neue Kunden für <strong>Grevenberg</strong><br />

Von der Entwicklung des Unternehmens <strong>Grevenberg</strong> im 19. Jahrhundert ist kaum etwas<br />

bekannt. Was sich allerdings rekonstruieren läßt, ist die rasante Entwicklung des Marktes,<br />

den das Unternehmen mit seinen Produkten beliefern konnte. Auch wenn es dabei<br />

zahlreiche Wettbewerber gab – <strong>Grevenberg</strong>/Dahlhausen war offensichtlich am erfolgreichsten,<br />

denn es existiert bis heute.<br />

War das Kölner »Bürgerhospital« zunächst das einzige Krankenhaus in der Stadt, so<br />

wurden seit Mitte des 19.Jahrhunderts zahlreiche neue Krankenhäuser gegründet. Um<br />

1910 standen den Kölner Bürgern mindestens 17 Krankenhäuser zur Verfügung. Hinter<br />

den Gründungen standen das Militär, die Kirchen, verschiedene katholische Ordens-<br />

Die 1820 in Köln gegründete Seilerei<br />

»Felten & Guilleaume« bezog<br />

1838 ein neues Fabrikgebäude am<br />

Karthäuserwall (Gut Rosenthal)<br />

und nahm die Produktion von<br />

Drahtseilen für den Bergbau auf.<br />

Damit stand das Unternehmen am<br />

Beginn der stürmischen Industriealisierung<br />

Kölns, die bald die alten<br />

Stadtmauern sprengte. Von 1850<br />

bis 1870 verdoppelte sich die Bevölkerung<br />

Kölns von etwa 60 000 auf<br />

130 000 Einwohner. Nach der<br />

Eingemeindung der Vororte waren<br />

es 1888 bereits 280 000 Menschen,<br />

die neue und größere Krankenhäuser<br />

benötigten; Lithographie<br />

1885 von Jakob Schreiner.<br />

<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905


<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905<br />

28<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist«<br />

Schwebeapparate<br />

ermöglichen die Behandlung<br />

einer Fraktur<br />

ohne Schiene (Fig. 105,<br />

106). Das Anlegen von<br />

Schnallverbänden<br />

diente der Heilung von<br />

Kniescheibenbrüchen. Neben dem<br />

Verband von Boyer (Fig. 107) wurde<br />

bei der Knochennaht der Malgaigne-<br />

Apparat eingesetzt (Fig. 108). Um<br />

den Patienten bei Oberschenkelbrüchen<br />

richtig lagern zu können,<br />

wurden die Matratzen des Bettes<br />

doppelt zusammengelegt. Dadurch<br />

wurde Platz für den Durchgang<br />

eines Gefäßes gelassen(Fig. 110);<br />

aus dem »Handbuch der niederen<br />

Chirurgie« von 1854.<br />

Material für Unterschienen-<br />

Verbände: Rinne aus Eisendraht<br />

(Fig. 95), im Winkel gebogene<br />

Rinne (Fig. 96), Anwendungsweise<br />

der Rinne (Fig. 97) und Extensionsapparate<br />

von Baudens für den<br />

Oberschenkelbruch (Fig. 98);<br />

aus dem »Handbuch der niederen<br />

Chirurgie« von 1854.<br />

gemeinschaften, Kölner Bürger und nicht zuletzt die Stadtverwaltung. Dabei hatten die<br />

Gründungen unterschiedliche Ursachen: Zum einem wuchs das Vertrauen der Bürger in<br />

die Krankenhäuser, zum anderen wuchs durch die Industrialisierung die Bevölkerung.<br />

Außerdem spielten die Choleraepidemien, die<br />

Bekämpfung der »Volksseuche« Tuberkulose,<br />

die Ansätze zur Sozialreform, die konfessionelle<br />

Konkurrenz in der Stadt, das Wachstum der<br />

Industrievororte und schließlich Bismarcks<br />

Sozialgesetze (Krankenversicherung 1883) entscheidende<br />

Rollen.<br />

Alle diese neuen Krankenhäuser, dazu die<br />

Ärzte und Fachärzte waren potentielle Kunden<br />

des Bandagisten und Chirurgiemechanikers<br />

<strong>Grevenberg</strong>, denn sie benötigten chirurgische<br />

Instrumente, Verbandmaterial, Bandagen und<br />

orthopädische Hilfsmittel. <strong>Grevenberg</strong> reagierte<br />

darauf mit der Erweiterung seiner Produktpalette<br />

und seines Dienstleistungsangebotes.<br />

So nahm er gegen Ende des 19.Jahrhunderts<br />

Solinger Stahlwaren in sein Programm auf.<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist« 29<br />

Da es bis in die 1950er Jahre hinein keinen geordneten, zentralisierten Einkauf von<br />

Verbrauchsgütern in den Krankenhäusern gab, konnten die einzelnen Krankenhausstationen<br />

recht selbständig über ihre Lieferanten entscheiden. Persönliche Kontakte zum<br />

Krankenhauspersonal waren also die entscheidende Grundlage für den Erfolg.<br />

Die ersten beiden neuen Krankenhäuser standen zwar nicht den Kölner Bürgern offen,<br />

waren aber sicherlich trotzdem potentielle Kunden für den Instrumentenbauer und<br />

Bandagisten <strong>Johann</strong> <strong>Grevenberg</strong>:<br />

Das Garnisonslazarett. In Rahmen des Ausbaues der Stadt Köln zur preußischen<br />

Festung wurde 1821 bis 1823 im Alten Karthäuserkloster ein Garnisonslazarett eingerichtet.<br />

1879 kam das Garnisonslazarett Deutz hinzu, 1875 das Lazarett für Militärgefangene<br />

im Fort V in Müngersdorf und 1883 das Lazarett der Königlichen Strafanstalt.<br />

Deutz. Das städtische Krankenhaus in der Neuhöfferstraße 12 im damals noch selbständigen<br />

Deutz wurde 1846 gestiftet und bekam 1874 einen Neubau. Erst durch die<br />

Eingemeindung von 1888 ging das Haus in den Besitz der Stadt Köln über.<br />

Zwei sehr wichtige Krankenhausgründungen für die Kölner Bürger fallen unmittelbar<br />

in die Zeit der Unternehmensgründung 1854:<br />

St. Marien-Hospital. Das nach dem Bürgerspital zweite Kölner Krankenhaus war<br />

das 1854 als Stiftung katholischer Kölner Bürger gegründete St. Marien-Hospital am<br />

Rheinufer im Schatten von St. Kunibert (»Kunibertsklösterchen«). 1864 nahm es seinen<br />

Betrieb auf. Wohlhabende Bürger konnten für 2 000 Taler ein Bett stiften; auf den »Stiftertafeln«<br />

im Flur des Krankenhauses sind alle wichtigen Familien des katholischen<br />

Kölner Bürgertums im 19.Jahrhundert vertreten. Die Pflege der Kranken und die Haushaltsführung<br />

übernahmen von 1867 bis 1980 die »Armen Schwestern vom Heiligen<br />

Franziskus«. 1889 verfügte das Haus über 259 Betten.<br />

Außenansicht des 1864<br />

eröffneten Marienhospitals.<br />

Rechts: Der Garten des Marienhospitals<br />

mit spielenden Kindern.<br />

<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905


<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905<br />

30<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist«<br />

Orthopädie in der<br />

Lindenburg<br />

Innenhof der Lindenburg<br />

im Jahre 1916. Kammanlage und<br />

Blick auf den Moritzschen<br />

Pavillon<br />

Die Lindenburg. Im Jahre 1850/55 gründete der Alexianermönch<br />

Lennartz vor den Mauern Kölns in Lindenthal<br />

eine private Kranken-Heil- und Irrenverpflegungsanstalt.<br />

1872 wurde das Haus zur städtischen Klinik »Lindenburg«,<br />

1895 bis 1905 gab es zahlreiche Erweitungen und von 1905<br />

bis 1908 – nach der Eröffnung der Akademie für praktische<br />

Medizin (1904) – wurde ein großer Neubau mit 1 200 Betten<br />

errichtet. Damit wurde die »Städtischen Krankenanstalt<br />

Lindenburg« das erste geplante Großkrankenhaus der<br />

Stadt Köln mit über 1 000 Betten, 1919 wurde die »Lindenburg«<br />

zur Universitätsklinik umgewandelt.<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts rückte die Cholera durch drei Epidemien ins Zentrum der<br />

öffentlichen Wahrnehmung. Vom ersten Cholerazug 1832/33 war die Stadt noch weitgehend<br />

verschont geblieben. Die Epidemie von 1849 forderte in Köln hingegen 1 357<br />

Menschenleben. Die Kranken wurden in das ein Jahr zuvor fertiggestellte neue Bürgerhospital<br />

aufgenommen, wo sie von den Cellitinnen aufopferungsvoll und unter großen<br />

eigenen Verlusten gepflegt wurden. Die dritte Choleraepidemie von 1866/67 löste zwar<br />

mehrere Krankenhausneubauten aus, es erkrankten und starben aber deutlich weniger<br />

Menschen als befürchtet. Dennoch erkannte die Stadt, daß die bisherigen<br />

Schutzkonzepte – Isolation, Absperrung und Quarantäne – nicht ausreichten.<br />

Die Gesundheitsbehörden entwickelten jetzt vorbeugende Programme,<br />

um ein möglichst<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist« 31<br />

gesundes Umfeld zu schaffen. Der erste Schritt war der Bau einer zentralen Wasserversorgung.<br />

Die Stadterweiterung von 1888 folgte der Idee »Licht, Luft un Bäumcher«. Es<br />

wurde eine zentrale Stadtentwässerung gebaut, die Müllabfuhr ausgeweitet, Schlachthöfe<br />

eingerichtet, eine Straßenbeleuchtung installiert und die Straßenreinigung verbessert.<br />

Die kommunale Daseinsvorsorge wurde immer wichtiger.<br />

St. Franziskus-Hospital Ehrenfeld. Seit 1868 pflegten – im Zusammenhang mit<br />

der Choleraepidemie – Ordensfrauen der »Armen Schwestern vom Heiligen Franziskus«<br />

in einem Haus in der Ehrenfelder<br />

Stammstraße arme Kranke des Stadtteils.<br />

Aus diesem Haus ging später das St.<br />

Franziskus-Hospital hervor (s.u.).<br />

Das jüdische Krankenhaus. 1868<br />

stifteten die Brüdern Elzbacher das Jüdische<br />

Krankenhaus in der Silvanstraße<br />

(»Israelitisches Asyl«), das seit 1869 vor<br />

allem Kranke aufnahm, dazu auch Altersschwache.<br />

Als Arzt war Dr. Benjamin<br />

Auerbach (1855–1940) angestellt. 1907<br />

wurde der Neubau in der Ottostraße in<br />

Neuehrenfeld fertiggestellt. In den Folgejahren<br />

war es aufgrund des ausgezeichneten Rufes seiner Ärzte ständig überbelegt.<br />

Mit der Industriellen Revolution wuchs die Bevölkerung Kölns ganz erheblich.<br />

Von 1850 bis 1870 verdoppelte sich die Bevölkerung von etwa 60 000 auf 130 000 Einwohner.<br />

Um 1880 war der Raum innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer komplett<br />

zugebaut und die Bevölkerungsdichte auf 35 000 Menschen pro Quadratkilometer gestiegen.<br />

1888 wurde deshalb die Mauer niedergelegt und die Stadt um einen mehrere<br />

hundert Meter breiten Streifen erweitert (Neustadt, Ringstraße). Durch die Eingemeindung<br />

der Vorstädte wuchs die Bevölkerung auf 280 000 Menschen, 1905 waren es<br />

430 000 und 1914 635 000 Einwohner. Die neuen Industrien siedelten sich jedoch<br />

kaum in der engen alten Stadt an, sondern außerhalb des breiten Festungsrayons, der<br />

nicht bebaut werden durfte (heute Innerer Grüngürtel). So war Köln von einem Gürtel<br />

rasch wachsender industrieller Vororte umgeben, die eigene Krankenhäuser brauchten<br />

und auch bekamen (Nippes 1871, Ehrenfeld 1868/87, St. Anna-Hospital in Lindenthal<br />

1888, Niehl 1894/1905, Kalk 1904/07, Bayenthal 1909). Um den Bau dieser Häuser<br />

kümmerten sich vor allem die beiden Frauenorden der Augustinerinnen (Cellitinnen)<br />

und der »Armen Schwestern vom Heiligen Franziskus«, den die Aachener Unternehmertochter<br />

Franziska Schervier (1819 – 1876) 1845 in Aachen gegründet hatte.<br />

St. Vinzenz-Hospital Nippes. 1871 wurde das St. Vinzenz-Mutterhaus in der Eintrachtstraße<br />

im damaligen Vorort Nippes eröffnet. Träger des Hospitals waren die<br />

1907 bekam das Jüdische Krankenhaus<br />

in der Ottostraße in<br />

Neuehrenfeld einen Neubau.<br />

Im Krieg wurde das Haus zerstört.<br />

<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905


<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905<br />

32<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist«<br />

Das Krankenhaus der<br />

Augustinerinnen (»Severinsklösterchen«)<br />

in der Jakobstraße 27–31<br />

wurde 1874 errichtet. (oben)<br />

Straßenszene in der Nähe des<br />

Hauptbahnhofes um 1911<br />

Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul. Die Schwestern pflegten Pocken-,<br />

dann Typhuskranke aus Nippes. Nachdem den Ordensschwestern im Kulturkampf<br />

die Lehrbefugnis (d.h. ihre Schule) entzogen worden war, widmeten sie sich ganz<br />

der Krankenpflege. Seit 1875 kann man von einem richtigen Krankenhaus sprechen.<br />

Nach verschiedenen Vergrößerungen bekam das Haus 1928 einen großzügigen Erweiterungsbau.<br />

»Severinsklösterchen«. Bei ihrem Mutterhaus in der Severinstraße in der Kölner<br />

Südstadt eröffneten die Augustinerinnen-Cellitinnen 1874 eine eigene Heil- und Pflegeanstalt<br />

(»Severinsklösterchen«) in der Jakobstraße 27 – 31. Die Leitung der chirurgischen<br />

Station übernahm Professor Bardenheuer. Die Grundsteinlegung für den heutigen<br />

Krankenhausbau erfolgte erst 1929.<br />

St. Franziskus-Hospital Ehrenfeld. eröffneten die »Armen Schwestern vom Heiligen<br />

Franziskus« – mit Unterstützung des Erzbistums und den großzügigen Spenden<br />

Ehrenfelder Fabrikanten – das St. Franziskus-Hospital in der Ehrenfelder Schönsteinstraße,<br />

dessen Bettenzahl in den folgenden Jahrzehnten von 100 auf mehr als 400 stieg.<br />

Mit der Eingemeindung der Vororte 1888 kam das Haus nach Köln.<br />

St. Agatha Krankenhaus Niehl. Seit 1894 kümmerten sich einige Schwestern der<br />

Cellitinnen (Augustinerinnen) aus der Severinstraße um Kranke und noch nicht schulpflichtige<br />

Kinder in Köln-Niehl. 1903 bis 1905 wurde das St. Agatha Krankenhaus in der<br />

Feldgärtenstraße gebaut, das zunächst noch Krankenhaus und Altenheim war. Carl<br />

Sonnenschein leitete dort eine chirurgische und eine gynäkologische Abteilung, Emil<br />

Willems die innere Abteilung.<br />

1896 wurde das Katholische Krankenhaus in Kalk in der Hollweghstraße erweitert.<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist« 33<br />

St. Antonius Krankenhaus Bayenthal. 1907 bis 1909 bauten die Cellitinnen-<br />

Augustinerinnen (aus der Severinstraße) mit dem St. Antonius Krankenhaus in Bayenthal<br />

(Schillerstraße) ihr drittes Krankenhaus, konzipiert für 150 Kranke aus dem Kölner<br />

Industrievorort – vor allem als Unfallkrankenhaus. Bei der »Ausstattung der Räume«,<br />

bei Hygiene und »Bequemlichkeitsansichten« sollte das Haus mit den Neubauten des<br />

Israelitischen Krankenhauses und der Lindenburg gleichwertig sein, um auch den »außerordentlich<br />

hohen Ansprüchen« der »Kranken I. und II. Klasse« zu genügen.<br />

Die qualitativen Veränderungen der Medizin<br />

führten auch zu einer Diversifizierung<br />

und Spezialisierung der Krankenhäuser.<br />

Erste Spezialkliniken entstanden:<br />

Augenheilanstalt. 1874 gründeten Kölner<br />

Bürger die Kölner Augenheilanstalt für<br />

Arme als »öffentliche Wohlthätigkeitsanstalt«,<br />

1879 kauften sie am Gereonswall ein<br />

größeres Haus und errichteten 1886 – 88 einen<br />

Neubau (Baumeister Wiethase). Leitender<br />

Arzt war 1888 Dr. Samelsohn.<br />

Kinderkrankenhaus. 1883 wurde im Süden<br />

der Kölner Altstadt (»Fringsveedel«) in<br />

der Buschgasse das erste Kinderkrankenhaus<br />

(mit Poliklinik) der Stadt eröffnet. Finanziert<br />

wurde das Haus durch eine 1-Million-<br />

Das 1896 erweiterte Katholische<br />

Krankenhaus in Kalk (links)<br />

Historische Außenaufnahme des<br />

St. Antonius Krankenhauses<br />

(rechts)<br />

Die Städtische Augenheilanstalt<br />

am Gereonswall 114,<br />

erbaut 1886–88 durch den<br />

Baumeister Wiethase<br />

<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905


<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905<br />

34<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist«<br />

Finanziert durch eine Millionenstiftung<br />

der Freifrau von Oppenheim<br />

wurde 1883 wurde im Süden<br />

der Kölner Altstadt das erste<br />

Kinderkrankenhaus der Stadt<br />

eröffnet.<br />

Die Kinderabteilung des<br />

St. Vinzenzhospital in der Kölner<br />

Eintrachtstraße, um 1920<br />

Mark-Stiftung der Freifrau Charlotte von Oppenheim. Augustinerinnen des Mutterhauses<br />

Severinstraße übernahmen die Pflege von etwa 30 bedürftigen Patienten, die<br />

Verwaltung besorgten Bürgermeister und Stadtverordnete. 1904 wurde das Haus Ausbildungsklinik<br />

der Akademie für praktische Medizin. Das Haus war Vorgänger des heutigen<br />

Kinderkrankenhauses in der Amsterdamerstraße<br />

in Riehl.<br />

Kinderklinik Lindenburg. Seit 1908 gab<br />

es auch eine Kinderklinik auf der Lindenburg,<br />

die vor dem Ersten Weltkrieg 58 Betten hatte.<br />

Seit 1883 veränderten die Bismarck’schen<br />

Sozialgesetze (Kranken-, Unfall- sowie Alters-<br />

und Invaliditätsversicherung) radikal das<br />

Gesundheitswesen und verbesserten die medizinische<br />

Versorgung. 1885 waren bereits 4,3<br />

Mio. Menschen im Deutschen Reich krankenversichert,<br />

1917 waren es mit 15,6 Mio. rund<br />

23 Prozent der Bevölkerung. Immer mehr<br />

Menschen bekamen also Zugang zu ärztlichen<br />

Behandlungen. Die Leistungen der Kassen stiegen zwischen 1885 und 1913 von<br />

47,4 Mio. auf 390,7 Mio. Mark. Krankenhilfe gab es zunächst für 13 Wochen, seit 1903 für<br />

26 Wochen, jetzt konnten Krankheiten auskuriert werden. Durch die verbesserten<br />

Leistungen stieg die durchschnittliche Krankheitsdauer von 14 Tagen (1885) auf 20,6 Tage<br />

(1913). Denn man hatte erkannt, daß eine Krankheit nicht schnell, sondern gründlich<br />

geheilt und auskuriert werden mußte.<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist« 35<br />

Die neue Krankenversicherung erforderte und ermöglichte einen Ausbau der Krankenhäuser:<br />

Augustahospital. 1886 gründete die Stadt Köln auf<br />

dem Gelände von Fort V am Südbahnhof das »Augustahospital«,<br />

benannt nach der Kaiserin. Das 1886 – 88 durch<br />

Stadtbaumeiter Stübben in der Zülpicher Straße 47 errichtete<br />

Hospital war zunächst als Seuchen-Ausweich-Hospital<br />

für Cholera- und Tuberkulosekranke gedacht, während<br />

die Chirurgie im Bürgerhospital beheimatet war. Bis zum<br />

Zweiten Weltkrieg blieb die stadtkölnische Krankenversorgung<br />

auf die drei Betriebsteile Bürgerhospital (1802),<br />

Augustahospital (1888) und Lindenburg (1872) verteilt.<br />

Hildegardis-Krankenhaus. 1897 bis 1901 baute die Bruderschaft der Alexianer (Celliten)<br />

in der Bachemer Straße ein Krankenhaus und übernahm die Pflege (Alexianerkloster).<br />

Vorläufer war eine 1858 an der Mauritiuskirche eingerichtete Heil- und Pflegeanstalt,<br />

die 1894 Krankenhaus wurde. Aus dem Neubau von 1901 wurde später das<br />

Hildegardis-Krankenhaus, heute Malteserkrankenhaus St. Hildegardis.<br />

Seit der Eingliederung Kölns in Preußen war in der Stadt ein finanzstarkes evangelisches<br />

Bürgertum entstanden, das jedoch über keine nennenswerten eigenen Krankenhäuser<br />

verfügte. Angesichts der konfessionellen Spannung in der zweite Hälfte des<br />

19. Jahrhunderts (»Kulturkampf«, Verhaftung des Kölner Erzbischofs) lag es nahe, daß<br />

protestantische Patienten nicht länger auf die Pflege katholischer Ordensschwestern<br />

angewiesen sein wollten.<br />

1886–88 baute Stadtbaumeister<br />

Stübben in der Zülpicher Straße 47<br />

das neue Gebäude des<br />

Augusta-Hospitals<br />

Der wunderschöne,<br />

1901 errichtete neugotische<br />

Krankenhausbau des<br />

Hildegardiskrankenhauses<br />

<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905


<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905<br />

36<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist«<br />

Außenansicht des<br />

Evangelischen Krankenhaus<br />

Weyertal, um 1920<br />

Vorderansicht des<br />

Evangelischen Krankenhauses<br />

Kalk, um 1904<br />

Evangelisches Krankenhaus Weyertal. 1898 wurde der<br />

Trägerverein gegründet und 1902 das Evangelische Krankenhaus<br />

im Weyertal eröffnet, finanziert durch Stiftungen<br />

der protestantischen Oberschicht um Laura Oelbermann<br />

(1846 – 1929). Diakonissen übernahmen hier die Pflege.<br />

Evangelisches Krankenhaus Kalk. 1904/07 wurde auf<br />

Initiative des evangelischen Gemeindepfarrers Vietor, der<br />

Gemeinde und der Fabrikanten Forster und Grüneberg<br />

(Chemische Fabriken Kalk) das Evangelische Krankenhaus<br />

Kalk (Thumbstraße) erbaut, das 1939 bereits 200 Betten<br />

hatte. Auch hier wurden Diakonissen eingesetzt.<br />

Dreifaltigkeitskrankenhaus. 1909 wurde das Dreifaltigkeitskrankenhaus an der<br />

Aachener Straße gegründet.<br />

Krankenhausbetten & Ärzte<br />

Im Jahre 1914 hatte Köln mehr als 5 200 kommunale, private oder kirchliche Krankenhausbetten<br />

(ohne psychiatrische und militärische Betten). Bei 544 400 Menschen ergab<br />

das die hohe Quote von 10,9 Betten auf 1 000 Einwohner (Reichsdurchschnitt<br />

4,1).Gleichzeitig verdoppelte sich – dank der Krankenversicherung – die Zahl der approbierten<br />

Ärzte in Köln von den 1870er Jahren bis 1900 und nahm in den Folgejahren weiter<br />

zu (1905: 346, 1907: 405, 1914: 515). Diese Ärzte wurden nicht nur bei ihrer eigentlichen<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Wilhelm</strong> <strong>Grevenberg</strong>: <strong>»chirurgischer</strong> Instrumentenmacher und Bandagist« 37<br />

Tätigkeit, sondern auch mit ihren Instrumenten<br />

amtsärztlich kontrolliert.<br />

Sie mußten alle Instrumente vorweisen<br />

können, die zu ihrer Berufsausübung<br />

notwendig waren, und der Zustand<br />

dieser Gerätschaften wurde begutachtet.<br />

Somit wuchs also nicht nur der Bedarf<br />

an neuen Instrumenten, sondern<br />

auch an Fachleuten, die diese reparieren<br />

und warten konnten.<br />

Spezialisten brauchen Spezialinstrumente<br />

Außerdem entwickelten sich Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Spezialdisziplinen,<br />

so daß es 1904 in Köln bereits 187 Spezial- und Zahnärzte gab (ohne daß es eine reglementierte<br />

Facharztausbildung gegeben hätte). Von ihren medizinischen Lehrern brachten<br />

die Fachärzte oft eigens entwickelte Spezialinstrumente<br />

für bestimmte Operationen mit. Diese Instrumente entwickelten<br />

sie dann für den eigenen Praxisgebrauch weiter – Arbeit<br />

für das Unternehmen <strong>Grevenberg</strong>/Dahlhausen. Diskussionen<br />

über die Instrumentenentwicklung spielt auch in<br />

den Fachzeitschriften der neuen Spezialdisziplinen eine<br />

wichtige Rolle. Um passende Einzelanfertigungen nach ihren<br />

Wünschen zu bekommen, brauchten die Spezialärzte<br />

die Instrumentenmacher vor Ort. Aus dieser Zusammenarbeit<br />

konnten sich dann wieder Serienproduktionen entwickeln.<br />

Die chirurgischen Instrumentenmacher entwickelten<br />

und produzierten also in Zusammenarbeit mit den Ärzten<br />

neue Spezialinstrumente.<br />

Kunstvolle chirurgische Instrumente um 1900 Obwohl Ärzte und Krankenhäuser seit der Entwicklung<br />

der Asepsis vermehrt sterilisierbare OP-Werkzeuge benötigten, wurden noch immer reich verzierte<br />

und mit kostbaren Materialien versehene chirurgische Instrumente hergestellt. Die Firma Klaes,<br />

ein Konkurrent von <strong>Grevenberg</strong>, bot ein »kleines Obduktionsbesteck mit Lederüberzug und Samtfutter«<br />

(spezielle Säge, Hammer, Meißel, besondere Schere, vier Skalpelle, Knorpelmesser etc.) in der Grundausstattung<br />

für 37 Mark an. In poliertem Eichenholz war es 15 bis 20 Mark teurer, in Nußbaumholz 20 bis<br />

25 Mark. Holz, Elfenbein, Schildpatt und andere dekorative Werkstoffe waren also noch nicht aus der<br />

Mode. Ein Hersteller chirurgischer Instrumente schrieb 1897 in seinem Katalog: »Wir glauben nicht, daß<br />

der Tag, an dem der Metallgriff an Instrumenten das Ebenholz und Elfenbein ersetzen wird, unmittelbar<br />

bevorsteht.« Daß auch die Operateure um 1900 noch häufig auf Gummihandschuhe, Mund- oder Haarschutz<br />

verzichteten, zeigt, daß die Durchsetzung der Asepsis Zeit brauchte.<br />

Untersuchungsraum<br />

in der Lindenburg, um 1912<br />

Röntgenaufnahme in der<br />

Fürsorgestelle für Lungenkranke<br />

im Bürgerhospital in der Cäcilienstraße,<br />

Photografie um 1910<br />

<strong>Kapitel</strong> 2: 1854 — 1905

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!