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DR. ALEXANDRA HILDEBRANDT - Rudolf X. Ruter

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W EW O M E N + E C O N O M Y - S P E C I A LVe r a n t w o r t u n g t r a g e n !<strong>DR</strong>. ALEXAN<strong>DR</strong>A <strong>HILDEBRANDT</strong>D r. Al e x a n d r a H i l d e b r a n d t w a r v o n 2 0 0 6 b i s D e z e m b e r 2 0 0 9 L e i t e r i nG e s e l l s c h a f t s p o l i t i k d e r Ar c a n d o r AG ( e h e m a l s Ka r s t a d t Q u e l l e AG ) .He u t e i s t s i e E x p e r t i n f ü r Na c h h a l t i g k e i t u n d Wi r t s c h a f t s k o m m u n i -k a t i o n ..Anne Lehr: Nachhaltigkeit bedeutet für Dr.Alexandra Hildebrandt …Alexandra Hildebrandt: … sehr viel mehrals die übliche Beschreibung der abstraktenDenkfigur Ökonomie, Ökologie und Sozialesals Eckpunkte eines Dreiecks, die „gleichberechtigt“miteinander vernetzt sind. Der fast300 Jahre alte Leitbegriff des deutschen Forstwesens,der die Verpflichtung bezeichnet, Reservenfür künftige Generationen „nachzuhalten“– nicht mehr Holz fällen als nachwächst– ist für mich vor allem eine Lebenseinstellung,ein kulturell tief verwurzelter Begriffmit einer langen Geschichte, der sinnundwertvoller ist als das entkernte Plastikwort„Corporate Social Responsibility“(CSR).Beides wird häufig inflationär gebraucht, aberes überlebt immer das, was eine gewachseneSubstanz hat. Sie muss nur sichtbar und konkretgemacht werden, deshalb braucht dernicht sonderlich attraktiv anmutende Begriff„Nachhaltigkeit“ einen Rahmen aus Bildernund Geschichten, die unser Herz berührenund zeigen, dass das Thema unmittelbar mitunserem Leben zu tun hat. Der Begriff bezeichnet,was uns trägt und uns hilft, gegenZusammenbrüche aller Art gefeit zu sein. Persönlicham nächsten liegt mir eine Definition,die sich im 1807 von Joachim HeinrichCampe herausgegebenen „Wörterbuch derdeutschen Sprache“ findet: „Nachhalt“ istdas, „woran man sich hält, wenn alles anderenicht mehr hält.“ Der tröstliche Satz hat etwaszu allen Zeiten Gültiges und verweist darauf,dass Nachhaltigkeit vor allem ein Krisenbegriffist, der immer auch Aufbruch und dieEntstehung eines neuen Bewusstseins markiert.Ein solcher Krisenbegriff ist auch „Resilienz“,ohne den Nachhaltigkeit nicht ganzheitlichzu begreifen ist. Das lässt sich sehrschön an einem Zitat des russischen Dichters Leo Tolstoi zeigen, der denjungen Adligen Pierre Besuchov in seinem Epos „Krieg und Frieden“sagen lässt: „Wenn uns etwas aus dem gewohnten Geleise wirft, so denkenwir, alles sei verloren. Aber dabei beginnt nur etwas Neues undGutes“. Dieses Bekenntnis ist ein klarer Ausdruck seiner Resilienz undzeigt, dass diese Fähigkeit, (Schicksals-)Schläge aller Art von sich abfedernzu lassen und Widerstandskräfte zu mobilisieren, um Perioden derEntbehrung zu überstehen und dabei seinen Lebensmut nicht zu verlieren,kein Phänomen der Gegenwart ist. Diese Eigenschaft gehört genausozum Verständnis von Nachhaltigkeit, weil sie auch in Zukunft benötigtwird.Anne Lehr: Wann wurde Ihnen klar, dass Sie sich nachhaltig engagierenmöchten?Alexandra Hildebrandt: Engagiert habe ich mich in allen Lebensphasen,aber es fehlte ein Begriff dafür, der mein Tun ganzheitlich umfassteund schlüssig auf den Punkt brachte. Mit dem schönen Wort Nachhaltigkeit,das alles enthält, worauf es ankommt, kam ich bewusst seit 2006in Berührung, als ich die Leitung der Gesellschaftspolitik im damaligenKarstadtQuelle-Konzern übernahm und mit allen Aspekten der Nachhaltigkeitunmittelbar konfrontiert wurde.Anne Lehr: Hat Arcandor die Position„Leiterin Gesellschaftspolitik“ fürSie ins Leben gerufen oder haben Sie den Konzern dazu motiviert?Alexandra Hildebrandt: Den Vorstandsbereich Gesellschaftspolitikgab es bereits – allerdings beschränkte er sich vor allem auf Sozialstandards,Logistik und Beschaffung. Da jedes Jahr mein Vorgesetzter, derverantwortliche Vorstand, wechselte, ergaben sich Brüche und Lücken,die ich sofort mit Nachhaltigkeitsthemen ausfüllte. Nach dem Beschaffungsvorstandwar der Personalvorstand zuständig, danach der Finanzvorstandund schließlich der Warenhausvorstand. Jeder hatte seine eigenenSchwerpunkte, also passte ich das Thema jeweils an und erweitertees dadurch, sodass am Ende eine echte Wertschöpfungskette geschaffenwurde und ein ganzheitliches Fundament von innen heraus gewachsenist. Dazu war es auch notwendig, die Themen ständig zu übersetzen undan die jeweiligen Zielgruppen anzupassen, denn ein Einkäufer oder Geschäftsführerist auf einer anderen Ebene ansprechbar als ein Umweltbeauftragter.Hier kam mir meine Liebe zu Grenzgängen stets zugute. Sowurde ich zum Dolmetscher der Nachhaltigkeit.Anne Lehr: Was wollten Sie im Unternehmen erreichen,was haben Sie tatsächlicherreichen können, und was hätten Sie dort gerne noch realisiert?8I W W W . J O U R N A L M U E N C H E N . D E


W EW O M E N + E C O N O M Y - S P E C I A LAlexandra Hildebrandt:Erreicht habe ich immer das jeweils Machbareüber den (Um-)Weg der kleinen Schritte, der ja auch zielführend ist.Spuren dieses Tuns finden sich zum Beispiel auch in „Momo“ von MichaelEnde, wo es heißt: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmaldenken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, anden nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wiedernur an den nächsten. (…) Dann macht es Freude; das ist wichtig,dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein. (…) Auf einmalmerkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat.Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste.“ Es warmir wichtig, einfach anzufangen, zu machen, ein stabiles Netz zu schaffen,das auch trägt, wenn alles andere zerrissen ist. Nur über das Tun ansich konnte ich die ständigen Politikwechsel im Unternehmen nachhaltigund glaubwürdig überstehen und so manches Thema – wie die Gründungeines Nachhaltigkeits-Councils – über alle Zeiten hinweg bewahren.Ich habe ein paar Akzente gesetzt, Menschen den Kern der Nachhaltigkeitnahegebracht und mich im Versuchen geübt, auch im Scheitern.Dabei habe ich immer alle Möglichkeiten ausgeschöpft,das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen.Anne Lehr: Arcandor fand ja ein recht unrühmliches Ende.Wie sind Sie damit umgegangen und was konnten Sie im Sinnevon Gesellschaftspolitik in der Endabwicklung noch tun?Alexandra Hildebrandt: Ich konnte nichts mehr tun. DerProzess der Konzerninsolvenz war wie ein Sterben auf Raten.Es ist schwer, dafür Worte zu finden. Doch habe ich das Gefühl,dass sich ein Kreis für mich geschlossen hat, weil ich biszum Ende blieb und alles durchlebt habe. Der Zusammenbruchdes Unternehmens hat viele Lebensentwürfe brutaldurchkreuzt und gezeigt, dass das, was im Leben stabil scheint,sehr schnell zerbrechen kann. Ich nutzte die Zeit danach fürmich, um Klarheit darüber zu gewinnen, was mir wirklichwichtig ist, wie ich mein Leben weiter gestalten will. Dazumusste ich die Vergangenheit annehmen und durfte sie nichtals verlorene Zeit ansehen, sondern als Zeit des Sammelns vonErfahrungen und letztlich als Reifeprozess. Viele Menschenfragen sich: Wo finde ich einen sicheren Job? Und was muss ichtun, um diesen Job zu bekommen und ihn möglichst lange zu behalten?– Doch es gibt keine Sicherheiten, nur eine innere Haltung und einGrundvertrauen, das uns wirklich trägt. Ich entschied mich zur Selbstständigkeitund unterstütze seither Inhaber und Geschäftsführer mittelständischerUnternehmen sowie Wirtschaftsverbände und -initiativendarin, ihre Geschäftspolitik nachhaltig auszurichten bzw. zu verbessern.Das ist besonders erfüllend, weil gerade in Familienunternehmen einstabiles Wertesystem vorhanden ist, das der Inhaber und Geschäftsführerdurch sein Handeln vorgibt. Im Mittelstand finden sich im Gegensatzzu vielen Großunternehmen noch echte Ärmelaufkrempler undRückhaltgeber, die ihr Unternehmen mit Herz und Hand lenken undihren Mitarbeitern wirklich nahe stehen. Häufig können diese Unternehmennicht nur Menschen, sondern auch ihre Marken besser führenals so mancher Konzern, der zu weit entfernt ist vom Kunden und zu sehrum sich selbst kreist oder extern von Agenturen gesteuert wird.Meine Entscheidung, mich in Zukunft ausschließlich dem Unternehmertumdes Mittelstands zu widmen, fußtzum einen auf den Erfahrungen im Konzern,aber auch auf einer langen Tradition. Vieles,was mir wichtig ist, finde ich im Leitbild desehrbaren Kaufmanns wider, das nicht nurSelbstverständnis der alten Hansekaufleutewar, sondern auch heute ein Kompass für Managersein sollte. Die mit dem Leitbild einhergehendenVerhaltensrichtlinien waren einGrundstein des historischen Erfolgs von verantwortungsbewusstemUnternehmertum,sie sind aber auch Bedingungen für den nachhaltigenErfolg von Unternehmen. Die aktuelleVertrauenskrise gründet auf vernachlässigtenTugenden wie Mäßigung, Wahrhaftigkeitund Courage, die eine persönlicheHaltung und VerantwortungsbewusstseinHenriette Schmidt-Burkhardt, Unternehmerin,Lebkuchen-Schmidt.voraussetzen und das Leitbild des ehrbarenKaufmanns verkörpern. Gerade in wirtschaftlichschwierigen Zeiten kann es die notwendigeOrientierung bieten.Anne Lehr: Sie haben die Initiative „Verantwortungtragen“ ins Leben gerufen, die ineine Stiftung übergehen wird. Was bedeutet„Verantwortung tragen“ als Projekt, was bedeutetes für Sie persönlich?Alexandra Hildebrandt: Die Verantwortungsinitiativeist gewissermaßen eineWiederholung meiner Nachhaltigkeitsarbeitbzw. – besser – „Berufung“ auf einer anderenEbene. Hier zeigt sich, was Nachhaltigkeitwirklich ist oder sein kann. Auch hier galt wieFoto: John R. BraunW W W . J O U R N A L M U E N C H E N . D EI 9

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