Interview mit Veran Matic, Chefredaktor bei RTV B92, BelgradEin Sender mit WertenDer Gründer und Chefredaktor desBelgrader Radio- und Fernsehen B92,Veran Matic, wurde vor kurzem vonder Stadt Belgrad für seine hervorragendenLeistungen ausgezeichnet. EinInterview über die Mediensituation inSerbien heute.*Herzliche Glückwünsche für den Journalist’sAward der Stadt Belgrad. Ihr Senderist während 15 Jahren von der Regierungbekämpft worden. Wie fühlen Siesich heute, wo Sie endlich für Ihre Arbeitöffentlich anerkannt werden?Veran Matic: Eine solche Auszeichnungist natürlich sehr befriedigend. Es ist eineechte, authentische Anerkennung seitensBelgrad. Sie ist eine Bestätigung für dieAusdauer, Sachlichkeit und die Professionalitätvon B92. Ich bin auch froh, dassdieser Preis nicht sofort nach der neuenSituation im Jahr 2000 verliehen wurde;das hätte als blosses Zeichen der Dankbarkeitfür unsere Tätigkeit während derkriegerischen Vergangenheit, und nichtals Anerkennung von Qualität gedeutetwerden können. In den letzten vier Jahrenhaben wir bewiesen, dass unsere Aufgabedieselbe bleibt wie während der Kriegsjahre,unabhängig davon, wer an der Macht<strong>mh</strong><strong>info</strong>Friedensförderung durch Brücken der VerständigungEmpfangsschein /RØcØpissØ /Ricevuta Einzahlung Giro Versement Virement Versamento GirataEinzahlung f r /Versement pour /Versamento per Einzahlung f r /Versement pour /Versamento per Zahlungszweck /Motif versement /Motivo versamento<strong>medienhilfe</strong>Postfach8031 Zürichist, sei es ein Diktator oder ein angeblicherDemokrat. Wir halten an unserenPrinzipien des kritischen Journalismusfest. Wir sind nicht den Versuchungen derMacht erlegen.Produzenten in Hollywood sind daraninteressiert, einen Film über Radio B92und seinen Kampf gegen das Regime<strong>medienhilfe</strong>Postfach8031 Zürich5Milosevic zu drehen. Könnten Sie unsmehr erzählen über dieses Filmprojekt?Leider haben wir nur ungenaue Informationenvon Hollywood, sie stammen ausder Filmzeitschrift Variety. Die Namender möglichen Produzenten sind alle erstklassig,wenn man in Betracht zieht, dasssie Filme wie Schindlers Liste, American“How we were banned”Am 28. Juni <strong>2004</strong> ist der Dokumentarfilm“How we were banned” erstmalsam Fernsehen ausgestrahlt worden. DerFilm ist Teil der Serie "Truth, Responsibility,Reconciliation" von TV B92. Erhat die Schliessung verschiedener serbischerRadio- und Fernsehstationen –alles Mitglieder des Netzwerks unabhängigerelektronischer Medien in Serbien(ANEM) – während des vergangenenJahrzehnts zum Thema. Mehr alsfünfzehn Journalisten, Redaktoren, Verwalterund Besitzer von Radio- undFernsehstationen berichten von dramatischenMomenten in ihrer Tätigkeit, vonSendeverboten, Beschlagnahmungen desSendematerials, von gewaltsamen Eingriffender Polizei und Inspektoren desMinisteriums für Telekommunikation.Sie berichten davon, wie sie trotz solchenEinschränkungen in diesen schwierigenZeiten mutig weiter gearbeitet haben.Die Medienschaffenden betonen, dasssich die heutige Situation nicht grossvon der damaligen unterscheidet. DieselbenLeute, die einst die unabhängigenMedien kontrolliert haben tun diesimmer noch. Der Film zeigt, dass nochkein wesentlicher Wandel in SachenMedien stattgefunden hat: Auch diegegenwärtige, angeblich demokratischeRegierung ist nicht bereit, die Kontrolleüber die Medien zu lockern. Mitgliederbeitrag <strong>2004</strong>(inkl. <strong>mh</strong><strong>info</strong>) ab Fr. 25.– Spende Verdankung erwünscht80-32253-980-32253-9Giro aus KontoVirement du compteGirata dal contoEinbezahlt von / VersØ par / Versato da(bitte gut leserlich in Blockschrift ausf llen)Konto/Compte/ ContoKonto/Compte/ ContoFr. c. Fr. c.441.02105Die AnnahmestelleL office de dØp tL ufficio d accettazione
Beauty oder Big Fish produziert haben.Es könnte ein interessanter Film werden.Nur erwarte ich keine ernsthafte historischeRekonstruktion, sondern einen Film,der allgemein und einfach verständlichsein wird für ein breites Publikum.Hat sich B92 im Lauf der Zeit und <strong>info</strong>lgeder gewachsenen Konkurrenz zum Mainstream-Senderentwickelt, der seine ursprünglichenkritischen Werte aufgegebenhat, um dem breiten Publikum zu gefallen?Obwohl wir nicht grundsätzlich gegenden Mainstream sind, möchten wir dieWerte, für die wir seit Beginn gekämpfthaben, nicht aufgeben. Sendungen überMenschenrechte, alternative Kultur, Bildungsprogrammeusw. bleiben unserMarkenzeichen. Wir ändern also nicht dieInhalte unserer zentralen Sendungen, wohlaber die Instrumente zur Vergrösserungunseres Einflusses. Dazu gehört unserneues Unterhaltungsprogramm, mit demwir unsere nicht-kommerziellen Sendungenfinanzieren möchten.Glauben Sie, serbische Medien werden inZukunft wieder Hass schüren nach denjüngsten gewalttätigen Ausschreitungenin Kosovo?Es waren beträchtliche Unterschiede inder Berichterstattung der Medien nachdiesen Ereignissen zu bemerken. Andersals während den Ausschreitungen in Kosovoam 17. März reagierten elektronischeMedien vernünftiger als die Printmedien.Vor allem in der Politik wird nachdem Abbrennen der Moscheen in Belgradund Nis noch viel getan werden müssen,um den angerichteten Schaden zu reparieren.Nach dem 5. Oktober 2000 wurde mitMilosevics Regime nicht gänzlich gebrochen,d.h. das “kulturelle Modell” jenerZeit hat überlebt und ist weiterhin in derLage, Ereignisse dieser Art zu aktivieren.Ich denke jedoch, dass die alten Hassredennie wieder im gleichen Mass geführtwerden.Denken Sie, dass wir noch einmal Angriffeauf die Redefreiheit in Serbien erlebenmüssen?Weiterhin werden Druckmittel gegen dieMedien eingesetzt, Journalisten bedrohtund sogar mit Gewalt angegriffen. Ichdenke jedoch nicht, dass die neue Regierungspolitiksolche Zuwiderhandlungenunterstützt. Die neue Regierung möchteals Beschützerin der Freiheit und desGesetzes einen guten Eindruck machen.In der Vergangenheit hatten wir nur einVeran Matic, Chefredaktor von RTV B92:Medienmacher mit Werten und aus ÜberzeugungMachtzentrum, das für die Gewalt verantwortlichwar. Heute haben wir zahlreicheGruppen, die ökonomische, politische oderkriminelle Interessen verfolgen. SolcheGruppen wollen mit Einschüchterungenund anderen Druckmitteln die Kontrolleüber die Medien an sich reissen, um so diebereits instabile Regierung noch weiter zudestabilisieren.Fürchten Sie, dass in Serbien erneut dieGefahr von politischem Radikalismus besteht?Ich möchte die Möglichkeit eines erneutenRadikalismus in Politik und Gesellschaftnicht in Abrede stellen. Ich glaubeindes nicht, dass wir jemals wieder solcheVerhältnisse wie in den 1990er Jahrenhaben werden. Wir sind allerdings nochnicht in der Lage zu sehen, was in denkommenden Jahren in der Region passierenwird. Man muss sich vor Augenführen, dass erneuter Radikalismus inSerbien die ganze Region, also auch dieFriedensprozesse in Kosovo, Monteneground besonders Bosnien-Herzegowina destabilisierenkönnte.Was ist nach Ihrer Einschätzung derGrund für die Tatsache, dass Serbien esbis jetzt unterlassen hat, für die Medienentscheidende Gesetze wie das Informationsfreiheitsgesetzzu verabschieden?<strong>mh</strong><strong>info</strong>6Die letzte Regierung war mit den Gesetzender ökonomischen Reformen beschäftigt,während die jetzige Regierung an derneuen Verfassung arbeitet. Die aktuelleRegierung wird das Informationsgesetzwohl in den kommenden Monaten bearbeiten.Mir bereitet etwas anderes Sorgen:Die Gesetze könnten demokratischverabschiedet, aber in der Praxis vondemselben Parlament, das es verabschiedethat, gebrochen werden, wie das beimFernmeldegesetz geschehen ist.Haben die Medien im ehemaligen Jugoslawieneinen Reifeprozess hinsichtlichProfessionalität und moralischer Verantwortungdurchlaufen?Die jüngsten Ereignisse in Kosovo zeigen,dass es beträchliche Unterschiedegibt, wie Medien auf neu entfachten Radikalismusund Extremismus reagieren.Das bestätigt auch die von der OSZE lancierteUntersuchung über die Rolle derMedien in den Ausschreitungen in Kosovo.Selbstverständlich ist die Bedeutungder Medien enorm, und sie wird mit Sicherheitweiter zunehmen. Aber der Sinnder Medienschaffenden für Professionalitätund moralische Verantwortung istimmer noch viel zu schwach entwickelt.Sogar wenn ein bestimmter Grad an Professionalitätder Medien erreicht ist, brauchtes nicht viel, um professionelle Berichterstattungunter dem Druck patriotischerLeidenschaften zu Fall zu bringen.* Das Gespräch führte Davor Konjikusic für dieSoutheast European Times in Belgrad. Es erschienam 17. Mai dieses Jahres.<strong>medienhilfe</strong> für ANEMSechs Monate lang, von Anfang Februarbis Ende Juli, konnte die <strong>medienhilfe</strong> ausgewählteANEM-Stationen in Serbienunterstützen (siehe <strong>mh</strong>-<strong>info</strong> <strong>2004</strong>-1).Möglich war dies dank Geldern des NationalEndowment for Democracy NED,der Stiftung des US-amerikanischenKongressesEin Rückblick zeigt, wie schwierig dieSituation in Serbien nach wie vor ist. Dieneue Regierung hat den Reform- undDemokratisierungsprozess gestoppt undeinen Prozess der Wiederherstellung desalten Systemes eingeleitet. Auch harrendie gesetzlichen Grundlagen zur Medienregulierungnoch immer ihrer Umsetzung.Politiker versuchen weiterhin, Kontrolleüber die Medien auszuüben. Angesichtsder politischen Unsicherheit und wirtschaftlichenSchwierigkeiten stellt dieUnterstützung durch NED eine wesentlicheÜberlebenshilfe für die neun ausgewähltenANEM-Mitglieder dar.Während der sechs Monate wurde einVorschlag ausgearbeitet, der die festgefahrenenFronten bei der Umsetzung desRundfunkgesetzes überwinden sollte.Obwohl der Vorschlag von allen Seitenpositiv bewertet wurde, lehnte die Regierungdie Umsetzung ab.