ATOME, MOLEKÜLE, CLUSTER UND FREIE NANOTEILCHENE<strong>in</strong>faches untersuchen, um Komplexes zu verstehenDas Studium e<strong>in</strong>facher Objekte wie Atomen und Molekülenstellt e<strong>in</strong>en wichtigen Schlüssel zum Verständnis derkomplexen Natur da. Neue Strahlungsquellen dr<strong>in</strong>gendabei <strong>in</strong> unbekannte Regionen vor.Grundlegende Eigenschaften der Materie werden <strong>mit</strong> <strong>Synchrotronstrahlung</strong>seit langem an e<strong>in</strong>fachen Objekten <strong>in</strong> derGasphase untersucht. Hierzu gehören Atome, Moleküle, Clusterund Nanopartikel. E<strong>in</strong> genaues Verständnis der Elektronenverteilungund des zeitlichen Verhaltens dieser relativ e<strong>in</strong>fachenBauste<strong>in</strong>e ist von grundlegendem Interesse, um die deutlichkomplexeren Prozesse <strong>in</strong> kondensierter Materie zu verstehen.Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d Atome und Moleküle <strong>in</strong> den BereichenAstrophysik und atmosphärische Umwelt von Bedeutung, sodass entsprechende Experimente <strong>mit</strong> <strong>Synchrotronstrahlung</strong>auch e<strong>in</strong>en Beitrag zur <strong>Forschung</strong> <strong>in</strong> diesen Gebieten leisten.Die Atom-, Molekül- und Clusterphysik hat <strong>in</strong> den vergangenenJahren unter Nutzung von <strong>Synchrotronstrahlung</strong>squellender dritten Generation entscheidende Schritte getan:Hochauflösende Studien, teils <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung <strong>mit</strong> Laserstrahlung,liefern wichtige Beiträge zum Verständnis der Abläufe aufkürzesten Zeitskalen bis <strong>in</strong> den Femtosekundenbereich. Hierzugehört die Ionisation durch Photonen, die Relaxation der durchIonisation gebildeten angeregten Zustände, der nachfolgendeZerfall <strong>in</strong> geladene und neutrale Bruchstücke sowie die Kopplungelektronisch angeregter Zustände (siehe <strong>Forschung</strong>sbeispiel).Dies schließt auch die aus quantentheoretischer Sichtäußerst <strong>in</strong>teressante w<strong>in</strong>kel-, sp<strong>in</strong>- und energieaufgelöstenMessung der Photoemission e<strong>in</strong>. Durch gleichzeitigen Nachweisder geladenen Bruchstücke lassen sich die Mechanismen derZerfälle hochgeladener Ionen bestimmen.Künftige Entwicklungen zu Studien an Atomen, Molekülen,Clustern und freien Nanopartikel s<strong>in</strong>d eng <strong>mit</strong> der Verfügbarkeitneuer Quellen für hochbrillante Strahlung verbunden. Hierzugehören zum Beispiel zeit- und wellenlängenabhängige Untersuchungenim weichen Röntgen- und angrenzenden Vakuum-Ultraviolettbereich, die <strong>mit</strong> neuen Methoden (z. B. derFourier-Transformation-Spektroskopie) e<strong>in</strong>en deutlichen Fortschrittgegenüber traditionellen Methoden (Gitter-Spektroskopie)liefern. Hochbrillanzquellen werden es ermöglichen,Objekte variabler Größe und Komplexität <strong>in</strong> hochverdünnterGasphase zu untersuchen. Hierzu gehören u. a. Radikale, angeregteAtome, Moleküle sowie Ionen e<strong>in</strong>schließlich Clustern, diebis <strong>in</strong> den Bereich der Nanopartikel reichen. Hier richten sichdie Hoffnungen auf die neue Quelle PETRA III, die weiter verbesserteQuelle BESSY II sowie künftige ERL-Quellen. Da<strong>mit</strong> wirdes <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung <strong>mit</strong> verfe<strong>in</strong>erten Verfahren der Probenpräparationund Detektion möglich, <strong>mit</strong> besonderer Genauigkeitund Selektivität e<strong>in</strong>zelne Quantenzustände zu untersuchen.Durch Freie-Elektronen-Laser hat das Feld der Atom-, Molekül-und Clusterphysik besonders profitiert. Hier konnte bereits<strong>in</strong> Pionierexperimenten wissenschaftliches Neulandbeschritten werden (siehe FLASH). Wohlbekannte Systeme wiee<strong>in</strong>fache Atome, Moleküle und Cluster s<strong>in</strong>d besonders gut dazugeeignet, die Physik <strong>in</strong> dem bisher weitgehend unbekanntenGebiet der extrem starken Felder, wie sie <strong>mit</strong> Hilfe von Freie-Elektronen-Lasern erreicht werden können, zu studieren unddie experimentellen Beobachtungen <strong>mit</strong> theoretischen Modellrechnungenzu vergleichen.Zeitliche Prozesse <strong>in</strong> Atomen und Molekülen liegen im Bereichunter hundert billiardstel Sekunden. Untersuchungen dieserProzesse erfordern hoch<strong>in</strong>tensive und kurze Röntgenblitzeaus Freie-Elektronen-Lasern, teils <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung <strong>mit</strong> Kurzpulsblitzenaus modernen Laserquellen. Das Ziel liegt dar<strong>in</strong>, das zeitlicheVerhalten <strong>in</strong> Echtzeit an e<strong>in</strong>fachen, wohldef<strong>in</strong>iertenModellsystemen untersuchen zu können. In Verb<strong>in</strong>dung <strong>mit</strong> dergezielten Kontrolle der Kern- und Elektronendynamik wird esmöglich se<strong>in</strong>, Prozesse bis h<strong>in</strong> zu grundlegenden Beiträgen zumVerständnis von Quanten<strong>in</strong>formation und deren Nutzungsowohl im Sp<strong>in</strong>- als auch im Ortsraum zu erforschen. Die Erwartungenrichten sich an die stetige Verbesserung der Strahlungsquellenbezüglich ihrer Stabilität, Brillanz, Kohärenz unde<strong>in</strong>fachen Durchstimmbarkeit. Die Leistungsfähigkeit künftigerQuellen wird e<strong>in</strong>en Beitrag dazu leisten, neuartige Studien anAtomen, Molekülen, Clustern und freien Nanopartikeln im Bereichder harten Röntgenstrahlung voranzutreiben, um hier bisherunbekannte Phänomene zu entdecken. Hierfür wird derkünftige European XFEL e<strong>in</strong>e Schlüsselstellung e<strong>in</strong>nehmen.26 <strong>Synchrotronstrahlung</strong> <strong>2009</strong>
Elektronenpaare <strong>in</strong> QuantenfernbeziehungenExperimente <strong>mit</strong> <strong>Synchrotronstrahlung</strong> liefern E<strong>in</strong>sichten<strong>in</strong> die Mysterien der Quantenphysik.Die Quantenmechanik stellt unsere Vorstellungskraft aufe<strong>in</strong>e harte Probe. E<strong>in</strong>iges g<strong>in</strong>g da sogar Albert E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> zu weit.1935 veröffentlichte er zusammen <strong>mit</strong> Boris Podolsky und NathanRosen e<strong>in</strong>en Artikel, <strong>in</strong> dem die Autoren zu dem Schlusskommen, dass – wenn die Quantenmechanik stimme und dieWirklichkeit unabhängig von unseren Beobachtungen sei, esQuantenobjekte <strong>in</strong> spukhaften Quantenfernbeziehungen gebenmüsse. Und das könne e<strong>in</strong>fach nicht se<strong>in</strong>.Generell s<strong>in</strong>d Eigenschaften von Quantenobjekten oft erstnach e<strong>in</strong>er Messung bestimmt. Die Eigenschaften von zwei Objekten<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Quantenfernbeziehung s<strong>in</strong>d dabei auf e<strong>in</strong>e mysteriöseWeise <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>ander verknüpft. Denn wenn man e<strong>in</strong> Paarvon zwei Objekten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sogenannten verschränkten Zustanduntersucht, <strong>in</strong>dem man e<strong>in</strong>e Messung e<strong>in</strong>er bestimmtenEigenschaft an e<strong>in</strong>em der beiden vornimmt, so ist die entsprechendeEigenschaft un<strong>mit</strong>telbar auch für den Partner festgelegt– auch wenn sich dieser am anderen Ende des Universumsbef<strong>in</strong>den sollte.In den ersten Jahren nach der Veröffentlichung von E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>,Rosen und Podolsky fand die Arbeit nicht allzu viel Beachtung,erschien sie vielen doch eher philosophischer Natur.Ideen für e<strong>in</strong>e experimentelle Überprüfung dieser grundlegendenAnnahmen zur Struktur der Wirklichkeit gab es damalsnicht. Erst John Bell hat das auch EPR-Paradoxon genannte Problem1961 auf e<strong>in</strong>e experimentell nachprüfbare Basis gestellt.Bells bahnbrechende Arbeit erlaubt, zwischen der Existenz e<strong>in</strong>erlokal realistischen und e<strong>in</strong>er quantenmechanischen Welt messtechnischzu unterscheiden. Realistisch bedeutet <strong>in</strong> diesem Zusammenhang,dass die Messungen nicht von e<strong>in</strong>em Beobachterabhängen; von Lokalität sprechen Physiker, wenn sich entfernteEreignisse nicht un<strong>mit</strong>telbar bee<strong>in</strong>flussen können. In se<strong>in</strong>er Arbeitaus dem Jahr 2003 g<strong>in</strong>g Anthony J. Leggett noch e<strong>in</strong>enSchritt weiter, <strong>in</strong>dem er die Nichtlokalität der Wirklichkeit bereitsberücksichtigte. Als entscheidender Faktor für den messbarenUnterschied zwischen klassischer Welt und Quantenweltbleibt dann nur noch der Realitätsbegriff. Es geht dann um diegrundlegende Frage, ob Elemente der Realität – wie die charakteristischenEigenschaften e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samen Paar-Zustandes– <strong>in</strong> der Wirklichkeit unabhängig von e<strong>in</strong>em Beobachterexistieren oder nicht.E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> war fest davon überzeugt, dass dies unabhängigvom Beobachter se<strong>in</strong> müsse. Untersuchungen zur Verschränkungder Eigenschaften der Elemente unserer Wirklichkeithaben jedoch das Gegenteil bewiesen. Den Komponenten e<strong>in</strong>esmaximal verschränkten Paares kann man nicht e<strong>in</strong>mal teilweisedef<strong>in</strong>ierte <strong>in</strong>dividuelle Eigenschaften zuordnen.In den vergangenen Jahrzehnten konnten Experimente dieGültigkeit der quantenmechanischen Interpretation der Wirklichkeit<strong>mit</strong> steigender Präzision belegen. Dabei wurden aber –e<strong>in</strong>em Vorschlag David Bohms folgend – anstelle von Orts- undImpulseigenschaften Drehimpulseigenschaften ausgenutzt.H<strong>in</strong>gegen wurden E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>s, Podolskys und Rosens eigentlicheVorschläge zur Überprüfung des Wirklichkeitsbegriffs h<strong>in</strong>sichtlichkont<strong>in</strong>uierlicher Variablen wie Ort und Impuls bisher experimentellnicht überprüft. Dieses Dunkel bezüglich derVerschränkung kont<strong>in</strong>uierlicher Variablen dauerte fast e<strong>in</strong> Dreivierteljahrhundertan.Erst <strong>in</strong> fortgeschrittenen Experimenten an zweiatomigenMolekülen wie N2 <strong>mit</strong>tels <strong>Synchrotronstrahlung</strong> wurde diese VisionWirklichkeit. Hier verwendeten Forscher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Team umArbeitsgruppen aus dem Fritz-Haber-Institut <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, derUniversität Frankfurt und dem California Institute of Technology<strong>in</strong> Pasadena (Kalifornien) <strong>Synchrotronstrahlung</strong> dazu, denAtomen zwei Elektronen aus den <strong>in</strong>nersten Schalen zu entreißen.Diese Elektronen verlassen das Atom <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Quantenfernbeziehung,deren Verschränkungseigenschaften experimentellüberprüft werden konnten.Das Ergebnis war e<strong>in</strong>e klare Bestätigung der Quantenmechanik,diesmal jedoch für die lange Zeit ignorierten kont<strong>in</strong>uierlichenVariablen Ort und Impuls. Das Verständnis dieserZusammenhänge ist <strong>in</strong> vieler H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>e der Grundlagen zurRealisation zukünftiger Quantencomputer, bei denen die Gesetzmäßigkeitender Quantenmechanik ausgenutzt werden sollen,um parallele Rechnungen zugleich durchzuführen zukönnen.Abbildung:Das Diagramm zeigt verschiedeneIntensitätender geraden (g) und ungeraden(u) Symmetriezustände<strong>in</strong> Abhängigkeitvom Impuls der Photoelektronen.Die experimentellenDaten passenvortrefflich zur Modellrechnung,auf die Cohenund Fano (CF) als ersteh<strong>in</strong>gewiesen haben.WissenschaftlicheVeröffentlichungen:B. Zimmermann, D. Rolles,B. Langer, R. Hentges,M. Braune, S. Cvejanovic,O. Geßner, F. Heiser,S. Korica, T. Lischke,A. Re<strong>in</strong>köster, J. Viefhaus,R. Dörner, V. McKoy,U. Becker, Nature Physics4, (2008) 649M. S. Schöffler, J. Titze,N. Petridis, T. Jahnke,K. Cole, L. Ph. H. Schmidt,A. Czasch, D. Akoury,O. Jagutzki, J. B. Williams,N. A. Cherepkov,S. K. Semenov,C. W. McCurdy,T. N. Rescigno, C. L. Cocke,T. Osipov, S. Lee,M. H. Prior, A. Belkacem,A. L. Landers, H. Schmidt-Böck<strong>in</strong>g, Th. Weber,R. Dörner, Science 320,(2008) 920<strong>Synchrotronstrahlung</strong> <strong>2009</strong> 27