Erziehung zum Sinn

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18.08.2012 Aufrufe

36 3.4 Das Personbild der Existenzanalyse „Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit“ (Dietrich Bonhoeffer, aus dem Gefängnis). 3.4.1 Die Kennzeichen der Person Wer oder was ist der Mensch? Wie schon (in Kap. 3.3.1) aufgezeigt, beschäftigte diese uralte Frage die Menschen immer schon. Zunächst sah sich der Mensch als Naturwesen, das heißt als Teil der Natur. Später reflektierte er sein eigenes Sein und stellte sich über die Natur. Heute erscheint es notwendig, ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu entwickeln. Mit der Entdeckung des Geistes tritt der Mensch aus der Ruhe und Geschlossenheit eines mythischen Weltbildes und tritt in die Unruhe, Fragwürdigkeit und Ungewissheit einer auf sich selbst gestellten Existenz. Dies lässt sich schon auf die Achsenzeit (800–300 v. Chr.) zurückverfolgen. Hier lässt sich bereits „die Entdeckung des Geistes“ (vgl. Snell, zit. nach Böhm, 2004, S. 13) nachweisen. Jaspers definiert die Achsenzeit daher als „das Heraustreten des Menschen aus der Ruhe, Geschlossenheit und Selbstverständlichkeit eines mythischen Weltbildes und (der) Eintritt in die Unruhe, Fragwürdigkeit und Ungewissheit einer auf sich selbst gestellten Existenz“ (Jaspers, zit. nach Böhm, 2004, S. 13). Der Mensch entwickelt ein Bewusstsein von sich selbst und gewinnt eine distanziert-kritische Einstellung zu der bis dahin fraglos übernommenen und verinnerlichten Tradition (Böhm, 2004, S. 3). Das Geistige lässt sich dabei als Zentrum bezeichnen, aus dem das Bewusstsein entspringt und das gleichzeitig unsere Individualität ausmacht. Es kann auch als Person bezeichnet werden, obzwar bei Scheler nicht durchgängig konsistent (vgl. Scheler, 1998, S. 36ff). Im Folgenden werden beide Begriffe synonym verwendet. Für Scheler äußert sich die Geistigkeit des Menschen darin, dass er nicht mehr „trieb- und umweltgebunden“, sondern „umweltfrei und weltoffen“ ist (vgl. Scheler, 1998, S. 38). Das heißt, die Person ist nicht vom Organischen, vom Körper abhängig. Sie ist das, was frei ist und sich entscheiden kann, was sich vom Leiblich-Seelischen distanzieren kann. „Der Mensch allein – sofern er Person ist – vermag sich

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3.4 Das Personbild der Existenzanalyse<br />

„Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen, nicht im<br />

Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der<br />

Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit“ (Dietrich Bonhoeffer,<br />

aus dem Gefängnis).<br />

3.4.1 Die Kennzeichen der Person<br />

Wer oder was ist der Mensch? Wie schon (in Kap. 3.3.1) aufgezeigt, beschäftigte<br />

diese uralte Frage die Menschen immer schon. Zunächst sah sich<br />

der Mensch als Naturwesen, das heißt als Teil der Natur. Später reflektierte<br />

er sein eigenes Sein und stellte sich über die Natur. Heute erscheint es notwendig,<br />

ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu entwickeln.<br />

Mit der Entdeckung des Geistes tritt der Mensch aus der Ruhe und Geschlossenheit<br />

eines mythischen Weltbildes und tritt in die Unruhe, Fragwürdigkeit<br />

und Ungewissheit einer auf sich selbst gestellten Existenz. Dies<br />

lässt sich schon auf die Achsenzeit (800–300 v. Chr.) zurückverfolgen. Hier<br />

lässt sich bereits „die Entdeckung des Geistes“ (vgl. Snell, zit. nach Böhm,<br />

2004, S. 13) nachweisen. Jaspers definiert die Achsenzeit daher als „das<br />

Heraustreten des Menschen aus der Ruhe, Geschlossenheit und Selbstverständlichkeit<br />

eines mythischen Weltbildes und (der) Eintritt in die Unruhe,<br />

Fragwürdigkeit und Ungewissheit einer auf sich selbst gestellten Existenz“<br />

(Jaspers, zit. nach Böhm, 2004, S. 13). Der Mensch entwickelt ein Bewusstsein<br />

von sich selbst und gewinnt eine distanziert-kritische Einstellung<br />

zu der bis dahin fraglos übernommenen und verinnerlichten Tradition<br />

(Böhm, 2004, S. 3).<br />

Das Geistige lässt sich dabei als Zentrum bezeichnen, aus dem das Bewusstsein<br />

entspringt und das gleichzeitig unsere Individualität ausmacht.<br />

Es kann auch als Person bezeichnet werden, obzwar bei Scheler nicht<br />

durchgängig konsistent (vgl. Scheler, 1998, S. 36ff). Im Folgenden werden<br />

beide Begriffe synonym verwendet. Für Scheler äußert sich die Geistigkeit<br />

des Menschen darin, dass er nicht mehr „trieb- und umweltgebunden“, sondern<br />

„umweltfrei und weltoffen“ ist (vgl. Scheler, 1998, S. 38). Das heißt,<br />

die Person ist nicht vom Organischen, vom Körper abhängig. Sie ist das,<br />

was frei ist und sich entscheiden kann, was sich vom Leiblich-Seelischen<br />

distanzieren kann. „Der Mensch allein – sofern er Person ist – vermag sich


über sich – als Lebewesen – emporzuschwingen … und alles, darunter<br />

auch sich selbst, <strong>zum</strong> Gegenstande seiner Erkenntnis zu machen“ (Scheler,<br />

1998, S. 47).<br />

Die Person ist nicht direkt sichtbar, sondern sie drückt sich indirekt über<br />

Körper, Psyche und Verstand aus und setzt sich gleichzeitig mit diesen und<br />

anderen Bedingtheiten auseinander. Sie ist daher gekennzeichnet von Freiheit<br />

gegenüber dem Physischen, gegenüber dem Leben, dem Verstand, den<br />

Trieben, der Umwelt. Sie trifft Entscheidungen. Sie ermöglicht uns, auf die<br />

Metaebene zu gehen und ein Bewusstsein von uns selbst zu entwickeln.<br />

Das wiederum ermöglicht es dem Menschen, sich über seine Ziele, Bedürfnisse,<br />

Wünsche, Aktionen und Reaktionen klar zu werden. Der Mensch<br />

braucht die Welt, um sich zu entfalten. „Geist und Leben sind aufeinander<br />

hingeordnet“ (Scheler, 1998, S. 87). Die Person ist der aktive und sichtbare<br />

Ausdruck des Geistes. Man könnte von ihr auch als vom „existenziellen<br />

Kern des Menschen“ sprechen. Sie ist das, was den Menschen in seiner<br />

Einmaligkeit und Einzigartigkeit ausmacht. Sie ist das, was auf die Gegebenheiten<br />

von Anlage und Umwelt einwirkt, mit sich umgeht, sich in<br />

Beziehung bringt. Was tut sie damit? Was macht sie daraus? Wie macht Sie<br />

das?<br />

Person Person<br />

Verstand Psyche<br />

Körper<br />

Abb. 5: Die Person durchdringt Körper, Psyche und Verstand<br />

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