A U F S ÄT Z E | Geiger, <strong>Aktuelle</strong> <strong><strong>Recht</strong>sprechung</strong> <strong>zum</strong> <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> <strong>Fahrerlaubnisse</strong>dass <strong>der</strong> Betreffende unter dem Einfluss des Rauschmittels amStraßenverkehr teilgenommen hat. Dabei ist zu beachten, dassdie Nachweisgrenze <strong>der</strong>zeit bei etwa 0,5 ng/ml THC liegt. Dassbei einem solchen Wert eine Ahndung wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeitnicht möglich ist, 43 steht <strong>der</strong> Annahmeeiner cannabisbedingten Beeinträchtigung bei einem Wertvon 1,0 ng/ml nicht entgegen. 44 Es ist ein entscheiden<strong>der</strong> Unterschied,ob ein Verkehrsteilnehmer wegen eines Fehlverhaltensmit einem Bußgeld belegt wird o<strong>der</strong> ob im Rahmen <strong>der</strong>präventiven Gefahrenabwehr Maßnahmen getroffen werden,die auf den Schutz <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Verkehrsteilnehmer abzielen.Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seineAnsicht, erst ab einem Wert von 2,0 ng/ml THC sei <strong>der</strong> Nachweisfür mangelndes Trennvermögen erbracht, auf das im Beschlussdes Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2002 45 zitierteGutachten des Prof. Dr. Krüger vom 15. August 2001, dasallerdings nicht mehr dem aktuellen Stand <strong>der</strong> Wissenschaftentspricht; danach ist für THC-Konzentrationen unter 2,0ng/ml im Blut, insbeson<strong>der</strong>e solchen an <strong>der</strong> Nachweisgrenze(damals 1,0 ng/ml), davon auszugehen, dass keine Risikoerhöhungfür den Straßenverkehr stattfindet. Nach den im Urteildes Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz 46 zitierten Ausführungendes von ihm gehörten Sachverständigen kann <strong>der</strong>zeitim Hinblick auf eine bestimmte Konzentration von THCim Blut kein Grenzwert als wissenschaftlich gesichert angesehenwerden, bei dem von einem Drogeneinfluss ausgegangenwerden kann, durch den die Verkehrssicherheit beeinträchtigtist. Es können jedoch nach dieser Quelle jedenfalls bei einerTHC-Konzentration von 2,0 ng/ml Blut bei ca. 50 % <strong>der</strong> CannabiskonsumentenBeeinträchtigungen festgestellt werden,die negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben.Hierbei handelt es sich insbeson<strong>der</strong>e um Antriebssteigerungen,die zu einer erhöhten Risikobereitschaft führen, sowie uminadäquate Weitstellung <strong>der</strong> Pupillen, die mit einer Herabsetzung<strong>der</strong> allgemeinen Sehschärfe einhergeht und zusammenmit <strong>der</strong> verzögerten Reaktion auf sich verän<strong>der</strong>nde Lichtverhältnissebei den betroffenen Kraftfahrzeugführern, insbeson<strong>der</strong>ebei Nachtfahrten, zu ausgeprägten Blendeffekten führt.Hieraus lässt sich jedoch nicht sicher schließen, welche Folgenbei Werten von 1,0 ng/ml auftreten. Außerdem gibt esneuere wissenschaftliche Erkenntnisse. Die im Beschluss desBaden-Württembergischen Verwaltungsgerichtshof vom 27.März 2006 47 wie<strong>der</strong>gegebene Studie, die an <strong>der</strong> UniversitätMaastricht erstellt wurde, kommt <strong>zum</strong> Ergebnis, dass auchbei THC-Konzentrationen unter 1,0 ng/ml im Blut noch Störungenim feinmotorischen Bereich feststellbar waren. Die in<strong>der</strong> Fachliteratur veröffentlichten Ergebnisse dieser Studie bestätigendas allerdings nicht. Danach waren bei Messwerten
Müller/Köhler, Gefahrentatbestände als Fehlerquellen in Bußgeldanzeigen | A U F S ÄT Z Egelegentlicher o<strong>der</strong> einmaliger Konsum vorliegt. Bei nachgewiesenemregelmäßigen Konsum wird in <strong>der</strong> Regel unmittelbardie Fahrerlaubnis entzogen werden. Bei THC-COOH-Wertenüber 150 ng/ml bei einer angekündigten Blutprobe dürfte<strong>der</strong> Nachweis erbracht sein; das gilt umso mehr, wenn zugleichTHC im Serum nachgewiesen werden kann. GelegentlicherKonsum ist nur bei Vorliegen weiterer Tatsachen von Bedeutung.Ein THC-COOH-Wert von mehr als 100 ng/ml wird hier-zu grundsätzlich ausreichen. Fehlendes Trennvermögen wirdin jedem Fall dann anzunehmen sein, wenn eine in unmittelbaremAnschluss an die Fahrt abgenommene Blutprobe einenWert von mindestens 2 ng/ml THC enthält. Im Hinblick aufunterschiedliche <strong><strong>Recht</strong>sprechung</strong> für den Bereich zwischen 1und 2 ng/ml ist die Fahrerlaubnisbehörde auf <strong>der</strong> sicheren Seite,wenn sie ein medizinisch-psychologisches Gutachten auf<strong>der</strong> Grundlage von § 14 Abs. 1 S. 4 FeV verlangt.Gefahrentatbestände als Fehlerquellen inBußgeldanzeigenProf. Dr. jur. Dieter Müller und Burkhard Köhler, Bautzen1. EinleitungBei <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> Tatbestände des BundeseinheitlichenTatbestandskataloges (BTKat-OWi) kann es durch Auslegungsfehlerdes Gefahrenbegriffes durch die <strong>Recht</strong>sanwen<strong>der</strong> in Polizeiund Bußgeldbehörden zu fehlerhaften Bußgeldbescheidenkommen. Der Erfolg eines durch einen <strong>Recht</strong>sanwalt eingelegtenEinspruchs kann davon abhängen, ob den Sachbearbeiterndie Fehlerquelle deutlich genug dargestellt werden kann. Eineeinheitliche Auslegung an Hand <strong>der</strong> vorgegebenen Kriterien<strong>der</strong> <strong><strong>Recht</strong>sprechung</strong> kann an<strong>der</strong>erseits zukünftigen Fehlern inPolizei und Bußgeldbehörde vorbeugen.2. Problematische Gefahrentatbestände im BT-Kat-OWiIm BTKat-OWi finden sich in zahlreichen Tatbeständen mitden folgenden Formulierungen:■ „… und gefährdeten dadurch an<strong>der</strong>e...“ 1■ „… Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt ...“ 2■ „... sie verhielten sich nicht so, ... dass eine Gefährdung ausgeschlossenwar.“ 3Bußgeldbescheide, die ohne eine ausführliche tatsächliche Begründung<strong>der</strong> tatbestandlichen Voraussetzungen erlassen werden,sind <strong>zum</strong>eist rechtsfehlerhaft und können bei einer an dieTatsachenlage angepassten Argumentation im Einspruchsverfahrenzur Einstellung führen.Die Beantwortung <strong>der</strong> Frage, ob nun eine wesentliche Beeinträchtigung<strong>der</strong> Verkehrssicherheit o<strong>der</strong> eine Gefährdungan<strong>der</strong>er vorliegt, soll im Folgenden anhand <strong>der</strong> geltenden,von <strong>der</strong> <strong><strong>Recht</strong>sprechung</strong> entwickelten Gefahrenbegriffe imVerkehrsrecht erläutert werden.3. BTKat-OWi Wortlaut „… und gefährdeten dadurchan<strong>der</strong>e“Die Norm des § 1 Abs. 2 StVO ordnet verbindlich an, dass sichje<strong>der</strong> Verkehrsteilnehmer so zu verhalten hat, dass kein An<strong>der</strong>ergeschädigt, gefährdet o<strong>der</strong> mehr als nach den Umständenunvermeidbar behin<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> belästigt wird. Der Gefahrenbegriffi. S. d. § 1 Abs. 2 StVO for<strong>der</strong>t zur Erfüllung des Tatbestandsimmer eine konkrete Gefahr.Gefährdung ist regelmäßig die Herbeiführung eines Zustands,<strong>der</strong> die Besorgnis begründet, eine Schädigung (Verkehrsunfall)stehe unmittelbar bevor. Wenn dem Betroffenen gegenüber imBußgeldverfahren <strong>der</strong> Vorwurf <strong>der</strong> Gefährdung eröffnet wird,dann handelt es sich stets um eine konkrete Gefährdung. 4Keineswegs genügt es in diesen Fällen, wenn <strong>der</strong> Eintritt einesSchadens nur denkbar ist, weil er tatsächlich noch vom ungewissenHinzutreten weiterer Umstände abhängt. In diesen Fällenhandelt es sich regelmäßig um eine abstrakte Gefährdung,die nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 1 Abs. 2 StVO ist.Üblicherweise folgt die <strong>Recht</strong>sauslegung durch Polizeibeamteund Mitarbeiter in Bußgeldbehörden <strong>der</strong> einschlägigen Definition<strong>der</strong> <strong><strong>Recht</strong>sprechung</strong>, wie sie etwa im Kommentar vonHentschel wie<strong>der</strong>gegeben wird. Die Definition lautet danach:„Eine Gefährdung liegt vor, wenn Schaden für Leib o<strong>der</strong> Leben einesan<strong>der</strong>en wahrscheinlich ist und sein Ausbleiben nur vom Zufall abhängt.“5Im Rahmen einer Bußgeldanzeige ist regelmäßig zu ergänzen,dass das Definitionselement „Zufall“ im Zusammenhang miteiner konkreten Gefährdung unbedingt weiterer tatsächlicherErläuterungen bedarf, um eine Anzeige ordnungsgemäß abzufassen.Denn auch bei <strong>der</strong> abstrakten Gefahr hängt ein Schadenseintrittgrundsätzlich vom „Zufall“ ab, nur dass dieserZufall an eine weitere Verkettung von an<strong>der</strong>en tatsächlichenUmständen geknüpft ist und damit quasi einen Zufall zweitenGrades darstellt. Bereits aus diesem Gesichtspunkt ergeben sich1 Beispiel: Tatbestandsnummer (TBNR) 105125, Verstoß gegen § 5 Abs. 4 StVOdurch Gefährden an<strong>der</strong>er beim Wie<strong>der</strong>einordnen nach dem Überholen mit<strong>der</strong> Sanktion eines Verwarnungsgeldes von 30 €.2 Beispiele: TBNR 341600, Verstoß gegen § 41 StVZO durch Führen eines LKWbzw. Omnibusses unter Verstoß gegen eine Vorschrift über Bremsen mitSanktionen Bußgeld 100 €, 3 Punkte im VZR; TBNR 331618, Verstoß gegen§ 31 Abs. 2 StVZO durch Anordnung <strong>der</strong> Inbetriebnahme eines nicht verkehrssicherenLKW bzw. Omnibusses mit den Sanktionen Bußgeld iHv 150 €,3 Punkte im VZR.3 Beispiel: TBNR 102690, Verstoß gegen § 2 Abs. 3a StVO durch Führen eineskennzeichnungspflichtigen Kfz mit gefährlichen Gütern bei Schneeglätteo<strong>der</strong> Glatteis mit den Sanktionen Bußgeld iHV 75 €, 3 Punkte im VZR.4 OLG Köln, DAR 1996, S. 507.5 Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. § 1 StVO Rn. 35; BayObLG, VRS48, S. 296; OLG Karlsruhe, NZV 1992, S. 248.S VR 11/2006 | 407