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Prof. Dr. Gerd Glaeske

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Deutsche PsychotherapeutenVereinigungManipuliert die Pharmaindustrie die Seele?Nutzen und Risiken derPsychopharmakabehandlung<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Gerd</strong> <strong>Glaeske</strong>Universität ität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik litik (ZeS)


Alle Arzneimittel werden zugelassen (Wirksamkeit,Unbedenklichkeit)


Konsequenzen aus der Zulassung‣ Arzneimittel werden zur Anwendung bei Krankheiten (z.B.Hypertonie) oder auch zur Vorbeugung (Folsäure bei Frauen mitKinderwunsch zur Vermeidung von Fehlbildungen desNeugeborenen) zugelassen‣ Die Zulassung schließt auch Hinweise zur Dosierung und Dauerder Anwendung ein. Abweichung von diesem „bestimmungsgemäßenGebrauch bedeutet in der Regel Missbrauch (z.B. zulange, zu hoch dosiert, Anwendung bei Gesunden)‣ Aus Missbrauch kann bei manchen Arzneimitteln leicht eineGewöhnung und Abhängigkeit entstehen, insbesondere beipsychotropen Mitteln‣ Öffentliche Werbung für rezeptpflichtige Mittel ist verboten!


Im Unterschied zu allen anderen Suchtstoffen….‣ …tragen Arzneimittel einen Indikationsanspruch, sie sollenhelfen‣ …werden Arzneimittel von ExpertInnen (Ärzte, Apotheker)verordnet oder verkauft‣ …ist eine Beratung / Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungobligatorische Anforderung und Teil der Behandlung(ansonsten u.U. fahrlässige Körperverletzung)Der Beipackzettel entlastet die ExpertInnen nicht‣ ist die Arzneimittelabhängigkeit eine unerwünschte Wirkung‣ …ist die Arzneimittelabhängigkeit eine unerwünschte Wirkung,die zumeist auf zu lange Verordnungen oder zu wenigSorgfalt bei der Aufklärung zurückzuführen ist


Der Arzneimittelmarkt im Jahre 2007 nachPackungsmengen (IMS)Mio. +/- % zu Anteil inStatus der Arzneimittel (AM) Packg. 2006 %Rezeptpflichtige Arzneimittel 740 +2 48Non-Rx-Arzneimittel 740 -2 48….verordnete140 -2 10….Selbstmedikation600 -2 38Selbstmedikation außerhalbder Apotheken72 -4 5Gesamt 1,55 + 2,2 100


Der Arzneimittelmarkt im Jahre 2007 nachUmsätzen auf ApothekenebeneStatus der Arzneimittel (AM)Mrd.Euro.+/- %zu2006Anteilin %Rezeptpflichtige Arzneimittel 30,74 + 5 84Non-Rx-Arzneimittel 5,63 +/- 0 16GesamtApothekenumsatz ca. 36,61 + 4% 100%


Arzneimittel – warum, wogegen, g für wen und wie viele?• Rund 20 Packungen pro EinwohnerIn, etwa 1.200 „Pillen“,allerdings mit starker Verschiebung hin zu den Menschen imhöheren Alter• Neben dem Nutzen einer Arzneimitteltherapie itt i auch Probleme:1,5 – 1,9 Mio. Abhängige, pro Jahr 300.000 stationäreEinweisungen wegen UAW, geschätzt 16-24.000 Todesfälle• Etwa 6% aller verordneten und ca. 15% aller verkauftenArzneimittel haben ein eigenes Missbrauchspotenzial(Tranquilizer, Schlafmittel, l Antidepressiva, i Mittel mit Codein,Stimulanzien (Appetitzügler), Abführmittel, Schmerzmittel,v.a. solche mit Coffein, best. Nasentropfen, alkoholhaltige)• Immer wieder öffentliche Darstellung der Vorzüge von Arzneimittelnfür Gesunde – Propaganda für „Doping im Alltag“


Arzneimittelkonsum nach Alter und Geschlecht (GEK)Männer DDD pro Vers Frauen DDD pro VersMänner Ausgaben pro DDD Frauen Ausgaben pro DDD1.4002,50 €1.20020082,00 €1.0001,50 €800DDD/VersAusgaben/DDD6001,00 €4002000,50 €0000€ 0,00 0 - 100


Entwicklung des Krankheitsspektrums• Chronische Krankheiten steigen an (Hypertonie, KHK,Diabetes, Depressionen, Demenz, Parkinson etc.)• Nicht mehr die Infektions- oder übertragbarenErkrankungen k werden die Mortalitätsrate t bestimmen,sonder die chronischen Erkrankungen (2030 ca. 80%)• Chronische Krankheiten betreffen sowohl somatischewie psychische und neurogenerative Erkrankungen• Die Prävalenz psychischer Erkrankungen steigt an, v.a.Depression und Abhängigkeitserkrankungen• Auch gesellschaftliche Entwicklungen als Ursachen, beiErwachsenen wie bei Kindern


Jedes „Zeitalter“ hat seine Psychopharmaka und <strong>Dr</strong>ogen• In der 60er und 70er Jahren Anpassung, Stressbewältigung,Zurückstehen von persönlichen Wünschen, Aufbau-arbeit nach dem Krieg, Geschlechterrollen „unaufgebrochen,Belastungen in Ehen, Beziehungen und Beruf• Benzodiazepine die „richtigen“ Arzneimittel, EdwardKennedy sprichtg von einer „Valium“-beruhigten Gesellschaftin den USA, ein Fachbuch titelt „Valium rettet Ehen“• Diffuse, aber nicht unberechtigte Ängste (Atomkrieg,Atomkraftwerke) k werden mit Benzodiazepinen i behandelt,zu Frauen wird – an die Ärzte gerichtet - getitelt: „Siekönnen Sie zwar nicht befreien, Sie können ihr aber helfen,sich weniger ängstlich zu fühlen.“ – „Zähmende Wirkung“


Gefahren der Polypharmazie und unangebrachte Arzneimittel• Potentially inappropriate medications (PIMs) – Beers-Liste• „Unangebracht“ bedeutet dabei, dass die Auswahl desArzneistoffs generell oder aber die Dosierung bzw. dieDauer der Therapie nicht empfehlenswert ist, da diepotenziellen Risiken einen potenziellen Nutzenüberwiegen und es sichere Alternativen gibt oder dieTherapie als nicht ausreichend effektiv gilt.• v.a. Mittel mit Wirkung auf das ZNS wie z.B.Benzodiazepine: Erhöhung des Sturzrisikos mit derFolge von z.T. schlechtheilenden Brüchen, aber auchAntidepressiva wie Amitriptylin (z.B. Saroten undähnliche dämpfende Mittel)


Erhöhung des Risikos um das 1,6 – 3,4facheAuswertungen unterNutzung der Diagnosen(ICD 10) und mit einererweiterten Methodik


Arzneimittelabhängigkeit gg – nur eine Nebenwirkung?• Benzodiazepine und ähnlich wirkende Mittel (Z-<strong>Dr</strong>ugs) sindnach wie vor das Hauptproblem bei Arzneimittelmissbrauchund –abhängigkeit im Alter• Historisch: i Benzodiazepine i 1960, bereits ab 1961 Hinweiseiauf körperl. Entzugsphänomene (Hollister et al., 1964 Essig)• Seit 1973 in der PDR Abhängigkeitsrisiko als Warnhinweis, inD 1984 erstmals in der ROTEN LISTE als Stoffcharakteristik• Begrenzung der Anwendungsdauer auf 8 – 14 Tage, ansonstenVerordnungen zur Entzugsvermeidung bei low-dose-dependencyd• „.bei fortgesetzter Einnahme Gefahr der Abhängigkeit (Sucht)“


Arzneimittelabhängigkeit – nur eine Nebenwirkung?• Über- und Fehlversorgung v.a. bei Frauen: Antidepressiva,Beruhigungsmittel und Tranquilizer – Assoziation schwach(„The Feminization of Tranquilizers“) und unausgeglichen(hystería) – psychosomatische Dysregulation• Abhängigkeitsproblematik bei ca. 1,9 Mio. Menschen, vorallem im höheren Lebensalter,davon 2/3 Frauen. V.a. Benzo-diazepine, i Migräne- und dSchmerzmittel l(23% (2-3% der Einw.)• „Die Tablette ist für mich wie ein Freund.“ (Interview mit einer63jährigen Lehrerin) – zur Entspannung nach der Schule• Dauerverordnung wegen Entzugsvermeidungsverhalten,g g g gallerdings mit „falschen“ Hypnotika, langwirksame und zu hochdosiert (Staurodorm, Dalmadorm, Radedorm, Rohypnol)


• Die meist verkauften Schlaf- und Beruhigungsmittelg2007 (rp = rezeptpflichtig)• Rang Name Wirkstoff(e) Packg. in (Mio.) Missbr-/Abhängigkeitspotenzial• 1. Hoggar N Doxylamin 24 2,4 Eher nicht• 2. Zopiclon ratio rp Zopiclon 1,1 ++ (bis +++)• 3. Stilnox rp. Zolpidem 0,9 ++ (bis +++)• 4. Betadorm D Diphenhydramin 0,8 Eher nicht• 5. Noctamid rp Lormetazepam 0,8 +++• 6. Zolpidem-ratio rp Zolpidem 07 0,7 ++ (bis +++)• 7. Radedorm rp Nitrazepam 0,6 +++• 8. Schlafsterne ret. Doxylamin 0,6 Eher nicht• 9. Zolpidem Stada rpZolpidem 0,6 ++ (bis +++)• 10. Lendormin rp Brotizolam 0,6 +++


• Die meist verkauften Schlaf- und Beruhigungsmittelg2007 (rp = rezeptpflichtig)• Rang Name Wirkstoff(e) Packg. in (Mio.) Missbr-/Abhängigkeitspotenzial• 11. Ximovan rp Zopiclon 05 0,5 ++ (bis +++)• 12. Zopiclon ct rp Zopiclon 0,5 ++ (bis +++)• 13. Flunitrazepamratio rp Flunitrazepam 0,4 +++• 14. Bikalm rp Zolpidem 0,4 ++ (bis +++)• 15. Remestan rp Temazepam 04 0,4 +++• 16. Planum rp Temazepam 0,4 +++• 17. Rohypnol rp Flunitrazepam 0,4 +++• 18. Zopiclon Stada rpZopiclon 0,4 ++ (bis +++)• 19. Dalmadorm rp Flurazepam 0,3 +++• 20. ZOP rp Zoplicon 0,3 ++ (bis +++)


Die meist verkauften Tranquilizer 2007 (alle rp)Rang Arzneimittel Wirkstoff Mio. Packg. Missbr./Abh.Potenzial1 Diazepam-ratiopharm Diazepam 1,7 +++2. Tavor Lorazepam 12 1,2 +++3. Adumbran Oxazepam 0,9 +++4. Oxazepam-ratiopharm Oxzepam 0,9 +++5. Bromazanil-Hexal Bromazepam 09 0,9 +++6. Lorazepam neurax Lorazepam 0,6 +++7. Normoc Bromazepam 0,4 +++8L 8. Lexotanil il6 Bromazepam 04 0,4 +++9. Faustan Diazepam 0,3 +++10. Tranxilium Dikaliumclorazepat0,3 +++11. Tafil Alprazolam 0,3 +++12. Lorazepam ratio Lorazepam 0,3 +++13. Oxa von ct Oxazepam 0,2 +++14. Durazanil Bromazepam 0,2 +++15. Praxiten Oxazepam 0,2 +++


Privatrezepte nehmen zuNutzungunterschiedlicherDatenquellen (Kassen,IMS)


Schlafmittelverbrauch im Zeitverlauf


Jedes „Zeitalter“ hat seine Psychopharmaka und <strong>Dr</strong>ogen• In der 80er und 90er Jahre bis heute individualisierendeArzneimittel zur Verbesserung von Aktivität, Attraktivität,„busy, but happy“, gesellschaftliche / berufliche Konkurrenz,bessere eigene Ausgangssituation schaffen• Die SSRI‘s als neue Gruppe der Antidepressiva „bedienen“die Wünsche – antidepressiv und anregend wirken,Appetitdämpfung („schlank ist in“) ), Antirauchermittel, Libidoverlust(Sex „stört“ eher und außerdem gibt es Viagra)• Für ältere Menschen mit Depressionen offensichtlich besserverträglich (keine anticholinergen UAWs, keine Her-Reizleitungsstörungen wie die älteren Mittel, Magen-Darm-Beschwerden etc.)• Für Gesunde eine gewisse Verführung, ob sie auch wirken?


Verordnete Menge an Antidepressiva fürerwachsene GEK-Versicherte in den Jahren 2000,2003, 2006, 2007 nach DDD16.000.000,014.000.000,012.000.000,0N06AXN06AF+ N06AGN06ABN06AAAndere ADMAO-HemmerSSRINicht selektive129.795,03.056.957,310.000.000,08.000.000,04.091.297,16.513.826,41.048.128,96.000.000,0113.805,0109.750,44.000.000,0417.115,9114.595,02.978.372,63.630.579,61.311.483,02.000.000,02.556.532,13.286.303,22.413.492,04.263.972,00,02000 2003 2006 2007


Übersicht über den Anteil der weiblichen GEK-Versicherten mit einer Antidepressiva-Verordnung inden Jahren 2000-20072018 Anteil in % 2000Anteil in % 200316Anteil in % 200614 Anteil in % 20071210864218 - < 2020 - < 2525 - < 3030 - < 3535 - < 4040 - < 4545 - < 5050 - < 5555 - < 6060 - < 6565 - < 7070 - < 7575 - < 8080 - < 8585 - < 9090 - < 9595 - >0


Anteil weiblicher Versicherter mit einerAntidepressiva-Verordnung, ambulanter Diagnoseund Psychotherapien 2006 nach Alter in %30,00AnteilVers mit Antidepressiva-VO25,00Anteil Vers mit DepressionsdiagnoseAnteil Vers mit Depressionsdiagnose plus VOAnteil Vers mit Depressionsdiagnose plus Psychotherapie20,00Anteil Vers mit Depressionsdiagnose plus Antidepressiva-VOplus Psychotherapie15,0010,005,000,0018-1920-2425-2930-3435-3940-4445-4950-5455-5960-6465-6970-7475-7980-8485-8990-94


Jedes „Zeitalter“ hat seine Psychopharmaka und <strong>Dr</strong>ogen• Diskussion über „Dopingmittel“ im Alltag• 20% aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer „konsumieren“Arzneimittel am Arbeitsplatz ohne krank zu sein(DAK-Studie 2008)• Anregende Mittel (Psychostimulanzien) kommen „in Mode“,abgeleitet aus der allgegenwärtigen „Ritalin“ Diskussion• Nicht mehr die Ärztinnen und Ärzten sind die gefragtenVerteiler für Gesunde, sondern der offene MarktplatzInternet mit seinen Cyberspace-Shops – Rezeptpflicht ist dakein Thema mehr• Arzneimittel „bedienen bedienen“ mehr und mehr weniger den medizinischenBedarf, sondern eigene Bedürfnisse – dazu sindsie aber nicht zugelassen!


Arzneimittelabhängigkeit gg – nur eine Nebenwirkung?• Aber auch die Abhängigkeitsprobleme gehen weiter:- SSRIs: psychische Abhängigkeit möglich, Absetzen nachlängerer Einnahme kann problematisch werden, daher auchausschleichen- Clomethiazol: Ambulant kontraindiziert- Codeinhaltige Mittel – 25% wird metabolisiert zu Morphin- „Aufregung“ um reine Tilidin-haltige Mittel (Importe aus denöstlichen Ländern, regionales Problem v.a. in Berlin)- Stimulanzien (v.a. Methylphenidat bei Erwachsenen)- Modafinil (z.B. Vigil)-Triptane führen wie Ergotamin-haltige ge Mittel und Analgetikabei Missbrauch (>10 Tabl. pro Monat über 3 Monate) zuMedikamenten-bedingtem Kopfschmerz (Diener et al., 2003)


Industrieabsätze der TOP-10 Arzneimittel in Deutschland nachPackungsmengen g (2008) (Insgesamt 1,58 Mrd. Packg. , davon ca.800 Mio. verordnet, der Rest Selbstmedikation )Industrieabsatz Mio. €RangArzneimittel+/- in % gegenüber gAnwendungsgebiet gg20061 Nasenspray-ratiopharm 20,633 (OTC) + 7,0 Schnupfen2 Paracetamol-ratiopharm 20,483 (OTC) -1,5 Schmerzen, Fieber3 Voltaren (Novartis) Diclofenac 15,833 (OTC) + 5,7 Rheumat. Schmerzen4 Bepanthen (Bayer) Dexpanthenol 15,199 (OTC) + 3,2 Schürfwunden5 ACC (Hexal) Acetylcystein 14,082 (OTC) -1,5 Hustenlöser6 Thomapyrin (Boehr-Ingelh) Kombi 12,435 (OTC) – 10,2 Kopfschmerzen7 Aspirin (Bayer) Acetylsalicylsäure 12,116 (OTC) -5,8 Schmerzen8 ASS-ratiopharm (Acetylsalicylsäure) 11,627 (OTC) 0.00 Schmerzen9 Dolormin (Ibuprofen) 9,486 (OTC) – 4,0 Schmerzen10 Aspirin plus C (Bayer) 9,427 (OTC) – 5,4 Schmerzen


• Hyperkinetische Störungen (F90) /RKI-Bericht 2008• Innerhalb des Jahres 2006 bei den 5 – 9jährigen bei 9,6%der Jungen und 3,5% der Mädchen.• In allen Altersgruppen hochgerechnet etwa 700.000,darunter rd. 600.000000 im Alter zwischen 5 und 19 Jahren(ca. 470.000 männlich und 140.000 weiblich)


Besondere Anforderungen an dieArzneimittelversorgung bei Kindern• Unter-, Über- und Fehlversorgung auch im BereichAD(H)S? Anstieg der Verordnungen um das 100fache(in DDD) seit 15 Jahren• Verhaltensauffälligkeit mit den HauptsymptomenUnaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität mitAuswirkungen auf die kindlichen Entwicklung und auf diesoziale, kognitive und emotionale Funktionsfähigkeit imfamiliären wie schulischen Bereich (Remschmidt 2005)• RKI-Angaben (2008) zur Prävalenz: ca. 600.000000 Kinderund Jugendliche• Insgesamt 4,8 % der 3- bis 17-Jährigen eine ärztlich oderpsychologisch diagnostizierte Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, Jungen (7,9 %, bei 11-13jährigen 11,3%)wesentlich häufiger als Mädchen (1,8 %).42


Besondere Anforderungen an dieArzneimittelversorgung bei Kindern• Im Mittelpunkt die an Leitlinien orientierte ausführlicheDiagnostik, unter Berücksichtigung von Eltern, Lehrernusw.• Lange Wartezeiten bei der diagnostischen Abklärungkann besonders belastend wirken (Huss 2008).• Der Aufbau eines internet-basierten Patienten- undAngehörigen-Informationssystems im Rahmen desdeutschland-weiten ADHS-Netzwerk (www.zentrales-adhs-netz.de) de) soll Hilfe anbieten (BMG 2008)• Im Mittelpunkt stehen immer noch Fragen zu Dominanzder Verordnung von Psychostimulanzien wieMethylphenidat h t (90%) oder Atomoxetinti43


Besondere Anforderungen an dieArzneimittelversorgung bei Kindern• Döpfner und Lehmkuhl (2002) weisen auf folgende Probleme in derBehandlung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS bzw.Hyperkinetischen Störungen (HKS) hin:- Mangelhafte Diagnostik und Nichtberücksichtigung vonBehandlungsalternativen (bei den Kindern, die nichtmassiv von der Symptomatik betroffen sind – also derMehrheit – Verhaltenstherapie das Verfahren erster Wahl)- Fehlende Integration der medikamentösen Behandlung inein multimodales Therapiekonzept p (die MTA-Studie weistlangfristig auf die Überlegenheit einer multimodalenBehandlung hin)Mangelhafte Titrierung und Verlaufskontrolle (zeitaufwändigeDosiseinstellung und Verlaufskontrolle sowieregelmäßige kontrollierte Auslassversuche werden nichtausreichend umgesetzt)44


Besondere Anforderungen an dieArzneimittelversorgung bei Kindern• Die Forderungen im SVR-Gutachten werden durch neue Re-gelungen (ab 1. 9. 2009) zur Anwendung von Methylphenidat-h thaltigen Arzneimitteln bei AD(H)S bestärkt (BfArM 2009) wg. UAWs(kardiovaskuläre Ereignisse und Schlaganfälle)- Die Behandlung setzt eine gesicherte, kriterienorientierteDiagnostik und eine entsprechende Schwere und Dauer derErkrankung voraus. Vorhandensein eines oder mehrererSymptome reicht nicht aus- Behandlungsversuche mit anderen Therapieverfahren (z.B.Psychotherapie) müssen vorangegangen sein, ohne dasssich ein Therapieerfolg eingestellt hat- Anwendung von Arzneimitteln im Rahmen einer therapeutischenGesamtstrategie (psychologische, pädagogische,soziale als auch pharmakologische Maßnahmen)-„Aufsicht“ eines Spezialisten für Verhaltensstörungen tö beiKindern- Mindestens einmal im Jahr Absetzversuche und Kontrolle(Herz-Kreislauf-Status, Appetit, Wachstum usw.)45


Besondere Anforderungen an dieArzneimittelversorgung bei Kindern• Transitionsproblematik: Bei ca. 40-50% derJugendlichen AD(H)S-PatientInnen besteht dieErkrankung auch im Erwachsenenalter fort.• Die Zulassung für Methylphenidat h t endet beim 18.Lebensjahr, Verordnungen für die >18jährigen sind offlabel-useund müssen von der GKV nicht bezahltwerden (siehe BSG vom 30.6.2009 (AZ B 1 KR 5/09/R))• Grundsätzlich SVR-Empfehlung: Mehr Kooperationen,„Patenschaften“ von Spezialisten wie Kinder- undJugendpsychiatern mit Kinder- und Allgemeinärzten,auch im Zusammenhang mit § 73 d• Mehr Versorgungsforschung auch mit Blick auf dieneuen Zulassungsregeln für Methylphenidat, die auchauf Atomoxetin übertragen werden sollten46


NeurocognitiveEnhancementChemisch,praktisch, riskant– willkommen inder schönenneuen Pillenwelt


Beispiel für Manipulation: Informationen / Werbung zu Olanzapin‣ Lilly hat offensichtlich über Jahre (1995 – 2004) die Gesundheitsrisikenseines Blockbusters Zyprexa (Olanzapin) (4,8 Mrd. $ 2007) heruntergespielt:Zusammenhang zwischen dem Neuroleptikum und den Diabetes-Risikofaktoren Adipositas und erhöhtem Blutzucker den Ärztinnenvorenthalten‣ 30% der PatientInnen nahmen um 10 kg zu, einige sogar 45 kg und mehr‣ Off-label-Use im Zusammenhang mit ADHS empfohlen, obwohl dasMittel für unter 18jährige in den USA nicht zugelassen war, oftmalsStrategie vor Auslaufen eines Patents (Olanzapin plus Metformin!!)‣ Öffentliche Bewerbung auch als Schlafmittel und Antidepressivum – offlabel-Kampagne(1999 – 2003), 5 at 5 (5mg um 5 p.m.) – viele Ärztehaben dieses Mittel verordnet‣1,4 Mrd. $ Dollar Strafe für diese fehlleitende (manipulative) Information


Beispiel für Manipulation: Informationen / Werbung zum AntidepressivumProzac‣ Mitte der 80er Jahre öffentlicher Hype um Prozac (bei uns als Fluctin(Fluoxetin) seit 1990), nicht das erste, aber das bekannteste SSRI)‣ Öffentliche Darstellung in allen Gazetten wie Stern, Bunte, Spiegel,Focus u.a. („Sie könnten noch leben, wenn ….es damals schon Prozacgegeben hätte.“ z.B. Romy Schneider, Marilyne Monroe)‣ Peter Kramer als Psychotherapeut: Listening to Prozac (1993): DasMittel macht langwierige Psychotherapien überflüssig, Psychopharmakologie:Aus einem hässlichen Entlein wird ein schöner Schwan. Das Glückgeht über die Pillendose – das Soma aus A. Huxley y„ „Brave new world“‣ UAW oft verharmlost: Überkeit, Schlaflosigkeit, Nervosität, sexuelleDysfuktionen, Anorexie u.a.; Absetzerscheinungen nach längererhochdosierter Therapie, wahrscheinlich geringer als nach Seroxat („diePille gegen die Schüchternheit“)


Fazit und Schlussfolgerungen‣ Psychopharmaka sind unverzichtbare Arzneimittel bei vielenpsychischen Erkrankungen, sie sind – bei richtiger Diagnostik undrichtig eingesetzt – eine wertvolle Hilfe.‣ Der Nutzen vieler Psychopharmaka ist aber begrenzt (z.B. vielerAntidepressiva), die alleinige Verordnung solcher Mittel ohnebegleitende Psychotherapie ist in vielen Fällen ungenügend‣ Über– und Fehlversorgung schaden und führen häufig genug zuverordnetem Missbrauch bis hin zur Abhängigkeit‣ Die soziale Iatrogenesis (Ärztezentrierung) kann zu einer ernsten Gefahrfür die Gesundheit, insbesondere von Frauen und älteren Men-schen führen. Nichtmedikamentöse Therapien müssen Evidenz zeigen.‣ Anbieter können immer auch manipulieren – Pharmaindustrie, Ärzte,Therapeuten. Arzneimittel werden beworben, müssen aber nichtverordnet werden. Der industrieunabhängigen Information (nichtWerbung und „Fortbildung“) und der therapeutischen Verantwortungkommt daher besondere Bedeutung zu.


Risperdal


Vielen Dank für IhreAufmerksamkeit…gglaeske@zes.uni-bremen.de

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