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Liebe Eltern, sehr geehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen ...

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Das fühlen heute alle im Berufsleben Stehenden oft, auch die Lehrer, das fühltet ihr in den vergangenenJahren oft: die Zeit drängt, Zeitdruck, Abliefern müssen, Klausuren im Drei-Tages-Rhythmus <strong>und</strong>wir hatten den jeweils nächsten Stapel Korrekturen schon im Nacken.Klug <strong>und</strong> geschickt mit Zeit umzugehen gilt sicher nicht zu Unrecht als eine hoch zu schätzende Fähigkeit,die eine wichtige Rolle spielt bei beruflichem Erfolg, für das persönliche Wohlergehen <strong>und</strong> dasgute Zusammenleben mit anderen. Und wenn sie uns nicht drückt <strong>und</strong> drängt, die Zeit, dann scheintes uns entweder häufig so, als ob sie uns einfach davoneile <strong>und</strong> wir ihr hinterher hetzen müssen oderals ob sie uns entgleite, oder gar still stehe <strong>und</strong> wir sie nicht sinnvoll nutzen könnten.Der Philosophielehrer Gerd B. Achenbach sieht hinter all diesen Phänomenen einen zutiefst unheimlichenVorgang am Werk: Was sich ereignet habe, sei ein „Wechsel an oberster Stelle, die Herrschaftüber alle Herrschenden ist an die Zeit übergegangen.“ Sie kommt ihm vor wie eine merkwürdige Göttin,die den Menschen den Sinn für zeitlos Gültiges zu entreißen drohe, ja schon entrissen habe <strong>und</strong>sich etabliert habe als „eine Macht, die herrscht, in alle Fugen <strong>und</strong> Ecken vordringt, die Köpfe besetzt;Entscheidungen herbeinötigt, ehe sie reifen konnten; die aufrichtet, umwirft, das Neue bestätigt, dasAlte verneint, das Neue schleunigst veralten lässt <strong>und</strong> abserviert; die uns anfangs schleichend, unmerklich,inzwischen offen, zynisch, bekenntnisfroh verrückt macht…“. Da erkenne ich vieles wieder.Was W<strong>und</strong>er, wenn mir dazu die Schul- <strong>und</strong> Bildungspolitik in Hessen, die Rechtschreib- <strong>und</strong> dieGes<strong>und</strong>heitsreform, die Agenda 2010, die verschiedenen Ernährungs- , Fitness <strong>und</strong> Weltverbesserungsdogmen,die Helden der Unterhaltungsindustrie <strong>und</strong> mein 10 Jahre altes Handy einfallen!Oder anders gesagt: Mal Hand aufs Herz: Wer kennt noch Daniel Kübelböck? Wer unterstützt dieAnti-AKW-Bewegung oder glaubt an die Weltrevolution? Dem Kranken, den Karl Jaspers gelegentlichzitiert hat, ist wohl zuzustimmen: „Die Zeit hat etwas Verschwinderisches.“ In der Tat, so nimmt diemoderne Welt sich wahr: als unaufhaltsame Bewegung, andauernde Veränderung, alles erfassendeVergänglichkeit. Dass es in dieser rasenden Geschäftigkeit <strong>und</strong> Geschwätzigkeit durchaus ab <strong>und</strong> zuwirklichen Fortschritt, auch in der Schule, gibt, will ich gerne einräumen, vielleicht insgesamt abereher weniger, als man uns glauben machen möchte.Und wenn er sich einstellt, dann, aus meiner Sicht, selten als Produkt publikumswirksamer Tagespolitikoder rein wirtschaftsorientierter Nützlichkeitserwägungen, sondern als Ergebnis sorgfältigen Nachdenkens<strong>und</strong> bedachten Tuns. Leider findet solches Bemühen nicht selbstverständlich statt. FriedrichNietzsche konnte schon vor 130 Jahren feststellen: „Alles gackert, aber wer will noch still auf demNest sitzen <strong>und</strong> Eier brüten?“Wenn man also unter den beschriebenen Bedingungen auf der Schwelle steht, gerät man leicht blindlingsin den Sog nach immer vorwärts. Ich hoffe <strong>und</strong> wünsche euch, dass ihr unter anderem hier ander Schule zu einer kritisch, wachen Haltung gef<strong>und</strong>en habt, die dem blinden Sog etwas entgegenzusetzenhat.Noch etwas anderes könnte hilfreich sein. Dieser Moment heute hier, Schwelle hin, Schwelle her,ließe sich unter anderen Vorzeichen auch ganz anders betrachten. Zwar ist er in eurem Leben einmalig,aber wohlmöglich sitzen in den Reihen der <strong>Eltern</strong> etliche, die eben hier an gleicher Stelle ihr Abi-


turzeugnis erhalten haben. Und wer weiß, vielleicht sind auch <strong>Kollegen</strong> hier, die eben diese <strong>Eltern</strong>seinerzeit unterrichtet <strong>und</strong> geprüft haben. Und wäre es völlig abwegig, sich vorzustellen, dass der einoder andere/die ein oder andere von euch später sein oder ihr Kind hier an diese Schule schickenmöchte? Ihr selbst kennt noch die immer wiederkehrenden Rhythmen in eurem Schülerleben: Freitagnachmittag:Sport, Wochenende, 1./2. Montags: Doppelenglisch, Woche für Woche, Zeugnisse,Sommerferien, Schulbeginn – Jahr um Jahr.So kennen wir neben der linearen Zeitwahrnehmung die der zyklischen Wiederkehr, der Kreisläufe,auch dies eine Erfahrung, die in Kunst, Musik <strong>und</strong> Dichtung auf unterschiedlichste Weise gestaltetworden ist. R.M. Rilke hat darüber ein w<strong>und</strong>erbares Gedicht geschrieben, das in seiner symbolischenRedeweise selbstverständlich mehr als eine Deutung zulässt. Für mich spricht es auf zarte <strong>und</strong> melancholischeWeise von einem Blick auf das Kreisen im Leben <strong>und</strong> von der, im besten Sinne, naivenHingabe, der Freude <strong>und</strong> dem Blick nach draußen, die auch in diesem Kreisen stecken können. Esglaubt dabei an die stets mögliche Begegnung mit dem Außergewöhnlichen, Einzigartigen, Unbekannten,Erhellenden.Das KarussellMit einem Dach <strong>und</strong> seinem Schatten drehtsich eine Weile der Bestandvon bunten Pferden, alle aus dem Land,das lange zögert, eh es untergeht.Zwar manche sind an Wagen angespannt,doch alle haben Mut in ihren Mienen;ein böser Löwe geht mit ihnen<strong>und</strong> dann <strong>und</strong> wann ein weißer Elefant.Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,nur das er einen Sattel trägt <strong>und</strong> drüberein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge<strong>und</strong> hält sich mit der kleinen heißen Hand,dieweil der Löwe Zähne zeigt <strong>und</strong> Zunge.Und dann <strong>und</strong> wann ein weißer Elefant.Und auf den Pferden kommen sie vorüber,auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprungefast schon entwachsen; mitten in dem Schwungeschauen sie auf, irgendwohin, herüber –Und dann <strong>und</strong> wann ein weißer Elefant.Und das geht hin <strong>und</strong> eilt sich, dass es endet,<strong>und</strong> kreist <strong>und</strong> dreht sich nur <strong>und</strong> hat kein Ziel.

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