Jahresbericht 2011 - Berufsgenossenschaftliches ...
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Seelsorge → „Wenn nichts mehr ist wie vorher ...“<br />
„Wenn nichts mehr ist wie vorher …“<br />
Seelsorge für Patienten, Angehörige und Mitarbeiter<br />
Gute Medizin, gute Pflege, gute Therapie<br />
und gute Seelsorge gehören zusammen.<br />
Patientinnen und Patienten liegen nicht<br />
nur mit ihrem verletzten bzw. kranken<br />
Leib im BUKH, sondern auch mit ihrer<br />
verwundeten Seele: mit Ängsten, Hoffnungen,<br />
Sorgen und mit vielen Fragen.<br />
„Warum ich?“ – „Wie soll es weitergehen?“<br />
– „Was hält und trägt mich denn<br />
jetzt noch?“<br />
Und die Angehörigen, die doch jetzt da<br />
sein und Hilfe anbieten sollten? Denen<br />
geht es meist nicht viel besser. Auch sie<br />
sind von dem Einbruch des Unheils in das<br />
Leben ihrer Lieben schwer betroffen und<br />
suchen ihrerseits nach Halt und Hilfe.<br />
Der 12. September war kein guter Tag für<br />
Frau G. Mit ihrem Mann wollte sie ein paar<br />
Besorgungen machen. Doch dann krachte<br />
es an einer Kreuzung ohrenbetäubend<br />
von links. Und nichts war wie zuvor.<br />
Ein Autofahrer hatte seine rote Ampel<br />
übersehen und war ungebremst in das<br />
Auto von Herrn und Frau G. gerast. Herr<br />
G., der am Steuer saß, war sofort tot. Frau<br />
G. selbst wurde schwer verletzt in das<br />
nächste Krankenhaus gebracht.<br />
Einige Wochen später kommt sie in das<br />
Querschnittgelähmten-Zentrum des BUKH<br />
auf die Beatmungsstation.<br />
Beim ersten Besuch des Seelsorgers hat<br />
sie bereits von ihrem Sohn erfahren, dass<br />
ihr Mann den Unfall nicht überlebt hat.<br />
Sie kann noch nicht sprechen. In ihren<br />
Augen steht Fassungslosigkeit. Sie weint<br />
stumm. Und schaut immer wieder den<br />
kleinen Schutzengel an, den ihre Enkeltochter<br />
ihr geschenkt hat.<br />
Der Seelsorger verspricht, am nächsten<br />
Tag im Krankenhaus-Gottesdienst eine<br />
Kerze für ihren Mann anzuzünden. Sie<br />
fragt, wann das sein wird, und der Pastor<br />
sagt ihr die Uhrzeit.<br />
In der nächsten Begegnung wird sie erzählen,<br />
dass sie auf die Minute genau mit<br />
ihren Gedanken im Raum der Stille war:<br />
bei der Kerze und bei ihrem Mann.<br />
Seelsorge, das heißt in erster Linie Gespräch.<br />
Mit den Patientinnen und Patienten<br />
und auch mit ihren Angehörigen.<br />
Seelsorge ist aber auch: Ich bin da. Ich<br />
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halte mit aus. Ich schweige. Und irgendwann:<br />
Ich sage Worte. Worte, die den<br />
Schmerz ernst nehmen. Und später Worte,<br />
die hoffentlich einen Schritt nach vorn<br />
ermöglichen.<br />
Besonders in Augenblicken, wo Worte<br />
fehlen, sind alte Gesten und Rituale hilfreich.<br />
Das Anzünden einer Kerze als ein<br />
stiller Schrei und ein Funken Hoffnung.<br />
Ein Gebet, um die Situation in einen größeren<br />
Zusammenhang und unter die Gnade<br />
des Himmels zu stellen. Ein Engel. Ein<br />
Segen. Der wöchentliche Gottesdienst im<br />
Raum der Stille.<br />
Seelsorge versucht, die Kraft zur Annahme<br />
des Unabänderlichen zu stärken –<br />
oder auch die Kraft zu Widerstand und<br />
Veränderung zu wecken: „Gott gebe mir<br />
die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen,<br />
die ich nicht ändern kann, den Mut,<br />
die Dinge zu ändern, die ich ändern kann,<br />
und die Weisheit, das eine vom andern zu<br />
unterscheiden.“<br />
Auch der Sohn von Frau G. trifft sich ein<br />
paar Mal mit dem Seelsorger. In diesen<br />
Begegnungen kann er von seinen Belastungen<br />
und von seiner Trauer erzählen.<br />
Er kommt wieder mehr zu sich und wird<br />
ruhiger.<br />
Seelsorge ist aber nicht nur ein Angebot<br />
an Patientinnen und Patienten und ihre<br />
Angehörigen. Ebenso hat Seelsorge ein<br />
offenes Ohr für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.<br />
Auf dem Flur spricht eine Therapeutin die<br />
Seelsorgerin an: „Warst du schon mal<br />
bei Herrn M.?“ Sie macht sich eine Notiz;<br />
doch da erzählt die Therapeutin schon<br />
weiter: von einer schwierigen Situation<br />
mit einem Patienten am Vortag, von<br />
der eigenen Tante, die gerade im Sterben<br />
liegt. Und mit einem Mal stehen die<br />
beiden mitten auf dem Gang in einem<br />
Gespräch über Grenzen, Belastungen,<br />
Sterben, Trauer und die Grundfragen des<br />
Lebens.<br />
Bei allem Erfolg und Gelingen geht die<br />
Schwere der Arbeit im BUKH an niemandem<br />
spurlos vorbei. Die, die hier tätig<br />
sind, erleben nicht nur physische, sondern<br />
auch seelische Belastungen. Seelsorge<br />
versucht zu helfen, in schwierigen<br />
Situationen wieder Boden unter die Füße<br />
zu bekommen und Wege für sich zu finden,<br />
trotz und mit allem gute Arbeit zu<br />
leisten. Zusätzlich bietet sie Fortbildungen<br />
zu entsprechenden Themen an.<br />
Durch die Mitarbeit in der Ethikkommission<br />
stellt sich die Seelsorge den großen<br />
Fragen an den Grenzen des Lebens und<br />
sucht im Gespräch mit den anderen Professionen<br />
nach gemeinsamen, gangbaren<br />
Wegen.