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§1-Wirkkraft und Spielräume

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Zu § 1:<strong>Wirkkraft</strong> <strong>und</strong> Spielräume des Landesverfassungsrechts im deutschen B<strong>und</strong>esstaatLiteratur:Möstl, Landesverfassungsrecht – zum Schattendasein verurteilt?, AöR 130 (2005), 350;Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Vorbemerkungen B, vor Art. 98; Badura,Stellenwert von Länderverfassungen <strong>und</strong> Verfassungskonflikten am bayerischen Beispiel, BayVBl. 2007,193; Lindner, Bayerisches Staatsrecht, § 4.Die Problematik (aufgezeigt am Beispiel <strong>Wirkkraft</strong> der Landesgr<strong>und</strong>rechte)Fragen:– Inwieweit gelten Landesgr<strong>und</strong>rechte gegenüber parallelen B<strong>und</strong>esgr<strong>und</strong>rechten (die auch dieLänder als unmittelbar geltende Durchgriffsnormen binden; Art. 1 Abs.3 GG) überhaupt fort?– Dürfen Landesgr<strong>und</strong>rechte weiter oder weniger weit reichen als B<strong>und</strong>esgr<strong>und</strong>rechte?– Wen binden Landesgr<strong>und</strong>rechte? Kommen Landesgr<strong>und</strong>rechte auch zur Anwendung, wennLandesbehörden/-gerichte B<strong>und</strong>esrecht vollziehen/anwenden?Beispiele:– Darf BayVerfGH Gemeinden Gr<strong>und</strong>rechtsträgerschaft zusprechen, obwohl das BVerfG dieGemeinden nicht als Gr<strong>und</strong>rechtsträger ansieht? (VerfGH 37, 101)– Inwieweit kommen Landesgr<strong>und</strong>rechte zum Tragen, wenn Landesgerichte nach B<strong>und</strong>esprozessrechthandeln? Honnecker-Fall: BerlVerfGH NJW 1993, 515. Teilweise Klärung durch BVerfGE 96, 435– Müssen auch in Bayern private R<strong>und</strong>funkanbieter – trotz eigentlichen Monopols öffentlichrechtlicherTrägerschaft (Art. 111a Abs.2 BV) als Träger der R<strong>und</strong>funkfreiheit anerkannt werden?(BVerfGE 97, 298; VerfGH 56, 1; 58, 137)– Wie weit reicht das „einzigartige“ Landesgr<strong>und</strong>recht auf freien Naturgenuss (Art. 141 Abs.3 BV)gegenüber kollidierenden B<strong>und</strong>esgr<strong>und</strong>rechten (Art. 14 GG)?– Examensklausur 2008/II-6: Strafprozessuale Beschlagnahme bei Landtagsabgeordnetem <strong>und</strong> Art.29, 118 BV (BayVBl. 2011, 546, 576).Vorüberlegungen zur B<strong>und</strong>esstaatlichkeit1. Zur Staatsqualität der Länder gehört eine originäre, vom Gr<strong>und</strong>gesetz nur anerkannte, nicht aberkonstituierte verfassungsgebende Gewalt (Verfassungsautonomie der Länder; vgl. BVerfGE 36,342/361). Landesverfassungen sind keine umfassend an das Gr<strong>und</strong>gesetz (z.B. seineKompetenzordnung) geb<strong>und</strong>ene „Gesetzgebung unter dem Gr<strong>und</strong>gesetz“, die thematisch aufGegenstände der Landesgesetzgebung beschränkt wäre. Die Länder haben ein Recht zur„Vollverfassung“ (d.h. nicht nur Organisationsstatut, sondern auch Gr<strong>und</strong>rechte,Staatszielbestimmungen <strong>und</strong> sonstige materielle Regelungen sind möglich)2. Klar ist andererseits: Landesverfassungen können von vornherein nur die von ihnen konstituierteLandesstaatsgewalt, nicht aber B<strong>und</strong>esorgane binden. Außerdem ist es Aufgabe derB<strong>und</strong>esverfassung, den Landesverfassungen einen Rahmen vorzugeben <strong>und</strong> Regeln für dieAuflösung von Normkollisionen vorzusehen. Die originäre verfassungsgebende Gewalt der Länderbesteht nur nach Maßgabe der B<strong>und</strong>esverfassung.


Die relevanten Normen des GG:Art. 28 I GG(gr<strong>und</strong>gesetzlicher Rahmen)Art. 31 GG(gr<strong>und</strong>gesetzliche Kollisionsnorm)• Verfassungsautonomie der Länder • B<strong>und</strong>esrecht bricht Landesrecht• 2 gr<strong>und</strong>sätzlich selbständig neben- • Über- <strong>und</strong> Unterordnungeinander stehende Verfassungsräume • Normenpyramide• HomogenitätsgebotHomogenitäts-GG BV Gr<strong>und</strong>gesetzgebotB<strong>und</strong>esgesetzB<strong>und</strong>esVO/-satzungLandesverfassungLandesgesetzLandesVO/-satzungDie – allerdings wenig klare <strong>und</strong> allein für die Gr<strong>und</strong>rechte geltende – Auflösung diesesSpannungsfeldes durchArt. 142 GG :„Ungeachtet der Vorschrift des Artikels 31 bleiben Bestimmungen der Landesverfassungen auchinsoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 dieses Gr<strong>und</strong>gesetzesGr<strong>und</strong>rechte gewährleisten.“Leitlinie der Auflösung m.E.: Eine sich in den Grenzen des Art. 28 I GG haltende Norm desLandesverfassungsrechts darf durch Art. 31 GG in ihrer Geltungs- <strong>und</strong> Maßstabskraft nicht stärkergebrochen werden, als zur Sicherung des Vorrangs des B<strong>und</strong>esrechts unbedingt notwendig.Unterscheide 2 Typen landesverfassungsrechtlicher Normen:1. Regelungen, zu denen keine gr<strong>und</strong>gesetzliche Parallelregelung in Gestalt einer Durchgriffsnormbesteht, insbes. Regelungen zur Staatsorganisation: Art. 31 GG regelmäßig nicht berührt (nurwenige Durchgriffsnormen) → Art. 28 I GG; in dessen Grenzen ist Landesverfassungsrechtwirksam <strong>und</strong> maßgeblich2. Materiellrechtliche Regelungen, insbesondere Gr<strong>und</strong>rechte, Staatszielbestimmungen etc.:Bei einem Nebeneinander von b<strong>und</strong>esverfassungsrechtlicher Durchgriffsnorm (bei Gr<strong>und</strong>rechten:Art. 1 III GG) <strong>und</strong> landesverfassungsrechtlicher Regelung ist Art. 31 GG einschlägig.a) Bei echtem Normwiderspruch: Landesverfassung tritt zurückb) Bei inhaltsgleichen Regelungen: Nach h.M. bleibt paralleles Landesverfassungsrechtwirksam <strong>und</strong> anwendbar. Für die Gr<strong>und</strong>rechte wird dies durch Art. 142 GG ausdrücklichbestätigt.c) Auch bei weitergehendem oder weniger weitreichendem parallelen Landesverfassungsrechtliegt nach h.M. (so auch BVerfGE 96, 345) regelmäßig kein Normwiderspruch iSv Art. 31,142 GG im Verhältnis zur b<strong>und</strong>esrechtlichen Parallelregelung vor → Landesrecht bleibtgr<strong>und</strong>sätzlich wirksam. Allerdings bedarf es einer verstärkten Prüfung, ob weitergehendeLandesnormen mit sachlich gegenläufigem B<strong>und</strong>esrecht, z.B. Gr<strong>und</strong>rechten Dritter,kollidieren (dann müssen sie im Einzelfall zurücktreten).


3. Sofern Landesverfassungsrecht zurückzutreten hat: Nichtigkeit oder Unanwendbarkeit?Tendenz Rechtsprechung (BVerfGE 36, 142): bloße Unanwendbarkeit.Richtig wohl: Generelle Nichtigkeit nur bei Überschreitung des durch Art. 28 GG(Homogenitätsgebot) gezogenen äußersten Rahmens. Ansonsten (bei Normkollisioneni.S.v. Art. 31 GG) bloße Unanwendbarkeit im Einzelfall.Problemfeld <strong>Wirkkraft</strong> des Landesverfassungsrechts, wenn bayerische Behörden B<strong>und</strong>esrechtvollziehen bzw. bayerische Gerichte nach B<strong>und</strong>esprozessordnung handeln.BVerfGE 96, 345; BayVerfGH 11, 90; 17, 59; 43, 12; 51, 49;BerlVerfGH, NJW 1993, 515; NJW 1994, 436.Denkbare Lösungen:eA: Anwendung vorrangigen B<strong>und</strong>esrechts kann von vornherein nicht durch niederrangigesLandesverfassungsrecht determiniert werden.aA: Auch Anwendung von B<strong>und</strong>esrecht ist Ausübung von Landesstaatsgewalt <strong>und</strong> deswegen an dieLandesgr<strong>und</strong>rechte geb<strong>und</strong>en, soweit B<strong>und</strong>esrecht Spielräume belässt (Spielraumtheorie).Handhabung der Gerichte uneinheitlich:– BVerfG: teilweise Klärung in E 96, 345 (nur bzgl. Fallgruppe „B<strong>und</strong>esprozess-/-verfahrensrecht <strong>und</strong>Landesgr<strong>und</strong>rechte“; Anwendbarkeit der Landesgr<strong>und</strong>rechte bejaht, allerdings völlige Ergebnisgleichheitmit GG gefordert; Fallgruppe „Anwendung materiellen Rechts“ offengelassen)– BayVerfGH: Prüfung der (gerichtlichen) Anwendung von B<strong>und</strong>esprozessrecht anhand vonLandesprozessgr<strong>und</strong>rechten nach Maßgabe von BVerfGE 96, 345; die Anwendung von materiellemB<strong>und</strong>esrecht wird allein am Willkürverbot gemessenZ.B. BayVerfGH 56, 134/137: Der Verfassungsgerichtshof kann gerichtliche Entscheidungen,die – wie hier – auf B<strong>und</strong>esrecht beruhen, nur innerhalb enger Grenzen überprüfen. (…)Gegenüber der Anwendung von materiellem B<strong>und</strong>esrecht, das wegen seines höheren Rangesnicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung überprüft werden kann, beschränkt sich diePrüfung darauf, ob das Gericht willkürlich gehandelt hat (Art. 118 Abs. 1 BV). In verfahrensrechtlicherHinsicht überprüft der Verfassungsgerichtshof auch Entscheidungen, die aufB<strong>und</strong>esrecht beruhen <strong>und</strong> in einem b<strong>und</strong>esrechtlich geregelten Verfahren ergangen sind, daraufhin,ob ein Gr<strong>und</strong>recht der Bayerischen Verfassung verletzt wurde, das – wie das Recht aufrechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) – mit gleichem Inhalt im Gr<strong>und</strong>gesetz gewährleistet ist.– Z.B. BerlVerfGH: volle Anwendbarkeit in den Spielräumen des B<strong>und</strong>esrechtsSpielraumtheorie:1. Wenn anzuwendendes einfaches B<strong>und</strong>esrecht keinen Spielraum lässt→ Landesverfassung tritt zurück.2. Wenn anzuwendendes einfaches B<strong>und</strong>esrecht Spielraum lässt → unterscheide:a) Soweit auch GG (v.a. Gr<strong>und</strong>rechte) Spielraum lässt → Landesverfassung kann eigeneAkzente setzenb) Soweit GG Rechtsfolge vorgibt: Landesverfassung bleibt nur anwendbar, soweit sie zurgleichen Rechtsfolge führt wie das GG (BayVerfGH muss wie BVerfG judizieren;ggf. Art. 100 III GG).c) Fallgruppen: Verordnungserlass, gerichtliches Verfahrensrecht, Verwaltungsermessen,unbestimmte Rechtsbegriffe.

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