Libelle: Lesestoff auch im 30. Jahr auf anfassbarem Papier*
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VON BÜCHERN UND KÄFIGHALTUNG<br />
Im 29. <strong>Jahr</strong> der <strong>Libelle</strong> ist dieser Prospekt ausgefallen. Einige<br />
haben das sogar bemerkt und wurden getröstet.<br />
Als Wiedergutmachung, und weil wir demnächst so nebenbei<br />
das Dreißigste <strong>Jahr</strong> begehen, gibt es dieses eine<br />
Mal als Gratisgabe vulgo Bonustrack: einen Rückblick dar<strong>auf</strong>,<br />
wie alles mit allem zusammenhängt. Dazu sollten<br />
Sie das Heft umdrehen und die L<strong>auf</strong>richtung ändern.<br />
Die Chronik dort will gar nicht erst die Vermutung <strong>auf</strong>kommen<br />
lassen, verlegerische Weisheit sei zielstrebig <strong>Jahr</strong><br />
für <strong>Jahr</strong> <strong>auf</strong> ein Mosaikbild losgegangen. Wenn wir das<br />
Bild mal kurz flach legen und die kleinen Wellen aus vergeblichen<br />
Wünschen und <strong>auf</strong>gegebenen Projekten nicht<br />
ganz ausblenden, leuchten aber wundersame Inseln <strong>auf</strong>,<br />
die uns seit 1979 <strong>im</strong> Büchermeer anhalten ließen.<br />
Es war ein Mäandern eher als lineares Vorwärts: Verlegerei,<br />
wenn sie nicht bloß <strong>auf</strong>s Muhen der Cashcow horcht,<br />
lässt sich von unvermuteten Ideen und Texten locken,<br />
wendet sich Themen zu, die sie sich vorher nicht zutraute.<br />
Unser Signettierchen, die <strong>Libelle</strong> mit ihrem Zickzackflug,<br />
hat das hinterher Corporate-identity-mäßig dann jeweils<br />
regeln müssen.<br />
Beispiele? Übers Künftige vielleicht gar? Anno 2009, wovon<br />
in diesem Prospekt noch gar nichts gezeigt werden<br />
kann, wird es mit Texten von Ulrike Draesner, Hermann<br />
Kinder und Michael Krüger weitergehen. Mit Arno Borsts<br />
magistraler mehrhundertseitiger Geschichtserzählung<br />
»Mönchtum am Bodensee«. Und mit noch so einigem.<br />
Der Blick <strong>auf</strong> die Novitäten der folgenden Seiten zeigt Defizite<br />
strategischer Planung: Die <strong>Libelle</strong> hat es neulich<br />
schon nicht geschafft, einen katalanischen Roman ins<br />
Programm zu hieven, als Katalanisches das Buchmesse-<br />
Thema war. Und anno 2008, wo alle sich um Türkisches<br />
bemühen, wird hier wieder mal überhaupt kein Minarett<br />
<strong>auf</strong> einem Cover <strong>auf</strong>t<strong>auch</strong>en. (Aufgeregtes Fuchteln aus<br />
2<br />
unserem Lektorat, dass doch bei Thomas Wörtches<br />
Überblick über mondiale Kr<strong>im</strong>inalliteratur [s. u. S. 12f.]<br />
sehr wohl ein in Istanbul ermittelnder Privatdetektiv vorkomme,<br />
überhören wir einfach …)<br />
Hingegen sind wir <strong>auf</strong> unsere Weise <strong>im</strong>mer schon be<strong>im</strong><br />
Kafka-<strong>Jahr</strong> mit dabei gewesen. Nicht weil wir einen<br />
K-Titel hätten. Sondern weil Kafkas Satz »Ein Käfig ging<br />
einen Vogel suchen« so enigmatisch wie klar beschreibt,<br />
was die Verlegerei letztlich ausmacht. Immer noch ist die<br />
Tür offen, der Käfig (s. u. S. VIII) hat sich aber in dieser<br />
Zeit ziemlich verändert (fast, aber nur fast, hätten wir gesagt:<br />
gemausert …). Ein durchsichtiges Gehäuse, ungesicherte<br />
Konturen. Das wundersame Tier mit seinen dohlenschwarzen<br />
oder <strong>auch</strong> bunten Federn sitzt vielleicht<br />
schon drin. Ist womöglich <strong>auf</strong> dem Anflug. Im Facettenauge<br />
der <strong>Libelle</strong>, fernab schwirrend, spiegelt sich etwas.<br />
Kafka war übrigens schon <strong>im</strong>mer dabei. Werner Vordtriede<br />
notiert in seinem Tagebuch (s. u. S. VIII) die Aufregung,<br />
die seine Kafka-Vorlesung <strong>im</strong> Juli 1947 in Bristol<br />
bewirkte. Jochen Greven (s. u. S. VII) erinnert an Kafkas<br />
frühen Blick für Robert Walser. Und dass Kafka in der<br />
»Schlaflos«-Anthologie (s. u. S. VIII) vertreten ist, versteht<br />
sich von selbst.<br />
Für jene »Schlaflos«-Anthologie hatten wir <strong>auch</strong> bei<br />
Christoph Meckel wegen der Abdruckrechte für ein Gedicht<br />
angefragt, der Brief ging nach Südfrankreich. Man<br />
schreibt, wenn das käfigartige Gehäuse so übersichtlich<br />
gehalten wird wie in dieser Verlegerei, ja selbst Rechteanfragen<br />
unterm Ansturm literarischer Erinnerungen.<br />
Meckels Gedichte: vor vielen <strong>Jahr</strong>en par cœur gewusst,<br />
seine Erzählung »Licht«, diesen poetischen und radikalen<br />
Text <strong>im</strong>mer wieder neu gelesen, sein Erinnerungsbuch<br />
über Bobrowski, <strong>auch</strong> seine Suchbilder. Aber erst<br />
bei Manfred Boschs 60. Geburtstag sind wir dem Dichter<br />
begegnet. Damals hat ein Gespräch begonnen, die Wertschätzung<br />
für die viel zu wenig gelesene Marie Luise<br />
Kaschnitz war bald ein Thema, und in den Wochen danach<br />
entstand sein Erinnerungstext an die Dichterin: