Libelle: Lesestoff auch im 30. Jahr auf anfassbarem Papier*
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<strong>Libelle</strong> Verlag, Sternengarten 6, CH-8574 Lengwil • Fon: + 41 (0)71 / 688 35 55 • Fax: + 41 (0)71 / 688 35 65 • E-Mail: info@libelle.ch • www.libelle.ch • Lektorat,<br />
Presse, Vertrieb, Website, PhloxArt & allotria: Ekkehard Faude (faude@libelle.ch); Elisabeth Tschiemer (tschiemer@libelle.ch)<br />
<strong>Libelle</strong>:<br />
<strong>Lesestoff</strong> <strong>auch</strong> <strong>im</strong> <strong>30.</strong> <strong>Jahr</strong><br />
<strong>auf</strong> <strong>anfassbarem</strong> <strong>Papier*</strong><br />
Christoph Meckel schreibt über Marie Luise Kaschnitz<br />
Thomas Wörtche hat die Kr<strong>im</strong>inalliteratur vermessen<br />
Ein Film von Yasmina Reza: Picknick mit Lulu Kreutz<br />
Jirˇí Weils Erzählungen: Sechs Tiger in Basel<br />
Ein Katalog über Walter Kaesbach und die Moderne<br />
und das ist noch nicht alles …<br />
* Obacht! Bücherlesen kann fortdauernd elektrisierend sein. Irritierende Spannung, weit übers<br />
Erscheinungsjahr hinaus. Umblättern bleibt, bei abgeschaltetem Bildschirm, weiterhin<br />
ungefährlich. Und wann hat eigentlich Ihr E-Book zuletzt geduftet?
VON BÜCHERN UND KÄFIGHALTUNG<br />
Im 29. <strong>Jahr</strong> der <strong>Libelle</strong> ist dieser Prospekt ausgefallen. Einige<br />
haben das sogar bemerkt und wurden getröstet.<br />
Als Wiedergutmachung, und weil wir demnächst so nebenbei<br />
das Dreißigste <strong>Jahr</strong> begehen, gibt es dieses eine<br />
Mal als Gratisgabe vulgo Bonustrack: einen Rückblick dar<strong>auf</strong>,<br />
wie alles mit allem zusammenhängt. Dazu sollten<br />
Sie das Heft umdrehen und die L<strong>auf</strong>richtung ändern.<br />
Die Chronik dort will gar nicht erst die Vermutung <strong>auf</strong>kommen<br />
lassen, verlegerische Weisheit sei zielstrebig <strong>Jahr</strong><br />
für <strong>Jahr</strong> <strong>auf</strong> ein Mosaikbild losgegangen. Wenn wir das<br />
Bild mal kurz flach legen und die kleinen Wellen aus vergeblichen<br />
Wünschen und <strong>auf</strong>gegebenen Projekten nicht<br />
ganz ausblenden, leuchten aber wundersame Inseln <strong>auf</strong>,<br />
die uns seit 1979 <strong>im</strong> Büchermeer anhalten ließen.<br />
Es war ein Mäandern eher als lineares Vorwärts: Verlegerei,<br />
wenn sie nicht bloß <strong>auf</strong>s Muhen der Cashcow horcht,<br />
lässt sich von unvermuteten Ideen und Texten locken,<br />
wendet sich Themen zu, die sie sich vorher nicht zutraute.<br />
Unser Signettierchen, die <strong>Libelle</strong> mit ihrem Zickzackflug,<br />
hat das hinterher Corporate-identity-mäßig dann jeweils<br />
regeln müssen.<br />
Beispiele? Übers Künftige vielleicht gar? Anno 2009, wovon<br />
in diesem Prospekt noch gar nichts gezeigt werden<br />
kann, wird es mit Texten von Ulrike Draesner, Hermann<br />
Kinder und Michael Krüger weitergehen. Mit Arno Borsts<br />
magistraler mehrhundertseitiger Geschichtserzählung<br />
»Mönchtum am Bodensee«. Und mit noch so einigem.<br />
Der Blick <strong>auf</strong> die Novitäten der folgenden Seiten zeigt Defizite<br />
strategischer Planung: Die <strong>Libelle</strong> hat es neulich<br />
schon nicht geschafft, einen katalanischen Roman ins<br />
Programm zu hieven, als Katalanisches das Buchmesse-<br />
Thema war. Und anno 2008, wo alle sich um Türkisches<br />
bemühen, wird hier wieder mal überhaupt kein Minarett<br />
<strong>auf</strong> einem Cover <strong>auf</strong>t<strong>auch</strong>en. (Aufgeregtes Fuchteln aus<br />
2<br />
unserem Lektorat, dass doch bei Thomas Wörtches<br />
Überblick über mondiale Kr<strong>im</strong>inalliteratur [s. u. S. 12f.]<br />
sehr wohl ein in Istanbul ermittelnder Privatdetektiv vorkomme,<br />
überhören wir einfach …)<br />
Hingegen sind wir <strong>auf</strong> unsere Weise <strong>im</strong>mer schon be<strong>im</strong><br />
Kafka-<strong>Jahr</strong> mit dabei gewesen. Nicht weil wir einen<br />
K-Titel hätten. Sondern weil Kafkas Satz »Ein Käfig ging<br />
einen Vogel suchen« so enigmatisch wie klar beschreibt,<br />
was die Verlegerei letztlich ausmacht. Immer noch ist die<br />
Tür offen, der Käfig (s. u. S. VIII) hat sich aber in dieser<br />
Zeit ziemlich verändert (fast, aber nur fast, hätten wir gesagt:<br />
gemausert …). Ein durchsichtiges Gehäuse, ungesicherte<br />
Konturen. Das wundersame Tier mit seinen dohlenschwarzen<br />
oder <strong>auch</strong> bunten Federn sitzt vielleicht<br />
schon drin. Ist womöglich <strong>auf</strong> dem Anflug. Im Facettenauge<br />
der <strong>Libelle</strong>, fernab schwirrend, spiegelt sich etwas.<br />
Kafka war übrigens schon <strong>im</strong>mer dabei. Werner Vordtriede<br />
notiert in seinem Tagebuch (s. u. S. VIII) die Aufregung,<br />
die seine Kafka-Vorlesung <strong>im</strong> Juli 1947 in Bristol<br />
bewirkte. Jochen Greven (s. u. S. VII) erinnert an Kafkas<br />
frühen Blick für Robert Walser. Und dass Kafka in der<br />
»Schlaflos«-Anthologie (s. u. S. VIII) vertreten ist, versteht<br />
sich von selbst.<br />
Für jene »Schlaflos«-Anthologie hatten wir <strong>auch</strong> bei<br />
Christoph Meckel wegen der Abdruckrechte für ein Gedicht<br />
angefragt, der Brief ging nach Südfrankreich. Man<br />
schreibt, wenn das käfigartige Gehäuse so übersichtlich<br />
gehalten wird wie in dieser Verlegerei, ja selbst Rechteanfragen<br />
unterm Ansturm literarischer Erinnerungen.<br />
Meckels Gedichte: vor vielen <strong>Jahr</strong>en par cœur gewusst,<br />
seine Erzählung »Licht«, diesen poetischen und radikalen<br />
Text <strong>im</strong>mer wieder neu gelesen, sein Erinnerungsbuch<br />
über Bobrowski, <strong>auch</strong> seine Suchbilder. Aber erst<br />
bei Manfred Boschs 60. Geburtstag sind wir dem Dichter<br />
begegnet. Damals hat ein Gespräch begonnen, die Wertschätzung<br />
für die viel zu wenig gelesene Marie Luise<br />
Kaschnitz war bald ein Thema, und in den Wochen danach<br />
entstand sein Erinnerungstext an die Dichterin:
EIN GESCHENK FÜR LITERATURFREUNDE<br />
Worum es geht?<br />
Mehr als drei <strong>Jahr</strong>zehnte nach dem Tod der Dichterin<br />
erinnert sich Christoph Meckel. Die Grande Dame<br />
der deutschen Nachkriegsliteratur hatte Texte des<br />
jungen Lyrikers gelesen und ihm geschrieben. Irgendwann<br />
hielt er am Bollschweiler Familiensitz der<br />
Kaschnitz zu einem Besuch. Ein Sommermittag <strong>im</strong><br />
Schlosspark. Sie lud ihn ein, wieder zu kommen.<br />
Bei späteren Besuchen, <strong>auch</strong> in Frankfurt und Rom,<br />
wurde ein Gespräch weitergeführt über Dichtung,<br />
schöpferische Phantasie, über Auden, Fellini, Prévert.<br />
Sie erzählte ihm von Begegnungen mit Celan<br />
und Huchel, er gab ihr Auskunft über Bobrowski. Sie<br />
ließ sich vorlesen, und er erlebte fasziniert, wie sie in<br />
ihrem Spätwerk eine radikalere Prosa ausformte.<br />
Ein Austausch von unterschiedlichen Lebensformen<br />
her. Und bis in die Gelassenheit gemeinsamen<br />
Schweigens am Ausgang der Biographie von Marie<br />
Luise Kaschnitz. Vielleicht ist es die eigene Nähe zu<br />
jenem Lebensalter, die nun Christoph Meckels Erinnerungen<br />
eine besondere Tiefenschicht mitgibt. Ein<br />
Erinnern, das an die Utopie der Leidlosigkeit rührt<br />
und <strong>auch</strong> an eine Trostbedürftigkeit des Menschen,<br />
von der die Kaschnitz wusste, dass Literatur ihr <strong>auf</strong>helfen<br />
kann.<br />
In leichten und dichten Erzählbildern gelingen Christoph<br />
Meckel Vergegenwärtigungen in der Landschaft,<br />
die wir aus Kaschnitz-Texten kennen: in einer<br />
Sprache, die das gemeinsame Vergnügen an Zaubersprüchen<br />
bewahrt, dem Befremdlichen nachgeht,<br />
Worte für Distanz und Einverständnisse findet und einen<br />
fortdauernden Respekt bezeugt.<br />
Christoph<br />
Meckel<br />
Wohl denen<br />
die gelebt<br />
Erinnerung an<br />
Marie Luise Kaschnitz<br />
<strong>Libelle</strong><br />
Christoph Meckel<br />
Wohl denen die gelebt<br />
Erinnerung an Marie Luise Kaschnitz<br />
Mit 7 Graphiken des Autors<br />
64 S., fadengeheftet, Klappenbroschur<br />
€ 16,90 [D] / 17,40 [A] / Fr 29,90<br />
ISBN 978-3-905707-20-5<br />
1. Auflage | 2008<br />
3
LESEPROBE: WOHL DENEN DIE GELEBT<br />
Vor ihren frühen Büchern las ich, was sie nach<br />
dem Tod ihres Mannes schrieb, in der Auskehr<br />
alles bisher Beglaubigten, In-Anspruch-Genommenen,<br />
unvergängliche Werte, als der Bruch mit<br />
Konvention aller Art vollzogen wurde, ihre<br />
Sprache entschlackt, geklärt, gehärtet, ihr dichterisches<br />
Selbstbild nicht länger schön war. Die<br />
Muse ihrer Herkunft und Jugend hatte sich in<br />
Sicherheit gebracht, riskierte keinen Besuch bei<br />
ihr. Der Dämon war für sie kein Vis-à-vis: Wo<br />
der Dämon <strong>auf</strong>stampft, tanzt keiner mehr. Aber<br />
der Engel.<br />
Er verträgt viel Stachel und Gift, Geheul und<br />
Klage, Bettelfutter für angetötete Seele, verrutschte<br />
Ober- und Untertöne, Augen voll<br />
Finsterwasser. Mit dem Engel hat man die<br />
Kaschnitz gesehen, <strong>auf</strong> Promenade <strong>im</strong> Kohlerwald,<br />
schwerfüßig beide. Man nahm die zerrissenen<br />
Schuhe wahr.<br />
[S. 23]<br />
Nach der Lesung saß sie mir einen langen Augenblick<br />
stumm gegenüber und fragte dann:<br />
Warum dieses Gedicht.<br />
Ich sagte: Die Langzeile ist neu für mich. Architektur<br />
& Strömung des großen rausfahrenden,<br />
weitfliegenden Gedichts – ich drückte mich weniger<br />
zusammenhängend, aber nicht weniger<br />
entschieden aus –, das soll mein Gedicht sein.<br />
Und sie: Welche Landschaft haben Sie sich be<strong>im</strong><br />
Schreiben vorgestellt.<br />
4<br />
Ich sagte: Keine vorhandene, nichts aus bekannter<br />
oder unerforschter Geografie. Ich<br />
wollte nicht eine Landschaft nachzeichnen,<br />
in Sätzen reproduzieren, sondern eine erschaffen,<br />
die es bisher nicht gab.<br />
Sie schwieg wieder eine Weile, dann sagte<br />
sie, mit ernstem Blick, den ich nie vergaß:<br />
Sie haben sich viel vorgenommen.<br />
Solche Momente des Gesprächs kamen<br />
<strong>im</strong>mer wieder, wichtiger für mich als für<br />
sie, aber für sie vielleicht nicht ganz ohne<br />
Reiz. Es war nicht <strong>im</strong>mer ihr Wortlaut, der<br />
mich berührte, forderte, ihr zu widersprechen<br />
Anlass gab. Es konnte ihr lautloses<br />
Zuhören sein, die lebendige Schwermut ihrer<br />
Gegenwart, das Unangreifbare darin, die<br />
Glaubwürdigkeit.<br />
Nach dem Tod ihres Mannes war ich einmal<br />
enttäuscht. Es erschien Prosa, Wohin<br />
denn ich, die mir als Indiskretion erscheinen<br />
musste, Indiskretion gegen sich selbst, den<br />
andern belastend; Klage, Zerbrochenheit,<br />
schleifende Raserei – bis ich begriff, dass<br />
dies ihre Chance und die einzige fortune<br />
ihrer Sprache war. Nichts anderes möglich.<br />
Die Dame existierte nicht mehr, sie kam<br />
vielleicht nie wieder ins Schloss zurück.<br />
Das alles war keine Indiskretion. Es war die<br />
Vernichtung von Diskretion, Contenance,<br />
Schluss mit der eingeübten Vernünftigkeit.<br />
In der Nieder<strong>auf</strong>fahrt ihrer Existenz und<br />
ihrer Arbeit sah das danach ganz anders<br />
aus. Wieviel kostbare Zeit vertan / an den<br />
Strohkönig Tod.<br />
[S. 49–51]
CHRISTOPH MECKEL<br />
»Um die einstmals berühmte deutsche Lyrikerin und<br />
Erzählerin Marie Luise Kaschnitz (1901–1974) ist es<br />
still geworden. Höchst willkommen ist deshalb ein<br />
Bändchen, in dem der Dichter Christoph Meckel der<br />
so klugen wie soignierten Grande Dame gedenkt …<br />
So gelingt ihm aus der Distanz von über drei <strong>Jahr</strong>zehnten<br />
ein einfühlsames Porträt.«<br />
Manfred Papst, NZZ am Sonntag, 28. 9. 2008<br />
Bild: Privatarchiv<br />
Der Autor<br />
Christoph Meckel, 1935 in Berlin geboren, wuchs in<br />
Freiburg/Br. <strong>auf</strong> und lebt, nach <strong>Jahr</strong>en in Südfrankreich,<br />
wieder in Berlin.<br />
Seit 1956 arbeitet er freiberuflich als Schriftsteller und<br />
Graphiker. Der früh schon ausgezeichnete Lyriker schuf<br />
<strong>auch</strong> mit seinem graphischen Werk eine eigene Welt<br />
(z. B. »Weltkomödie« in über 1000 Radierungen).<br />
Einer breiteren Leserschaft wurde Christoph Meckel<br />
durch seine Prosabücher bekannt (»Licht«, »Suchbild.<br />
Über meinen Vater« u. a.). Seine Beschäftigung mit Leben<br />
und Werk anderer Dichter wie <strong>auch</strong> seine Freundschaft<br />
mit Zeitgenossen ist in beeindruckenden Texten<br />
nachzulesen (z. B. »Erinnerung an Johannes Bobrowski«,<br />
»Dichter und andere Gesellen«). Der Rang<br />
seiner literarischen St<strong>im</strong>me, sensibel und entschieden,<br />
aus einer wachen und <strong>auf</strong>merksamen Zeitgenossenschaft<br />
heraus und doch keiner Zeitströmung hörig, bestätigt<br />
sich mit jedem Buch.<br />
Christoph Meckel wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt<br />
mit dem »Joseph-Breitbach-Preis« (2003) und dem<br />
»Schiller-Ring der Deutschen Schillerstiftung« (2005).<br />
Seine Erinnerung an Marie Luise Kaschnitz schrieb er <strong>im</strong><br />
Winter 2008, als er <strong>auf</strong> einem der alten Schwarzwaldhöfe<br />
nahe Bollschweil lebte: in jener Gegend, die durch<br />
Kaschnitz' »Beschreibung eines Dorfes« ins literarische<br />
Gedächtnis gelangt ist.<br />
5
DAS ERFOLGREICHSTE THEATERSTÜCK DES JAHRES<br />
6<br />
Geschenkausgabe für gestresste Eltern,<br />
heftige Paare und andere Erziehungsberater.<br />
Yasmina Reza<br />
»Der Gott des Gemetzels«<br />
Aus dem Französischen von Frank Heibert<br />
und Hinrich Schmidt-Henkel<br />
96 S., gebunden, mit Fotos aus der Zürcher Inszenierung<br />
€ 14,90 [D] / 15,30 [A] / Fr 26,60<br />
ISBN 978-3-905707-15-1<br />
1. Auflage dieser Ausgabe | 2008<br />
Worum es geht?<br />
Zwei Elfjährige prügeln sich in einem Park, der eine<br />
verliert dabei zwei Schneidezähne. Unter <strong>auf</strong>geklärten<br />
Leuten, wie es die Eltern sind, spricht man die Sache<br />
gemeinsam durch und einigt sich.<br />
Ein friedfertiger Austausch beginnt, über Zivilisation<br />
und Gewalt, über Erziehung und die Grenzen der<br />
Verantwortlichkeit, <strong>auch</strong> über Kunst und Politik. Daraus<br />
wird aber ein Elternabend mit furiosem Verl<strong>auf</strong>,<br />
in dem die dünne Haut bürgerlicher Kultiviertheit erst<br />
sichtbar wird und dann <strong>auch</strong> <strong>auf</strong> erhellende Weise<br />
platzt.<br />
Vier Erwachsene geraten aus der Fassung. Auf dem<br />
Schlachtfeld dieser Komödie versinkt dann nicht nur<br />
ein Handy in der Tulpenvase …<br />
»Um es in drei Worten zu sagen: ein geniales Stück.<br />
Ein einfaches Stück. Zwei Damen, zwei Herren, eine<br />
Dekoration. Aber tausend Pointen.«<br />
Gerhard Stadelmaier, FAZ<br />
In deutscher Übersetzung erscheinen Yasmina Rezas<br />
Stücke seit 1996 bei <strong>Libelle</strong>.<br />
Yasmina Reza, »KUNST«<br />
Komödie. 72 S., gebunden, mit Schutzumschlag, € 14,90 [D] /<br />
15,30 [A] / Fr 26,60 • ISBN 978-3-905707-22-9<br />
Yasmina Reza, Drei Mal Leben<br />
Komödie. 72 S., büttenkartoniert, € 10,50 [D] / 10,90 [A] /<br />
Fr 19,40 • ISBN 978-3-909081-87-5<br />
Yasmina Reza, Ein spanisches Stück<br />
Komödie. 80 S., büttenkartoniert, € 10,50 [D] / 10,90 [A] /<br />
Fr 19,40 • ISBN 978-3-909081-98-1<br />
Yasmina Reza, Gesammelte Stücke<br />
Gespräche nach einer Beerdigung / Reise in den Winter /<br />
»KUNST« / Der Mann des Zufalls<br />
256 S., gebunden, € 29,– [D] / 29,80 [A] / Fr 50,–<br />
ISBN 978-3-909081-03-5
EINE GESCHICHTE UM LIEBE, MUSIK UND EIN WIEDERGEFUNDENES LÄCHELN<br />
Worum es geht?<br />
Zum Konzert des gefeierten Cellisten Jascha Steg in<br />
Évian sind seine Verwandten angereist. Joseph Steg,<br />
der Vater, ist <strong>im</strong> Textilhandel vermögend geworden,<br />
sein Schwager Michel als erfolgreicher Hersteller von<br />
Messgeräten. Das könnte, neben dem Musikevent,<br />
ein halbwegs mühsames jüdisches Familientreffen<br />
werden, mit den Querelen eines hypochondrischen<br />
Paares, Fremdheiten zwischen Kind und Eltern und<br />
der Nonchalance des Frauenjägers Michel, der sich<br />
mit dem genialen he<strong>im</strong>atlosen Neffen austauscht.<br />
Aber <strong>im</strong> Hotel ist <strong>auch</strong> die Violonistin Anna Ghirardi,<br />
die mit Jascha Steg vor <strong>Jahr</strong>en eine he<strong>im</strong>liche Liebesbeziehung<br />
hatte. Nun umwirbt sie der Star wieder<br />
stürmisch und aggressiv. Ihr Mann Pr<strong>im</strong>o, Naturwissenschaftler,<br />
Froschexperte, begegnet dem Künstlerkult<br />
um Jascha mit heiß l<strong>auf</strong>ender Abneigung.<br />
Und dann lädt Lulu Kreutz alle zu einem Picknick ein.<br />
Lulu, die einst mit Joseph Steg verlobt war. Sie hat<br />
sich eine Unruhe bewahrt, die nicht nur den allzeit erfahrungsbereiten<br />
Michel reizt. Eine dramatische<br />
Bergwanderung heizt die Beziehungsgeschichten<br />
um Liebe, Musik und ein verlorenes Lächeln <strong>auf</strong>: mit<br />
der Lust <strong>auf</strong> riskantes Leben.<br />
Im 1998 entstandenen Film »Le Pique-nique de Lulu Kreutz«<br />
unter der Regie von Didier Martiny spielen u. a. Philippe<br />
Noiret, Judith Magre, Niels Arestrup, Carole Bouquet, Johan<br />
Leysen, Stéphane Audran, Michel Aumont.<br />
Die Autorin<br />
Yasmina Reza, geboren 1959 in Paris, stammt aus<br />
einer weit verzweigten iranisch-ungarischen Familie.<br />
Sie war erst Schauspielerin und Musikerin. Schon<br />
für ihr erstes Theaterstück (»Gespräche nach einer<br />
Beerdigung«, 1987) wurde sie mit dem Prix Molière<br />
ausgezeichnet. Seit »KUNST« ist sie weltweit die<br />
meistgespielte Autorin. 2005 erhielt Yasmina Reza<br />
den »Welt-Literaturpreis«.<br />
Das Konzert eines berühmten Cellisten, nächtliche<br />
Geständnisse und ein Picknick am Abhang.<br />
Yasmina Reza<br />
Picknick mit Lulu Kreutz<br />
Aus dem Französischen von Frank Heibert<br />
und Hinrich Schmidt-Henkel<br />
120 S., gebunden<br />
€ 16,90 [D] / 17,40 [A] / Fr 29,90<br />
ISBN 978-3-905707-18-2<br />
1. Auflage | 2008<br />
7
LESEPROBE: PICKNICK MIT LULU KREUTZ<br />
Jascha (zu Pr<strong>im</strong>o): Was für eine mittelmäßige<br />
Frau Sie haben, Monsieur Ghirardi. Sie kommt,<br />
wenn man sie nicht ruft. Und wenn man sie<br />
ruft, hat sie Angst …<br />
Pr<strong>im</strong>o: Was ist das für ein Blödsinn, Anna?<br />
Jascha (zu Anna): Sag es ihm.<br />
Anna (mit verhaltenem Zorn): Sag du es ihm …<br />
Sei widerlich bis zum Schluss …<br />
Pr<strong>im</strong>o: Mir was denn sagen? Ich würde das gern<br />
verstehen!<br />
Jascha: Mach all dem ein Ende, Anna. Sag es<br />
ihm.<br />
Pr<strong>im</strong>o (schüttelt sie heftig): Wirst du mir das wohl<br />
erklären, Anna!! …<br />
Von Panik gepackt,jammert sie stotternd etwas kaum<br />
Hörbares, klammert sich an ihn, umarmt ihn, lässt<br />
sich nicht abschütteln und versteckt, als wollte sie sich<br />
verkriechen oder selbst nichts mehr sehen, ihr Gesicht<br />
an seinen Körper.<br />
Jascha (<strong>im</strong>mer noch ruhig): Sie schämt sich.<br />
Pr<strong>im</strong>o (drohend): Halt die Schnauze!<br />
Stille.<br />
Olga, Lulu, Michel und Joseph sind erstarrt.<br />
Jascha erhebt beschwichtigend die Hand; er wendet<br />
sich kurz ab, dann wieder Pr<strong>im</strong>o zu.<br />
Jascha: Monsieur Ghirardi … Monsieur Ghirardi,<br />
ich habe Anna geliebt … Eines Tages, in<br />
Wien, da hat sie mir zugelächelt, und dieses<br />
Lächeln hat mich an eine alte Empfindung er-<br />
8<br />
innert … Als ich sieben war, hatte ich einen<br />
Cellolehrer namens Monsieur Litnick. Monsieur<br />
Litnick war die Güte in Person. Sein einer<br />
Arm zitterte. Wegen dieses Arms konnte er<br />
nicht mehr spielen. Und er konnte nicht mehr<br />
unterrichten, weil keiner mehr Vertrauen zu<br />
ihm hatte … An dem Tag, als er zum letzten<br />
Mal zu uns gekommen war, verabschiedete ich<br />
mich von ihm und sah durchs Fenster, wie er<br />
aus meinem Leben verschwand … Monsieur<br />
Litnick ging über die Straße zur Bushaltestelle<br />
… Ich weiß nicht, wie das kam, aber ich konnte<br />
seinem Rücken ansehen, dass er voller Kummer<br />
ging. An der Haltestelle blickte er zu unserer<br />
Wohnung hin<strong>auf</strong>, er sah mich am Fenster<br />
und lüpfte seinen Hut mit einer Freundlichkeit<br />
… mit einem freundlichen Lächeln … (Er kann<br />
nicht weiterreden. Kurze Pause.) Das Lächeln in<br />
Wien war ebenso <strong>auf</strong>munternd, es hatte etwas,<br />
das ich seit <strong>Jahr</strong>en nicht mehr gesehen hatte, etwas<br />
Zärtliches, Menschliches, von einer Einsamkeit<br />
zu einer anderen … Etwas, was ich von<br />
einer Frau mir gegenüber nie erwartet hätte …<br />
(zu Anna) Darum habe ich dich geliebt. Der<br />
Rest, alles, was dann noch kam … (ausweichende<br />
Geste)<br />
Stille.<br />
[S. 108ff.]
EIN EUROPÄISCHER ERZÄHLER: TSCHECHE, JUDE, INTERNATIONALIST<br />
Worum es geht?<br />
Wieso zerschlägt ein Stettiner Zöllner die Jessenin-<br />
Büste, die sich ein Tscheche aus Moskau mitgebracht<br />
hat?<br />
Wohin führt es, wenn man seinem Hund <strong>im</strong> von Deutschen<br />
besetzten Holland den Hitlergruß beibringt?<br />
Was fühlen sechs Prager Zirkustiger <strong>im</strong> Schweizer<br />
Exil, wenn keiner mit ihnen tschechisch spricht?<br />
Die Erzählungen von Jirˇí Weil handeln von den Verwerfungen<br />
des 20. <strong>Jahr</strong>hunderts: »Mein ganzes Leben<br />
glich dem Hakenschlagen eines Hasen«, schrieb<br />
Weil einmal. Seine Romane, aus dem Stoff eines<br />
dramatischen Lebens, fanden international Anerkennung.<br />
Nahezu unbekannt ist bislang sein erzählerisches<br />
Werk, hier erstmals in einer repräsentativen<br />
Auswahl übersetzt. Virtuos zieht Jirˇí Weil in diesen<br />
Texten alle Register, die seinen extremen Erfahrungen<br />
als Tscheche, Internationalist und Jude entsprechen.<br />
Seine Erzählkunst reicht von lakonischem Witz und<br />
tragischer Komik bis zum Pathos des Erinnerns und<br />
der Klage. Seine Prosa fasst miterlebte Zeit <strong>im</strong> Realismus<br />
eines harten politischen Blicks, verdichtet sie<br />
aber <strong>auch</strong> <strong>im</strong>mer wieder in Bilder des Absurden, wie<br />
er sie bei seinem Landsmann Kafka bewunderte.<br />
Ein europäischer Erzähler von eigenwilligem Format,<br />
radikal <strong>auf</strong> Sichtung der Gegenwart aus und mit dem<br />
unnachsichtigen Blick für die Narben, noch wo er die<br />
Kraft des Weiterlebens preist.<br />
Geschichten, die in Berlin, Prag, Paris und Luzern spielen,<br />
am Genfersee, in Alma-Ata und anderswo.<br />
JirˇíWeil<br />
Sechs Tiger in Basel<br />
Erzählungen. Ausgewählt von Urs Heftrich und Bettina Kaibach.<br />
Erstmals übersetzt und mit einem Nachwort von Bettina Kaibach.<br />
224 S., gebunden<br />
€ 17,90 [D] / 18,40 [A] / Fr 31,70<br />
ISBN 978-3-905707-16-8<br />
1. Auflage | 2008<br />
»Möglicherweise hat aber gerade die jeweils windschiefe Perspektive Weils Blick für das Wesentliche geschärft. In seiner Prosa enthält er sich<br />
jeder moralischen Anklage. Mehr noch: Oft subl<strong>im</strong>iert er die absurden Geschehnisse in jenem typisch tschechischen Humor, der die Absurdität<br />
des Tatsächlichen nur schon durch schonungslose Benennung entlarvt. – Gleichzeit kann Weil aber <strong>auch</strong> dem Tragischen mit einem fast<br />
antiken Furor zum Durchbruch verhelfen, ohne je ins Sent<strong>im</strong>entale abzugleiten. Die Heidelberger Slawisten Bettina Kaibach und Urs Heftrich<br />
legen nun einen äusserst lesenswerten Band mit Erzählungen vor, in dem das gesamte künstlerische Spektrum von JirˇíWeil erkennbar wird.«<br />
Ulrich M. Schmid, NZZ, 2. September 2008<br />
9
LESEPROBE: SECHS TIGER IN BASEL<br />
Wir gingen zusammen über den Boulevardring zur<br />
Twerskaja, wo sich der »Stall des Pegasus« befand, das<br />
Café der Imaginisten. Es war der Winter des <strong>Jahr</strong>es<br />
1922, ein Moskauer Winter, still und ohne Wind,<br />
über unseren Köpfen krächzten Krähen, die für die<br />
Nacht zu den Kremltürmen flogen. Schnee knirschte<br />
unter unseren Schuhen, und über die Fahrbahn flogen<br />
Schlitten mit Schellen. Es war das erste <strong>Jahr</strong> der Neuen<br />
Ökonomischen Politik, der Bürgerkrieg war zu<br />
Ende.<br />
Ich trat mit dem Dichter der Nitschewoki in einen<br />
kleinen Raum und konnte zunächst nichts erkennen,<br />
meine Brille beschlug, ich sah nichts, hörte nur wildes<br />
St<strong>im</strong>mengewirr. Dann fand ich mich unversehens an<br />
einem Cafétisch wieder, ich nahm die Brille ab,<br />
wischte sie mit meinem Taschentuch und blickte mich<br />
um. Viel konnte ich nicht sehen, weil der Raum völlig<br />
verr<strong>auch</strong>t war, aber ich erkannte doch an den<br />
Wänden die Umrisse <strong>im</strong>aginistischer Gemälde in<br />
schreienden, bunten Farben.<br />
»Die br<strong>auch</strong>en Sie sich nicht anzusehen«, sagte mein<br />
Begleiter. »Es lohnt nicht. Das Manifest, das Scherschenjewitsch,<br />
der Theoretiker der Imaginisten, geschrieben<br />
hat, trägt den Titel: Das Pferd als Pferd.«<br />
»Gut«, sagte ich. »Aber wo ist Jessenin?«<br />
»Warten Sie, ich frage nach, sobald ich einen Bekannten<br />
von ihm sehe, der wenigstens ansatzweise nüchtern<br />
ist.«<br />
»Ich sage euch, was ist Majakowskij denn für ein<br />
Dichter? Ein Schreihals ist er, nichts als ein Schreihals,<br />
und von Gedichten hat er keine Ahnung. Majakowskij<br />
ist tot, er gehört ins Museum«, schrie einer<br />
am Nebentisch.<br />
»Warten Sie, der dort könnte es wissen, er ist einer<br />
von diesen kleinen Lakaien, fragen wir den.«<br />
Mein Begleiter trat zu dem <strong>im</strong>aginistischen Epigonen.<br />
»Wo ist Jessenin?«, fragte er.<br />
»Hier«, sagte der Epigone.<br />
»Ich sehe ihn nirgends.«<br />
»Wie sollen Sie ihn <strong>auch</strong> sehen, wo er doch unter dem<br />
Tisch liegt.«<br />
Wir blickten unter den Tisch, und tatsächlich, da lag<br />
10<br />
der Dichter Sergej Jessenin, schmutzig, verdreckt, die<br />
blonden Haare zerzaust.<br />
Der Epigone deklamierte:<br />
Heb ich vor dir den Blick,<br />
Sergej Jessenin,<br />
wird mir so bang.<br />
»Und man lässt ihn einfach so da liegen?«, fragte ich.<br />
»Warum nicht«, sagte der Epigone. »Es schadet ihm<br />
nicht, der ist noch ganz anderes gewohnt. Wenn wir<br />
ihn wecken, gerät er in eine wüste St<strong>im</strong>mung und<br />
schlägt hier alles kurz und klein, das haben wir schon<br />
oft erlebt.«<br />
»Hier ist ein Ausländer«, sagte mein Begleiter. »Er<br />
möchte gerne ein Wort mit Jessenin wechseln. Er hat<br />
schon ganz Moskau nach ihm abgesucht, und morgen<br />
reist er weiter nach Leningrad.«<br />
»Nichts zu machen«, sagte der Epigone. »So bald<br />
kommt der nicht zu sich. Der ist <strong>auch</strong> morgen noch<br />
nicht ansprechbar.«<br />
Ratlos blickte ich <strong>auf</strong> den Nitschewok und den Epigonen.<br />
»Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen«, sagte der Epigone.<br />
»Aber wissen Sie was, ich gebe Ihnen eine Büste<br />
von ihm, aus Gips. Nehmen Sie die nach Europa mit.<br />
Es ist eine schöne Büste, wie lebendig. Warten Sie, ich<br />
gehe sie holen, ich habe sie in der Garderobe abgegeben.«<br />
Wir setzten uns an seinen Tisch und bestellten eine<br />
Zubrowka. Der Epigone stellte die Büste <strong>auf</strong> den<br />
Tisch. Es war wirklich eine hübsche Büste. Der echte<br />
Jessenin schlief derweil unter dem Tisch. Wir tranken<br />
<strong>auf</strong> das Wohl aller sechsundzwanzig Dichterschulen,<br />
denn der Nitschewok war neutral, und dem Epigonen<br />
war es <strong>im</strong> Grunde egal, <strong>auf</strong> wen er anstieß. Und dann<br />
brachte ich die Büste in mein Hotel. Wir gingen spät<br />
gegen Morgen, als der »Stall des Pegasus« geschlossen<br />
wurde. Jessenin schlief weiter unter dem Tisch.<br />
»Kein Problem«, sagte der Epigone. »Sie lassen ihn hier<br />
schlafen, irgendwann um Mittag kommt er zu sich,<br />
und dann fängt er wieder von vorne an.«<br />
[S. 17f., Die Büste des Dichters]
JIRˇÍ WEIL<br />
Herausgeber, Übersetzerin, Kommentator<br />
Urs Heftrich und Bettina Kaibach lehren und erforschen<br />
an der Universität Heidelberg mehrere slawische<br />
Literaturen, aus denen sie <strong>auch</strong> regelmäßig übersetzen.<br />
Michael Špirit ist Dozent für tschechische<br />
Literatur an der Karls-Universität Prag und hat sich als<br />
Herausgeber zahlreicher Autoren einen Namen gemacht.<br />
Die drei haben schon öfter zusammengearbeitet,<br />
um wenig bekannte Meisterwerke aus dem Tschechischen<br />
ins deutsche Sprachgebiet zu befördern.<br />
Bild: Privatarchiv<br />
Der Autor<br />
Jirˇí Weil (1900–1959) war ein Intellektueller, der sein<br />
<strong>Jahr</strong>hundert mitgestalten wollte. So geriet er zwischen<br />
alle ideologischen Fronten: als Kommunist in der tschechischen<br />
Avantgarde, der die neue russische Literatur<br />
übersetzte; als Tscheche in Moskau, der aus der Partei<br />
ausgeschlossen wurde, eine Deportation nach Mittelasien<br />
(1934) überlebte und seine Stalinismus-Kritik dann<br />
<strong>im</strong> Roman »Moskau – die Grenze« (1937) verarbeitete.<br />
Als Jude entkam er in Prag dem nationalsozialistischen<br />
Mordprogramm nur knapp. Danach wurde er <strong>auch</strong> in<br />
poetischen Texten zu einem Chronisten der deutschen<br />
Gräuel. Seiner öffentlichen Wirksamkeit in der kommunistischen<br />
Tschechoslowakei setzte ein Publikationsverbot<br />
bald ein Ende, Weils Werke wurden aus den Bibliotheken<br />
entfernt. Für eine Generation von Schriftstellern<br />
des Prager Frühlings ist JirˇíWeil dennoch zu einer Leitfigur<br />
geworden. International bekannt wurde er durch seine<br />
Romane »Leben mit dem Stern« und »Mendelssohn<br />
<strong>auf</strong> dem Dach«.<br />
11
EINE VERMESSUNG DER INTERNATIONALEN KRIMINALLITERATUR<br />
12<br />
Verführung zu Kr<strong>im</strong>inalliteratur?<br />
Ja, weil deren beste Romane sich als Einübung in<br />
nichtnaives Denken erweisen.<br />
Thomas Wörtche<br />
Das Mörderische neben dem Leben<br />
Ein Wegbegleiter durch die Welt der Kr<strong>im</strong>inalliteratur<br />
208 S., Klappenbroschur<br />
€ 19,90 [D] / 20,45 [A] / Fr 34,90<br />
ISBN 978-3-905707-21-2<br />
1. Auflage | 2008<br />
Worum es geht?<br />
Nur selten trauen sich Superreader oder Kenner mit ungewöhnlichem<br />
Überblick, ihr Wissen <strong>auf</strong> den lesbaren Punkt<br />
zu bringen. Neulich erst, <strong>im</strong> letzten <strong>Jahr</strong>hundert, tat dies<br />
glücklicherweise Ralf Vollmann mit »Die wunderbaren<br />
Falschmünzer«.<br />
Auch dieses Buch zielt, unterhaltsam, erkundend und mit<br />
angriffigem Witz in Richtung »Roman-Verführer«. Nicht nur<br />
in Thomas Wörtches höchstpersönlichem Ranking der<br />
deutschsprachigen Kr<strong>im</strong>inalautoren und seiner Bestenliste<br />
internationaler Meisterwerke. Wenn es um das Komische<br />
<strong>im</strong> Mörderischen geht, um literarische Spielformen oder<br />
um die 155 spannenden Romane, aus denen er eine weltumspannende<br />
Kr<strong>im</strong>i-Reihe (metro) <strong>auf</strong>gebaut hat.<br />
Auch mancher Klassiker wird hier neu beleuchtet. Die Porträts<br />
über Georges S<strong>im</strong>enon, Eric Ambler oder Chester<br />
H<strong>im</strong>es erhellen beispielhaft, wie Kr<strong>im</strong>inalliteratur das Verbrecherische<br />
ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Kontexte<br />
zur Sprache bringt.<br />
Wörtches neugieriger und undogmatischer Durchblick beweist<br />
sich zudem, wo es ums tiefer gründende Thema von<br />
Kunst und Gewalt geht: in angrenzenden Gebieten wie<br />
Science-Fiction, Graphic Novel und Musik.<br />
Ein Literaturwissenschaftler legt hier los, in dem viele den<br />
renommiertesten Kr<strong>im</strong>ikritiker sehen und der z. B. in Jurys<br />
bei arte (»Kr<strong>im</strong>iWelt-Bestenliste«) und be<strong>im</strong> »Deutschen<br />
Kr<strong>im</strong>i Preis« mit entscheidet. Das Gezänk um hohe und<br />
niedere Literatur interessiert ihn nicht. Wundere sich dann<br />
keiner, wenn es um eine verkannte Potenz von Literatur<br />
geht: »Wir würden – hätten wir alle unseren Eric Ambler,<br />
unseren Ross Thomas, unseren Robert Littell so eifrig und<br />
<strong>auf</strong>merksam gelesen, wie wir Steuerratgeber lesen oder<br />
Sexturnbücher – die Politiker vom Acker jagen, die sich öffentlich<br />
darüber irritiert zu zeigen wagen, dass es korrupte<br />
Manager oder Ministeriale gibt. Man könnte das alles wissen.«
THOMAS WÖRTCHE<br />
Foto: © 04/2008 N. Hoffmann<br />
Der Autor<br />
Thomas Wörtche, <strong>Jahr</strong>gang 1954, studierte Philosophie<br />
und Germanistik in Bochum und Konstanz – dort<br />
1987 promoviert – und beschäftigt sich seit einem Vierteljahrhundert<br />
nach dem Motto Wer nur von Kr<strong>im</strong>inalliteratur<br />
etwas versteht, versteht <strong>auch</strong> von Kr<strong>im</strong>inalliteratur<br />
nichts unter anderem (Musik, Comics, Literatur, Geschichte,<br />
Kunstgeschichte) mit Kr<strong>im</strong>inalliteratur.<br />
Zwischen Boulevard und Wissenschaft hin und her tanzend<br />
sind ungezählte Artikel, Aufsätze, Interviews, Vorträge<br />
(in Europa, in Kanada, in den USA) entstanden –<br />
für deutschsprachige Blätter, für Radiosender, <strong>auch</strong> für<br />
wissenschaftliche Publikationen und Lexika.<br />
Seine beiden Kolumnen Wörtches Cr<strong>im</strong>e Watch (in der<br />
Wochenzeitung »Freitag«) und Leichenberg (in »Plärrer«,<br />
»Meier« und anderswo) sind die dienstältesten<br />
deutschen Kr<strong>im</strong>i-Kolumnen. Im Berliner Brecht-Haus<br />
präsentierte er drei <strong>Jahr</strong>e lang jeden Monat einen Weltstar<br />
des Genres: Cream of Cr<strong>im</strong>e. Seine Kennerschaft<br />
setzte er in einer vielfältigen Praxis um – Literaturfestivals,<br />
Jurys, Hörspielakquise, die erste Ost-West-Kr<strong>im</strong>izeitschrift<br />
»Underground«; zuletzt (1998–2007) in der<br />
Entwicklung und Herausgabe der Global-Cr<strong>im</strong>e-Reihe<br />
metro in Kooperation mit dem Unionsverlag. Seither verfolgt<br />
er Radioprojekte, betreut be<strong>im</strong> »Titel-Magazin« die<br />
Rubrik Samstag-ist-Kr<strong>im</strong>itag und befreundete sich mit<br />
dem Gedanken, endlich die Buchform zu wählen. Voilà.<br />
Thomas Wörtche lebt und arbeitet in Berlin.<br />
13
ÜBER DEN SCHWIERIGEN WEG DER DEUTSCHEN MODERNE<br />
Walter Kaesbach – Mentor der Moderne<br />
Herausgegeben von Christoph Bauer und Barbara Stark<br />
Mit Texten von Christoph Bauer, Andreas Gabelmann,<br />
Carlo Karrenbauer und Barbara Stark<br />
120 S., geb., mit 32 Farbtafeln und 68 s/w-Abbildungen<br />
€ 27,80 [D] / 28,60 [A] / Fr 49,40<br />
ISBN 978-3-905707-19-9<br />
1. Auflage | 2008<br />
14<br />
Walter Kaesbach (1879–1961)<br />
Im März 1933 wurde der Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie<br />
Walter Kaesbach von den Nationalsozialisten<br />
aus seinem Amt gejagt. Seit fast zehn <strong>Jahr</strong>en hatte er diese<br />
Akademie reformiert: <strong>im</strong> Sinn einer eigentümlich entschiedenen<br />
Moderne, vom »Bauhaus« ebenso fasziniert<br />
wie vom »George-Kreis«. Nach Düsseldorf hatte er so bedeutende<br />
Künstler wie Paul Klee, Heinrich Campendonk,<br />
Ewald Mataré und Alexander Zschokke als Lehrer berufen;<br />
sie alle verloren nach seiner Entlassung ihre Stellen.<br />
Auf Anraten des Malers Helmuth Macke zog sich Walter<br />
Kaesbach 1933 in die »innere Emigration« <strong>auf</strong> die Bodenseehalbinsel<br />
Höri zurück. Er wurde dort aber nicht einfach<br />
zum Gärtner in idyllischer Landschaft. Von Hemmenhofen<br />
aus, wo bald <strong>auch</strong> Otto Dix lebte, hielt er Kontakt zu den<br />
als »entartet« gebrandmarkten Künstlern: allen voran zu<br />
seinen langjährigen Freunden Christian Rohlfs, Heinrich<br />
Nauen und Erich Heckel.<br />
Gefördert und gesammelt hatte er die Expressionisten<br />
schon, als er Assistent von Ludwig Justi an den Museen<br />
in Berlin war, dann als Leiter des Erfurter Museums und<br />
schließlich in Düsseldorf. Seine umfangreiche Kunstsammlung<br />
stiftete er noch in den Zwanzigerjahren seiner<br />
He<strong>im</strong>atstadt Mönchengladbach.<br />
Einigen Künstlern konnte Kaesbach behilflich sein, als sie<br />
aus den bombardierten Städten <strong>auf</strong> die Höri flüchteten.<br />
Nach dem Untergang der Hitlerdiktatur profitierte die Region<br />
von den weit gespannten Kontakten dieses Mentors<br />
der Moderne. Schon <strong>im</strong> Herbst 1945 organisierte er die<br />
wegweisende Schau »Deutsche Kunst unserer Zeit« in<br />
Überlingen. Bis an sein Lebensende war Kaesbach ein<br />
gefragter Sachverständiger für Museumsleute und Kunsthistoriker.
In einem gemeinsamen Projekt mit zwei<br />
<strong>auf</strong>einander bezogenen Ausstellungen<br />
in Singen und Konstanz wird die Bedeutung<br />
Walter Kaesbachs als Wegbereiter<br />
der Moderne mit rund 120 hochrangigen<br />
Exponaten und Originaldokumenten<br />
nachgezeichnet. Einbezogen werden<br />
Kaesbachs Werdegang und Sammlungstätigkeit<br />
vor 1933, so dass sich Besucher<br />
ein umfassendes Bild dieses<br />
wichtigen Kunstvermittlers machen können<br />
und <strong>auch</strong> Einblicke in die Zeit des<br />
Aufbruchs und der Verfolgung deutscher<br />
Avantgarde <strong>im</strong> 20. <strong>Jahr</strong>hundert gewinnen.<br />
Die Herausgeber<br />
Christoph Bauer, Kunsthistoriker, leitet<br />
seit 1993 das Städtische Kunstmuseum<br />
Singen.<br />
Barbara Stark, Kunsthistorikerin, leitet<br />
seit 1994 die Städtische Wessenberg-<br />
Galerie Konstanz und hat bereits für den<br />
Katalog »Fritz Mühlenweg – Malerei« einen<br />
Beitrag über FM in der Kunst seiner<br />
Epoche verfasst.<br />
»… die Zeit wird kommen, die das Unrecht einsieht,<br />
das Ihrem Mann angetan wurde, zu seiner<br />
u. Ihrer Genugtuung. Davon bin ich überzeugt.<br />
Und darum <strong>auch</strong> mein Wunsch, Sie verließen<br />
Deutschland nur ganz vorübergehend. Und darum<br />
heute ganz schnell die Nachricht, dass Sie<br />
es gar nicht schwer finden würden, am schönen<br />
Untersee eine geeignete Wohnung zu finden.«<br />
Walter Kaesbach, am 18. November 1933<br />
an Lily Klee.<br />
KUNST<br />
Matthias Holländer – Das Licht der Dinge<br />
deutsch-französisch-englisch, 204 S., geb.,fadengeheftet,<br />
über 60 Farbbilder, 107 s/w-Abbildungen<br />
€ 49,90 [D] / 51,30 [A] / Fr 85,50 • ISBN 978-3-909081-18-9<br />
FRITZ MÜHLENWEG – MALEREI<br />
<strong>Libelle</strong><br />
Fritz Mühlenweg – Malerei<br />
192 S., geb., 50 Farbtafeln, 78 s/w-Bilder<br />
€ 49,90 [D] / 51,30 [A] / Fr 85,50 • ISBN 978-3-909081-84-4<br />
Der Maler Hans Sauerbruch 1910–1996<br />
216 S., geb., mit 120 Farbbildern, 24 s/w-Zeichnungen<br />
sowie 60 Fotografien<br />
€ 30,– [D] / 30,85 [A] / Fr 52,40 • ISBN 978-3-905707-12-0<br />
15
REICH UND ARM IN VORARLBERG<br />
16<br />
Franz Michael Felder<br />
Reich und Arm<br />
Mit einem Nachwort von Karl Wagner<br />
416 S., broschiert<br />
€ 19,35 [D] / 19,90 [A] / Fr 35.–<br />
ISBN 978-3-905707-17-5<br />
1. Auflage | 2008<br />
ORF-Bestenliste<br />
Januar bis März 2008<br />
Worum es geht?<br />
Eine Geschichte aus dem Bregenzerwald, wo der Blick<br />
über den Kirchturm und die Wiesen um das Dorf Au zur<br />
Kanisfluh geht. Die Menschen in dieser Idylle geraten<br />
aber durch Geldverhältnisse, die Gerüchte und Händel <strong>im</strong><br />
Wirtshaus – wie <strong>auch</strong> durch Wortmissbr<strong>auch</strong> von der<br />
Kanzel her – unter Druck.<br />
Um zwei Jugendfreunde, die trotz sozialer Unterschiede<br />
zusammenhalten wollen, und um sittenstrenge, <strong>auch</strong> eigenwillige<br />
Frauen <strong>auf</strong> der Suche nach eigenen Wegen<br />
hat Franz Michael Felder seinen letzten Roman gebaut.<br />
Eine Geschichte, reich an Spannungen in der dörflichen<br />
Enge, in einem bäuerlichen <strong>Jahr</strong>esreigen von der Kirchweih<br />
bis zur Besänftigung der Brunnengeister.<br />
Am Ende bekommt der reiche Hans vom Stighof seine<br />
lang he<strong>im</strong>lich geliebte Angelika, Tochter eines zugezogenen<br />
Aufsteigers. Die Magd Dorothee heiratet ihren sesshaft<br />
gewordenen Jos, und der mittellose Andreas, der ins<br />
Militär verk<strong>auf</strong>t worden ist, wird zum K<strong>auf</strong>mann des Dorfs<br />
bestellt. Nur ein Brandstifter ist <strong>im</strong> selbst gelegten Feuer<br />
geblieben.<br />
Wenn schließlich alles in einem Hochzeitsfest und allgemeiner<br />
Zufriedenheit endet, erfüllt sich der Autor zugleich<br />
seine Utopie vom genossenschaftlichen Leben, für das er<br />
politisch eintrat. Literatur zielt bei Franz Michael Felder<br />
<strong>auf</strong> Veränderbarkeit beengender Verhältnisse, noch wo<br />
sie die Zerstörung überkommener Lebensformen anschaulich<br />
macht.<br />
»›Reich und Arm‹ ist ein sozialer Roman <strong>auch</strong> darin, dass<br />
er die soziale Obdachlosigkeit präzise erforscht, (…) also<br />
<strong>auch</strong> ein Gegenwartsroman für uns Heutige« (der Zürcher<br />
Germanist Karl Wagner in seinem Nachwort).
FRANZ MICHAEL FELDER<br />
Franz Michael Felder<br />
Aus meinem Leben<br />
Die Autobiographie<br />
344 S., Broschur<br />
€ 17,90 [D] / 18,40 [A] / Fr 31,70<br />
ISBN 978-3-909081-41-7<br />
Hörbuch (3 CDs)<br />
Sprecher: Markus Hering<br />
3 CDs, ca. 220 Minuten<br />
€ 24.– / Fr 44,20<br />
ISBN 978-3-905707-04-5<br />
Der Autor<br />
Franz Michael Felder (1839–1869) wuchs in Schoppernau<br />
<strong>auf</strong>. Nach dem frühen Tod seines Vaters bewirtschaftete<br />
er mit der Mutter einen Kleinbauernhof. Ein Leben<br />
<strong>im</strong> schönen Bregenzerwald, aber in Armut, sommers<br />
mit den Kühen <strong>auf</strong> der Alp.<br />
Als der Junge das Lesen entdeckt, weitet sich sein Horizont.<br />
Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Handelsmonopolen<br />
und die weltanschauliche Zurüstung durch eine<br />
bildungsfeindliche Kirche erkannte Felder bald als<br />
Grundprobleme seiner Zeit.<br />
Als 27-Jähriger gründete er eine landwirtschaftliche Genossenschaft.<br />
Vom Pfarrer verhetzt als »Rot-Republikaner«,<br />
organisierte er die Verteilung informativer Zeitungen<br />
zwischen den Dörfern und gründete eine erste<br />
Volksbücherei. Mit Gleichgesinnten versuchte er eine<br />
Reformpartei in Vorarlberg.<br />
Den größeren Ruhm erlebte Felder aber als Schriftsteller.<br />
Sein Zeitroman (»Sonderlinge«) kam 1867 bei Hirzel<br />
heraus, ein <strong>Jahr</strong> später schon sein Roman »Reich und<br />
Arm«. Der Autor wurde Ehrenmitglied des Leipziger Germanistenclubs,<br />
<strong>auch</strong> wegen seiner Zuarbeiten für das<br />
Gr<strong>im</strong>msche Wörterbuch.<br />
Nach dem Tod seiner geliebten Frau schrieb Felder seine<br />
Lebensgeschichte nieder, sie wurde eine der lebendigsten<br />
deutschsprachigen Autobiographien. Der noch<br />
nicht Dreißigjährige starb am 26. April 1869.<br />
17
EIN »AMARCORD« AM BODENSEE<br />
18<br />
Walter Vollenweider<br />
Das Dorf hinterm Dampfschiff<br />
Kindheit am Seerhein<br />
160 S., gebunden,<br />
mit einem Umschlagmotiv von Fritz Mühlenweg<br />
€ 14,50 [D] / 14,90 [A] / Fr 24,90<br />
ISBN 978-3-905707-14-4<br />
1. Auflage | 2007<br />
Worum es geht?<br />
Eine Kindheit am Bodensee. Und doch am Flussufer,<br />
dort wo der Rhein von Konstanz her strömt und sich<br />
nach Westen hin zum Untersee weitet. Wasser, das sich<br />
am gegenüberliegenden Ufer <strong>im</strong> Ried verliert, mit Bootswegen<br />
ins Ungesehene, für Verliebte und Jäger. Die<br />
Flussmitte wird zur Kriegsgrenze, als vom deutschen<br />
Ufer her die Bedrohung wächst und Flüchtlinge das<br />
Schweizer Ufer zu erreichen suchen. Da der Vater als<br />
Grenzwächter in das Dorf Gottlieben am Seerhein gekommen<br />
ist, entwickelt das Kind früh einen wachen Blick<br />
für Bedrohung und Idylle, für Bodenständiges und die<br />
Verlockungen des Neuen.<br />
Ein wunderliches Leben <strong>im</strong> Kleinen, wo schon das Gastspiel<br />
einer Blaskapelle zum Ereignis wird und wo der Alltag<br />
der Fischer in die Geselligkeit der Beizen führt. Mit<br />
Sonderlingen wie dem Baron von Bodman, der als Dichter<br />
gilt, oder dem Emigranten Muehlon <strong>im</strong> alten Schloss,<br />
dessen Turm noch Erinnerungen an die Gefangenschaft<br />
des Reformators Jan Hus bewahrt.<br />
Walter Vollenweider lässt zur Sprache kommen, was ihm<br />
nach <strong>Jahr</strong>zehnten eines Lebens fern dieser Kindheit am<br />
Wasser nachgeht: das Unbegriffene und Fremde in Szenen<br />
kindlichen Erlebens, die Gehe<strong>im</strong>nisse der Erwachsenen<br />
und die jahreszeitlich genossenen Riten der He<strong>im</strong>at<br />
vom Maikäfer-Sammeln bis zum Entzünden der<br />
Weihnachtskerzen. Eine friedvolle Jugend mitten <strong>im</strong><br />
Krieg, <strong>im</strong> Vorschein einer Selbstbefreiung, die sich sportlich<br />
erprobt und in erotischen Näherungen versucht.<br />
Es sind stillere Bilder, die hier gesammelt werden. Nicht<br />
nur, weil die Welt noch von weniger Lärm erfüllt war.<br />
Auch weil diesen Autor das Ruhevolle mehr interessiert.<br />
Die Stille nach dem Absturz eines Flugzeugs <strong>im</strong> Fluss.<br />
Oder be<strong>im</strong> Aufsammeln von vorbeitreibenden Schwanenfedern<br />
<strong>im</strong> Morgenlicht.
WALTER VOLLENWEIDER<br />
Bild: Caroline Leuch<br />
Der Autor<br />
Walter Vollenweider, <strong>Jahr</strong>gang 1926, wuchs in Gottlieben<br />
am Seerhein <strong>auf</strong>, wo sein Vater Postenchef be<strong>im</strong><br />
Schweizer Zoll war. Nach dem Besuch des Lehrerseminars<br />
in Kreuzlingen studierte er Sprachen, Geschichte,<br />
Kunstgeschichte und Ethnologie, lebte zeitweise in Paris,<br />
London, München und arbeitete als Lehrer und Journalist<br />
in der Nähe von Basel.<br />
Walter Vollenweider erzählt <strong>im</strong>mer wieder in kunstvollen<br />
Überblendungen. Eine Rückschau, sehnsüchtig und unnachsichtig<br />
zugleich, die den Wagemut, die Spielfreude<br />
und die Unsicherheiten des Heranwachsenden dort<br />
sucht, wo er die Grenzen der dörflichen Enge auslotet.<br />
Ein »Amarcord« vom Bodensee.<br />
19
LESEPROBE: DAS DORF HINTERM DAMPFSCHIFF<br />
EIN VERWUNSCHENES HÄUSCHEN? Geschlossene<br />
Fensterläden gehören wohl dazu, eine Menschenverlassenheit,<br />
ein verdächtiges Abseits von<br />
anderen Wohnstätten. Aber das kleine Haus<br />
befand sich am Ufersträßchen, nahe den Gondelpfählen,<br />
benachbart einer Fischerfamilie. Es<br />
war bewohnt trotz der geschlossenen Läden.<br />
Manchmal stand eine alte Frau unter der Tür,<br />
blinzelte in den Tag, als sei sie ein Geschöpf aus<br />
Höhlengängen. Was sie trug war von heller Farbe,<br />
ein vages Weiß, vielleicht ein Nachtgewand,<br />
den Kopf bedeckte eine Kappe aus gleichem<br />
Stoff. Eine geisterhafte Erscheinung von kleinem<br />
Wuchs, ein fahles Antlitz. Rasch war der<br />
schlafwandlerische Auftritt jeweils vorbei, die<br />
Türe schloss sich, das Haus stand da mit toten<br />
Läden.<br />
Obwohl wir uns oft am Wasser <strong>auf</strong>hielten, war<br />
die Erscheinung nahe den Gondeln ein seltenes<br />
Erlebnis. Möglicherweise hatte die Alte keinen<br />
Sinn für die Abfolge der Zeiten. Trug sie <strong>im</strong>mer<br />
ein Nachtgewand? War sie blind? Sie konnte<br />
Geräusche wahrnehmen, das erlebten mein<br />
Freund und ich eines Tages‚ als wir Steinchen<br />
an ihre Türe warfen. Ein atemloser Augenblick,<br />
die sachte Bewegung der Tür. Die weiße Gestalt<br />
erschien vor dem Eingang. Wir blickten<br />
gebannt, hörten dann das St<strong>im</strong>mchen, unverständlich<br />
brüchig, sie sprach zu uns als eine lebende<br />
Mumie. Wir fühlten uns nicht ins Auge<br />
gefasst, obwohl wir <strong>im</strong> Licht standen. Die weiße<br />
Frau schaute nirgendwohin, sie sah uns<br />
nicht.<br />
Nachdem wir etliche Male den Schauder solcher<br />
Begegnung herausgefordert hatten, sprach<br />
ein Herr mit feierlichem Bart bei unseren El-<br />
20<br />
tern vor. Es war der Sohn der Schlafwandlerin,<br />
ein Bankdirektor, wie es hieß. Er veranlasste,<br />
dass man uns zusprach, drohte. Was wir getan<br />
hatten, machte wohl den Anschein von Böswilligkeit.<br />
Aber es war Neugierde, kindlich pur<br />
und unstillbar wie die Lust an wunderbaren Geschichten,<br />
die man uns zuweilen vorlas.<br />
Mein Freund und ich hatten später Gelegenheit,<br />
uns in Begleitung der resoluten Fischersfrau<br />
von nebenan ins Innere der rätselhaften<br />
Behausung vorzuwagen. Es war von der Bewohnerin<br />
verlassen, man hatte sie weggebracht.<br />
Die Fischerin öffnete – offenbar nicht zum ersten<br />
Mal – Fenster und Läden. Uns tat sich nach<br />
wenigen Schritten eine dämmrige Welt in Pilzfarben<br />
<strong>auf</strong>. Alles weißlich überzogen, Stofflappen,<br />
Wäschestücke, Fäden, zerknülltes Papier in<br />
großer Menge <strong>auf</strong> Tischen, Sesseln, S<strong>im</strong>sen:<br />
Aufhellung einer unfassbaren Dunkelheit. Es<br />
roch nach Moder und Küchenabfällen. Wir<br />
hielten den Atem an, begreifen konnten wir<br />
nichts.<br />
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Literatur<br />
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....* 10-6 Blicher, Steen Steensen: Der H<strong>im</strong>melberg 19,90 34,90<br />
..... 52-3 Borst, Arno: Ritte über den Bodensee 24,90 43,70<br />
..... 75-2 Bosch, Manfred: Bohème am Bodensee (3. erw. Aufl.) 69,90 118,–<br />
...** 02-6 Braumann-Honsell, Lili: Kleine Welt – Große Welt 19,45 35,10<br />
....* 08-3 Conrad, Bernadette: Nomaden <strong>im</strong> Herzen 14,90 26,60<br />
..... 45-5 Faltin, Sigrid: Die Baroness und das Guggenhe<strong>im</strong> 23,80 41,70<br />
..... 01-1 Faude, Ekkehard: Fritz Mühlenweg (Biographie) 17,50 31,–<br />
..... 17-5 Felder, Franz M: Reich und Arm 19,35 34,90<br />
..... 41-7 Felder, Franz M.: Aus meinem Leben 17,90 31,70<br />
....* 04-5 Felder, Franz M.: Aus meinem Leben; Hörbuch, 3 CDs 24,– 44,20<br />
..... 43-1 Felder, Franz Michael (1839–1869) Katalog 22,40 39,30<br />
..... 44-8 Fischer, Ernst P.: Brücken zum Kosmos 18,80 32,50<br />
ISBN: 978-3-909081- | * = 978-3-905707-<br />
..... 71-4 Fischer, Ernst P.: Die <strong>auf</strong>sch<strong>im</strong>m<br />
..... 12-7 Frei, Otto: Jugend am Ufer<br />
..... 82-0 Götz v. Olenhusen, Albrecht: W.<br />
..... 39-4 Greven, Jochen: Robert Walser –<br />
..... 96-7 Helbich, Ilse: Schwalbenschrift<br />
..... 37-0 Hentig v., Werner Otto: Von Kab<br />
..... 08-0 Herwegh, Emma: Im Interesse d<br />
....* 05-2 Kathan, Bernhard: Nichts geht ve<br />
..... 28-8 Kern / Phlox: Die aberwitzigen A<br />
..... 21-9 Kinder, Hermann: H<strong>im</strong>melhohes<br />
..... 20-2 Kinder, Hermann: Kina Kina<br />
..... 47-9 Koch / Overath (Hrsg.): Schlaflos<br />
....* 20-5 Meckel, Christoph: Wohl dene<br />
..... 40-0 Mühlenweg / F. W. Bernstein: De<br />
....* 02-1 Mühlenweg: Das Land des Blaue<br />
....* 03-8 Mühlenweg, Fritz: Drei Mal Mong<br />
..... 53-0 Mühlenweg, Fritz: Fremde <strong>auf</strong> de<br />
..... 58-5 Mühlenweg, Fritz: In gehe<strong>im</strong>er M<br />
..... 93-6 Mühlenweg, Fritz: Mongolische H<br />
..... 83-7 Mühlenweg / R. S. Berner: NUNI<br />
..... 67-7 Mühlenweg, Fritz: Tausendjährig<br />
..... 38-7 Oelfken, Tami: Fahrt durch das C<br />
....* 00-7 Overath, Angelika: Generationen<br />
..... 11-0 Overath, Angelika: Händler der v<br />
..... 27-1 Overath, Angelika: Vom Sekunde<br />
..... 59-2 Picard, Jacob: Und war ihm leich<br />
..... 48-6 Picard, Jacob: Werke<br />
....* 11-3 Rosegger / F. W. Bernstein: Chri<br />
..... 19-6 Scheffel v. J. V.: Warum küssen<br />
..... 49-3 Scheffel v. J. V.: Ekkehard<br />
..... 76-9 Seebacher, Katrin: Morgen oder<br />
..... 91-2 Stobbe, Peter: Nach Delft gehen<br />
..... 95-0 Titz, Uta: Stella Runaway<br />
....* 14-4 Vollenweider: Das Dorf hinterm<br />
..... 13-4 Vordtriede, Käthe: »Es gibt Zeite<br />
..... 10-3 Vordtriede, Käthe: »Mir ist es no<br />
..... 92-9 Vordtriede, Werner: Das verlasse<br />
..... 97-4 Wedegärtner, Marion: Einmal mu<br />
....* 16-8 Weil, Jirˇí: Sechs Tiger in Basel<br />
Kr<strong>im</strong>inalliteratur<br />
..... 94-3 Ritzel, Ulrich: Der Hund des Prop<br />
..... 90-5 Ritzel, Ulrich: Die schwarzen Rä<br />
..... 86-8 Ritzel, Ulrich: Der Schatten des S<br />
..... 89-9 Ritzel, Ulrich: Schwemmholz<br />
....* 21-2 Wörtche, Thomas: Das Mörder<br />
Kunst<br />
..... 18-9 Holländer, Matthias: Das Licht de<br />
....* 19-9 Kaesbach, Walter: Mentor der<br />
..... 88-2 K<strong>auf</strong>fmann, Angelica: »Mit träum<br />
..... 84-4 Mühlenweg: Malerei<br />
....* 12-0 Sauerbruch: Der Maler (Katalog)
| ** = 978-3-922305 € Fr<br />
ernde Nachtseite 13,80 24,20<br />
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ISBN: 978-3-909081- | * = 978-3-905707- | ** = 978-3-922305- € Fr<br />
Humor / Litzelstetter <strong>Libelle</strong>n<br />
..... 09-7 Beachcomber: Zwergen-Zerwürfnis 12,80 23,40<br />
..... 35-6 Glatz: Kneipen-Philosophien 9,40 17,30<br />
....* 06-9 Hakelmacher: Bilanzblüten in Molwanien 12,80 23,40<br />
..... 24-0 Hakelmacher: Die Falken-Parabel 12,80 23,40<br />
..... 22-6 Hakelmacher: Das Leoparden-Paradox 12,80 23,40<br />
..... 54-7 Haller: S<strong>im</strong>ilaun-Syndrom. Oecci Homo 9,70 17,90<br />
..... 55-4 Heesterbeek u. a.: Fegefeuer-Theorem 9,70 17,90<br />
..... 72-1 Heider u. a.: Synergien <strong>im</strong> Stau 9,70 17,90<br />
....* 07-6 Holz: Wertvolle Sammlung verschwundener Tiere 13,90 24,90<br />
..... 46-2 Hulme: De Translatione (engl.) 9,70 17,90<br />
...** 47-7 Hulme: De Inventione (franz.) 9,70 17,90<br />
..... 42-4 Krüger / Faude: Literatur & Alkohol 12,80 23,40<br />
...** 39-2 Mehlmann: De Salvatione Fausti 9,70 17,90<br />
..... 79-0 Raveling: Bungu-Bukolik. De Casu Moro 9,70 17,90<br />
...** 40-8 Scholares T.: De Oeconomia Intergalactica 9,70 17,90<br />
..... 66-0 Shapiro: Dinosaurier-Dilemma 9,70 17,90<br />
..... 34-9 Stader: Bei aller karnevalsbedingter … 4,95 9,20<br />
..... 32-5 Stader: Ob eine einzige Kakerlake <strong>auf</strong> Hawaii … 4,95 9,20<br />
..... 33-2 Stader: Das Feuer <strong>im</strong> Beichtstuhl … 4,95 9,20<br />
..... 31-8 Stader: Kein Inhaber einer Opernkarte … 4,95 9,20<br />
..... 78-3 Stader: Einführung in den Juristenhumor 9,95 18,20<br />
Pädagogik<br />
..... 65-3 Bambach, Heide: Erfundene Geschichten 18,40 33,30<br />
..... 68-4 Bambach, Heide: Ermutigungen. Nicht Zensuren 14,80 26,90<br />
....* 01-4 Brügelmann, Hans: Schule verstehen und gestalten 24,– 42,10<br />
..... 85-1 Brügelmann / Brinkmann: Die Schrift erfinden 14,90 26,90<br />
..... 36-3 Brügelmann, Hans: Kinder <strong>auf</strong> dem Weg zur Schrift 19,45 35,–<br />
..... 81-3 Brügelmann (Hrsg.): Kinder lernen anders 17,40 31,50<br />
..... 15-8 Brügelmann u. a. (Hrsg.): Schriftwelten … 19,45 35,–<br />
..... 64-6 Brügelmann u. a. (Hrsg.): Wie wir recht schreiben … 19,45 35,–<br />
...... 80-6 Spitta (Hrsg.): Freies Schreiben 19,95 36,–<br />
Theater<br />
....* 09-0 Biller, Max<strong>im</strong>: Menschen in falschen Zusammenhängen 10,50 19,40<br />
.....* 15-1 Reza, Yasmina: »Der Gott des Gemetzels« (geb.) 14,90 26,60<br />
.....* 18-2 Reza, Yasmina: Picknick mit Lulu Kreutz (gebunden) 16,90 29,90<br />
..... 98-1 Reza, Yasmina: Ein spanisches Stück 10,50 19,40<br />
..... 03-5 Reza, Yasmina: Gesammelte Stücke 29,– 50,–<br />
..... 87-5 Reza, Yasmina: Drei Mal Leben 10,50 19,40<br />
..... * 22-9 Reza, Yasmina: »KUNST« (gebunden) 14,90 26,60<br />
..... 99-8 Reza, Yasmina: Das Lachen … (Gespräche) 12,80 23,40<br />
..... 04-2 Schmitt, E.-E.: Gesammelte Stücke 29,90 50,50<br />
..... 05-9 Schmitt, E.-E.: Der Besucher 10,50 19,40<br />
..... 07-3 Schmitt, E.-E.: Der Freigeist 10,50 19,40<br />
..... 06-6 Schmitt, E.-E.: Enigma 10,50 19,40<br />
..... 02-8 Schmitt, E.-E.: Hotel zu den zwei Welten 10,50 19,40