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Theorien der Bildungs- und Erziehungswissenschaft II 09. 05. 2012

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Vorlesung „Einführung in die <strong>Bildungs</strong>wissenschaft“ (SS <strong>2012</strong>)Dr. Hans-Peter Gerstner / Markus Popp(<strong>09.</strong><strong>05.</strong>2011)Schwerpunkt 2:<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> Erziehungs- <strong>und</strong> <strong>Bildungs</strong>wissenschaft(Teil 2)• Begrüßung - Organisatorisches• Vortrag: „<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> Erziehungs- <strong>und</strong> <strong>Bildungs</strong>wissenschaft“• Input: Kurzfilm: „The colour changing card trick“• Arbeitsphase – Aussprache• Vortrag: „<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> Erziehungs- <strong>und</strong> <strong>Bildungs</strong>wissenschaft“• Impulsfrage: Was muss eine Theorie <strong>der</strong> Erziehungs- <strong>und</strong><strong>Bildungs</strong>wissenschaft Ihrer Ansicht nach beinhalten?• Aussprache - Diskussion


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieAusgangspunkt: die Interaktionssituation zwischen zwei PersonenDas Set an normativen Interaktionsmustern steuert dann das Verhalten <strong>der</strong>Individuen <strong>und</strong> liefert ihnen einen Bezugsrahmen (»frame of reference«)gemeinsam geteilter Bedeutungen. Damit ist ein unabhängiges sozialesSystem mit gemeinsam geteilten Werten, gemeinsam entwickeltenRollenerwartungen <strong>und</strong> einer verbindlichen Mitgliedschaft entstanden.


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieUm das Handeln <strong>der</strong> Personen zu verstehen, entwickelt Parsons dieBegriffspaare <strong>der</strong> Pattern Variables.Affektivität → ← AffektiveNeutralitätKollektiv-Orientierung→ ← Selbst-OrientierungPartikularismus → ← UniversalismusZuschreibung → ← LeistungDiffusität → ← Spezifität


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieSozialisation hat nach Parsons die Aufgabe, den Heranwachsenden einerGesellschaft die Fähigkeit zum Handeln in Rollen beizubringen <strong>und</strong> dafür zusorgen, dass sie die Wertorientierungen einer Gesellschaft im Interesse <strong>der</strong>Bestandserhaltung des Gesamtsystems <strong>und</strong> seiner Teilsysteme alsOrientierungsmuster des Handelns übernehmen.Die Heranwachsenden lernen dabei unterschiedliche Arten von Rollenspielenauseinan<strong>der</strong> zu halten, ihr Handeln auf die jeweils geltenden Spielregelneinzurichten <strong>und</strong> sich mit den an die Rollen geknüpften Erwartungen zuidentifizieren.Diese Sozialisationsaufgabe kann nach Parsons in mo<strong>der</strong>nen, sich in spezifischeSysteme differenzierenden Gesellschaften, in denen universalistisches,neutrales <strong>und</strong> an Leistung orientiertes Rollenverhalten erwartetwird, von <strong>der</strong> »Sozialisationsinstanz« Familie so nicht geleistet werden, da<strong>der</strong>en eigene Spielregeln partikular, diffus, affektiv <strong>und</strong> an Zuschreibungausgerichtet sind.Schulen sollen diese Aufgabe in mo<strong>der</strong>nen Gesellschaften übernehmen.


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieSchule macht aus anfänglicher Gleichheit Differenz - entsprechend denschulischen <strong>und</strong> nicht mehr entlang <strong>der</strong> familialen Muster.Dieses Elementarmodell von Schule muss seine analytische Kraft erst in <strong>der</strong>empirischen Überprüfung zeigen. Vieles, was wir über schulische Leistungsbeurteilung<strong>und</strong> Schulerfolg wissen, wi<strong>der</strong>spricht dem von Parsons angenommenenunpersönlich-universalistischen Leistungsmuster.So ist empirisch zweifelsfrei erwiesen, dass Lehrer Leistung nicht objektiv beurteilen,son<strong>der</strong>n systematisch askriptiv-partikularistische Tendenzen inihrer Leistungsbeurteilung verfolgen.Zudem lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass Schüler sicher nicht mit gleicherAusstattung in die Schule kommen. Die Selektion, die <strong>der</strong> schulischenLeistungssituation zugeschrieben wird, erfolgt außerhalb <strong>der</strong> Schule.Gegenüber dem vermeintlichen Leistungsuniversalismus betreten die Schülerschon als Ungleiche das Klassenzimmer. Der Schulerfolg wird von <strong>der</strong>sozialen Herkunft bestimmt <strong>und</strong> nicht von <strong>der</strong> Leistungsfähigkeit.


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieAls Gegenpol gegenüber <strong>der</strong> harmonischen Vorstellung von Parsons kann dieTheoriebildung des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930 - 2002)verstanden werden.


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieBourdieus strukturelle Gesellschaftsanalysen haben im Vergleich zu Parsonseine gesellschaftskritische Spitze:Die unterschiedlichen Wahrnehmungs-, Denk- <strong>und</strong> Verhaltensformen, welchedie Handelnden abhängig von ihrer Stellung im sozialen Raum in ihremHabitus erkennen lassen, werden in <strong>der</strong> Gesellschaft gerade nicht alsgleichwertig anerkannt, son<strong>der</strong>n finden ihr Maß auch <strong>und</strong> beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong>Schule an <strong>der</strong> schmalen oberen Schicht.Das bedeutet auch, dass die Mehrheit <strong>der</strong> Bevölkerung kaum die Chance hat,den «guten« <strong>und</strong> «richtigen« Geschmack zu erwerben, <strong>der</strong> im Wettbewerb umsoziale Anerkennung <strong>und</strong> Vorrechte die höchste Rendite abwirft.Die jeweilige Position im sozialen Raum hängt nach Bourdieu vom»Kapitalvolumen« einer Person ab, das sich nicht nur aus ökonomischemKapital zusammensetzt, son<strong>der</strong>n auch aus kulturellem <strong>und</strong> sozialem Kapital.


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieEinwände gegen den StrukturfunktionalismusParsons wie Bourdieu scheinen in ihren Konzeptionen hinter die schonerreichten Positionen <strong>der</strong> europäischen Aufklärung zurückzufallen.Parsons dadurch, dass er formale Freiheit <strong>und</strong> formale Gleichheit schon fürdie ganze verwirklichte Freiheit <strong>und</strong> die ganze verwirklichte Gleichheitnimmt. Bourdieu dadurch, dass in seiner soziologischen Analyse die Freiheitkeinen systematischen Platz hat, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> individuellen Entscheidunganheim gegeben ist.Die Funktionen <strong>der</strong> Schule können mit Bourdieuschen negativen Vorzeichenversehen auch als Deformierung <strong>der</strong> menschlichen Natur durch die Schuleverstanden werden, da durch diese schulische Sozialisation Menschenlediglich nach dem Kriterium <strong>der</strong> Leistung sortiert <strong>und</strong> bewertet werden.Das Schulsystem muss dann notwendig „defizient“ bleiben, da es notwendigerweiseErfolgreiche <strong>und</strong> Versager produziert <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Momente, die einenMenschen als wertvoll erscheinen lassen, systematisch ausblendet.Der idealtypische Gr<strong>und</strong>zug funktionaler Analysen kann bei <strong>der</strong> Konfrontationmit <strong>der</strong> Realität <strong>und</strong> <strong>der</strong> Faktizität <strong>der</strong> Schule auch als verklärendeRechtfertigung <strong>der</strong> häufig mangelhaft erscheinenden schulischen Verhältnisseverstanden werden.


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieIn Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>und</strong> Fortentwicklung <strong>der</strong> strukturfunktionalistischenSystemtheorie von Parsons entwickelt <strong>der</strong> Bielefel<strong>der</strong> Soziologe NiklasLuhmann (1927 – 1998) seine Fassung <strong>der</strong> soziologischen Systemtheorie.


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieGr<strong>und</strong>gedankenLuhmanns Systemtheorie stellt ein Begriffssystem zur Beschreibung sozialerProzesse dar. Allerdings wird nicht mehr von einer vorgängigen Übereinstimmungvon Individuum <strong>und</strong> Gesellschaft ausgegangen, son<strong>der</strong>n Ausgangspunktist <strong>der</strong> Unterschied zwischen beiden.Soziale Systeme werden durch die Grenze zwischen System <strong>und</strong> Umweltbestimmt.Die Systemdifferenzierung ist die Weiterentwicklung <strong>der</strong> System-Umwelt-Differenz innerhalb eines Systems. In einem System bilden sich Teilsystemeaus, die spezifische Aufgaben übernehmen.Auf <strong>der</strong> Basis dieser vielstufigen System-Umwelt-Unterscheidungen lassen sichdann Elemente eines sozialen Systems erkennen.Diese Elemente sind Ereignisse von Kommunikation, keine Personen. Einesoziale Beziehung ist dann die Organisation von Differenzen in doppelterKontingenz.Soziale Systeme sind autopoietisch respektive selbstreferentiell.Aus <strong>der</strong> Selbstreferenz sozialer Systeme entsteht <strong>der</strong>en Komplexität. Alsomuss Komplexität reduziert werden.


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieSystemtheorie <strong>und</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Vertreter <strong>der</strong> Systemtheorie im Bereich <strong>der</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong> sind etwaHeinz-Elmar Tenorth (1944) für Erziehungsgeschichte <strong>und</strong> <strong>Bildungs</strong>administration,Dieter Lenzen (1947) für Erziehungsphilosophie o<strong>der</strong> Jochen Kade(1943) für die Erwachsenenbildung.


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieLuhmann macht deutlich, in welcher Intensität die Reformresistenz <strong>der</strong> deutschenSchule den Mechanismen von Schule als autopoietischem, aus sichselbst heraus erschaffendem System geschuldet ist.Er fragt danach, wie sich schulische Formen <strong>der</strong> Problembearbeitung verstetigen.Unter seiner gesellschaftstheoretischen Perspektive rücken die Selektionsaufgaben<strong>der</strong> Schule dabei zur zentralen Funktionsbestimmung auf.Die zentrale Aufgabe des Schulwesens ist, Handlungsmöglichkeiten zueröffnen, auf <strong>der</strong>en Gr<strong>und</strong>lage ein „besseres o<strong>der</strong> schlechteresAbschneiden“ unterscheidbar wird.Schule behandelt dazu nicht-trivial Lernende als Trivialmaschinen, die aufeinen bestimmten Input dank einer gespeicherten Regel einen bestimmtenOutput produzieren.


Strukturfunktionalismus <strong>und</strong> SystemtheorieEinwände gegen die systemtheoretische KonzeptionLuhmann versteht Kommunikation als Element sozialer Systeme <strong>und</strong> nichtPersonen, damit vernachlässigt er die Person des Kindes, des Jugendlichen,des Erwachsenen, des Pädagogen.Was als soziologische Verunsicherung (Perturbation) sinnvoll sein mag, bietetpädagogisch keine Orientierungsinhalte, keine Zukunftsperspektiven <strong>und</strong>keine Kriterien für pädagogische Interventionen. Die praktischen pädagogischenFragen werden als technologische reformuliert <strong>und</strong> können so nichtmehr diskursiv bearbeitet werden.Luhmann reduziert die Komplexität <strong>der</strong> Schule sowohl hinsichtlich desUnterrichts als auch <strong>der</strong> Bildung allzu sehr.Selbst in <strong>der</strong> Schule gibt es <strong>Bildungs</strong>möglichkeiten, so dass Schüler dieErfahrung machen können, dass es die Dimension <strong>der</strong> Bildung in <strong>der</strong> Schuleauch gibt, selbst wenn sie nicht immer verwirklicht werden kann.Unterricht nähert sich gegenwärtig einer reflexiven Bildung <strong>der</strong> Schüler selbstan, die mit Hilfe an<strong>der</strong>er Menschen <strong>und</strong> in Auseinan<strong>der</strong>setzung mit einemSachverhalt geschieht. Um sich auf Neues <strong>und</strong> An<strong>der</strong>es einzulassen, müssendie Reflexionsschleifen nichttrivialer Maschinen notwendig aufgenommen sein,die längst zur Richtschnur schulischen Lehrens <strong>und</strong> Lernens geworden sind.


Pragmatismus <strong>und</strong> Symbolischer InteraktionismusAn<strong>der</strong>s als die strukturfunktionalistische Systemtheorie untersuchen <strong>der</strong>Pragmatismus <strong>und</strong> <strong>der</strong> Symbolische Interaktionismus nicht die sozialeMakroperspektive, son<strong>der</strong>n die Mikroperspektive des sozialen Handelns. Deramerikanische Pragmatismus ist verb<strong>und</strong>en etwa mit den Namen GeorgeHerbert Mead (1863-1931), Charles San<strong>der</strong>s Peirce (1839-1914) <strong>und</strong> JohnDewey (1859-1951).


Pragmatismus <strong>und</strong> Symbolischer InteraktionismusGr<strong>und</strong>lagen des PragmatismusDer Pragmatismus wendet sich von <strong>der</strong> Metaphysik ab <strong>und</strong> richtet den Blick aufdas Handeln <strong>und</strong> dessen Folgen. Erkenntnis wird als ein intersubjektivvermittelter Zeichenprozess verstanden, dessen Bedeutung in den möglichenFolgen des Gebrauchs dieser Zeichen liegt. Die Bedeutungszuweisung beruhtauf einer sozialen Konvention.Die Sicherheit wird nicht durch die Suche nach absoluter Gewissheit durchkognitive Mittel gewonnen, son<strong>der</strong>n durch praktische Mittel.Der Blickwinkel geht nicht deduktiv von einer Gesamtgesellschaft aus aufSubsysteme <strong>und</strong> soziale Akteure, son<strong>der</strong>n induktiv von Individuen <strong>und</strong> wiediese die Gesellschaft konstituieren.


Pragmatismus <strong>und</strong> Symbolischer InteraktionismusGr<strong>und</strong>lagen des PragmatismusMenschen reagieren daher nicht auf Reize, son<strong>der</strong>n handeln aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong>Bedeutung, die sie einer Situation geben.Gesellschaft entsteht dadurch, dass die Individuen miteinan<strong>der</strong> in einenAustausch treten. Gesellschaft wird durch die Interaktion <strong>der</strong> Individuenkonstituiert.Gegenstände, Personen <strong>und</strong> Situationen besitzen für alle Personen einerGruppe eine gemeinsame Bedeutung, die durch Regeln festgelegt ist.


Pragmatismus <strong>und</strong> Symbolischer InteraktionismusGr<strong>und</strong>lagen des PragmatismusSymbole entstehen dadurch, dass ein Ego die Gesten von Alter wahrnimmt. InHandlungen werden diese als Symbole signifikant, Ego antizipiert dasVerhalten von Alter <strong>und</strong> stimmt seine Handlungen darauf ab.Der Symbolische Interaktionismus erhält einen Erklärungsansatz für dieIdentitätsbildung von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> die Weiterentwicklung von Erwachsenen,in ihm steckt eine Theorie <strong>der</strong> Sozialisation. Das Selbst bildet sich dabeizunächst in <strong>der</strong> Über- <strong>und</strong> Vorwegnahme <strong>der</strong> Reaktionen konkreter einzelnersignifikanter An<strong>der</strong>er, später in <strong>der</strong> Übernahme verallgemeinerterReaktionsmuster, eines generalisierten An<strong>der</strong>en.Role-Taking – Role-MakingGegenstände, Personen <strong>und</strong> Situationen besitzen für eine Person auch einesubjektive Bedeutung, bei <strong>der</strong> allgemeine Verhaltensregeln von <strong>der</strong> Personinterpretiert werden.


Pragmatismus <strong>und</strong> Symbolischer InteraktionismusWichtige Autoren des Symbolischen Interaktionismus waren unter an<strong>der</strong>emHerbert Blumer (1900-1987), auf den die Bezeichnung „SymbolischerInteraktionismus“ zurückgeht, Erving Goffman (1922-1982), <strong>der</strong> diePräsentationen des Selbst im Alltagsleben untersuchte, <strong>und</strong> Anselm Strauss(1916 - 1996), <strong>der</strong> den Ansatz <strong>der</strong> Gro<strong>und</strong>ed Theory entwickelte.


Pragmatismus <strong>und</strong> Symbolischer InteraktionismusFolgerungen für die PädagogikKennzeichen schulischer Interaktion nach dem Symbolischen Interaktionismusist, dass in <strong>der</strong> Schule als Institution die Deutungsmacht ungleich verteilt ist.In <strong>der</strong> Schule bilden sich stabilisierte Verhaltenserwartungen <strong>und</strong> Erwartungserwartungenüber das Lehrer- <strong>und</strong> das Schülerverhalten aus. Auf beidenSeiten wird typisiert <strong>und</strong> etikettiert. Deswegen werden etwa wird Kin<strong>der</strong>naus „bildungsfernen“ Milieus mangelnde Leistungsfähigkeit zugeschrieben <strong>und</strong>ihre Potenziale übersehen <strong>und</strong> nicht geför<strong>der</strong>t.Pygmalion <strong>und</strong> Andorra EffektDie Form von Schule o<strong>der</strong> institutionalisiertem Lehren <strong>und</strong> Lernen hat mit demSymbol „Schule“ verb<strong>und</strong>ene Rollen ausgebildet, <strong>der</strong>en Erwartungen <strong>und</strong>Erwartungserwartungen den Akteuren immer schon präsent sind.Die mit Schule verb<strong>und</strong>enen Rollen <strong>und</strong> Erwartungen sind relativ statisch.Dies hat mehrere Ursachen: Schule ist eine stark verregelte Institution, dieFluktuation <strong>der</strong> Akteure, vor allem <strong>der</strong> Lehrkräfte, ist vergleichsweise gering,die Interaktionen sind nach einem asymmetrischen Muster angelegt.


Pragmatismus <strong>und</strong> Symbolischer InteraktionismusEinwände gegen Pragmatismus <strong>und</strong> Symbolischen InteraktionismusDas interpretative Paradigma hat sich als Gegenposition zu funktionalistischenVorstellungen entwickelt. Das Subjekt hat im Symbolischen Interaktionismuseine empirische wie auch normative Bedeutung zurückbekommen,allerdings fehlt <strong>der</strong> Blick auf die Makroperspektive <strong>der</strong> gesellschaftlichvorhandenen Strukturen. Gesellschaftliche Brauchbarkeit wird zu utilitaristischerNützlichkeit, wenn Handeln nur individualistisch betrachtet wird.Der allgemeine Ansatz muss, um die Bedingungen für eine gelingendeInteraktion <strong>und</strong> eine gelingende Identitätsbildung zu bestimmen, erweitertwerden durch Rollendistanz, Ambiguitätstoleranz, Frustrationstoleranz<strong>und</strong> Empathie.Ein zentrales Problem bleibt die fehlende forschungsmethodische Absicherung,da die For<strong>der</strong>ung, die Methoden <strong>der</strong> im Alltag handelnden Personen auch fürdie Wissenschaft zu übernehmen, sie auch anfällig für die Irrtümer <strong>und</strong>Missverständnisse des Alltags macht.Wertfragen werden im Pragmatismus <strong>und</strong> Symbolischen Interaktionismusletztlich auf den Erfolg des Handelns reduziert.


Arbeitsfragen zum Film „The colour changingcard trick “:Welche Folgerungen ergeben sich hieraus fürdie Wahrnehmung <strong>und</strong> das Wirklichkeitsverständnis?


KonstruktivismusAlle genannten Theoriekonzeptionen verstehen sich als konstruktiv <strong>und</strong>konstruktivistisch, indem sie aussagen, dass wissenschaftliche Erkenntnis einErgebnis menschlicher Konstruktionstätigkeit ist.Vertreter des radikalen Konstruktivismus sind etwa Ernst von Glasersfeld(1917-2010) <strong>und</strong> Humberto R. Maturana (1928); ein Vertreter des sozialenKonstruktivismus ist Kenneth J. Gergen (1934).


KonstruktivismusGr<strong>und</strong>positionenDer Konstruktivismus wendet sich gegen die These, dass Kriterium fürWissenschaftlichkeit die Übereinstimmung von Aussagen mit <strong>der</strong> Wirklichkeitist. Die adaequatio rei et intellecti wird aufgegeben.Die Erkenntnis ist stets im Zusammenhang mit dem Beobachter zu sehen.Eine vom Beobachter unabhängige Erkenntnis gibt es nicht.Beobachtung <strong>und</strong> Beschreibung setzen Differenzierungen voraus, die sichnicht aus <strong>der</strong> Wirklichkeit ergeben, son<strong>der</strong>n von dem jeweiligen Beobachtergetroffen werden.Die Unterscheidungen werden in Handlungszusammenhängen vollzogen. DieBrauchbarkeit in solchen Handlungszusammenhängen entscheidet über dieAngemessenheit <strong>der</strong> Unterscheidung.


KonstruktivismusDie Bedeutung für die wissenschaftstheoretische Gr<strong>und</strong>legung <strong>der</strong><strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong><strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> erziehungswissenschaftliche Konzepte haben unterschiedlicheBegriffe als F<strong>und</strong>ament. Diese Begriffe sind nicht aus <strong>der</strong> Wirklichkeit abzuleiten,daher macht es keinen Sinn zu sagen, dass die Erziehungspraxis Verhalten,Handeln o<strong>der</strong> System ist, son<strong>der</strong>n Verhalten, Handlung, System sindunsere begrifflichen Konstruktionen, die wir jeweils <strong>der</strong> bildungswissenschaftlichenForschung <strong>und</strong> dem pädagogischen Handeln zugr<strong>und</strong>e legen.Die begriffliche Unterscheidungen als F<strong>und</strong>ament erziehungswissenschaftlicher<strong>Theorien</strong> stehen in Handlungszusammenhängen. Dann lassen sich dieBegriffssysteme <strong>der</strong> Verhaltenstheorie, <strong>der</strong> Handlungstheorie <strong>und</strong> <strong>der</strong> Systemtheorienur mit Blick auf ihrer praktischen Konsequenzen diskutieren <strong>und</strong>beurteilen. Helfen diese Begriffssysteme das pädagogische Handeln verlässlichzu leiten? Wie gehen Pädagoginnen <strong>und</strong> Pädagogen auf <strong>der</strong> Basis diesesBegriffssystems mit Kin<strong>der</strong>n, Jugendlichen <strong>und</strong> Erwachsenen um?


Probleme <strong>und</strong> EinwändeKonstruktivismusZur Begründung des Konstruktivismus wird als Argumentationsbasis aufdas Wissenschaftskonzept <strong>der</strong> Naturwissenschaften zurückgegriffen, obwohldieses von ihm selbst kritisiert wird.Auf dem Boden des bildungs- <strong>und</strong> erziehungswissenschaftlichen Konstruktivismuswerden jede Menge pädagogischer For<strong>der</strong>ungen, Methoden <strong>und</strong>Verfahrensweisen empfohlen, die zwar jeweils plausibel sein mögen, aber sielassen sich nicht aus <strong>der</strong> Theorie ableiten wie etwa die normativenSetzungen <strong>der</strong> geisteswissenschaftlichen Pädagogik.In ihm entfällt die Möglichkeit von Bildung in einem gemeinsamen Entwurfvon Welt. We<strong>der</strong> radikale Individualisierungen noch systemtheoretischeAuflösungen <strong>der</strong> Lernenden im System können eine Theorie sozialerKonstruktion ersetzen, in <strong>der</strong> mit dem Begriff Tätigkeit <strong>und</strong> dem Begriff Praxisdie Wirklichkeit als historisch-gesellschaftlich konstruierte gefasst wird.Als ein wissenschaftstheoretisches Konzept kann <strong>der</strong> Konstruktivismus Argumentezur Beurteilung an<strong>der</strong>er Wissenschaftskonzepte liefern, dann abermüssen wir uns die Frage stellen:Welche pädagogische Praxis wollen wir?


<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong>Zusammenfassende SchlussbemerkungDie Theorie <strong>der</strong> <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong> gibt es nicht,son<strong>der</strong>n es gibt verschiedene erziehungswissenschaftliche Konzepte, die sichin den Gr<strong>und</strong>begriffen (Verhalten, Handeln, System), den Forschungsmethoden(Quantitative Empirie, Hermeneutik, Rekonstruktion) <strong>und</strong> den Folgen fürpraktisches Handeln unterscheiden.Die <strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong> ist daher durch einen <strong>Theorien</strong><strong>und</strong>Methodenpluralismus gekennzeichnet.Diese unterschiedlichen Konzepte wi<strong>der</strong>streiten sich, haben aber auch hinsichtlich<strong>der</strong> Forschungsmethoden, <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>und</strong> <strong>der</strong> praktischen Folgeneinen Überschneidungsbereich.<strong>Bildungs</strong>- <strong>und</strong> <strong>Erziehungswissenschaft</strong> haben ihr Ziel nicht nur in <strong>der</strong> Erkenntnis<strong>der</strong> pädagogischen Wirklichkeit, son<strong>der</strong>n sie sind auch auf das praktischeHandeln in pädagogischen Situationen bezogen.Damit sind die <strong>Theorien</strong> nicht als ein System genereller Gesetzesaussagenbestimmt, son<strong>der</strong>n können als Werkzeugkoffer betrachtet werden.


Impulsfrage:Was muss eine Theorie <strong>der</strong> Erziehungs- <strong>und</strong> <strong>Bildungs</strong>wissenschaft IhrerAnsicht nach beinhalten?


Fachwissenschaftler an einem Untersuchungsgegenstand - die Erkenntnisist jeweils an<strong>der</strong>s:Das Bild beschreibt ein Gleichnis von Hampden-Turner "Sechs blinde Weiseversuchen, einen Elefanten durch Tasten zu erkennen. Der erste fühlt seinenStoßzahn <strong>und</strong> vergleicht den Elefanten mit einem Speer. Der zweite ertastetdie Flanke <strong>und</strong> beschreibt ihn als Wand. Der dritte hat ein Bein vor sich, wasihn auf die Ähnlichkeit mit einem Baum verweisen läßt. Der vierte fühlt denRüssel <strong>und</strong> vergleicht den Elefanten mit einer Schlange, <strong>der</strong> fünfte betastet dasOhr <strong>und</strong> zieht den Vergleich mit einem Fächer; <strong>der</strong> letzte schließlich gerät anden Schwanz <strong>und</strong> besteht auf <strong>der</strong> Ähnlichkeit mit einem Seil. Das Ergebnis istein großer Streit: Je<strong>der</strong> beharrt auf seinen Erkenntnissen – je<strong>der</strong> hat recht, wasden jeweiligen Körperteil betrifft, <strong>und</strong> alle haben unrecht, weil keiner das Tierals Ganzes erfaßt hat."Hampden-Turner 1983, zit. nach Schrä<strong>der</strong>-Naef 1993, S. 22 in Schrä<strong>der</strong>-Naef,Regula D.: Informationsflut. 3., überarb. u. erg. Aufl. – Weinheim 1993


Impulsfrage:• Was muss eine Theorie <strong>der</strong> Erziehungs<strong>und</strong><strong>Bildungs</strong>wissenschaft Ihrer Ansichtnach beinhalten?

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