Kurze Chronik* einiger Flugbewegungen seit 1979 Libelle
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<strong>Libelle</strong> Verlag, Sternengarten 6, CH-8574 Lengwil • Fon: + 41 (0)71 / 688 35 55 • Fax: + 41 (0)71 / 688 35 65 • E-Mail: info@libelle.ch • www.libelle.ch<br />
Lektorat, Presse, Vertrieb, Website, PhloxArt & allotria: Ekkehard Faude (faude@libelle.ch); Elisabeth Tschiemer (tschiemer@libelle.ch)<br />
<strong>Kurze</strong> <strong>Chronik*</strong> <strong>einiger</strong><br />
<strong>Flugbewegungen</strong> <strong>seit</strong> <strong>1979</strong><br />
<strong>Libelle</strong><br />
* Bücher sind in Geschichten verstrickt. Können sich noch mit künftigen<br />
Leserinnen und gerade erst erwachenden Lesern verhakeln.
DIE VERLEGEREI PLAUDERT SICH WARM, VON RÜCKWÄRTS HER<br />
Also, wenn Sie wissen wollen, was unsere derzeitigen<br />
Novitäten sind, dann sollten Sie dieses Heft umdrehen,<br />
und schon wird ein Prospekt daraus mit noch druckfrischen<br />
Büchern, verfasst in Bollschweil, Paris, Prag, Berlin,<br />
Vorarlberg und am Untersee.<br />
Wenn Sie Ihre fast schon brennende Geduld aber noch<br />
ein wenig glimmern und glosen lassen um die Frage, wie<br />
es zu solch europaweiter Mischung kommen konnte:<br />
dann beginnt hier ein Rückblick auf weiterhin lieferbare,<br />
vortreffliche Bücher. Vermischt mit Fotos, deren freundliche<br />
Urheber z. T. unbekannt sind. Die größere Hälfte ist<br />
zwar PhloxArt (s. u. S. XX); aber das »Tafelbild« (S. XXV),<br />
kam das nicht von Dir, Irene?<br />
Unsere Leuchtfeuer lassen von<br />
2007 bis <strong>1979</strong> sichtbar werden,<br />
welche Hilfslinien, wie viel querschießende<br />
Fäden und was für mäandernde Wege dieses<br />
Büchermachen vorwärtsbewegt haben: von einem<br />
offenen Bodenseeraum her – er war in früheren Jahrhunderten<br />
von weniger Grenzen behelligt – und mit einer<br />
Neugier, die keine nationalen Schubladen einfetten will.<br />
Der Blick von Arno Borst auf die Durchreisenden und<br />
Sesshaften des Mittelalters trifft – wenn man will – auf den<br />
Blick des rastlosen Europäers Jirˇí Weil. Eine junge, eigenwillig<br />
lebende Straßensängerin aus Köln kann hier im selben<br />
Jahr auf die Selbstvergewisserung einer unruhig gebliebenen<br />
Achtzigjährigen aus Wien treffen (S. VII). Fritz<br />
Mühlenweg, der sich vom Bodensee in die Mongolei und<br />
wieder zurück treiben lässt, hat mit der Ungeduld des Vorarlberger<br />
Bauern Franz Michael Felder, den denkerischen<br />
Grenzüberschreitungen eines Wolfgang Pauli und<br />
mit den drei Freunden in Yasmina Rezas »KUNST« mehr<br />
gemeinsam, als zunächst zu ahnen ist. Dass man Menschen,<br />
auch wenn sie erst klein sind, die je eigenen Wege<br />
selbst finden lassen soll, war die Grundidee auch bei<br />
den Pädagogikbüchern.<br />
Alle 30 Jahre, wie nun soeben, streuen wir also eine kurz<br />
gefasste Verlagsgeschichte. Dass Bücher mit dem Signet<br />
II<br />
der <strong>Libelle</strong> von drei Verlagsorten in zwei Ländern in Umlauf<br />
kamen (bis 1991 Konstanz, damals als Faude Verlag;<br />
bis 1993 Bottighofen; <strong>seit</strong> 1994 Lengwil), sieht nur von<br />
fern her ruhelos aus. Am Bodensee liegt das alles in<br />
Sichtweite; die restliche Schau besorgt das Lesen: Nieder<br />
mit den Alpen, freie Sicht von Dänemark bis in die Gobi …<br />
Klar, dass nicht jedes Buch hier aufgerufen werden kann.<br />
Es waren herbe Streichungen nötig. Aber wenn wir im 50.<br />
Jahr eine lückenlose Titelschau nachliefern, dann wird<br />
auch eine so preziös schöne Novität wie »Der schöne<br />
Scharfrichter« (1983) mit dabei sein. Oder gar jene<br />
Sammlung lateinischer Quellen rund um den Bodensee<br />
(»Ex historia Constantiae«), mit der einst im Sommer<br />
<strong>1979</strong> alles begann; wir lassen den schmalen Band in<br />
Schreibmaschinensatz, wenn wir’s recht bedenken, hier<br />
eigentlich nur weg, weil der Drucker statt »ISBN« auf den<br />
chamoisfarbenen Umschlag ein weithin sichtbares<br />
»ISBN-No.« gesetzt hatte. Der Schreck beim Ansprung<br />
jenes weißen Schimmels auf dem ersten Buch ...<br />
Im Anschluss an den kurzen Abriss der ersten 10 Jahre<br />
ab <strong>1979</strong> finden sich (bitte umdrehen und dort auf S. 22f.)<br />
in der Liste der Lieferbaren also auch manche Titel, die in<br />
der Chronik keinen Platz hatten. Es kann sein – wir rechnen<br />
gern mit dem Unerhörten –, dass der eine oder andere<br />
Titel bei Ihnen Begehrlichkeiten weckt. Der Käfig<br />
(s. o. S. 2) ist offen … Es könnte losgehen. Wir haben<br />
unsere Bestände in den drei Buchlagern nachgezählt.<br />
Bevölkerungen ganzer Großstädte sollten sich etwas<br />
zurückhalten. Aber ansonsten: nur zu! … Eine mittlere<br />
Kleinstadt können wir gerade noch beliefern.<br />
Also eilen Sie in Ihre Lieblingsbuchhandlung! Es gibt noch<br />
diese besonderen Buchläden zwischen Loschwitz und<br />
Freiburg, Berlin und Markdorf, Hamburg und Ravensburg;<br />
wir merken das gerade in diesen Monaten an ihrem<br />
Interesse für Christoph Meckels neuen Text. Falls sie<br />
aber keinen individuellen Laden mehr vor Ort haben,<br />
dann wäre auf S. 22 ein Bestellschein zu lösen …
Foto: Matthias Horn<br />
> 2007<br />
HIER BEGINNT EIN KURZFLUG ÜBER DIE GEGLÜCKTEN LEUCHTFEUER<br />
Der am stärksten verkaufte Titel ist Yasmina Reza »Der<br />
Gott des Gemetzels«. Kein Wunder, es wird das beliebteste<br />
Stück auf deutschsprachigen Bühnen. Nach der<br />
rasch vergriffenen Erstausgabe – in jenem klassisch zurückhaltenden<br />
Design, das wir 1996 für ihre Komödie<br />
»KUNST« erfunden hatten – wird das Buch, erweitert um<br />
Fotos von Jürgen Goschs Welturaufführung in Zürich<br />
(s. o.), fest gebunden. Auf dem farbigen Umschlag ist abgebildet,<br />
was im Stück Schrecken & Heiterkeit verursacht:<br />
ein in einer Tulpenvase absaufendes Handy. (Ach, das<br />
Vergnügen, in der Graphik unseres Verlagskäfigs die<br />
frisch gepflückten Tulpen zu arrangieren und ein marodes<br />
Handy zu versenken!) – Nach 12 Jahren Laufzeit hat<br />
auch »KUNST« eine Geschenkausgabe mit großzügigerer<br />
Schrift verdient. Andere meditieren über E-Books; wir<br />
machen einstweilen die haltbaren Bücher noch schöner.<br />
Beim SWR entsteht von Fritz Mühlenwegs Hauptwerk eine<br />
Hörspielfassung, die im Mai 2008 an drei Samstagen<br />
gesendet wird und vier Monate später auf der Hörbuch-<br />
Bestenliste des HR strahlt. Wir spendieren diesem erfolgreichsten<br />
Roman »In geheimer Mission durch die Wüste<br />
Gobi« – die nicht ganz billige gebundene Ausgabe drucken<br />
wir <strong>seit</strong> 1993 regelmäßig nach – ein schöneres Layout,<br />
aktualisieren das Nachwort und stellen alles auf neue<br />
Rechtschreibung um: näher am Urtext von Fritz Mühlenweg,<br />
der sowieso keine »ß« mochte.<br />
Zwei Jahre lang war unser Grundlagenwerk der Bodensee-Literatur<br />
vergriffen. Nun wagen wir die 3., mit einem<br />
Verbesserungsanhang versehene Auflage von Manfred<br />
Boschs »Bohème am Bodensee«.<br />
In Zusammenarbeit mit der dänischen Blicher-Gesellschaft<br />
erscheint die einzige Ausgabe jenes Klassikers,<br />
der im offiziellen dänischen Kulturkanon neben Hans<br />
Christian Andersen fürs 19. Jahrhundert genannt wird:<br />
Steen Steensen Blicher (»Der Himmelberg«). Ein Zeitgenosse<br />
der Droste, immer wieder von kühner Modernität.<br />
Steen Steensen Blicher<br />
Der Himmelberg<br />
<strong>Libelle</strong><br />
III
2006<br />
Begegnung am Messestand: Bernadette Conrad und der Verleger Jörn Laakmann kennen sich aus Konstanzer Studienzeiten.<br />
Rechts: Regina Mühlenweg beschriftet im Verlagsbüro – an interimistisch gespannter Wäscheleine wird der Seitenverlauf von »Drei<br />
Mal Mongolei« sichtbar gehalten – historische Mongolei-Fotos aus der Hedin-Expedition ihres Vaters.<br />
Das Jahresmotto »Nomaden im Herzen« kommt aus Bernadette<br />
Conrads literarischen Reportagen, genauer: aus<br />
dem schönen Text über ihren Besuch bei Doris Lessing.<br />
Das verschafft, keiner ahnt’s, dem Buch eine Pole-Position,<br />
ein Jahr bevor Lessing dann den Literatur-Nobelpreis<br />
erhält …<br />
Das Schlüsselwort »Nomaden« ist für uns zugleich verknüpft<br />
mit dem letzten, wegen seiner Komplexität mehrfach<br />
verschobenen Buch unserer Mühlenweg-Edition,<br />
das zusammen mit Regina Mühlenweg entstanden ist<br />
IV<br />
Fritz Mühlenweg<br />
Drei Mal Mongolei<br />
<strong>Libelle</strong><br />
und nun am Frankfurter Messestand als Novität steht:<br />
»Drei Mal Mongolei«. Es bringt erstmals die Reisetagebücher<br />
aus der Expedition mit Sven Hedin, also den Urstoff<br />
von Mühlenwegs literarischer Phantasie.<br />
Die meisten Besprechungen bekommt aber Bernhard Kathans<br />
Erzählung von Jodoks Sterben, dem Ende einer<br />
bäuerlichen Lebensform und einer handwerklichen Kultur<br />
des Erinnerns (»Nichts geht verloren«). Im Februar 2008<br />
diskutieren Autor und Verleger darüber auf Einladung des<br />
Innsbrucker Literaturhauses (s. u.).
2005<br />
Oben: Sigrid Faltin nach ihrer begeistert aufgenommenen Lesung in Hamm. Schon die Freiburger Buchvorstellung im Museum für<br />
Neue Kunst hatte vor übervollem Haus stattgefunden. Rechts: Die Autorin im Rebay-Archiv mit einem Original der Künstlerin.<br />
Unten v.l.n.r: Christian v. Zittwitz (»BuchMarkt«) und Angelika Overath in Frankfurt. Ricco Bilger (stehend) am Basler Messestand.<br />
Sigrid Faltins Buch über Hilla von Rebay (»Die Baroness und das<br />
Guggenheim«) wird durch einen mehr<strong>seit</strong>igen »Spiegel«-Artikel noch<br />
vor Erscheinen bekannt und kommt in die Sachbuch-Bestenliste der<br />
»Süddeutschen« und des NDR. Die Gründerin des New Yorker Guggenheim-Museums<br />
war so gründlich vergessen gewesen, dass große<br />
Verlage das Buchprojekt abgelehnt hatten. Wir hatten Sigrid Faltin<br />
und ihre entschiedene Filmarbeit 1999 kennen gelernt, als sie nach<br />
unseren Büchern von Käthe Vordtriede ein Feature fürs SWR-Fernsehen<br />
über die entschiedene Nazi-Gegnerin und mutige Journalistin<br />
drehte (»Mir ist es noch wie ein Traum, dass mir diese abenteuerliche<br />
Flucht gelang« und »Es gibt Zeiten, in denen man welkt«).<br />
V
2004<br />
Frankfurt: Von der Buchtaufe bis zum Abbau treffen sich die Verleger. Links: Ekkehard Faude mit Michael Krüger bei der Vorstellung<br />
des gemeinsam verfassten »Literatur & Alkohol«. Mitte: Besuch von Klaus Wagenbach (in roten Socken). Rechts: Palmyra-Verleger<br />
Georg Stein und EF, hinter ihnen die tönende Leere abgebauter Stände. Nach der Messe ist vor der Messe.<br />
»Einmal muss das Fest ja kommen«:<br />
Dass wir das kryptische Bachmann-<br />
Zitat aus einer der Erzählungen von<br />
Marion Wedegärtner ins Jahresmotto<br />
nehmen, hilft diesem Erstling leider<br />
so wenig wie das Titelbild des<br />
Modezeichners René Gruau. Unergründlich<br />
sind die saisonalen Wege<br />
des Literaturbetriebs.<br />
War’s das Titelbild von Volker Kriegel<br />
mit seinen geleerten Gläsern? Der<br />
neue Band der Satire-Reihe startet<br />
jedenfalls beschwingt: Michael Krüger<br />
/ Ekkehard Faude »Literatur &<br />
VI<br />
Alkohol. Liquide Grundlagen des<br />
Buchstaben-Rausches«.<br />
F. W. Bernstein lässt sich von Fritz<br />
Mühlenwegs Erzählung »Der Christbaum<br />
von Hami« zu Zeichnungen inspirieren,<br />
und das scharf kalkulierte<br />
Bändchen bricht noch im Dezember<br />
alle hauseigenen Rekorde (merci,<br />
Ludger Lütkehaus in der »Zeit«).<br />
Zum Überraschungserfolg wird<br />
Franz Michael Felders »Aus meinem<br />
Leben«, die Autobiographie eines lesenden<br />
Bauern und Aufklärers aus<br />
dem Bregenzerwald. Jürgen Thaler,<br />
den wir <strong>seit</strong> seiner Felder-Brief-Edition<br />
kennen, betreut die Ausgabe.<br />
Sein stetes Interesse für das Werk<br />
von Fritz Mühlenweg führt 2007 zum<br />
Erwerb des FM-Nachlasses durch<br />
das Bregenzer Felder-Archiv.<br />
Das Nachwort zu »Aus meinem Leben«<br />
kommt von Walter Methlagl,<br />
der uns 2007 den dänischen Klassiker<br />
Steen Steensen Blicher ins Programm<br />
bringen wird.
2003<br />
Ilse Helbich, in Österreich auch durch ihre Radio-Essays bekannt, signiert im<br />
Historischen Museum der Stadt Wien.<br />
Die schönste Buchvorstellung erleben wir im Historischen Museum<br />
der Stadt Wien, dort signiert Ilse Helbich dann fast eine Stunde lang<br />
ihren autobiographischen Debütroman »Schwalbenschrift«.<br />
Ein Jahr mit preisgekrönten Novitäten, die unterschiedlicher nicht sein<br />
könnten. Ulrich Ritzel wird für seinen 4. Roman (»Der Hund des Propheten«),<br />
auf dessen letzter Seite sich der Autor mit leisem Humor von<br />
seiner Hauptfigur verabschiedet, den Burgdorfer Krimipreis erhalten.<br />
Unser Haupttitel ist der Erstlingsroman einer (jen<strong>seit</strong>s von Köln unbekannten)<br />
30-jährigen Singer-Songwriterin und Straßenmusikerin: Uta<br />
Titz wird mit ihrer »Stella Runaway« zu zahlreichen Lesungen eingeladen<br />
und erhält den Förderpreis des Deutschen Literaturfonds.<br />
Mit der Ehrengabe der Zürcher Martin-Bodmer-Stiftung wird Jochen<br />
Greven ausgezeichnet für seine Erinnerungen an die Mühen jener<br />
Ebenen, in denen er <strong>seit</strong> den 50er-Jahren die Wiederentdeckung<br />
Ulrich Ritzel<br />
Der Hund<br />
des Propheten<br />
<strong>Libelle</strong><br />
von Robert Walser betrieb (»Robert Walser –<br />
ein Außen<strong>seit</strong>er wird zum Klassiker«).<br />
Seit 1946 war die Zeitmitschrift einer ungewöhnlichen<br />
Frau, die 1944 in Überlingen strandete,<br />
nicht mehr gedruckt worden. Wir machen<br />
eine splendide Neuausgabe: Tami Oelfkens<br />
faszinierendes Buch aus der inneren Emigration<br />
(»Fahrt durch das Chaos«), sorgfältig kommentiert<br />
von Manfred Bosch, könnte, ja könnte<br />
fortan wieder gelesen werden…<br />
Am Tag nach dem Auftritt beim Tübinger Jazz: Uta<br />
Titz in Susanne Scheffels Markdorfer Buchhandlung<br />
VII
2002<br />
Werner Vordtriedes Tagebuch aus dem amerikanischen<br />
Exil (»Das verlassene Haus«) bekommt hervorragende<br />
Besprechungen (merci, Ulrich Weinzierl,<br />
und Susanne Beyer vom »Spiegel«) und<br />
bleibt dennoch wie Blei auf den Lagerpaletten liegen.<br />
Was uns nicht hindert, es auch fortan zu jenen<br />
Lieblingsbüchern zu zählen, die wir sofort wieder<br />
machen würden ... Allein schon die belebende<br />
Arbeit für das Register von Vordtriedes Begegnungen,<br />
Lektüren und Interessen!<br />
Psst!: Für »Schlaflos: das Buch der hellen Nächte«<br />
sammeln Manfred Koch und Angelika Overath ein<br />
literarisches Notturno aus 3000 Jahren.<br />
Fritz Mühlenwegs Erzählungen »Mongolische<br />
Heimlichkeiten« werden in der Neuauflage um eine<br />
Sammlung jener hundert mongolischen Sprüche<br />
erweitert, nach der FM-Fans immer wieder bei uns<br />
angefragt haben.<br />
VIII<br />
> 2001<br />
Oben links: Aus »Die schwarzen Ränder der Glut« wird Ulrich<br />
Ritzel – hier vor dem glutroten Poster seines Romans – noch<br />
im kommenden Jahr beim Literatur-Festival der 1. BuchBasel<br />
lesen. Ein Foto vom Basler Messestand.<br />
Die Verlegerei – sehr frei nach Kafka als schöner Käfig betrachtet<br />
– vergrößert sich durch einen Anbau. Den Wassereinbruch<br />
im verregneten März 2001 vergessen wir einfach.<br />
Endlich können wir alle 20 Lexikonbände des hundertjährigen<br />
»Meyer« im Büro aufstellen – kleine Gegenmaßnahme<br />
zu unserem zunehmenden Online-Leben.<br />
Rechts: Elisabeth Tschiemer und Peter Stobbe bei der Buchvorstellung<br />
(»Nach Delft gehen«) in Luzern.
Im 22. Jahr der <strong>Libelle</strong> müssen sich<br />
die Sammler unserer Verlagsprospekte,<br />
die erst 1987 den Abschied<br />
von der Scheibmaschinen-Ästhetik<br />
verkraften mussten, sogar an farbige<br />
Abbildungen gewöhnen. Im Nachhinein:<br />
Ein Kontrapunkt zu einer Verdüsterung<br />
der Welt.<br />
Zwölf Tage nach dem Terrorangriff<br />
von 9/11 stellten wir in Luzern nicht<br />
weit vom Bourbaki-Panorama Peter<br />
Stobbes »Nach Delft gehen« vor. Die<br />
Einladung für diese Phantasie eines<br />
Malers war noch in glücklicherer Zeit<br />
verschickt worden. Das weit größere<br />
Desaster, das die Bush-Regierung<br />
als Vergeltung lostreten würde, war<br />
bereits zu ahnen. Der Verleger begrüßte<br />
die zahlreichen Gäste so:<br />
»Es stand, Sie erinnern sich, in der Einladung<br />
vom August ein Satz in Klammern, dort<br />
wo vom Bourbaki-Panorama die Rede ist.<br />
Der Satz hieß: ›Es ist eine geschlagene Armee<br />
darauf abgebildet. <strong>Libelle</strong> würde Sie<br />
nicht unter Wandbilder von siegreichen<br />
Armeen einladen ...‹ Dieser Satz gilt weiterhin.<br />
Literatur, wenn sie wirklich eine ist und<br />
nicht Wortlanger der Propaganda werden<br />
mag, ist auf Seiten der Geschlagenen, sie<br />
erkundet Auswege aus verhärteter Wahrnehmung,<br />
stärkt mit Worten unser Vermögen,<br />
den schrecklichen Vereinfachern der<br />
Macht zu widerstehen. Peter Stobbes Text<br />
kann da paradigmatisch gelesen werden.«<br />
Ulrich Ritzels dritter Berndorf-Roman<br />
(»Die schwarzen Ränder der Glut«)<br />
– sein dritter Roman in drei Jahren –<br />
streift auf raffinierte Weise die 68er-<br />
Jahre in der Provinz. Die Einladungen<br />
zu Lesungen nehmen weiter zu.<br />
Seine Romanstoffe werden nun bereits<br />
in der Kollegstufe behandelt.<br />
Von Eric-Emmanuel Schmitt – es ist<br />
immer noch der Autor vor dem Sensationserfolg<br />
seiner Prosabücher bei<br />
Ammann – bringen wir »Hotel zu den<br />
zwei Welten«, ein Stück, das in einem<br />
Bereich zwischen Leben und<br />
Tod spielt.<br />
Peter<br />
Stobbe<br />
Nach<br />
Delft<br />
gehen<br />
<strong>Libelle</strong><br />
Aus Iowa/USA – Waltraud Maierhofer<br />
lehrt dort Germanistik – kommt<br />
ein umfängliches Editionsangebot,<br />
und folglich bringen wir 194 Jahre<br />
nach dem Tod der Malerin die umfangreichste<br />
Sammlung von Angelica<br />
Kauffmanns Briefen in den Originalsprachen.<br />
Der Franz-Michael-<br />
Felder-Verein leistet sich das Buch<br />
der Vorarlberger Künstlerin als Jahresgabe<br />
für seine Mitglieder und<br />
macht so das Erscheinen von »Mir<br />
träumte vor ein paar Nächten, ich<br />
hätte Briefe von Ihnen empfangen<br />
...« überhaupt erst möglich.<br />
Die Zahl interessierter Kauffmann-<br />
Freunde auf dem so genannten freien<br />
Markt bleibt – trotz des schönen<br />
Titel-Zitats aus einem ihrer Briefe an<br />
Goethe – über Jahre hinweg erwartbar<br />
übersichtlich. Vage Hoffnung auf<br />
vielleicht zweistelligen Absatz im<br />
Jahr des 200. Todestags der Malerin<br />
gaben wir erst zu Silvester 2007 auf.<br />
IX
2000<br />
Ein Buchfest in Gottlieben am Untersee: Hermann Kinder liest –<br />
bevor der Schauspieler Hans Helmut Straub die eigentliche<br />
Lesung darbietet – sichtlich vergnügt eigene Texte, die er für sein<br />
»Himmelhohes Krähengeschrei« geschrieben, dann aber wieder<br />
gestrichen hatte.<br />
Ein Jahr nach seinem Aufsehen erregenden Debütroman<br />
bringen wir Ulrich Ritzels »Schwemmholz«. Ulm wird damit<br />
in der deutschen Literaturlandschaft ein markanter<br />
Ulrich Ritzel<br />
Schwemmholz<br />
X<br />
<strong>Libelle</strong><br />
Ort. Dass der Autor dafür bald darauf mit dem Deutschen<br />
Krimi Preis 2001 ausgezeichnet wird, ahnen wir noch<br />
nicht. Aber wir schließen nun die ersten Taschenbuchlizenzen<br />
mit Random House ab.<br />
Das Jahresmotto heißt »Drei Mal Leben«, nach Yasmina<br />
Rezas neuem Stück, das von François Bondy in Wien inszeniert<br />
wird. Der erste Band ihrer »Gesammelten Stücke«<br />
erscheint unter der Gesamtredaktion von Eugen<br />
Helmlé.<br />
Die andrängende Menge bei der Buchvorstellung von<br />
Hermann Kinders »Himmelhohes Krähengeschrei« bringt<br />
das neu eröffnete Gottlieber Literaturhaus an die Belastungsgrenze.<br />
Die grimmig-melancholische Erzählung<br />
führt, surrealistisch mit Historie spielend, auf den Thurgauer<br />
Teil des Pilgerwegs nach Compostela. Ob sich<br />
Hape Kerkeling davon für seinen Jakobsweg-Seller inspirieren<br />
ließ, wissen wir nicht mit letzter Sicherheit.<br />
Und bodenseekulturgeschichtsmäßig leisten wir uns Joseph<br />
Victor von Scheffels »Ekkehard«, kühn illustriert von<br />
Johannes Grützke, der von Berlin her über 100 Zeichnungen<br />
dazu macht. (Das Foto unten zeigt den Künstler bei<br />
der Ausstellungs-Eröffnung im Kunstmuseum Singen.)<br />
Thomas Köster begrüßt den opulenten Band angemessen<br />
in der »Süddeutschen« und stellt sich damit in eine<br />
Tradition mit der »Weltbühne«, die mehr als ein halbes<br />
Jahrhundert vorher Scheffels Roman als Lektüre fürs<br />
»unreife Alter« empfohlen hatte.<br />
Joseph Victor Von Scheffel<br />
E k k e H a r d<br />
Mit Zeichnungen von<br />
Johannes Grützke<br />
<strong>Libelle</strong>
1999<br />
Im März führt das Wiener Avantgardetheater<br />
»echoraum« (Bild oben)<br />
eine szenische Montage aus unseren<br />
<strong>seit</strong> 1980 erschienenen Wissenschaftssatiren<br />
»Litzelstetter <strong>Libelle</strong>n«<br />
auf. (Im Publikum sitzt auch einer unserer<br />
Autoren, der drei Satiren unter<br />
wechselnden Pseudonymen geschrieben<br />
hatte, zur geteilten Freude<br />
des Verlags, weil alle Interview-Anfragen<br />
und sonstigen Auftritte im Vorfeld<br />
abgewehrt werden müssen.)<br />
Die Überschrift in unserem Prospekt<br />
(»Unbekannter Autor, erster Roman,<br />
bei einem Independent«) macht auf<br />
Ulrich Ritzels »Der Schatten des<br />
Schwans« aufmerksam. (Auf dem<br />
Foto unten schwärmt Rotraut Susanne<br />
Berner von dem Roman; sie hatte<br />
schon die Fahnen gelesen.) Am Ende<br />
des Jahrs ist Ulrich Ritzel ein<br />
ziemlich bekannter Autor, aber die<br />
Krimiszene ahnt noch nicht, dass<br />
dieser fast 60-jährige Exjournalist<br />
sich mit seinen drei weiteren Romanen<br />
um den Ulmer Kommissar Berndorf<br />
in den ersten Rang schreiben<br />
wird. Wir lehnen Taschenbuch-Anfra-<br />
Ulrich Ritzel<br />
gen bis zur Lektüre des zweiten Manuskripts<br />
ab. (Hatte nicht Mühlenweg<br />
geschrieben: »In der Eile sind Fehler«?<br />
– Er hatte.)<br />
Die Autobiographie von Käthe Vordtriede<br />
(»Es gibt Zeiten, in denen man<br />
welkt«), nach der Flucht aus Hitler-<br />
Deutschland in ihrem Thurgauer Exil<br />
verfasst, wird zu einem weiteren<br />
Überraschungserfolg. Zum Stoff<br />
kommen wir durch die im Vorjahr veröffentlichte<br />
Briefsammlung, in der<br />
diese Lebensbeschreibung der als<br />
Kommunistin und Jüdin verfolgten<br />
Frau noch als verloren galt: Ein Leser<br />
der Briefe, Detlef Garz, Forscher<br />
an der Universität Oldenburg, hatte<br />
gerade einen Mikrofilm mit dem<br />
Vordtriede-Text im Nachlass eines<br />
Professors entdeckt, der dem US-<br />
Geheimdienst zugearbeitet hatte. (In<br />
eine Nachauflage legen wir, auf Verlangen<br />
von Martin Heideggers Sohn,<br />
einen Beschwichtigungszettel ein.<br />
Käthe Vordtriede, in einem bedrängten<br />
Exil schreibend, hatte eine der<br />
Näheleistungen Heideggers zur NS-<br />
Ideologie ungenau erinnert.)<br />
Der Schatten<br />
des Schwans<br />
<strong>Libelle</strong><br />
Käthe Vordtriede<br />
»Es gibt Zeiten,<br />
in denen man welkt«<br />
<strong>Libelle</strong><br />
Mein Leben in Deutschland<br />
vor und nach 1933<br />
XI
1999 // 20 Jahre <strong>Libelle</strong>. Es wird gefeiert.<br />
XII<br />
Zum 20-Jahr-Jubiläum zaubert uns die Künstlerin Horta van Hoye am Abend im Seemuseum<br />
Kreuzlingen aus Zeitungspapierrollen Gesichter und Geschichten. Endlich keine<br />
Worte, nirgends!
Linke Seite:<br />
Ein Festtag im April, mit 30<br />
Autoren, zu Wasser und zu<br />
Lande an zwei Ufern des<br />
Bodensees.<br />
Oben: Der »Seestern« wird<br />
für einen Nachmittag zum<br />
Literatur-Schiff.<br />
Links oben eine Pädagogengruppe:<br />
Erika<br />
Brinkmann, Heiko Balhorn<br />
und Hans Brügelmann.<br />
Mitte: Angelika Overath,<br />
Manfred Koch samt Kindern<br />
und Hund nebst einigen<br />
ähnlich faszinierten<br />
Zuhörern.<br />
Unten links: Ulrich Ritzel,<br />
dessen erster Roman noch<br />
im Fahnenstadium ist, aber<br />
am Ende des Jahres<br />
fünfstellig gedruckt sein<br />
wird, im Gespräch mit der<br />
Sinologin und Mühlenweg-<br />
Kennerin Gabriele Goldfuß.<br />
Unten rechts: Ernst Peter<br />
Fischer erklärt Tobias<br />
Engelsing zwischen Haltnau<br />
und Kreuzlingen vermutlich<br />
die Geheimnisse der<br />
Komplementarität. Was<br />
hinter TEs dunkler Brille<br />
vorgeht, ist nicht überliefert.<br />
<strong>Libelle</strong><br />
> 1998<br />
Fritz Mühlenwegs Kinderbuch »Nuni«,<br />
von Rotraut S. Berner im Vorjahr mit 12<br />
ganz<strong>seit</strong>igen Bildern sowie Vignetten<br />
kongenial bereichert, ist im Februar auf<br />
Platz 1 der »Besten 7 Bücher für junge<br />
Leute« (DeutschlandRadio / Focus).<br />
Unser Lieblingsbuch ist »Händler der verlorenen<br />
Farben« von Angelika Overath,<br />
deren »Wahren Geschichten« quer<br />
durchs Feuilleton applaudiert wird. Aufgefallen<br />
war uns die Autorin im Jahr davor<br />
durch ihre luzide NZZ-Rezension von<br />
Katrin Seebachers Debütroman.<br />
Mit der Briefsammlung »Mir ist es noch<br />
wie ein Traum, dass mir diese abenteuerliche<br />
Flucht gelang …« wird die unerschrockene<br />
Journalistin Käthe Vordtriede<br />
wieder kenntlich. Manfred Bosch (unten<br />
rechts vor dem Messeposter am Frankfurter<br />
Stand) hatte die Briefe im Marbacher<br />
Nachlass ihres Sohnes Werner Vordtriede<br />
entdeckt. Wir stellen das Buch in der<br />
Kartause Ittingen vor, dort hatte die Emigrantin<br />
in der Landwirtschaft gearbeitet.<br />
Von nun an wissen wir auch, dass <strong>Libelle</strong>-Fans<br />
aus einem Radius von mehr als<br />
200 km anreisen, wenn wir die Buchvorstellung<br />
als Ausflug vorschlagen …<br />
Julian Schütt (»Weltwoche«) stellt Käthe<br />
Vordtriedes Texte neben Viktor Klemperers<br />
Tagebücher. Und für uns beginnt die Entdeckung<br />
des »Kontinents Vordtriede«.<br />
Zum 100. Geburtstag von Fritz Mühlenweg<br />
entsteht für die Konstanzer Retrospektive ein<br />
Katalog seiner »Malerei« – das 6. Mühlenweg-Buch<br />
in Folge (s. o. S. 15). Die Ausstellung<br />
im neuen Kulturzentrum wird wegen<br />
ihres großen Erfolgs verlängert.<br />
Das biographische Nachwort wird zum Kernstück<br />
einer 7 Jahre später erscheinenden<br />
Biographie über die Identitätssuche des Drogisten,<br />
Asienreisenden, Malers und Autors.<br />
Ein <strong>seit</strong> 1984 in immer neuen Auflagen nachgedrucktes<br />
Praxisbuch zum Schriftspracherwerb<br />
– es war in der frühen Ära Kohl auf<br />
einer Typenrad-Schreibmaschine mit Zeilendisplay<br />
entstanden – setzt, rundum erneuert<br />
und unter signifikant verändertem Titel, seinen<br />
Erfolg fort: Hans Brügelmann / Erika<br />
Brinkmann »Die Schrift erfinden«.<br />
XIII
1997<br />
XIV<br />
Das Jahr bleibt noch in der Erinnerung überschattet von<br />
Katrin Seebachers unfassbarem Tod am 21. Februar.<br />
Katrin Seebachers »Morgen oder Abend«, von der FAZ<br />
bis zur NZZ gerühmt, wird mit dem Rauriser Literaturpreis<br />
ausgezeichnet und im Schweizer Literaturclub von<br />
Gunhild Kübler gegen eine abschwächelnde Elke Heidenreich<br />
bravourös durchgesetzt. (Naja, zwei Jahre<br />
später scheitert Elke H. auch an den Fahnen von Ulrich<br />
Ritzels erstem Roman. Man soll solche Inkompatibilitäten<br />
in der Branche akzeptieren, muss sie aber auch<br />
nicht schweigend übergehen.) 1999 erscheint Katrin<br />
Seebachers Roman in Colette Kowalskis Übersetzung bei<br />
Gallimard in Paris: »Matin ou Soir«.<br />
Nach dem gelungenen Start von Yasmina Rezas<br />
»KUNST« beginnen wir eine Reihe mit zeitgenössischem<br />
französischem Theater: mit den ersten drei Stücken<br />
eines viel<strong>seit</strong>igen und hierzulande noch ganz unbekannten<br />
Autors: Eric-Emmanuel Schmitts »Enigma«,<br />
»Der Besucher« und »Der Freigeist« in der Übersetzung<br />
von Annette und Paul Bäcker.<br />
Frankfurt, die Messe: Für eine Woche sind wir aus unserer geographischen<br />
Randlage und treffen Autoren.<br />
Links: Heide Bambach, aus der Bielefelder Laborschule angereist;<br />
darunter lächelt Albrecht Götz von Olenhusen, der unsere<br />
Satire-Reihe <strong>seit</strong> langem schätzt und uns 1998 »Das Zwergen-Zerwürfnis<br />
/ The Case of the Twelve Red-bearded Dwarfs«<br />
von Beachcomber ins Haus bringt. Nach 10 Jahren Laufzeit der<br />
Erstauflage lässt sich sagen: Unser Vertrieb hat es irgendwie<br />
nicht geschafft, Gartenzwergbesitzer von den Vorzügen zweisprachig<br />
dargebotenen englischen Humors zu überzeugen …<br />
Eric Emmanuel Schmitt<br />
Enigma<br />
<strong>Libelle</strong><br />
Eric Emmanuel Schmitt<br />
Der Besucher<br />
<strong>Libelle</strong>
Wenige Monate nach dem viel zu frühen<br />
Tod von Frieder Kern erscheint<br />
sein Kinderbuch »Die aberwitzigen<br />
Abenteuer von Otto Wels im Bodensee«,<br />
illustriert von Philomena Phlox.<br />
Frieder Kern – einer der freien und guten<br />
Geister der Branche – ist als Mühlenweg-Fan<br />
zu uns gestoßen, sein<br />
Enthusiasmus als Vertreter in den Medien<br />
hat uns markant geholfen.<br />
Seine Otto-Wels-Geschichte entstand<br />
einst aus Geschichten, die er<br />
im Frankfurter Kinderladen erfunden<br />
hat. Das Buch erscheint nun gleichzeitig<br />
mit Fritz Mühlenwegs »Nuni« –<br />
der Ausflug der <strong>Libelle</strong> in den Kinderbuch-Bereich<br />
bleibt aber ein kurzer.<br />
Nur 15 Jahre nach einem freundlich<br />
abwehrenden Schreiben des damals<br />
schon geschätzten Autors von Wirtschaftssatiren<br />
bekommen wir endlich<br />
einen Meistertext des (pseudonymen)<br />
Sebastian Hakelmacher über<br />
das Manager-Unwesen: »Das Leoparden-Paradox«.<br />
Sebastian Hakelmacher<br />
DAS LEOPARDEN-PARADOX<br />
Grundlagen<br />
einer Managementbetriebslehre<br />
<strong>Libelle</strong><br />
Bei der Buchvorstellung im Saal des Konstanzer Kunstvereins: Adolf Muschg (links) in<br />
lebhaftem Gespräch mit Matthias Holländer.<br />
Bei der Buchvorstellung des Kunstbands<br />
»Matthias Holländer – Das<br />
Licht der Dinge« können wir auch<br />
Adolf Muschg begrüßen, dessen einsichtiger<br />
Essay über den Maler den<br />
Werkkatalog bereichert.<br />
In Matthias Holländers Bildern – der<br />
Künstler lebt nach Studienjahren in<br />
Wien wieder am Bodensee – finden<br />
wir immer wieder Motive, enigmatisch<br />
und glühend genau, für die Um-<br />
Fritz Mühlenweg<br />
<strong>Libelle</strong><br />
schläge besonders wichtiger Bücher<br />
(Katrin Seebacher 1996, Angelika<br />
Overath 1998ff., Thomas Wörtche<br />
2008).<br />
Unser Verlagsarchiv<br />
bewahrt auch einen<br />
ganz anderen Entwurf<br />
von Rotraut Susanne<br />
Berners Titelbild auf.<br />
Im gedruckten Buch<br />
trägt der Löwe das<br />
Mädchen Nuni dann<br />
auf S. 61 durch die<br />
Lüfte ...<br />
XV
1996<br />
Der Bodensee als Literatur-Landschaft<br />
von Zugvögeln und Sesshaften.<br />
Unten rechts: Katrin Seebacher im Sommer<br />
1996.<br />
XVI<br />
Katrin Seebacher<br />
Morgen oder Abend<br />
<strong>Libelle</strong><br />
Ein Jahr mit Aufsehen erregenden Novitäten, mal 72 Seiten Welttheater, mal<br />
624 Seiten Bodensee-Kulturgeschichte.<br />
Begeistert von einem Text – und ohne das Stück auf der Bühne gesehen zu<br />
haben –, bemühen wir uns im Februar um »KUNST«<br />
Yasmina Reza<br />
von Yasmina Reza. Beim Theaterverlag Desch, der<br />
»KUNST«<br />
uns die Übersetzung des großartigen Eugen Helmlé<br />
vermittelt, herrscht großes Erstaunen darüber, dass<br />
ein Buchverlag einem Theaterstück nachfragt. Theater<br />
gilt buchhändlerisch als unverkäuflich. Wir stornieren<br />
einen bereits gebuchten Urlaub (Fuerteventura!<br />
Die Verlegerin hätte gesurft, der Verleger hätte<br />
<strong>Libelle</strong><br />
über den Rand eines Buchs zugeschaut …) und sind<br />
im April mit dem büttenkartonierten Buch auf dem<br />
Markt. Ach, und dieser anmutige handschriftliche Brief dann, mit dem sich Yasmina<br />
Reza für die Belegexemplare bedankt ...<br />
Bisher hatte <strong>Libelle</strong> sich auf literarische Wiederentdeckungen beschränkt – im<br />
riskanten Geschäft mit neuer Belletristik mischten schon zu viele mit. Zum ersten<br />
Mal begeistert uns nun aber ein Text zeitgenössischer Prosa, der unverlangt<br />
mit der Post kommt. Für Katrin Seebachers Debütroman »Morgen oder<br />
Abend« erproben wir eine ungewöhnliche Pressearbeit. Noch im Monat des<br />
Erscheinens beginnen fulminante Besprechungen (im »du«: merci, Barbara<br />
Basting).<br />
Das Grundlagenbuch eines unter Pseudonym schreibenden Anwalts wird<br />
trotz seines Understatements im Titel (»<strong>Kurze</strong> Einführung in den Juristenhumor«)<br />
zu einem weithin bekannten Juwel unserer Satire-Reihe. »Focus« lässt<br />
einen Fotografen einfliegen, um den Autor Heinrich Stader abzulichten: unerkennbar<br />
hinter seinem aufgeschlagenen Buch.<br />
Nach jahrelangen Vorbereitungen erscheint, vier Wochen vor Weihnachten,<br />
Manfred Boschs 2,4 Kilo schwere »Bohème am Bodensee. Literarisches
Leben am See von 1900 bis 1950«.<br />
Wir rechnen mit einer mehrjährigen<br />
Laufzeit der Erstauflage. Aber noch<br />
im Winter müssen wir nachdrucken.<br />
Der Rang von Manfred Boschs universitätsfernerkulturwissenschaftlicher<br />
Arbeit wird aufs Mal erkannt und<br />
die »Bohème« zu einem gewichtigen<br />
Flaggschiff des Programms.<br />
Wollen wir hier, weil gerade noch etwas<br />
Platz ist, andere Flaggschiffe<br />
nennen? Seit 1980 »DE STATU<br />
CORRUPTIONIS«, <strong>seit</strong> 1983 Hans<br />
Brügelmanns »Kinder auf dem Weg<br />
zur Schrift«, <strong>seit</strong> 1993 Fritz Mühlenwegs<br />
»In geheimer Mission« und<br />
nun ab 1996 neben der »Bohème«<br />
auftauchend Katrin Seebachers<br />
»Morgen oder Abend« und Yasmina<br />
Rezas »KUNST«. – Ganz schön unvernünftig,<br />
eine solch wilde Mischung,<br />
in einem Metier, dem die Betriebsberater<br />
und Marketinggurus<br />
gerade als neue Devise verordnen:<br />
»Schärfung der Verlagsprofile«.<br />
> 1995<br />
Die begeisterteAufnahme von Mühlenwegs<br />
»In geheimer Mission durch die<br />
Wüste Gobi« geht immer noch weiter.<br />
Es bedanken sich wildfremde LeserInnen,<br />
der jüngste 11, die älteste 84 Jahre,<br />
in langen Briefen für dieses Leseerlebnis.<br />
Seither mehrt sich der Ordner<br />
»Fanbriefe«.<br />
Die meistbeachtete Novität wird –<br />
zehn Jahre nach seinem ersten<br />
Sachbuch, der hervorragend verständlichen<br />
Einführung in die Gehirnforschung<br />
»Die Welt im Kopf« –<br />
Ernst Peter Fischers Essay über die<br />
»Nacht<strong>seit</strong>e der Wissenschaft«. Es<br />
geht darin um jene <strong>seit</strong> der Romantik<br />
und <strong>seit</strong> den Forschungen des genialen<br />
Wolfgang Pauli nie konsequent<br />
bedachte Kompatibilität von rationaler<br />
Erkenntnis und Traumbildern.<br />
(2004 werden wir Fischers Pauli-Biographie<br />
ins Programm nehmen:<br />
»Brücken zum Kosmos«).<br />
Die Satire über die Wissenschaft<br />
vom Verkehrsstau (»Synergien im<br />
Stau / DE STAGNATIONE«) fließt<br />
nicht so ab, wie erhofft. Das liegt vielleicht<br />
an der zu komplizierten Zielgruppen-Beschreibung<br />
im Prospekt:<br />
Ein Treffen mit befreundeten<br />
Verlagen in Göttingen:<br />
Dort erfreuen wir unseren<br />
gemeinsamen Vertreter Hans<br />
Frieden mit einer Lesung<br />
seines Lieblingsautors Ingo<br />
Schultze. Der Autor (rechts)<br />
ersinnt gerade eine<br />
besonders schöne Widmung,<br />
mit der einer der Verleger<br />
seine Frau überraschen<br />
will …<br />
»Den größten Spaß werden vermutlich<br />
designorientierte Motorradfahrerinnen, Odo-<br />
Marquard-Fans mit Skateboard, fortgeschrittene<br />
Sloterdijk-Leser mit Praktikumserfahrung<br />
beim südkoreanischen Lokalfunk,<br />
anonyme Orange-Peel-Watchers ... haben.«<br />
Eigentlich arbeiten wir aber schon an<br />
Manfred Boschs Rundumschlag zur<br />
Bodensee-Literaturgeschichte; es<br />
gibt da zum Beispiel das Konvolut<br />
mit ein paar hundert unbeschrifteten<br />
Abbildungen. Das Ventura-Programm<br />
unseres PC zu einem stabilen<br />
Drei-Kolumnen-Layout zu überreden,<br />
bleibt ein hoch spannendes<br />
Vorhaben.<br />
XVII
1994<br />
Die Begrüßung des Erzählers Fritz Mühlenweg durch eine<br />
Generation von Rezensenten, die ihm eines der großen<br />
Leseerlebnisse ihrer Jugend verdankten und nun ihre<br />
Begeisterung auch 40 Jahre später in der Qualität des<br />
Textes wiederfinden, geht in allen großen Feuilletons weiter.<br />
Wir machen Mühlenwegs Viel<strong>seit</strong>igkeit – auch die<br />
Gobi-Fotos auf dieser Seite sind von ihm – durch seine<br />
Übertragungen aus dem chinesischen Shijing (»Tausendjähriger<br />
Bambus«) sichtbar. Mühlenweg ist, mit Hartmut<br />
von Hentigs Interpretation, schon länger in Marcel Reich-<br />
Ranickis »Frankfurter Anthologie« vertreten.<br />
Unser Lieblingsbuch wird Heide Bambachs Plädoyer gegen<br />
den Notenwahn der Schulen: »Ermutigungen. Nicht<br />
Zensuren«. Auch die meterlangen handschriftlichen Erweiterungen,<br />
mit denen die Autorin unser Thermopapier-<br />
Fax zwei Wochen vor Druck noch füttert, arbeiten wir<br />
klaglos ein: weil sie alle gut und wichtig sind. Rotraut Susanne<br />
Berner sorgt auch hier für einen eindrücklichen<br />
Umschlag.<br />
Klammer auf: Wenn wir schon bei RSB sind, muss auch<br />
AA vorkommen: Armin Abmeiers freundschaftliche Kundschafterei<br />
hat manchem schwierigen Start geholfen – in<br />
den Zeiten, da er als hoch angesehener Hanser- und Wagenbach-Vertreter<br />
bei begeisterungsfähigen SortimenterInnen<br />
diskret auf Novitäten wie Fritz Mühlenweg und<br />
Ulrich Ritzel hinwies. Klammer zu.<br />
XVIII<br />
Heide Bambach<br />
Ermutigungen.<br />
Nicht Zensuren.<br />
<strong>Libelle</strong><br />
> 1993<br />
Wir wagen uns an Fritz Mühlenwegs<br />
Hauptwerk »In geheimer<br />
Mission durch die Wüste Gobi«,<br />
das dreißig Jahre lang nur noch<br />
in einer gekürzten Fassung als<br />
Jugendbuch auf dem Markt war.<br />
780 Seiten: Unserem meisterlichen<br />
Korrektor Ronald Dietrich<br />
sind wir leider erst zum Jahresende<br />
begegnet, so kam diese in<br />
rotes Leinen gebundene Erstausgabe<br />
mit vielen übersehenen<br />
Scan-Fehlern auf den<br />
Markt. Beigebunden ist ein<br />
Nachwort über den Autor, mit<br />
den ersten Früchten einer Arbeit<br />
im wohlwollend geöffneten<br />
Archiv der Familie Mühlenweg;<br />
der Verleger ahnt noch nicht,<br />
dass ihn die Recherche die<br />
nächsten 13 Jahre lang in einem<br />
immer spannenden Nebenbei beschäftigen wird.<br />
Von Thelma L. Shapiro bringen wir die durch viele Fußnoten<br />
abgestützte Erkundung der grassierenden Saurier-<br />
Wissenschaften: »Das Dinosaurier-Dilemma / DE DULCI-<br />
BUS SAURIS«.<br />
<strong>Libelle</strong>
1992<br />
Haupttitel wird ein Band in dunkelgrünem Leinen mit den<br />
gesammelten Aufsätzen von Arno Borst zum Mittelalter<br />
am Bodensee: »Ritte über den Bodensee. Rückblick auf<br />
mittelalterliche Bewegungen«, in der FAZ hymnisch besprochen.<br />
Dieses eine Mal ersetzen wir die <strong>Libelle</strong> auf<br />
dem Frontispiz durch eine Abbildung, die den Bodensee<br />
als Nabel der Welt zeigt …<br />
Als nach dem Tod des großen Mediävisten (2007) sein<br />
bereits jahrelang vergriffenes Grundwerk zur Zivilisationsleistung<br />
der Klöster zwischen Voralpen und Hegau<br />
von Thorbecke aufgegeben wird, bereiten wir die Neuausgabe<br />
für 2009 vor: Arno Borst, »Mönchtum am Bodensee«.<br />
Fritz Mühlenwegs Expeditionsroman (einst für ein Jugendbuchprogramm<br />
unterm karlmayesten Titel »Tal ohne<br />
Wiederkehr« verbreitet) erscheint unter neuem Titel<br />
»Fremde auf dem Pfad der Nachdenklichkeit«. Spielt tatsächlich<br />
auf dem »Pfad der Nachdenklichkeit« in der Gobi,<br />
unweit Hami … Unser Prospekt kündigt das als »Bd. 2<br />
unserer Fritz-Mühlenweg-ist-ein-Autor-für-Erwachsene-<br />
Edition« an.<br />
Gleichzeitig mit den behutsam modernisierten Wiederauflagen<br />
von Halfar/Schneiders (Hrsg.) »Das Germknödel-<br />
Paradigma / DE ARTE GERMOECOLOGIAE« und<br />
Georges Perecs »Das Soprano-Project / DE IACULA-<br />
TIONE TOMATONIS« erscheint die einzige Auftragsarbeit<br />
der Verlagsgeschichte. Sie hat das Ziel, globale Forschung<br />
und eine weltweite mediale Berichterstattung zu<br />
überholen, und geht erfreulich aus: 11 Monate nach dem<br />
Fund auf dem Südtiroler Hauslabjoch, und nur wenige<br />
Wochen nachdem sich die Anzahl der mit Ötzi befassten<br />
Wissenschaftler von 20 auf 230 erhöht hat, liefern wir die<br />
Satire auf die Realsatire aus: Anton Haller »Das Similaun-<br />
Syndrom / OECCI HOMO. Von der Entdeckung der Gletschermumie<br />
zum transdisziplinären Forschungsdesign«.<br />
Aufgrund diskret ausgeplauderter Details vermuten Kenner<br />
in dem Autor einen Mitarbeiter des engsten Forschungsstabs.<br />
Wir dementieren nur vorsichtig.<br />
Scheffels »Warum küssen sich die Menschen?« bekommt<br />
einen neuen Umschlag, Rotraut Susanne Berner<br />
ließ sich deutlich von des Katers Hiddigeigei Titelfrage inspirieren.<br />
Anton Haller<br />
DAS SIMILAUN-SYNDROM<br />
OECCI HOMO<br />
Von der Entdeckung der<br />
Gletschermumie<br />
zum transdisziplinären<br />
Forschungsdesign<br />
<strong>Libelle</strong><br />
Georges Perec<br />
DAS SOPRANO-PROJECT<br />
DE IACULATIONE<br />
TOMATONIS<br />
<strong>Libelle</strong><br />
IXX
1991<br />
Die Verlegerei hört auf, ein Einmann-<br />
Verlag zu sein und – nach vergeblicher<br />
Domizilsuche im badischen<br />
Konstanz – zieht sie um, ganze 4 Kilometer<br />
nach Süden. Die Verlagsadresse<br />
ist <strong>seit</strong>her im Kanton Thurgau,<br />
erst in Bottighofen, <strong>seit</strong> 1994 in<br />
Lengwil. Unsere Abteilung für Corporate<br />
Communications erweitert den<br />
Verlagsort im Prospekt behutsam auf<br />
»<strong>Libelle</strong> Verlag am Bodensee«. Nun<br />
wird der Verlag auch offiziell so umbenannt,<br />
wie er <strong>seit</strong> Jahren bei den<br />
Fans schon heißt. Und auf den Buchumschlägen,<br />
wo bisher kein Verlagsname,<br />
nur das Tierchen sichtbar war,<br />
steht nun deutlich: <strong>Libelle</strong>.<br />
Die Journalistin Elisabeth Tschiemer,<br />
in Steckborn am Untersee aufgewachsen,<br />
hatte Sport, Sprachen und<br />
Publizistik studiert. Graphisches Naturtalent<br />
und bald auch ausgebildete<br />
Webmasterin, heiratet sie nicht nur<br />
den Verleger, sondern übernimmt<br />
nach und nach auch die Hälfte des<br />
Arbeitshimmels. Ihre Wirksamkeit<br />
kommt Umschlaggraphik, Buchgestaltung<br />
und Illustrationen sichtbar<br />
XX<br />
zugute und läuft unter PhloxArt, sobald<br />
wir (1994) den ersten zugelaufenen<br />
Verlagskater »Phlox« (s. u.) nennen.<br />
Das nachsichtige Lächeln über unsere<br />
Ankündigung an der Frankfurter<br />
Messe: da gebe es einen einzigartigen<br />
deutschen Erzähler, jen<strong>seit</strong>s aller<br />
Literaturmoden, <strong>seit</strong> 30 Jahren<br />
vergessen und nur in einem gekürzten<br />
Buch noch lieferbar, davor als Jugendbuchautor<br />
im (katholischen)<br />
Herder Verlag bekannt. Das Lächeln<br />
darüber, dass wir das Gesamtwerk<br />
dieses 1961 verstorbenen Autors für<br />
Erwachsene neu positionieren wollen<br />
...<br />
Wir fangen mit Erzählungen an, und<br />
mit einem magisch prägnanten Umschlag<br />
von Rotraut Susanne Berner<br />
erscheint: Fritz Mühlenweg »Kleine<br />
mongolische Heimlichkeiten«.<br />
Unser Haupttitel ist die von Manfred<br />
Bosch herausgegebene zweibändige<br />
Jacob-Picard-Werkausgabe. Die<br />
Erzählungen, Essays und Gedichte<br />
dieses 1967 in Konstanz verstorbenen<br />
Dichters eines alemannischen<br />
Landjudentums werden kaum besprochen<br />
und gewinnen leider nur<br />
zögerlich neue Leser; die 1996 gedruckte<br />
einbändige Ausgabe wird<br />
übers Jubiläumsjahr 2009 hinaus lieferbar<br />
bleiben. In der Region sorgt<br />
ein Arbeitskreis immerhin dafür, dass<br />
im Geburtsort Wangen auf der Höri<br />
2007 ein Picard-Gedenkraum eröffnet<br />
wird.
1990 >1989<br />
Tobias Engelsing bei der Buchvernissage von »Im Verein mit<br />
dem Feuer«. Dass das Feuerwehrhaus in Konstanz an jenem<br />
Abend überfüllt war, obwohl gleichzeitig eine WM angepfiffen<br />
wurde, soll festgehalten werden.<br />
Aus der Dissertation von Tobias Engelsing (dem einzigen<br />
promovierten Feuerwehrmann unter unseren Autoren …)<br />
machen wir einen reich bebilderten Prachtband: »Im Verein<br />
mit dem Feuer«. Da eine kritische Feuerwehr-Geschichtsschreibung<br />
in Deutschland – auch was die Synagogenbrände<br />
angeht – erst mit diesem Werk beginnt, fällt<br />
dies dem »Spiegel« auf. Ein mehr<strong>seit</strong>iger Bericht dort ist<br />
nur eine von vielen Rezensionen. Endlich eine Diss, die<br />
nachgedruckt werden kann …<br />
Rechts: Heide Bambach, <strong>seit</strong><br />
1989 im Autorenkreis, und Heiko<br />
Balhorn, der mit Hans Brügelmann<br />
zusammen die Jahrbücher<br />
»lesen und schreiben« herausgibt.<br />
Balhorn selbst, Professor in<br />
Hamburg, veröffentlicht darin als<br />
Einziger in konsequenter<br />
Kleinschreibung – was den<br />
Korrektoren nicht immer gleich<br />
einleuchtete …<br />
Beim zehnjährigen Verlagsfest im engen Kreis der Autoren<br />
(s. u. S. XXV) ist auch Heide Bambach mit dabei, deren<br />
Erstling gerade entsteht. Im November fällt dann zwar<br />
die Mauer in Berlin, und an chinesischen Küsten werden<br />
die Luftwirbel von Schmetterlingen aufgezeichnet, eigentlich<br />
erscheint aber bei Faude/Konstanz ein Meisterwerk<br />
eines offenen, den Kindern zugewandten Unterrichts im<br />
Lesen und Schreiben: »Erfundene Geschichten erzählen<br />
es richtig«.<br />
Heide Bambach ist eine in täglicher Praxis erfahrene Pädagogin<br />
und die Leiterin der Grundstufe an Hartmut von<br />
Hentigs Bielefelder Laborschule. 1990 wird Hentigs Essay<br />
»Wir brauchen Leser – wirklich?« im Zeichen der<br />
<strong>Libelle</strong> erscheinen, 2003 der<br />
bis dahin unveröffentlichte Reisebericht<br />
seines Vaters Werner<br />
Otto von Hentig »Von Kabul<br />
nach Shanghai. Bericht<br />
über die Afghanistan-Mission<br />
1915/16 und die Rückkehr<br />
über das Dach der Welt und<br />
durch die Wüsten Chinas«.<br />
Werner Otto von Hentig<br />
Von Kabul nach<br />
Shanghai<br />
Bericht über die Afghanistan-Mission 1915/16<br />
und die Rückkehr über das Dach der Welt<br />
und durch die Wüsten Chinas<br />
<strong>Libelle</strong><br />
XXI
XXII<br />
// between the acts //<br />
Wer diese notwendigerweise unvollständige<br />
Chronik bis hierher durchgehalten<br />
hat, darf – nach einem Zeitsprung<br />
ins Gründungsjahr – die<br />
ersten zehn Jahre nun in noch knapperem<br />
Überblick lesen. Die mehrheitlich<br />
chamois-farbenen Umschläge<br />
des ersten Jahrzehnts hat diese<br />
wohlgelaunte Leserin hier am Stand<br />
der »Stuttgarter Buchwochen« aus<br />
einsichtigen Gründen im Regal gelassen.<br />
Ulrike Goetz griff zum schilfgrünen<br />
Bändchen nicht nur, weil es<br />
die schönste der bisherigen Publikationen<br />
war, sondern weil sie als Sprecherin<br />
bei der Buchvorstellung mitgewirkt<br />
hatte. Fotografiert wurde sie<br />
von der Herausgeberin dieser Gedichte<br />
über die Droste: Irene Ferchl,<br />
deren einige Jahre später gegründetes<br />
»literaturblatt« den weiteren Flug<br />
der <strong>Libelle</strong> aufmerksam begleitet.
<strong>1979</strong><br />
Im März meldet in Konstanz der<br />
32-jährige Ekkehard Faude einen<br />
Verlag an. Er hatte zuvor Theologie,<br />
Literaturwissenschaft und Geschichte<br />
studiert, flüchtete dann aus einer<br />
mediävistischen Dissertation und<br />
aus dem Schulbetrieb, und arbeitet<br />
<strong>seit</strong> 1976 im »Konstanzer Bücherschiff«<br />
als Sortimenter bei Margareta<br />
Söhnen-Meder. Die Lust des 68ers<br />
auf selbst bestimmtes Arbeiten bleibt<br />
virulent.<br />
Die Wahl des 1. April als Verlagsbeginn<br />
zeigt die gemischte Seriosität<br />
der zunächst nach Feierabend betriebenen<br />
Unternehmung. In den ersten<br />
Jahren erscheinen jeweils nicht<br />
mehr als 2 Bücher. Die Buchhandlung<br />
bietet ihm großzügig auch künftig<br />
den Ort, an dem seine Bücher<br />
vorrätig gehalten werden.<br />
Vielleicht ist auch eine Ökologie-Parole<br />
(small is beautiful) auf fruchtbaren<br />
Boden gefallen: Bei <strong>Libelle</strong> wird<br />
es jedenfalls in aller Zukunft pro Jahr<br />
nur ein halbes Dutzend Bücher geben.<br />
Was erst schlichter Kapitalmangel<br />
war (zur Gründung einer GmbH<br />
reicht’s nicht, an Bankkredite wird<br />
auch fortan nie gedacht; dass der<br />
Drucker des ersten gebundenen<br />
Buchs allerfreundlichst das Dreifache<br />
berechnete, wird zu spät<br />
klar …), das folgt bald der Einsicht:<br />
Mehr Stoffe, die es wert sind, gedruckt<br />
zu werden, begegnen uns<br />
übers Jahr sowieso nicht, solange<br />
wir noch nebenbei Novitäten aus anderen<br />
Verlagen lesen.<br />
Die unvergessene Egizia Rossi beweist Contenance am Frankfurter Messestand, während<br />
sich der Verleger in büttenweiches 19. Jahrhundert verliert.<br />
Zu den Markenzeichen der Verlegerei<br />
mit dem Signet der <strong>Libelle</strong> gehört,<br />
nebst individuell und betont zurückhaltend<br />
gestalteten Novitäten, dass<br />
sie in der eigenen Werbung auch auf<br />
gute Bücher anderer Verlage hinweist.<br />
Das schafft Sympathien bei<br />
vagabundierenden LeserInnen. Zudem<br />
wird – ein Novum im Buchgewerbe<br />
– die letzte Seite des Buchs,<br />
wo herkömmlich nur das karge Impressum<br />
steht, zur locker-flockigen<br />
Kommunikation über die Programmentwicklung<br />
verwendet.<br />
Nicht zu vergessen: die wohlwollende<br />
Neugier der BuchhändlerInnen,<br />
wenn der Verleger auf improvisierten<br />
Reisen zwischen München, Tübingen,<br />
Heidelberg und Bern auftaucht,<br />
seine Bücher aus der Tasche zieht<br />
und die bestellten Bücher gleich aus<br />
dem Auto holt. Die Zeit der handgeschriebenen<br />
Rechnungen. Das entwickelt<br />
sich in einer Buchhandelsepoche,<br />
die noch nicht von der<br />
Novitätenschwemme der Konzernverlage,<br />
dem Mietwucher in Innenstädten<br />
und dem Verdrängungswettbewerb<br />
aggressiver Filialisten aus<br />
dem Lot gebracht ist. Es gibt auch<br />
noch keine PCs und das Internet nur<br />
heimlich in den USA.<br />
XXIII
In den ersten Jahren zeichnet Christian<br />
Kühnel für jedes Buch eine neue<br />
<strong>Libelle</strong>. Als 1985 der erste gedruckte<br />
Verlagsprospekt erscheint, wird mit<br />
Ernst Peter Fischers erstem Buch<br />
»Die Welt im Kopf« jener Wurf angekündigt,<br />
den EPF als Serie für »bild<br />
der wissenschaft« geschrieben hatte<br />
und für den ihn Hoimar von Ditfurth<br />
auf die Laufbahn eines freien Wissenschaftspublizisten<br />
lockt. Fischers<br />
größter Erfolg wird 15 Jahre später<br />
»Die andere Bildung« (Ullstein), den<br />
der begeisterte Naturwissenschaftler<br />
gegen die geisteswissenschaftliche<br />
Schlag<strong>seit</strong>e von Schwanitz’ Bildungs-Bestseller<br />
schreibt.<br />
XXIV<br />
Jener Verlagsprospekt verzeichnet<br />
1985 ansonsten ein gutes Dutzend<br />
Titel. Drei Programmbereiche sind<br />
erkennbar: Kulturgeschichte des Bodenseeraums,<br />
Pädagogik, Wissenschaftssatiren.<br />
Das führt zu getrennten<br />
Außenwahrnehmungen: In<br />
Städten mit Pädagogikstudium gilt<br />
<strong>Libelle</strong> als ungewöhnlich munter<br />
daherkommender Päda-Verlag, in<br />
Universitätsstädten wartet man vor<br />
allem auf die nächsten Wissenschaftssatiren<br />
und am Bodensee<br />
wird eher das regionale Programm<br />
wahrgenommen.<br />
Die Pädagogik ist lange der Raum für<br />
den einen ideenreichen und fruchtbaren<br />
Autor und Herausgeber: Hans<br />
Brügelmann. Sein drittes Buch (»Kinder<br />
auf dem Weg zur Schrift«, 1983)<br />
mit einem Umschlagbild von Rotraut<br />
Susanne Berner (ja, wirklich!) bekommt<br />
die erste Besprechung in der<br />
»Zeit« und wird zum Sachbuch mit<br />
der höchsten Auflage, auch 2007<br />
noch nachgedruckt. Ab 1986 gibt er<br />
die Jahrbücher der Reihe »lesen und<br />
schreiben« heraus, in denen die Praxis<br />
des Anfangsunterrichts und Erkenntnisse<br />
der internationalen Leseund<br />
Schreibforschung vermittelt werden.<br />
Eine schöne und fruchtbare Zusammenarbeit,<br />
die sich im Prospekt<br />
1994 mit dem Echo findet: »Stücker<br />
fuffzichtausend wurden bislang freiwillig<br />
bestellt«. Noch im neuen Jahrtausend<br />
– inzwischen ist Brügelmann<br />
als Professor von Bremen nach Siegen<br />
gewechselt – bringen wir sein<br />
lange erwartetes Opus magnum<br />
»Schule verstehen und gestalten«.<br />
Kontinuitäten bilden sich auch im Regionalprogramm:<br />
Es gibt die auf<br />
5 Bände anwachsende Reihe »Alemannisches<br />
Libell«, herausgegeben<br />
von Klaus Oettinger und Helmut<br />
Weidhase. Überregional entwickelt<br />
sich Joseph Victor von Scheffels<br />
»Warum küssen sich die Menschen?«<br />
zu einem gemächlichen<br />
Steadyseller.<br />
Mit Tobias Engelsing entstehen noch<br />
während seiner Studentenjahre<br />
6 Bücher, darunter eine Briefsammlung<br />
der Familie Zeppelin (1988), die<br />
zugleich einen handwerklichen Epochenbruch<br />
signalisiert: Es ist das<br />
erste Buch, bei dem der Verleger die<br />
Satzkosten sparen und abtippend<br />
und learning by doing seinen ersten,<br />
grün schimmernden Olivetti-Bildschirm<br />
dazu bringen kann, mit Hilfe<br />
eines famosen Ventura-Programms<br />
356 Seiten druckreif zu gestalten. Mit<br />
Engelsing – später Direktor der Konstanzer<br />
Museen – kommt auch 2009<br />
wieder eine Novität in Gang.<br />
Bei näherem Hinschauen oszilliert<br />
die unruhige Mitte des Programms<br />
zwischen literarischen Wiederentdeckungen,<br />
von denen auch schon mal<br />
die weltweite Arno-Schmidt-Gemein-
April 1989: Das große Schmausen zum 10-Jährigen mit Autoren und einigen der Verlegerei zugewandten Menschen. V. l. n. r.: EF,<br />
Michaela Grom (die bei der Stuttgarter Buchvorstellung mitwirkte), Wolfgang Liebermann (hilfreicher Buchhändlerkollege), Hans Brügelmann,<br />
Tobias Engelsing, Martin Ebner und (hälftig) der Übersetzer der Perec-Satire Gerhard Pilzer.<br />
de fasziniert ist (Carl Spindlers im<br />
vormärzlichen Konstanz spielender<br />
Roman »Die Schwertbergers«,<br />
1982) und satirischen Angriffen auf<br />
real existierende Wissenschaftsschwurbel:<br />
Schon das zweite Buch<br />
des Verlags (Lehner/Meran/Möller<br />
»DE STATU CORRUPTIONIS«), das<br />
ökonometrische Formeln auf Theologie<br />
anwendet und künftige Literaturangaben<br />
berücksichtigt, wird in einer<br />
Bandbreite von Robert Gernhardt<br />
(Titanic), Johannes Gross (FAZ-Magazin)<br />
und Arno Widmann (taz) erfreut<br />
besprochen. Mit »DE STATU«<br />
(mehrfach nachgedruckt) beginnt eine<br />
Satire-Reihe (»Litzelstetter <strong>Libelle</strong>n«<br />
– nach dem ersten Verlagsort<br />
Litzelstetten genannt) mit internatio-<br />
nalen Autoren, auch Georges Perec<br />
ist darunter.<br />
Gegen Ende der 80er-Jahre – über<br />
die stille Ausweitung der Flop-Zone<br />
schweigen wir freundlich – mehren<br />
sich die Anzeichen der Professionalität:<br />
Mit Hans Frieden wird der erste<br />
reisende Vertreter gewonnen, der mit<br />
seiner Begeisterungsfähigkeit dem<br />
Programm im Buchhandel weiterhilft;<br />
schon 1990 reist er auch in die neuen<br />
Bundesländer. Von nun an sind<br />
eine Vorschau und ein jährlicher Gesamtprospekt<br />
unabdingbar. Bald<br />
können auch Bestellwesen und<br />
Rechnungsverkehr an professionelle<br />
Auslieferungen abgegeben werden.<br />
Ab 1987 beginnt die jährliche Teilnahme<br />
an der Frankfurter Buchmesse.<br />
Nach unterhaltsamen Dreharbeiten<br />
strahlt im März 1988 der SWR in seinem<br />
3. Programm (Kulturszene) ein<br />
Verlagsporträt aus, das Anita Geigges<br />
produziert hat. In Stuttgart macht<br />
die Weise’sche Hofbuchhandlung für<br />
die Buchvorstellung von Irene<br />
Ferchls »Der Droste würde ich gern<br />
Wasser reichen …« ein <strong>Libelle</strong>-<br />
Schaufenster. Und im Dezember eröffnet<br />
die Bibliothek der Universität<br />
Konstanz, die inzwischen die Verlagsproduktion<br />
mit einem Zweitexemplar<br />
in der Rara-Sammlung archiviert,<br />
eine Ausstellung über die<br />
ersten zehn Jahre.<br />
XXV