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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 391 – Drucksache 16/10140<br />

men verzerrt wird, da in einem engeren Oligopol die Entscheidung<br />

eines jeden Marktteilnehmers die Entscheidungen<br />

anderer Marktteilnehmer beeinflusst. In diesem Fall<br />

lässt sich das Vorliegen einer tatbestandlichen Wettbewerbsverfälschung<br />

vermuten. Zugleich sind hier die Anreize<br />

in der Politik, wettbewerbsverzerrende Beihilfen zu<br />

gewähren, besonders hoch.<br />

1110. Im Umkehrschluss könnte der EU-Kommission<br />

eine höhere Darlegungspflicht auferlegt werden, wenn<br />

die Marktanteile des begünstigten Unternehmens auf den<br />

Märkten, auf denen es tätig ist, vergleichsweise niedrig<br />

sind bzw. der Markt durch eine geringe Konzentration gekennzeichnet<br />

ist.<br />

1111. Als entsprechender Filter könnte auch das Ausmaß<br />

an Selektivität dienen, das die jeweilige Beihilfenmaßnahme<br />

aufweist. 241 Falls die betreffende Beihilfe einen<br />

stark selektiven Charakter hat, lässt sich das Vorliegen einer<br />

Wettbewerbsverfälschung vermuten. Sofern die Maßnahme<br />

jedoch von geringer Selektivität ist, z. B. weil alle<br />

Unternehmen einer bestimmten Größe oder innerhalb einer<br />

bestimmten Region begünstigt werden sollen, wäre<br />

die EU-Kommission gehalten, die durch die Beihilfenmaßnahme<br />

drohenden Wettbewerbsbeeinträchtigungen<br />

näher zu untersuchen und deren Vorliegen zu begründen.<br />

1112. Sollte keiner der skizzierten Vermutungstatbestände<br />

zu einem eindeutigen Ergebnis führen, ist die EU-<br />

Kommission aufgefordert, die Frage, ob die jeweilige<br />

Maßnahme spürbare grenzüberschreitende Wettbewerbsbeschränkungen<br />

hervorruft, im Rahmen einer genaueren<br />

Prüfung zu klären. Dabei sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen,<br />

die sowohl die Beihilfe und ihre Vergabe<br />

(Beihilfenkriterien) als auch die relevanten Märkte, die<br />

prognostizierbaren Auswirkungen auf den Wettbewerb<br />

und die Marktstellung des begünstigten Unternehmens<br />

(Marktkriterien) betreffen. Als Beihilfenkriterien sind die<br />

Höhe der Beihilfe, ihre Größe im Verhältnis zu den Kosten<br />

der geförderten Tätigkeit (Beihilfenintensität) und die<br />

Art ihrer Vergabe zu berücksichtigen. Hierbei ist relevant,<br />

ob die Beihilfe lediglich einmalig oder wiederholt gewährt<br />

wird und ob ein offenes und transparentes Vergabeverfahren<br />

stattgefunden hat. Daneben sind als Marktkriterien<br />

das Bestehen von Überkapazitäten, der Marktanteil<br />

des begünstigten Unternehmens, die Marktkonzentration,<br />

der Marktanteilsabstand zum nächsten Wettbewerber, die<br />

Höhe der Markteintrittsbarrieren (hohe versunkene Kosten),<br />

der Grad seiner vertikalen Verbundenheit, das Maß<br />

an Produktdifferenzierung sowie die infolge der Beihilfe<br />

zu erwartende Preisentwicklung zu berücksichtigen.<br />

1113. Die skizzierte Untersuchung setzt voraus, dass die<br />

EU-Kommission anstelle einer allgemeinen sektorbezogenen<br />

Prüfung künftig auch in Beihilfenverfahren,<br />

ebenso wie im Kartellrecht, die betroffenen Märkte sachlich<br />

und räumlich definiert und die Marktposition des Be-<br />

241 So auch der Vorschlag der britischen Wettbewerbsbehörde OFT in ihrer<br />

Stellungnahme zum State Aid Action Plan der EU-Kommission,<br />

OFT response to the European Commission’s Plan on State Aid,<br />

September 2005, http://www.oft.gov.uk/shared_oft/reports/<br />

oft_response_to_consultations/ oft820.pdf.<br />

günstigten ermittelt. Eine konkrete Marktabgrenzung unter<br />

Ermittlung des Marktanteils des Begünstigten kommt<br />

indes nur in Betracht, wenn das individuell begünstigte<br />

Unternehmen und das geförderte Projekt bereits feststehen.<br />

Durch das Beihilfenverbot des Artikel 87 Abs. 1<br />

EGV werden jedoch nicht nur solche Beihilfen erfasst,<br />

sondern auch sog. allgemeine Beihilfenregelungen. So ist<br />

bei Beihilfenmaßnahmen mit horizontaler Zielsetzung<br />

häufig nicht festgelegt, welche Unternehmen aus welchen<br />

Branchen begünstigt und welche Märkte konkret betroffen<br />

sind. In diesem Fall sollte die Prüfung darauf beschränkt<br />

werden, ob die staatliche Maßnahme geeignet<br />

ist, einen spürbaren Eingriff in das Marktgeschehen und<br />

den Wettbewerbsprozess im EU-Binnenmarkt zu bewirken.<br />

1114. Zu berücksichtigen ist, dass die europäischen Gerichte<br />

für die Auslegung des Beihilfenverbotstatbestands<br />

und des darin enthaltenen Merkmals der Wettbewerbsverfälschung<br />

letztverbindlich zuständig sind und traditionell<br />

sehr geringe Anforderungen an das Vorliegen dieses Kriteriums<br />

gestellt haben. Dieses Problem ließe sich durch<br />

eine gesetzliche Klarstellung lösen. Es ist jedoch auch<br />

denkbar, dass bereits eine veränderte Rechtsanwendungspraxis<br />

ausreicht und die europäischen Gerichte ihre traditionelle<br />

Rechtsprechung aufgeben. Als Indiz hierfür kann<br />

die Entscheidung Le Levant des EuG vom 22. Februar<br />

2006 gelten, in der das Gericht die EU-Kommission ausdrücklich<br />

dafür rügte, dass diese in der angefochtenen<br />

Negativentscheidung keine nähere Prüfung des Merkmals<br />

der Wettbewerbsverfälschung vorgenommen hatte. 242<br />

1115. Sofern künftig die dargestellten höheren Anforderungen<br />

an das Vorliegen der Wettbewerbsverfälschung<br />

ihre Gültigkeit erlangen, ließe sich einwenden, dass dies<br />

für die Mitgliedstaaten die Beurteilung der Frage erschweren<br />

könnte, ob eine Maßnahme nach Artikel 88<br />

Abs. 3 EGV anmeldepflichtig ist oder nicht. Dem ließe<br />

sich dadurch begegnen, dass im Rahmen des Artikel 88<br />

Abs. 3 EGV die niedrigen Nachweisanforderungen beibehalten<br />

werden und nur der EU-Kommission bei Artikel<br />

87 Abs. 1 EGV eine erhöhte Darlegungspflicht auferlegt<br />

wird.<br />

7.2 Ökonomischer Ansatz auf Rechtfertigungsebene<br />

(Artikel 87 Abs. 3 EGV)<br />

1116. Die Rechtfertigungsgründe des Artikel 87 Abs. 3<br />

EGV sind sehr weit formuliert und eröffnen der EU-<br />

Kommission einen erheblichen Ermessensspielraum. Vor<br />

diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass die EU-<br />

Kommission im Zuge eines more economic approach die<br />

Voraussetzung für diese Ermessensentscheidung näher<br />

konkretisiert, indem sie einen dreistufigen Abwägungstest<br />

einführt. Der more economic approach, den die EU-<br />

Kommission in der Beihilfenkontrolle einführen möchte,<br />

sorgt somit für mehr Transparenz und Rechtssicherheit.<br />

242 EuG, Urteil vom 22. Februar 2006, Rs. T 34/02, Le Levant/Kommission,<br />

Slg. 2006, II-267, Rn. 127.

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