Deutscher Bundestag Unterrichtung
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 387 – Drucksache 16/10140<br />
1092. Für den Nachweis einer Beeinträchtigung des<br />
grenzüberschreitenden Wettbewerbs und Handels innerhalb<br />
des Beihilfentatbestands (Artikel 87 Abs. 1 EGV)<br />
muss die EU-Kommission demnach auch künftig weder<br />
den Ansprüchen des wirkungsorientierten Ansatzes (effects-based<br />
approach) Rechnung tragen, den sie neuerdings<br />
im kartellrechtlichen Bereich anwendet, noch die<br />
Anforderungen erfüllen, die im Kartellrecht traditionell<br />
nach dem strukturorientiertem Ansatz (form-based approach)<br />
maßgeblich waren.<br />
1093. Eine Untersuchung der Marktlage und der Auswirkungen<br />
der Beihilfenmaßnahme auf den Wettbewerb ist<br />
vielmehr erst im Rahmen der Vereinbarkeitsprüfung nach<br />
Artikel 87 Abs. 3 EGV vorgesehen, genauer gesagt auf<br />
der Stufe 3 des oben skizzierten Abwägungstests. In vielen<br />
Fällen wird es aber zu dieser Prüfung gar nicht erst<br />
kommen. Sollte nämlich eine Beihilfenmaßnahme bereits<br />
eine der vorangehenden Stufen des Abwägungstests nicht<br />
bestehen – weil die Beihilfe entweder nicht auf die Beseitigung<br />
eines Marktversagens ausgerichtet ist (Stufe 1)<br />
oder aber hierfür nicht geeignet und erforderlich ist (Stufe<br />
2) –, wird der Test abgebrochen. Demzufolge sind auch<br />
künftig Fälle denkbar, in denen die EU-Kommission eine<br />
Beihilfenmaßnahme untersagt, ohne dass ihre negative<br />
Wirkung auf den Wettbewerb im EU-Binnenmarkt untersucht<br />
worden wäre. Dies erscheint problematisch, da die<br />
EU-Kommission nach dem Schutzzweck der Artikel 87<br />
ff. EGV überhaupt nur dann zur Ausübung der Beihilfenkontrolle<br />
legitimiert ist, wenn der Wettbewerb im europäischen<br />
Binnenmarkt durch die Beihilfe beeinträchtigt<br />
wird.<br />
6.3.2.3 Durchführung einer Einzelfallanalyse<br />
anstelle einer Anwendung von Per-se-<br />
Regeln<br />
Kartellrecht<br />
1094. Die EU-Kommission beabsichtigt, künftig die<br />
Auswirkungen auf das Marktergebnis in besonders kritischen<br />
Einzelfällen im Rahmen einer genauen und komplexen<br />
Einzelfallanalyse zu untersuchen, um so ökonomisch<br />
effiziente Entscheidungen treffen zu können. Sie<br />
möchte in diesen Fällen somit nicht auf pauschalierende<br />
Gefährdungstatbestände und sog. Per-se-Regeln zurückgreifen.<br />
Für Letztere ist kennzeichnend, dass konkret definierte<br />
Verhaltensweisen oder Handlungsbeschränkungen<br />
per se als wettbewerbsrechtlich unzulässig bzw.<br />
zulässig eingestuft werden. Per-se-Regeln haben den Vorteil,<br />
dass der Ausgang des Verfahrens für die Beteiligten<br />
in der Regel leichter zu prognostizieren ist, und können<br />
deshalb zur Rechtssicherheit beitragen. Die EU-Kommission<br />
verfolgt allerdings nicht das Ziel, künftig generell<br />
auf Vermutungstatbestände und Per-se-Regeln zu verzichten.<br />
Vielmehr soll eine genaue und aufwendige Einzelfallbetrachtung<br />
nur bei problematischen Fällen durchgeführt<br />
werden. So ist etwa in der Fusionskontrolle eine<br />
geringe Anzahl der Wettbewerbsfälle betroffen. Die EU-<br />
Kommission strebt zudem eine Überarbeitung der bisherigen<br />
Per-se-Regeln und eine Formulierung differenzierterer<br />
ökonomischer Regeln an.<br />
Beihilfenrecht<br />
1095. Die EU-Kommission verfolgt auch hier nicht das<br />
Ziel, künftig vollständig auf Per-se-Regeln und Vermutungstatbestände<br />
in der europäischen Beihilfenkontrolle<br />
zu verzichten. Vielmehr hat sie, wie bereits dargestellt, im<br />
Zuge der Reform den Anwendungsbereich der De-minimis-Verordnung<br />
erweitert und die Obergrenze der freigestellten<br />
Beihilfenbeträge erhöht. Diese Verordnung enthält<br />
klare und einfach zu handhabende Regeln. Zudem<br />
hat die EU-Kommission eine allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung<br />
vorgeschlagen, die mehr Beihilfen als<br />
bisher von der Anmeldepflicht entbinden und einen einheitlichen<br />
Rechtsrahmen schaffen soll.<br />
1096. Falls eine Maßnahme weder die Voraussetzungen<br />
der De-minimis-Verordnung noch einer Gruppenfreistellungsverordnung<br />
erfüllt, unterliegt sie der Anmeldepflicht<br />
des Artikel 88 Abs. 3 Satz 1 EGV und wird durch<br />
die EU-Kommission geprüft. Die Grundsätze dieser Abwägungsprüfung<br />
werden in Leitlinien und Gemeinschaftsrahmen<br />
konkretisiert. Typisch für die seit der Reform<br />
veröffentlichten Leitlinien ist, dass hierin zwei<br />
verschiedene Verfahrensarten vorgesehen sind: einerseits<br />
ein schnelleres Verfahren, bei dem auch gesetzliche Vermutungen<br />
verwendet werden, sowie andererseits ein eingehendes<br />
Prüfverfahren für problematische Fälle und<br />
Großprojekte, bei dem eine genaue ökonomische Analyse<br />
unter Verwendung des skizzierten Abwägungstests durchgeführt<br />
wird. Wie erste Anwendungsfälle im Bereich des<br />
neuen FuEuI-Rahmens belegen, beinhaltet dies eine Untersuchung,<br />
die erheblich komplexer und aufwendiger ist,<br />
als die bislang auf Vereinbarkeitsebene vorgenommene<br />
Prüfung. Da die EU-Kommission den more economic approach<br />
bislang nur auf der Rechtfertigungsebene (Artikel<br />
87 Abs. 3 EGV), nicht aber auf der Tatbestandsebene (Artikel<br />
87 Abs.1 EGV) anwendet, trägt insoweit nicht sie,<br />
sondern der jeweilige Mitgliedstaat die Beweislast. Sofern<br />
ein eingehendes Prüfverfahren durchgeführt wird,<br />
müssen die beweispflichtigen Mitgliedstaaten – und im<br />
Hintergrund die begünstigten Unternehmen – einen erheblichen<br />
Aufwand betreiben, um die EU-Kommission<br />
von der Vereinbarkeit der Beihilfe zu überzeugen, und<br />
zahlreichen Informationspflichten nachkommen. Dies<br />
stellt einen der wesentlichen Unterschiede zum Kartellrecht<br />
dar, bei dem der more economic approach zu einer<br />
Verschärfung der Nachweispflichten für die EU-Kommission<br />
geführt hat. Der Aufbau der Beihilfenkontrolle, den<br />
die EU-Kommission anstrebt, kann durch die Übersicht<br />
VI.3 verdeutlicht werden.<br />
Aufbau der Beihilfenprüfung<br />
Übersicht VI.3<br />
De-minimis-Verordnung<br />
– unmittelbar anwendbar durch Mitgliedstaaten<br />
– einfach zu handhabende Kriterien<br />
– keine Anmeldepflicht