Deutscher Bundestag Unterrichtung
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 375 – Drucksache 16/10140<br />
der andere Marktteilnehmer nicht betroffen sind (z. B.<br />
eine selektive Umweltabgabe). Die letztgenannte Konstellation<br />
macht den deutlich größeren Anteil der Klageerhebungen<br />
von Wettbewerbern aus. 172 Hintergrund ist<br />
erstens, dass die individuelle Betroffenheit des Klägers in<br />
diesen Fällen zweifelsfrei feststeht, und zweitens wohl<br />
auch, dass die Hemmschwelle in der erstgenannten Konstellation<br />
größer ist, da ein Unternehmen nicht direkt belastet<br />
ist und selbst von künftigen Beihilfen profitieren<br />
möchte. Es besteht insofern bei den Wettbewerbern ein<br />
rationales Desinteresse an der Klageerhebung. Auch Unterlassungs-<br />
und Beseitigungsklagen werden in der EU<br />
von den betroffenen Wettbewerbern insgesamt nur selten<br />
erhoben.<br />
1042. Der Rechtsschutz auf nationaler Ebene ließe sich<br />
nach Ansicht der Monopolkommission durch die Schaffung<br />
einer Klagebefugnis für Verbände verbessern, die<br />
ähnlich wie im Kartellrecht (§ 33 Abs. 2 GWB) ausgestaltet<br />
werden könnte. Danach können rechtsfähige Verbände<br />
zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher<br />
Interessen kartellrechtliche Unterlassungs- und<br />
Beseitigungsanprüche nach § 33 Abs. 1 GWB (jedoch<br />
keine Schadensersatzansprüche) geltend machen, „soweit<br />
ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmen angehört,<br />
die Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter<br />
Art auf demselben Markt vertreiben, soweit sie insbesondere<br />
nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen<br />
Ausstattung imstande sind, ihre satzungsmäßigen<br />
Aufgaben der Verfolgung gewerblicher oder selbständiger<br />
beruflicher Interessen tatsächlich wahrzunehmen und<br />
soweit die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder<br />
berührt.“ 173 Zwar wird man von einem Verband nicht<br />
unbedingt erwarten können, dass er Unternehmen aus<br />
demselben Mitgliedstaat verklagt, zumal wenn sie seine<br />
eigenen Mitglieder sind. Anders verhält es sich jedoch,<br />
wenn es sich bei dem Beihilfenempfänger um ein Unternehmen<br />
aus einem anderen Mitgliedstaat handelt, das zu<br />
den eigenen Verbandsmitgliedern, die nicht in den Genuss<br />
der – ausländischen – Beihilfe kommen können, im<br />
Wettbewerb steht. Hier scheint eine Klage durchaus möglich.<br />
So könnte ein Anreiz zur effektiven privaten Rechtsdurchsetzung<br />
in Konstellationen geschaffen werden, in<br />
denen eine Vielzahl von Unternehmen betroffen ist. Das<br />
rationale Desinteresse des einzelnen Wettbewerbers an<br />
der Klage ließe sich so überwinden.<br />
1043. Zur Verbesserung der Effizienz und Rechtssicherheit<br />
sollten die Rechtsschutzmöglichkeiten auf nationaler<br />
Ebene zusammenhängend geregelt und auf das Beihilfenrecht<br />
zugeschnitten werden. Neben dem Ausschluss der<br />
aufschiebenden Wirkung für Klagen bei Rückforderungsfällen,<br />
der Zulassung von Verbänden sowie Beweiserleichterungen<br />
bei der Geltendmachung von Schadens-<br />
172 Ebenda , S. 33 ff.<br />
173 Beschränkt auf Unterlassungsklagen im Verbraucherrecht findet sich<br />
ein ähnliches Modell in der EG-Richtlinie 98//27/EG des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen<br />
zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. EG<br />
Nr. L 166 vom 11. Juni 1998, S. 51.<br />
ersatzansprüchen könnte auch eine Spezialzuständigkeit<br />
für die Geltendmachung von Rechtsschutzinteressen in<br />
Beihilfenfällen geschaffen werden. Diese Zuständigkeit<br />
könnte wie im Vergaberecht geregelt werden. 174 Um eine<br />
einheitlichere Rechtsanwendung innerhalb der EU sicherzustellen,<br />
sollten zudem allgemein geltende Mindeststandards<br />
im Rahmen einer EU-Richtlinie festgelegt werden.<br />
Die Monopolkommission empfiehlt der EU-Kommission,<br />
in Vorarbeiten für ein solches Richtlinienpaket einzutreten,<br />
die sich an dem vergleichbaren Vorhaben zur privaten<br />
Durchsetzung von Artikel 81 und 82 EGV orientieren<br />
könnten. 175<br />
6. Reformvorhaben der EU-Kommission –<br />
Etablierung eines more economic<br />
approach in der Beihilfenkontrolle<br />
6.1 Der „State Aid Action Plan“ der EU-<br />
Kommission<br />
1044. Die Ziele und Inhalte, die die EU-Kommission mit<br />
den von ihr vorgeschlagenen Reformen in der europäischen<br />
Beihilfenkontrolle verfolgt, sind nicht identisch mit<br />
denjenigen, die sie im europäischen Kartellrecht unter<br />
Berufung auf einen more economic approach anstrebt.<br />
Nachfolgend werden zunächst die Reformprojekte der<br />
EU-Kommission im Beihilfenbereich näher vorgestellt,<br />
bevor sodann die Kennzeichen dieses more economic approach<br />
im Beihilfenbereich im Vergleich zu demjenigen<br />
im Kartellrecht charakterisiert werden.<br />
1045. Unter Wettbewerbskommissarin Kroes strebt die<br />
EU-Kommission eine umfassende Reform der europäischen<br />
Beihilfenkontrolle an. Am 7. Juni 2005 hat die EU-<br />
Kommission den sog. State Aid Action Plan (SAAP –<br />
Aktionsplan Staatliche Beihilfen) veröffentlicht. 176 Der<br />
SAAP enthält einen Fahrplan („roadmap“) für die Überarbeitung<br />
der oben dargestellten sekundärrechtlichen Beihilfenregeln.<br />
177 So sollen die bisherigen Gemeinschaftsrahmen,<br />
Mitteilungen und Verordnungen unter<br />
Beibehaltung der primärrechtlichen Bestimmungen des<br />
EG-Vertrags (Artikel 87 ff.) im Zeitraum von 2005 bis<br />
2009 im Lichte eines more economic approach neu gefasst<br />
werden. Der SAAP ist als Konsultationspapier konzipiert,<br />
das eine politische Debatte über die Reform der<br />
europäischen Beihilfenpolitik anregen soll. Inzwischen<br />
sind bereits mehrere Maßnahmen zur Umsetzung des im<br />
SAAP angelegten Reformkonzepts ergangen.<br />
174 Vgl. hierzu bereits Abschnitt 4.3.<br />
175 Vgl. zuletzt das Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung<br />
des EG-Wettbewerbsrechts“ vom 2. April 2008, KOM(2008) 165<br />
endg.<br />
176 EU-Kommission, State Aid Action Plan, http://ec.europa.eu/comm/<br />
competition/state_aid/reform/reform. cfm. In der deutschen Fassung<br />
wird der Begriff „Aktionsplan Staatliche Beihilfen“ verwendet, vgl.<br />
KOM(2005) 107 endg.<br />
177 In einer Rede vom 6. Juli 2006 (SPEECH/06/439) vor dem Europaausschuss<br />
des Deutschen <strong>Bundestag</strong>es führte Wettbewerbskommissarin<br />
Neelie Kroes aus: „We are overhauling all our rules in order to<br />
firmly ground them on rigorous economic analysis and improve the<br />
speed, transparency and predictability of their application.“