29.11.2012 Aufrufe

Deutscher Bundestag Unterrichtung

Deutscher Bundestag Unterrichtung

Deutscher Bundestag Unterrichtung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Drucksache 16/10140 – 374 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />

gelegt werden, indem das Kriterium der Wettbewerbsverfälschung<br />

nicht als wesensnotwendiger Bestandteil für<br />

die Qualifizierung einer Maßnahme als Beihilfe angesehen<br />

wird. Demnach wären nur die übrigen in Artikel 87<br />

Abs. 1 EGV aufgeführten Merkmale als Aufgreifkriterien<br />

anzusehen, welche die supranationale Beihilfenkontrolle<br />

der EU-Kommission begründen, während das Merkmal<br />

der Wettbewerbsverfälschung als reines Eingriffskriterium<br />

zu interpretieren wäre, das allein die EU-Kommission<br />

zu würdigen hat.<br />

1039. Neben den skizzierten Unterlassungs- und Beseitigungsklagen,<br />

die auf Nichtauszahlung oder Rückzahlung<br />

formell rechtswidriger Beihilfen gerichtet sind, kommen<br />

Schadensersatzklagen betroffener Wettbewerber in Betracht.<br />

Diese haben die Möglichkeit, den Mitgliedstaat,<br />

der die Beihilfe unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot<br />

des Artikel 88 Abs. 3 EGV gewährt hat, nach den<br />

Grundsätzen der Francovich-Rechtsprechung des EuGH<br />

in Anspruch neben. 167 In Deutschland wird diese europarechtlich<br />

vorgegebene Schadensersatzpflicht über den<br />

Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB in Verbindung<br />

mit Artikel 34 GG realisiert. Ein entsprechender Schadensersatzanspruch<br />

gegen die öffentliche Hand besteht<br />

unter den folgenden Voraussetzungen: (1) die europäische<br />

Rechtsnorm, gegen die verstoßen wurde, ist unmittelbar<br />

anwendbar und bezweckt den Schutz subjektiver Interessen<br />

des Klägers, (2) der Verstoß ist hinreichend qualifiziert,<br />

(3) zwischen dem Verstoß und dem Schaden besteht<br />

ein unmittelbarer Kausalzusammenhang. Der Nachweis<br />

der ersten beiden Voraussetzungen wird betroffenen Wettbewerbern<br />

häufig gelingen. 168 Die erfolgreiche Geltendmachung<br />

eines Schadensersatzanspruchs betroffener<br />

Wettbewerber wird jedoch zumeist an der dritten Voraussetzung<br />

scheitern. Der Nachweis, dass gerade der Verstoß<br />

gegen das Durchführungsverbot zu einem konkreten<br />

Schaden für sein Unternehmen geführt hat, ist – ohne gesetzlich<br />

vorgesehene Beweiserleichterungen – schwierig<br />

zu führen.<br />

1040. Unklar ist, ob ein Wettbewerber bei einer Zuwiderhandlung<br />

gegen Artikel 88 Abs. 3 EGV allein gegen den<br />

öffentlichen Beihilfengeber vorgehen kann oder ob ihm<br />

darüber hinaus auch Ansprüche gegen das jeweils begünstigte<br />

private Unternehmen zustehen, die er im Klage-<br />

167 Vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1991, Rs. C-6/90 und C-9/90,<br />

Francovich/Italien, Slg. 1991, 5357 ff.<br />

168 Die erste Voraussetzung ist erfüllt, da das Durchführungsverbot des<br />

Artikel 88 Abs. 3 Satz 3 EGV sicherstellen soll, dass vor einer Genehmigung<br />

durch die EU-Kommission keine Benachteiligungen zulasten<br />

privater Dritter im Wettbewerb entstehen und diese ihre verfahrensrechtlichen<br />

Befugnisse im förmlichen Prüfverfahren vor der<br />

EU-Kommission bzw. auf dem Rechtsweg vor den Gemeinschaftsgerichten<br />

wahrnehmen können. Auch die zweite Voraussetzung ist als<br />

erfüllt anzusehen. Ein Gemeinschaftsrechtsverstoß ist „hinreichend<br />

qualifiziert“, wenn der Mitgliedstaat die Grenzen seines Handlungsermessens<br />

offenkundig und erheblich überschreitet. Dies ist bei einem<br />

Verstoß gegen die Anmeldepflicht und das Durchführungsverbot<br />

des Artikel 88 Abs. 3 EGV anzunehmen, da die Mitgliedstaaten<br />

insoweit über kein Ermessen verfügen. Sollte der Beihilfencharakter<br />

einer Maßnahme zweifelhaft sein, sind die Mitgliedstaaten aufgefordert,<br />

die entsprechende Maßnahme bei der EU-Kommission anzumelden,<br />

die diese Frage verbindlich klären kann.<br />

wege geltend machen kann. Als zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen<br />

kommen insoweit §§ 8, 9 in<br />

Verbindung mit § 3 UWG sowie §§ 1004 Abs. 1 analog,<br />

823 Abs. 2 BGB in Betracht. Die dort geregelten Unterlassungs-,<br />

Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche<br />

setzen jedoch voraus, dass der Anspruchsgegner einen<br />

Pflichtverstoß begangen hat. Teilweise wird das Vorliegen<br />

eines Pflichtverstoßes unter Hinweis darauf verneint,<br />

dass nach dem Wortlaut der Norm ausschließlich die Mitgliedstaaten<br />

Adressaten der Anmeldepflicht und des<br />

Durchführungsverbots in Artikel 88 Abs. 3 EGV sind. 169<br />

Nach anderer Auffassung ist der Begünstigte regelmäßig<br />

als deliktischer Mittäter anzusehen (§§ 830, 840 BGB),<br />

der für einen Verstoß gegen das Durchführungsverbot<br />

mitverantwortlich ist. 170 Für die letztgenannte Auffassung<br />

spricht, dass ein Marktteilnehmer, der durch eine Beihilfe<br />

eine vorteilhafte Position im Wettbewerb erlangt, der eigentliche<br />

Nutznießer der anzumeldenden Maßnahme ist<br />

und eine solche Begünstigung zulasten Dritter nur dann<br />

gerechtfertigt sein kann, wenn das vorgeschriebene Verfahren<br />

eingehalten wird. Daher erscheint es sachgerecht,<br />

Artikel 88 Abs. 3 EGV seinem Sinn und Zweck nach dahingehend<br />

auszulegen, dass der Begünstigte in den<br />

Pflichtenkreis einbezogen ist und betroffene Wettbewerber<br />

bei Verstößen auch gegen diesen direkt vorgehen können.<br />

Sie können danach von dem Begünstigten verlangen,<br />

dass er künftig die Mitwirkung an einer unangemeldeten<br />

Beihilfengewährung unterlässt und eine schon empfangene<br />

Beihilfe an die Beihilfen gewährende öffentliche<br />

Hand zurückzahlt. In Bezug auf Schadensersatzklagen<br />

gegenüber dem begünstigten Unternehmen ergibt sich jedoch<br />

gleichfalls das Problem, dass ein Schadens- und<br />

Kausalitätsnachweis kaum gelingen wird, da anders als<br />

etwa im Kartellrecht (§ 33 Abs. 3 Sätze 2 bis 4 GWB)<br />

keine erleichterten Voraussetzungen gelten.<br />

1041. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich,<br />

dass Schadensersatzklagen von privaten Marktteilnehmern<br />

vor den Gerichten der Mitgliedstaaten, sowohl in<br />

Form von Amtshaftungsansprüchen gegen die öffentliche<br />

Hand als auch in Form von zivilrechtlichen Ansprüchen<br />

gegen das begünstigte Unternehmen, nach einer von der<br />

EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie in der EU<br />

äußerst selten erhoben werden und bislang kein Fall bekannt<br />

ist, in dem eine Klage Erfolg hatte. 171 In Bezug auf<br />

Unterlassungs- und Beseitigungsklagen, die von Privaten<br />

vor nationalen Gerichten wegen Verstößen gegen<br />

Artikel 88 Abs. 3 EGV erhoben werden, wird in der Studie<br />

zwischen den folgenden Konstellationen unterschieden:<br />

(a) ein privater Marktteilnehmer möchte sich gegen<br />

eine positive Begünstigung zur Wehr setzten, die einem<br />

Wettbewerber gewährt wurde, und (b) der Kläger möchte<br />

gegen eine ihm auferlegte Verpflichtung vorgehen, von<br />

169 Schmidt-Kötters, T., in: Heidenhain, M. (Hrsg.), a. a. O., § 58<br />

Rn. 34.<br />

170 Vgl. Tilmann, W. , Schreibauer, M., Rechtsfolgen rechtswidriger nationaler<br />

Beihilfen, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 104,<br />

2002, S. 212–224, 222.<br />

171 Study on the Enforcement of State Aid Law at National Level, March<br />

2006, Jones Day, Lovells, Allen & Overy, http://ec.europa.eu/comm/<br />

competition/state_aid/studies_reports/studies_ reports.cfm , S. 48 ff.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!