Deutscher Bundestag Unterrichtung
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 373 – Drucksache 16/10140<br />
Gerichten denkbar. Neben Rückforderungsfällen 163 sind<br />
in diesem Zusammenhang vor allem Klagen von Wettbewerbern<br />
zu nennen. Für den Rechtsschutz von Wettbewerbern<br />
auf nationaler Ebene ist zu berücksichtigen, dass<br />
das Beihilfenverbot des Artikel 87 Abs. 1 EGV nach der<br />
Rechtsprechung der europäischen Gerichte keine unmittelbare<br />
Wirkung entfaltet, d. h. nicht direkt vor nationalen<br />
Gerichten geltend gemacht und von diesen angewendet<br />
werden kann. Aufgrund der weit gefassten Ausnahmetatbestände<br />
des Artikel 87 Abs. 3 EGV zu diesem Verbot<br />
fehlt es an der für die unmittelbare Wirkung erforderlichen<br />
Konkretisierung und Unbedingtheit. Die Prüfung,<br />
ob eine Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu vereinbaren<br />
ist, obliegt demnach ausschließlich der EU-Kommission,<br />
die insoweit durch die europäischen Gerichte<br />
kontrolliert wird. Den nationalen Gerichten kommt jedoch<br />
nach der europäischen Rechtsprechung die Aufgabe<br />
zu, effektiven Rechtsschutz bei Verstößen gegen die unmittelbar<br />
anwendbare Bestimmung des Artikel 88 Abs. 3<br />
EGV zu gewährleisten. Hierdurch sollen das System der<br />
präventiven Beihilfenkontrolle durch die EU-Kommission<br />
gesichert sowie Wettbewerbsvorteile verhindert werden,<br />
die der Begünstigte aus einer nicht auf dem vorgesehenen<br />
Weg gewährten Beihilfe ziehen kann.<br />
1035. Allgemein anerkannt ist, dass ein betroffener Wettbewerber<br />
bei Zuwiderhandlungen gegen die in Artikel 88<br />
Abs. 3 EGV normierte Anmeldepflicht und das Durchführungsverbot<br />
Ansprüche auf Unterlassung bzw. Beseitigung<br />
im Klagewege gegenüber dem öffentlichen Beihilfengeber<br />
durchsetzen kann (Konkurrentenklage).<br />
Wahlweise kann er auch eine Mitteilung bei der EU-Kommission<br />
nach Artikel 20 Abs. 2 VVO einreichen oder<br />
beide Möglichkeiten miteinander kombinieren. Im Falle<br />
einer Klage müssen die nationalen Gerichte überprüfen,<br />
ob eine formell rechtswidrige Beihilfe vorliegt. Sollte dies<br />
der Fall sein, hat das angerufene nationale Gericht nach<br />
der Rechtsprechung des EuGH regelmäßig die einstweilige<br />
Rückzahlung unabhängig davon anzuordnen, ob die<br />
Beihilfe materiell rechtmäßig ist und später durch die EU-<br />
Kommission genehmigt wird. Falls die Beihilfe im Rahmen<br />
eines zivilrechtlichen Austauschvertrags gewährt<br />
wird, ist der Vertrag aufgrund des Verstoßes gegen das<br />
Durchführungsverbot des Artikel 88 Abs. 3 Satz 3 EGV<br />
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insgesamt<br />
als nichtig anzusehen. 164<br />
1036. In dem CELF-Urteil vom 12. Februar 2008 hat der<br />
EuGH ausdrücklich festgestellt, dass die nationalen Gerichte<br />
die Rückzahlung einer formell rechtswidrigen Beihilfe<br />
gegebenenfalls auch dann anordnen können, wenn<br />
die EU-Kommission zwischenzeitlich bereits abschließend<br />
entschieden hat, dass die Beihilfe materiell rechtmäßig<br />
und mit dem Gemeinsamen Markt zu vereinbaren<br />
ist. 165 Dies gelte unbeschadet des Rechts des Mitgliedstaats,<br />
die Beihilfe erneut zu gewähren. Darüber hinaus<br />
seien die nationalen Gerichte dazu verpflichtet, dem Bei-<br />
163 Vgl. hierzu bereits oben Abschnitt 5.4.1.2.<br />
164 Vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2003, V ZR 314/02, EuZW 2003,<br />
S. 444.<br />
165 EuGH, Urteil vom 12. Februar 2008, Rs. C-199/06, CELF.<br />
hilfenempfänger aufzugeben, für die Dauer der Rechtswidrigkeit<br />
Zinsen zu zahlen. Wie der EuGH überzeugend<br />
darlegt, besteht der nicht gerechtfertigte Vorteil des Beihilfenempfängers<br />
zum einen in der Nichtzahlung von<br />
Zinsen, die er auf den Betrag der fraglichen, mit dem Gemeinsamen<br />
Markt vereinbaren Beihilfe gezahlt hätte,<br />
wenn er sich diesen Betrag bis zum Erlass der Kommissionsentscheidung<br />
auf dem Markt hätte leihen müssen,<br />
und zum anderen in der Verbesserung seiner Wettbewerbsposition<br />
gegenüber anderen Marktteilnehmern während<br />
der Dauer der formellen Rechtswidrigkeit. Im<br />
CELF-Urteil führt der EuGH darüber hinaus – ohne nähere<br />
Konkretisierung – aus, dass die nationalen Gerichte<br />
zudem veranlasst sein könnten, Anträgen auf Ersatz von<br />
Schäden stattzugeben, die durch die (formelle) Rechtswidrigkeit<br />
entstanden seien.<br />
1037. Die von den nationalen Gerichten vorzunehmende<br />
Prüfung des Artikel 88 Abs. 3 EGV kann sich – auch<br />
wenn sie nicht die Untersuchung der materiellen Rechtmäßigkeit<br />
umfasst – als komplex darstellen. Die Beantwortung<br />
der Frage, ob eine Maßnahme sämtliche Kriterien<br />
einer Beihilfe im Sinne des Artikel 87 Abs. 1 EGV<br />
erfüllt oder die Anmeldepflicht aufgrund einer Gruppenfreistellungsverordnung<br />
entfällt, kann in tatsächlicher und<br />
rechtlicher Hinsicht mit Schwierigkeiten verbunden sein.<br />
Die nationalen Gerichte können bzw. müssen bei rechtlichen<br />
Zweifeln den EuGH um Vorabentscheidung ersuchen<br />
(Artikel 234 Abs. 3 und 4 EGV). Darüber hinaus<br />
können die Gerichte die EU-Kommission konsultieren,<br />
diese zu ihrer üblichen Praxis bei der Einstufung einer<br />
Maßnahme als Beihilfe befragen und Informationen, wie<br />
Statistiken, Marktstudien und Wirtschaftsanalysen, anfordern.<br />
166<br />
1038. Wenn – wie von der Monopolkommission befürwortet<br />
– das Merkmal der Wettbewerbsverfälschung in<br />
Artikel 87 Abs. 1 EGV bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen<br />
künftig nicht mehr pauschal, sondern<br />
nur auf der Grundlage einer ökonomisch fundierten<br />
Begründung bejaht würde, könnte die durch die nationalen<br />
Gerichte vorzunehmende Qualifizierung als Beihilfe<br />
erschwert werden und Rechtsunsicherheit entstehen. Dies<br />
gilt entsprechend für die von den Mitgliedstaaten vorzunehmende<br />
Beurteilung der Frage der Anmeldepflicht, da<br />
nach Artikel 88 Abs. 3 EGV bei der EU-Kommission nur<br />
solche Maßnahmen anzumelden sind, bei denen es sich<br />
um Beihilfen im Sinne des Artikel 87 Abs. 1 EGV handelt<br />
und das Kriterium der Wettbewerbsverfälschung als<br />
Bestandteil des Beihilfenbegriffs angesehen wird. Dem<br />
ließe sich jedoch auf zwei Wegen entgegentreten. Zum einen<br />
könnten im Rahmen des Artikel 88 Abs. 3 EGV die<br />
bisherigen niedrigen Nachweisanforderungen an das Kriterium<br />
der Wettbewerbsverfälschung beibehalten werden,<br />
während bei Artikel 87 Abs. 1 EGV der EU-Kommission<br />
eine erhöhte Darlegungspflicht auferlegt wird. Zum anderen<br />
könnte alternativ der Begriff der Beihilfe anders aus-<br />
166 Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen<br />
der Kommission und den Gerichten der Mitgliedstaaten im Bereich<br />
der staatlichen Beihilfen, ABl. EG Nr. C 312 vom 23. November<br />
1995, S. 8.