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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 367 – Drucksache 16/10140<br />

angeblich rechtswidrige Beihilfen unverzüglich prüfen.<br />

Meist wird die EU-Kommission durch Dritte, denen nach<br />

Maßgabe des Artikel 20 Abs. 2 VVO ein Mitteilungsrecht<br />

zusteht, auf mögliche Verstöße aufmerksam.<br />

1005. Das Verfahren bei formell rechtswidrigen Beihilfen<br />

gleicht dem bereits beschriebenen Verfahren, das bei<br />

ordnungsgemäß angemeldeten Beihilfen angewendet<br />

wird (Artikel 10 ff. VVO). Ein wesentlicher Unterschied<br />

besteht jedoch darin, dass bei Verfahren wegen formell<br />

rechtswidriger Beihilfen keine Fristen vorgesehen sind.<br />

1006. Die endgültige Rückabwicklung einer Beihilfe, die<br />

unter Verstoß gegen Artikel 88 Abs. 3 Satz 3 EGV vorzeitig<br />

gewährt wurde, kann die EU-Kommission nicht allein<br />

aufgrund der formellen Rechtswidrigkeit anordnen. Vielmehr<br />

verlangen die europäischen Gerichte darüber hinaus,<br />

dass die betreffende Beihilfe auch materiell mit dem<br />

Gemeinsamen Markt unvereinbar ist und keine Freistellung<br />

– etwa nach Artikel 87 Abs. 3 EGV – in Betracht<br />

kommt. Die EU-Kommission ist in der Vergangenheit in<br />

ca. 25 Prozent der Fälle zu dem Ergebnis gekommen,<br />

dass die formell rechtswidrigen Beihilfen auch in materieller<br />

Hinsicht zu beanstanden sind. 129 Die in diesen Fällen<br />

regelmäßig ergehende Rückforderungsentscheidung ist<br />

an den Mitgliedstaat gerichtet, der die Beihilfe laut Artikel<br />

14 Abs. 3 VVO „unverzüglich“ nach Maßgabe seines<br />

nationalen Rechts zurückfordern muss. 130 Etwaige Einwände<br />

gegen die Rückforderung können nur in engen<br />

Grenzen erfolgreich geltend gemacht werden. 131<br />

1007. In der Vergangenheit wurden Rückforderungen<br />

entgegen Artikel 14 Abs. 3 VVO häufig nicht zügig durch<br />

die Mitgliedstaaten umgesetzt, sondern zogen sich, sofern<br />

sie überhaupt erfolgten, über mehrere Jahre hin. 132 Die<br />

Rückforderung kann auf mitgliedstaatlicher Ebene mit<br />

Schwierigkeiten verbunden sein. Dies gilt etwa, wenn das<br />

Unternehmen inzwischen Insolvenz angemeldet hat, ein<br />

Eigentümerwechsel erfolgt ist oder aber eine Vielzahl von<br />

Unternehmen von der Beihilfenmaßnahme profitiert haben<br />

und die Begünstigung in einer Belastungsminderung<br />

bestand (etwa im Fall einer selektiven Steuervergünstigung),<br />

so dass die Rückzahlungsverpflichteten und die<br />

Höhe der Rückforderungsbeträge nur mit erheblichem<br />

Aufwand bestimmt werden können. Nur in wenigen Mitgliedstaaten<br />

ist die Zuständigkeit für die Durchsetzung<br />

der Rückforderung auf eine zentrale staatliche Stelle<br />

übertragen. In Dänemark und Großbritannien sind die nationalen<br />

Wettbewerbsbehörden mit der Rückforderung<br />

129 Vgl. Bericht der Kommisison, Anzeiger für staatliche Beihilfen,<br />

Frühjahrsausgabe 2007, a. a. O., S. 5.<br />

130 Eine Rückforderung darf nicht verlangt werden (Artikel 14 Abs. 1<br />

Satz 2 VVO), wenn dies gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts<br />

verstoßen würde. Nach Artikel 14 Abs. 2 VVO<br />

umfasst die Rückzahlungsverpflichtung auch die Verpflichtung zur<br />

Zahlung von Zinsen ab dem Zeitpunkt, ab dem die rechtswidrige<br />

Beihilfe dem Empfänger zur Verfügung stand, bis zu ihrer tatsächlichen<br />

Rückzahlung.<br />

131 Vgl. hierzu näher Sinnaeve, A., in: Heidenhain, M. (Hrsg.), a. a. O.,<br />

§ 34 Rn. 16 ff.<br />

132 Vgl. Bericht der Kommisison, Anzeiger für staatliche Beihilfen,<br />

Frühjahrsausgabe 2007, a. a. O., S. 17 ff.<br />

betraut. In Deutschland und den meisten anderen Mitgliedstaaten<br />

obliegt die Rückforderung dagegen derjenigen<br />

Stelle, welche die Beihilfe ursprünglich gewährt hat<br />

und die regelmäßig nicht über entsprechende Spezialkenntnisse<br />

verfügt. Dieser Umstand wird in Deutschland<br />

dadurch abgemildert, dass das beim Bundesministerium<br />

für Wirtschaft und Technologie angesiedelte zentrale Beihilfenreferat<br />

neben der Erstanmeldung von Einzelbeihilfen<br />

und Beihilfenregelungen bei der EU-Kommission die<br />

Aufgabe hat, zwischen der EU-Kommission und den verschiedenen<br />

nationalen Beihilfengebern bei der Durchführung<br />

von Beihilfenmaßnahmen einschließlich etwaiger<br />

Rückforderungsverfahren zu vermitteln.<br />

1008. Ein weiterer Grund für die lange Dauer des Rückforderungsverfahrens<br />

ist, dass es in den meisten Mitgliedstaaten<br />

– wie auch in Deutschland – keine speziellen Vorschriften<br />

für die Rückforderung gibt, sondern vielmehr<br />

das allgemeine Verfahrensrecht zur Anwendung kommt.<br />

Ein Rückforderungsverfahren nimmt vor allem dann viel<br />

Zeit in Anspruch, wenn der Beihilfenempfänger gegen<br />

die Aufforderung zur Rückzahlung Rechtsschutz vor den<br />

nationalen Gerichten begehrt und dieses Rechtsmittel aufschiebende<br />

Wirkung hat, die von staatlicher Seite nicht<br />

ausgeschlossen werden kann.<br />

1009. Dies ist im deutschen Recht etwa der Fall, wenn<br />

die Beihilfe im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrages<br />

gewährt wurde. Nach allgemeinen Grundsätzen muss<br />

eine Rückforderung in solchen Fällen ebenfalls im Zivilrechtsweg<br />

erfolgen und kann nicht hoheitlich per Verwaltungsakt<br />

angeordnet werden. Das Oberverwaltungsgericht<br />

Berlin-Brandenburg hat die Rückforderung per<br />

Verwaltungsakt für den Bereich rechtswidriger Beihilfen<br />

allerdings in einem Beschluss vom 7. November 2005 unter<br />

Hinweis auf das im Gemeinschaftsrecht geltende<br />

Effektivitätsgebot 133 ausdrücklich gebilligt. 134 Diese Entscheidung<br />

ist rechtlich bedenklich, da eine belastende hoheitliche<br />

Maßnahme – wie der Erlass eines für sofort vollziehbar<br />

erklärten Verwaltungsakts – nach dem<br />

Rechtsstaatsprinzip nur aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage<br />

angeordnet werden darf (Lehre<br />

vom Gesetzesvorbehalt). Eine nationale gesetzliche<br />

Grundlage ist nicht ersichtlich und auch die unmittelbare<br />

Anwendbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestim-<br />

133 Nach dem Effektivitätsgebot (Effet-utile-Grundsatz) dürfen innerstaatliche<br />

Rechtsschutzvorschriften die Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher<br />

Ansprüche nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig<br />

erschweren.<br />

134 OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. November 2005, OVG<br />

8 S 93.05, NVwZ 2006, 104–106. Im betreffenden Fall hatte die zuständige<br />

staatliche Stelle (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte<br />

Sonderaufgaben) die sofortige Rückforderung per Verwaltungsakt<br />

angeordnet, obwohl die Beihilfe dem begünstigten Unternehmen<br />

(Aker Warnow Werft GmbH) im Rahmen eines zivilrechtlichen Vertrags<br />

gewährt worden war. Das OVG Berlin-Brandenburg vertrat die<br />

Auffassung, aufgrund des im Gemeinschaftsrecht geltenden Effektivitätsgebots<br />

sei eine hoheitlichen Anordnung zulässig, da nur auf<br />

diese Weise die in der Kommissionsentscheidung sowie in Artikel 14<br />

Abs. 3 VVO ausgesprochene Verpflichtung einer sofortigen und tatsächlichen<br />

Vollstreckung der Rückforderungsentscheidung zu realisieren<br />

sei.

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