Deutscher Bundestag Unterrichtung
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Drucksache 16/10140 – 366 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />
geplante Vergabe einer neuen Beihilfe 122 zu unterrichten<br />
(Artikel 88 Abs. 3 Satz 1 EGV). Solange eine solche Anmeldung<br />
bei der EU-Kommission nicht erfolgt und von<br />
dieser genehmigt worden ist, darf der Mitgliedstaat die<br />
Beihilfe nicht gewähren (Artikel 88 Abs. 3 Satz 3 EGV).<br />
Zuwiderhandlungen gegen dieses Durchführungsverbot<br />
können von Wettbewerbern des begünstigten Unternehmens<br />
unmittelbar vor den nationalen Gerichten geltend<br />
gemacht werden. 123<br />
1001. Das Verfahren der EU-Kommission im Rahmen<br />
der Beihilfenkontrolle gliedert sich – ähnlich wie in der<br />
Fusionskontrolle – in zwei Phasen: das vorläufige Prüfverfahren<br />
und das sich gegebenenfalls anschließende<br />
förmliche Prüfverfahren. Innerhalb des vorläufigen Prüfverfahrens<br />
untersucht die EU-Kommission, ob das angemeldete<br />
Vorhaben Anlass zu Bedenken gibt. Nach Eingang<br />
einer vollständigen Anmeldung muss die EU-<br />
Kommission innerhalb von zwei Monaten eine Entscheidung<br />
darüber treffen, ob sie die Beihilfe freistellt oder ob<br />
sie eine eingehende Untersuchung durchführen möchte<br />
und das förmliche Prüfverfahren eröffnet. Lässt sie diese<br />
Frist verstreichen, ohne dass eine Entscheidung ergeht,<br />
kann eine Genehmigungsfiktion eintreten. 124 In dieser<br />
ersten Phase des Aufsichtsverfahrens sind ausschließlich<br />
die EU-Kommission und der betreffende Mitgliedstaat<br />
beteiligt, während das Beihilfen empfangende Unternehmen<br />
und dessen Wettbewerber nicht zugelassen sind.<br />
Letztere haben auch keine Möglichkeit, Kenntnis von der<br />
Anmeldung und Durchführung eines vorläufigen Prüfverfahrens<br />
zu erlangen, da diese Umstände nicht veröffentlicht<br />
werden. Die weit überwiegende Zahl der Fälle wird<br />
bereits im vorläufigen Prüfverfahren abgeschlossen. 125<br />
1002. Falls die EU-Kommission innerhalb der vorläufigen<br />
Prüfung die Frage der Rechtmäßigkeit der Beihilfe<br />
nicht klären konnte, eröffnet sie das förmliche Prüfverfahren.<br />
Die Entscheidung darüber wird im Amtsblatt veröffentlicht<br />
(Artikel 26 Abs. 2 in Verbindung mit Artikel 4<br />
Abs. 4 VVO). Im förmlichen Prüfverfahren können neben<br />
dem jeweiligen Mitgliedstaat gemäß Artikel 20 Abs. 1<br />
122 Während Artikel 88 Abs. 3 EGV für neue Beihilfen gilt, ist in Artikel<br />
88 Abs. 1 und 2 EGV die Aufsicht über bestehende Beihilfen geregelt.<br />
Bestehende Beihilfen müssen im Gegensatz zu neuen Beihilfen<br />
nicht bei der EU-Kommission angemeldet werden. Die EU-Kommission<br />
überprüft bestehende Beihilfenregelungen fortlaufend (Artikel<br />
88 Abs. 1 und 2 EGV). Als bestehende Beihilfen werden im Wesentlichen<br />
die Beihilfen bezeichnet, die bereits vor Inkrafttreten des<br />
EG-Vertrags am 1. Januar 1958 oder eines Beitrittsvertrags bestanden,<br />
sowie die Beihilfen, die von der EU-Kommission oder vom Rat<br />
in irgendeiner Weise genehmigt worden sind.<br />
123 Vgl. hierzu näher Abschnitt 5.4.3.<br />
124 Die Beihilfe gilt als genehmigt, wenn die EU-Kommission innerhalb<br />
von zwei Monaten ab vollständiger Anmeldung keine Entscheidung<br />
erlassen hat. Der Mitgliedstaat darf die Maßnahmen durchführen,<br />
wenn er die EU-Kommission hiervon in Kenntnis gesetzt hat und die<br />
EU-Kommission auch innerhalb von 15 weiteren Arbeitstagen keine<br />
Entscheidung erlässt (Artikel 4 Abs. 6 VVO).<br />
125 Im Bereich der ordnungsgemäß angemeldeten Beihilfen hat die EU-<br />
Kommission in den Jahren 2000 bis 2006 in rd. 95 Prozent der Fälle<br />
das förmliche Prüfverfahren gar nicht erst eröffnet, sondern bereits<br />
im vorläufigen Prüfverfahren eine abschließende Entscheidung erlassen.<br />
Vgl. Bericht der Kommission, Anzeiger für staatliche Beihilfen,<br />
Frühjahrsausgabe 2007, KOM(2007) 347 endg., S. 15.<br />
VVO auch andere „Beteiligte“ eine schriftliche Stellungnahme<br />
abgeben. „Beteiligte“ in diesem Sinne sind „Mitgliedstaaten,<br />
Personen, Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen,<br />
deren Interessen aufgrund der Gewährung<br />
einer Beihilfe beeinträchtigt sein können, insbesondere<br />
der Beihilfenempfänger, Wettbewerber und<br />
Berufsverbände“ (Artikel 1 Buchstabe h VVO). Die Beteiligungsmöglichkeit<br />
soll nicht nur den Interessen möglicher<br />
Betroffener Rechnung tragen, sondern auch der EU-<br />
Kommission eine Informationsquelle eröffnen. Nach<br />
Artikel 7 Abs. 6 Satz 2 VVO soll das förmliche Verfahren<br />
möglichst innerhalb von 18 Monaten abgeschlossen werden.<br />
Das Verstreichenlassen dieser – gegebenenfalls einvernehmlich<br />
verlängerten – Frist hat allerdings nur zur<br />
Folge, dass der Mitgliedstaat eine Entscheidung der EU-<br />
Kommission innerhalb von zwei Monaten auf der Grundlage<br />
der ihr zur Verfügung stehenden Informationen verlangen<br />
kann (Artikel 7 Abs. 7 VVO). Sollte die EU-Kommission<br />
auch diese Frist versäumen, sieht das Gesetz<br />
keine Regelung vor. Insbesondere wird – anders als im<br />
vorläufigen Prüfverfahren – keine unmittelbare Sanktion<br />
in Form einer Genehmigungsfiktion angeordnet. Der Mitgliedstaat<br />
könnte in einem solchen Fall daher lediglich<br />
eine Untätigkeitsklage vor dem EuGH gemäß Artikel 232<br />
Abs. 1 EGV erheben.<br />
1003. Die EU-Kommission bringt das förmliche Prüfverfahren<br />
nach Artikel 7 Abs. 2 bis 5 VVO zum Abschluss,<br />
indem sie entscheidet, dass keine Beihilfe vorliegt, die<br />
Beihilfe ohne Einwände genehmigt (Positiventscheidung),<br />
eine Positiventscheidung mit Auflagen erlässt oder<br />
die Beihilfe als unvereinbar mit dem Gemeinsamen<br />
Markt qualifiziert (sog. Negativentscheidung). Negativentscheidungen<br />
bilden in der Praxis die Ausnahme. So erteilt<br />
die EU-Kommission nur für etwa 2 Prozent der ordnungsgemäß<br />
angemeldeten Beihilfen keine Freigabe. 126<br />
5.4.1.2 Formell rechtswidrige Beihilfen<br />
1004. In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass die<br />
Mitgliedstaaten Beihilfen unter Verstoß gegen die Anmeldepflicht<br />
des Artikel 88 Abs. 3 EGV und das dort enthaltene<br />
Durchführungsverbot gewähren. So hat die EU-<br />
Kommission im Zeitraum von 2000 bis 2006 mehr als<br />
600 Verfahren durchgeführt, die sich auf solche formell<br />
rechtswidrigen Beihilfen bezogen. 127 Rund 24 Prozent<br />
der durchgeführten Verfahren betrafen allein die Bundesrepublik<br />
Deutschland. 128 Die Anzahl formell rechtswidriger<br />
Beihilfen dürfte noch höher sein, da die EU-Kommission<br />
nicht von jeder Zuwiderhandlung Kenntnis erlangen<br />
wird. Nach Artikel 10 Abs. 1 VVO muss die EU-Kommission<br />
alle Informationen gleich welcher Herkunft über<br />
126 Vgl. Bericht der Kommission, Anzeiger für staatliche Beihilfen,<br />
Frühjahrsausgabe 2007, a. a. O., S. 7.<br />
127 Vgl. ebenda, S. 4.<br />
128 In den großen Mitgliedstaaten werden vergleichsweise häufig formell<br />
rechtswidrige Beihilfen gewährt. Neben Deutschland mit<br />
24 Prozent entfielen auf Italien 17 Prozent, auf Spanien 12 Prozent,<br />
auf Frankreich 10 Prozent und auf das Vereinigte Königreich<br />
9 Prozent. Vgl. Bericht der Kommission, Anzeiger für staatliche Beihilfen,<br />
Frühjahrsausgabe 2007, a. a. O., S. 15 ff.