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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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Drucksache 16/10140 – 364 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />

über einen großen Ermessensspielraum. Als Dienstleistungen<br />

von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse werden<br />

etwa Arbeitsvermittlungs-, Post-, Telekommunikations-,<br />

Verkehrs-, Energieversorgungs- und öffentlichrechtliche<br />

Rundfunkdienste anerkannt. Nach Auffassung<br />

der Monopolkommission sollte Artikel 86 Abs. 2 EGV<br />

als Ausnahmetatbestand eng ausgelegt werden. Andernfalls<br />

besteht die Gefahr, dass die Liberalisierungsbemühungen<br />

bei den Netzindustrien durch einen vermehrten<br />

Einsatz von Beihilfen konterkariert und die nationalen<br />

Märkte abgeschottet werden. 113<br />

995. Im November 2005 hat die EU-Kommission ihre<br />

Entscheidung veröffentlicht, nach der bestimmte Beihilfen<br />

im Bereich der Daseinsvorsorge von der Anmeldepflicht<br />

befreit werden. 114 Die Entscheidung erfüllt somit<br />

dieselbe Funktion wie eine Gruppenfreistellungsverordnung.<br />

In der Entscheidung werden Ausgleichszahlungen<br />

an Unternehmen freigestellt, deren Jahresumsatz mit allen<br />

Tätigkeiten vor Steuern in den beiden Rechnungsjahren,<br />

die der Übernahme einer Dienstleistung von allgemeinem<br />

wirtschaftlichem Interesse vorausgegangen sind,<br />

insgesamt weniger als 100 Mio. Euro betragen hat und<br />

die jährlich eine Ausgleichszahlung von weniger als<br />

30 Mio. für die erbrachte Dienstleistung erhalten. Die<br />

maximale Beihilfenhöchstgrenze von 30 Mio. Euro liegt<br />

deutlich über der allgemeinen Obergrenze, die in der Deminimis-Verordnung<br />

genannt wird (200 000 Euro). Bestimmte<br />

Bereiche (sozialer Wohnungsbau, Krankenhaussektor,<br />

Flug- und Seeverkehrshäfen) werden nach der<br />

Entscheidung noch darüber hinaus privilegiert, weil für<br />

sie die genannten Umsatz- und Beihilfenhöchstgrenzen<br />

nicht gelten.<br />

996. Nach Artikel 86 Abs. 2 EGV gilt das Beihilfenverbot<br />

des Artikel 87 Abs. 1 EGV für (öffentliche oder private)<br />

Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem<br />

wirtschaftlichem Interesse betraut sind, nur,<br />

soweit die Anwendung dieser Bestimmung nicht „die Erfüllung<br />

der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe<br />

rechtlich oder tatsächlich verhindert“. Der Rechtfertigungsgrund<br />

des Artikel 86 Abs. 2 EGV kommt indes lediglich<br />

dann zum Tragen, wenn die betreffende Maßnahme<br />

überhaupt als Beihilfe im Sinne des Artikel 87<br />

Abs. 1 EGV und nicht lediglich als Ausgleichszahlung<br />

für öffentlich nachgefragte Leistungen zu qualifizieren<br />

ist. 115<br />

997. Das Verhältnis zwischen dem Verbotstatbestand<br />

des Artikel 87 Abs. 1 EGV – genauer gesagt dem dortigen<br />

Merkmal der „Begünstigung bestimmter Unternehmen<br />

oder Produktionszweige“ (Selektivität) – und dem<br />

113 Im kartellrechtlichen Bereich drohen staatliche Wettbewerbsbeeinträchtigungen<br />

in Form einer Genehmigung nationaler Großfusionen<br />

oder einer Verhinderung grenzüberschreitender Fusionen.<br />

114 Entscheidung der Kommission vom 28. November 2005 über die<br />

Anwendung von Artikel 86 Abs. 2 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen,<br />

die bestimmten mit der Erbringung von Dienstleistungen von<br />

allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen als<br />

Ausgleich gewährt werden, ABl. EU Nr. L 312 vom 29. November<br />

2005, S. 67.<br />

115 Die Voraussetzungen hierfür hat der EuGH in dem Urteil Altmark<br />

Trans näher benannt; EuGH, Urteil vom 24. Juli 2003, Rs. C-280/00,<br />

Slg. 2003, I-7747.<br />

Rechtfertigungsgrund in Artikel 86 Abs. 2 EGV ist umstritten.<br />

Hierzu werden die im Folgenden dargelegten<br />

Grundpositionen vertreten. Nach dem Beihilfenansatz<br />

stellt die einem Unternehmen für die Wahrnehmung von<br />

Gemeinwohlverpflichtungen gewährte staatliche Finanzierung<br />

immer eine Beihilfe im Sinne von Artikel 87<br />

Abs. 1 EGV dar, die jedoch nach Artikel 86 Abs. 2 EGV<br />

gerechtfertigt sein kann. 116 Nach dem Ausgleichsansatz<br />

stellt die staatliche Finanzierung von Dienstleistungen<br />

von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nur dann<br />

eine Beihilfe im Sinne des Artikel 87 Abs. 1 EGV dar,<br />

falls und soweit der gewährte wirtschaftliche Vorteil entweder<br />

über eine angemessene Vergütung für die Erbringung<br />

von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem<br />

Interesse oder über die zusätzlichen Kosten dieser<br />

Erbringung hinausgeht. 117 Der Unterschied besteht darin,<br />

dass nach dem Ausgleichsansatz eine entsprechende<br />

staatliche Finanzmaßnahme bereits nicht der Anmeldepflicht<br />

des Artikel 88 Abs. 3 Satz 1 EGV unterliegt. Unabhängig<br />

von der juristischen Einordnung besteht jedoch<br />

darüber Einigkeit, dass eine Überkompensierung der<br />

Kosten von Unternehmen, die Leistungen der Daseinsvorsorge<br />

erbringen, in der Regel unzulässig ist, also den<br />

Tatbestand des Artikel 87 Abs.1 EGV erfüllt und auch<br />

nicht nach Artikel 86 Abs. 2 EGV gerechtfertigt ist. Problematisch<br />

ist nach Ansicht der Monopolkommission jedoch,<br />

wie die Mehrkosten, die aus der Dienstleistungserbringung<br />

im Rahmen der Daseinsvorsorge resultieren,<br />

konkret zu berechnen sind.<br />

998. In der jüngeren Entscheidungspraxis greift die<br />

EU-Kommission pragmatisch auf beide Ansätze, den<br />

Beihilfenansatz und den Ausgleichsansatz, zurück und<br />

verwendet dasselbe Kriterium – angemessene Kompensation<br />

– sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtfertigungsebene.<br />

Wenn das Vorliegen eines angemessenen<br />

Ausgleichs unproblematisch festgestellt werden kann,<br />

verneint sie bereits das Vorliegen des Tatbestands<br />

(Artikel 87 Abs. 1 EGV). Andernfalls nimmt sie eine<br />

eingehende Prüfung dieses Merkmals auf Rechtfertigungsebene<br />

vor (Artikel 86 Abs. 2 EGV). Als Maßstab<br />

zur Abgrenzung dienen die vom EuGH im Urteil Altmark<br />

Trans aufgestellten Grundsätze. 118 Danach ist im<br />

Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge bereits das<br />

Vorliegen einer tatbestandlichen Beihilfe im Sinne des<br />

116 Vgl. Koenig, C., Kühling, J., in: Streinz, R. (Hrsg.), EUV/EGV,<br />

München 2003, Artikel 87 EGV Rn. 35.<br />

117 So der EuGH in seinem Urteil vom 22. Januar 2001, Rs. C-53/00,<br />

Ferring, Slg. 2001, I-907, Rn. 32 f.<br />

118 Vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juli 2003, Rs. C-280/00, Altmark Trans,<br />

Slg. 2003, I-7747, Rn. 89–93. Konkret benennt der EuGH dort die<br />

folgenden Voraussetzungen, unter denen ein finanzieller Ausgleich<br />

für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen nicht als staatliche Beihilfe<br />

zu qualifizieren ist:<br />

„Erstens muss das begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung<br />

gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein, und diese<br />

Verpflichtungen müssen klar definiert sein. Im Ausgangsverfahren<br />

hat das vorlegende Gericht somit zu prüfen, ob sich die gemeinwirtschaftlichen<br />

Pflichten, die Altmark Trans auferlegt wurden, klar aus<br />

den nationalen Rechtsvorschriften und/oder den im Ausgangsverfahren<br />

streitigen Genehmigungen ergeben.

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