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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 351 – Drucksache 16/10140<br />

ererhöhungen oder sonstiger Regulierungen – nachteilig<br />

verändere. 47 Eine Ansiedlungsbeihilfe könne ein Mittel<br />

zur Absicherung spezifischer Investitionen gegen spätere<br />

Verschlechterung und Ausbeutung durch den jeweiligen<br />

Hoheitsträger sein (Hold-up-Problematik). Zudem sei die<br />

Beihilfenvergabe im Standortwettbewerb der Hoheitsträger<br />

ein möglicher Wettbewerbsparameter von vielen. Es<br />

stelle sich daher die Frage, wieso gerade dieser Parameter<br />

reguliert werden müsse. Der Standortwettbewerb werde<br />

durch die Beihilfenaufsicht der EU nur auf andere Parameter<br />

– wie den Ausbau von physischer Infrastruktur, die<br />

kostenlose oder subventionierte Ausbildung von Arbeitskräften,<br />

baurechtliche Vorschriften etc. – verlagert.<br />

942. Nach Ansicht der Monopolkommission handelt es<br />

sich bei dem Vorschlag, die Beihilfenaufsicht im Bereich<br />

von Neuansiedlungen zugunsten eines Wettbewerbs der<br />

Standorte abzuschaffen, um ein interessantes theoretisches<br />

Konzept. Diese extreme Form des Systemwettbewerbs,<br />

wonach (Ansiedlungs-)Beihilfen einen zulässigen<br />

Wettbewerbsparameter der Standorte bilden und keiner<br />

vorgelagerten Kontrolle unterliegen sollten, wäre in der<br />

Praxis allerdings nur dann voll funktionsfähig, wenn das<br />

Prinzip der fiskalischen Äquivalenz verwirklicht wäre. 48<br />

Fiskalische Äquivalenz bedeutet, dass Beihilfen vollständig<br />

von der die Beihilfen gewährenden Region finanziert<br />

werden und harte Budgetrestriktionen gelten, so dass eine<br />

Region bei finanziellen Schwierigkeiten nicht mit einem<br />

Ausgleich durch andere Hoheitsträger rechnen kann. Andernfalls<br />

besteht die Gefahr, dass die Kosten, die mit der<br />

Ansiedlung eines Unternehmens verbunden sind, auf andere<br />

Hoheitsträger verlagert würden. Diese Externalisierung<br />

von Kosten könnte dazu führen, dass eine Region zu<br />

hohe Beihilfenangebote abgibt und infolgedessen ineffiziente<br />

Standortentscheidungen getroffen werden. Das<br />

Prinzip fiskalischer Äquivalenz ist allerdings kaum zu<br />

realisieren. Unklar ist schon, auf welcher Ebene es verwirklicht<br />

werden soll: in der einzelnen Gemeinde, in Teilen<br />

eines Bundeslandes, in einem Bundesland insgesamt,<br />

in mehreren Bundesländern (z. B. in Norddeutschland)<br />

oder im gesamten Bundesgebiet. Angenommen, das einzelne<br />

Bundesland wäre die maßgebliche Bezugsgröße, so<br />

wäre das Problem damit nicht gelöst. Es hieße, dass<br />

Quersubventionierungen innerhalb eines Bundeslandes<br />

akzeptiert werden, grenzüberschreitende Quersubventionierungen<br />

zwischen Bundesländern dagegen zu unterbinden<br />

seien. Jedes Bundesland müsste dann selbst in dem<br />

Standortwettbewerb die steuerliche Belastung festlegen<br />

und über Zuwendungen an Investoren entscheiden. Diese<br />

Prämisse eines freien Beihilfenwettbewerbs der Bundesländer<br />

stünde in offenem Gegensatz zur Finanzverfassung<br />

des Grundgesetzes. Soweit Steuern gemäß Artikel 106 GG<br />

als gemeinsame Steuern auch den Ländern zustehen<br />

– und dies gilt mit Einkommen-, Körperschaft- und Um-<br />

47 Vgl. Haucap, J., Hartwich, T., Fördert oder behindert die Beihilfenkontrolle<br />

der Europäischen Union den (System-)Wettbewerb, in:<br />

Schäfer, W. (Hrsg.), Wirtschaftspolitik im Systemwettbewerb,<br />

Schriften des Vereins für Socialpolitik, N. F. Bd. 309, Berlin 2006,<br />

S. 93 ff.<br />

48 Dies wird auch von Befürwortern dieses Ansatzes so gesehen. Vgl.<br />

näher Gröteke, F., a. a. O., S. 206 ff.<br />

satzsteuer für den größten Teil des Steueraufkommens –<br />

hat der Bund gleichwohl die (konkurrierende) Gesetzgebungszuständigkeit<br />

mit der Folge einer einheitlichen<br />

Besteuerung, die gerade nicht nach dem Sitzland des<br />

Steuerpflichtigen entscheidet. Auch der zwingend vorgeschriebene<br />

Länderfinanzausgleich gemäß Artikel 107<br />

Abs. 2 GG steht der Verwirklichung der fiskalischen<br />

Äquivalenz entgegen. Auch in der EU ist die Politik zur<br />

Redistribution zwischen den Regionen verpflichtet. Die<br />

am stärksten benachteiligten Gebiete werden gemäß Artikel<br />

158 ff. EGV im Interesse des wirtschaftlichen und sozialen<br />

Zusammenhalts der Union gefördert. Hier finden<br />

verteilungspolitisch motivierte Zahlungsströme in erheblicher<br />

Größenordnung (häufig in Form von EU-Subventionen)<br />

statt.<br />

943. Darüber hinaus besteht bei der Vergabe von Beihilfen<br />

die Gefahr staatlicher Fehleinschätzungen mit der<br />

Folge, dass sich die erhofften positiven Auswirkungen für<br />

die betreffende Region langfristig nicht einstellen. Dieses<br />

Prognoserisiko ließe sich theoretisch dadurch verringern,<br />

dass bei einem Ausbleiben der vermuteten positiven Auswirkungen<br />

für die Region eine Rückzahlung der gewährten<br />

Beihilfen erfolgt. Die Konkretisierung und Umsetzung<br />

einer solchen Rückzahlungsverpflichtung ist jedoch<br />

nur möglich, soweit sie Garantien zum Gegenstand hat,<br />

die im eigenen Verantwortungsbereich des Beihilfenempfängers<br />

liegen, wie etwa die Zusage, eine bestimmte Anzahl<br />

von Arbeitsplätzen zu schaffen. Sie kann dagegen<br />

nicht die externen tatsächlichen Auswirkungen einbeziehen,<br />

welche die jeweilige Neuansiedlung in der Region<br />

insgesamt hervorruft, da diese sich nur schwer messen<br />

und nicht exakt vorhersagen lassen. Eine ineffiziente Gewährung<br />

von Beihilfen kann zudem daraus resultieren,<br />

dass die politischen Entscheidungsträger bei der Beihilfenvergabe<br />

auch eigennützig (im Hinblick auf eine bevorstehende<br />

Wahl) handeln und infolgedessen kurzfristig angelegte<br />

populistische Maßnahmen ergreifen sowie<br />

Partikularinteressen fördern. Darüber hinaus kann die in<br />

Tz. 941 beschriebene Gefahr eines Hold-up auch mit umgekehrtem<br />

Vorzeichen bestehen. So ist denkbar, dass das<br />

begünstigte Unternehmen ein mit zunehmender Größe<br />

wachsendes Drohpotenzial dahingehend aufbauen kann,<br />

dass es mit seiner Abwanderung und dem hiermit für die<br />

Region verbundenen Verlust an Arbeitsplätzen droht. Inwiefern<br />

Unternehmen oder Hoheitsträger ein höheres<br />

Drohpotenzial besitzen, hängt allerdings von der Spezifität/Irreversibilität<br />

der getätigten Investitionen ab. Ein Unternehmen,<br />

das erheblich in standortspezifische Einrichtungen<br />

investiert hat (z. B. in Infrastrukturen), kann nur in<br />

sehr begrenztem Umfang glaubwürdig mit Abwanderung<br />

drohen.<br />

944. Für eine supranationale Beihilfenkontrolle spricht<br />

ferner, dass die Vergabe von Beihilfen durch einen Mitgliedstaat<br />

in anderen Mitgliedstaaten negative Effekte in<br />

Form von Wettbewerbsverzerrungen auf den Produktund<br />

Dienstleistungsmärkten hervorrufen kann. Dies gilt<br />

insbesondere in Fällen, in denen im Inland ansässige<br />

Großunternehmen oder die Unternehmen einer bestimmten<br />

Branche aufgebaut und gefördert werden, um ihre<br />

Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich zu

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