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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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Drucksache 16/10140 – 350 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />

Teilweise wird vorgeschlagen, diese Wettbewerbsverzerrungen<br />

in der EU durch eine vollständige Harmonisierung<br />

der wirtschaftspolitischen Regeln, namentlich der nationalen<br />

Regulierungen (Arbeitsmarktpolitik, Umwelt- und<br />

Produktstandards, Gesellschaftsrecht), Unternehmenssteuern<br />

und Staatsausgaben, zu beseitigen. 43 Ein Verbot<br />

staatlicher Beihilfen auf europäischer Ebene sei nicht ausreichend,<br />

vielmehr sei darüber hinausgehend die umfängliche<br />

Durchsetzung eines „level playing field“ anzustreben.<br />

Dies könne dazu beitragen, nationalstaatlich<br />

verursachte, künstliche Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen,<br />

und es den Unternehmen ermöglichen, die Kostenvorteile<br />

der Produktion bestmöglich auszunutzen und<br />

die Wohlfahrt im europäischen Binnenmarkt zu maximieren.<br />

938. Eine Rechtsangleichung kann in Teilbereichen ein<br />

sinnvolles Instrument darstellen, etwa wenn hierdurch die<br />

Transaktionskosten bei Sachverhalten mit grenzüberschreitendem<br />

Bezug erheblich verringert werden. Eine<br />

flächendeckende Harmonisierung innerhalb der EU ist jedoch<br />

nach Auffassung der Monopolkommission nicht zu<br />

empfehlen, da andernfalls jeglicher Systemwettbewerb<br />

zwischen den Mitgliedstaaten und den Regionen in der<br />

EU ausgeschlossen würde und der Umstand unberücksichtigt<br />

bliebe, dass in den Mitgliedstaaten unterschiedliche<br />

Gewohnheiten und Präferenzen in Bezug auf die<br />

Ausgestaltung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen<br />

vorhanden sind. 44 Im Rahmen des Systemwettbewerbs<br />

stehen Institutionen im Wettbewerb um leistungsund<br />

wertschöpfungsstarke mobile Faktoren wie Unternehmen,<br />

Finanzkapital und mobile Arbeitskräfte. 45 Die<br />

wirtschaftspolitischen Parameter, die den Staaten und Regionen<br />

zur Verfügung stehen, um mobile Faktoren anzuziehen<br />

bzw. deren Abwanderung zu verhindern, setzen<br />

sich aus öffentlichen Leistungen wie Infrastruktur, Lohnniveau,<br />

Ausbildungs- und Technologiestand sowie Produktregulierung<br />

einerseits und den zur Finanzierung erhobenen<br />

Steuern und Abgaben andererseits zusammen.<br />

Systemwettbewerb kann dazu beitragen, die tatsächlichen<br />

Präferenzen der Nachfrager, also der Entscheidungsträger<br />

über mobile Faktoren, im Hinblick auf das staatlich angebotene<br />

Steuer-Leistungs-Paket aufzudecken.<br />

939. Darüber hinaus eröffnet der Systemwettbewerb<br />

– unabhängig von der Mobilität der Faktoren – die Möglichkeit,<br />

verschiedene Konzepte zur Lösung gesellschaftspolitischer<br />

Probleme im Wege eines Ideenwettbewerbs<br />

zu erproben und miteinander zu vergleichen. Im<br />

Sinne eines Entdeckungsverfahrens bestehen für die politischen<br />

Akteure im Systemwettbewerb Anreize, attraktive<br />

institutionelle Regelungen zu entwickeln und überflüs-<br />

43 Vgl. hierzu näher Ehlermann, C.-D., Ökonomische Aspekte des Subsidiaritätsprinzips:<br />

Harmonisierung vs. Wettbewerb der Systeme, Integration<br />

18, 1995, S. 11-21.<br />

44 Systemwettbewerb, der auch als institutioneller, interjurisdiktioneller<br />

Wettbewerb oder Standortwettbewerb bezeichnet wird, bedeutet,<br />

dass nicht nur Unternehmen im Wettbewerb zueinander stehen, sondern<br />

auch Wirtschaftssysteme oder Standorte.<br />

45 Vgl. bereits Monopolkommission, Systemwettbewerb, Sondergutachten<br />

27, Baden-Baden 1998, Tz. 9.<br />

sige Regulierungen und bürokratische Hürden abzubauen.<br />

Von der Konkurrenz anderer Hoheitsträger kann<br />

ein heilsamer Reformdruck ausgehen. Vor diesem Hintergrund<br />

spricht sich die Monopolkommission gegen eine<br />

vollständige Harmonisierung der wirtschaftspolitischen<br />

Rahmenbedingungen innerhalb der EU aus. Sie würde<br />

den Systemwettbewerb eliminieren.<br />

3.2 Standortwettbewerb durch die Vergabe<br />

von (Ansiedlungs-)Beihilfen?<br />

940. Einige Autoren vertreten aufgrund der positiven<br />

Auswirkungen eines Systemwettbewerbs die Auffassung,<br />

dass die der EU-Kommission übertragene Beihilfenaufsicht<br />

– zumindest im Bereich von Neuansiedlungen – abgeschafft<br />

und es den Mitgliedstaaten und Regionen in der<br />

EU ermöglicht werden sollte, auch (Ansiedlungs-) Beihilfen<br />

als Wettbewerbsparameter einzusetzen. 46 Die Vergabe<br />

entsprechender Beihilfen könne dazu beitragen, dass Unternehmen<br />

bzw. Investoren effiziente Standortentscheidungen<br />

treffen. Politökonomisch sei davon auszugehen,<br />

dass politische Entscheidungsträger ein vehementes Interesse<br />

an Unternehmensansiedlungen in ihrer Jurisdiktion<br />

haben, um damit Arbeitsplätze zu schaffen und ihre Steuerbasis<br />

zu vergrößern. Auf der anderen Seite hätten mobile<br />

Unternehmen ein Interesse an möglichst günstigen<br />

Konditionen, die ein Standort anbiete und die es den Unternehmen<br />

erlaubten, zu möglichst geringen Kosten zu<br />

produzieren und Nachfrager zu beliefern. Die Vergabe<br />

von Beihilfen könne ein wirksames Instrument sein, die<br />

positiven Auswirkungen, welche die Unternehmensansiedlung<br />

in einer bestimmten Region insbesondere in<br />

Form von Agglomerationsvorteilen nach Einschätzung<br />

der Beihilfen vergebenden Stelle auslösen werde, zu berücksichtigen<br />

und zu internalisieren. Da die positiven<br />

Folgewirkungen unterschiedlich hoch ausfallen könnten,<br />

je nachdem welche Charakteristika das ansiedlungswillige<br />

Unternehmen und die betreffende Region aufwiesen,<br />

sei es effizient, dass Hoheitsträger Preisdifferenzierungen<br />

durch Beihilfen, verstanden als Rabatte auf Steuerzahlungen,<br />

durchführten. Im Standortwettbewerb könne sich die<br />

Region durchsetzen, für welche die betreffende Unternehmensansiedlung<br />

die meisten Vorteile verspreche.<br />

941. Ferner wird vorgebracht, dass manche Unternehmen<br />

im Falle einer Ansiedlung zwangsläufig langfristige<br />

standortspezifische Investitionen tätigen müssen, so z. B.<br />

Infrastrukturanbieter im Energie-, Transport- oder Telekommunikationsbereich.<br />

In diesen Fällen bestehe die Gefahr,<br />

dass der betreffende Hoheitsträger im Anschluss die<br />

Rahmenbedingungen – etwa in Form nachträglicher Steu-<br />

46 Ausführlich hierzu Gröteke, F., Europäische Beihilfenkontrolle und<br />

Standortwettbewerb – Eine ökonomische Analyse, Stuttgart 2007,<br />

S. 182 ff. Gegner dieses extremen Systemwettbewerbsansatzes sehen<br />

in der Vergabe von Beihilfen demgegenüber gerade einen potenziellen<br />

Auslöser für eine ineffiziente Allokation von Unternehmen auf<br />

die verschiedenen Standorte und erachten die europäische Beihilfenaufsicht<br />

als notwendige institutionelle Rahmenbedingung. Vgl. etwa<br />

Koenig, C., Kühling, J., Reform des EG-Beihilfenrechts aus der Perspektive<br />

des mitgliedstaatlichen Systemwettbewerbs – Zeit für eine<br />

Neuausrichtung?, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 10,<br />

1999, S. 517–523.

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