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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 349 – Drucksache 16/10140<br />

wäre denkbar, dass Arbeitnehmer keine Rücklagen für<br />

das Alter bilden, wenn sie davon ausgehen, dass sie nach<br />

dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben staatliche Transferzahlungen<br />

erhalten. Im skizzierten Fall wird ein mögliches<br />

Trittbrettfahrerverhalten durch die obligatorische<br />

Altersversicherung unterbunden. Für die Kranken- und<br />

die Pflegeversicherung ließen sich vergleichbare Argumentationen<br />

anführen. Auch eine gewisse Förderung von<br />

Kultur und Bildung lässt sich durch das Vorliegen positiver<br />

externer Effekte gegebenenfalls rechtfertigen.<br />

933. Im Zusammenhang mit einigen staatlich bereitgestellten<br />

oder subventionierten Gütern (z. B. Personennahverkehr,<br />

Gesundheitsvorsorge oder Rundfunk) wird auch<br />

der verwaltungsrechtliche Begriff der Daseinsvorsorge<br />

zur Begründung einer Beihilfenvergabe verwendet. 42 Unter<br />

Daseinsvorsorge werden alle staatlichen Maßnahmen<br />

subsumiert, welche die „Grundversorgung“ der Bevölkerung<br />

sicherstellen sollen. Im Gegensatz zu den Vertretern<br />

der Meritorik wird diese Bereitstellung nicht damit begründet,<br />

dass es aufgrund eines fehlerhaften Einschätzens<br />

des individuellen Nutzens zu einer ineffizienten Versorgung<br />

mit dem jeweiligen Gut kommt. Vielmehr geht es<br />

darum, dass der Markt das jeweilige Gut der öffentlichen<br />

Daseinsvorsorge nicht im politisch gewünschten Umfang<br />

bereitstellt. Dabei muss der politisch gewünschte Umfang<br />

nicht dem ökonomisch effizienten Umfang der Leistungserstellung<br />

entsprechen. Hiermit einhergehende ökonomische<br />

Effizienzverluste werden bewusst zugunsten anderer<br />

politischer Ziele in Kauf genommen. Die Monopolkommission<br />

sieht die Verfolgung dieser anderen Ziele als ein<br />

durchaus legitimes Vorgehen in einer Demokratie an. Jedoch<br />

sollte bei der Bereitstellung des politisch gewünschten<br />

Umfangs von Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge<br />

darauf geachtet werden, dass diese zu den<br />

geringsten volkswirtschaftlichen Kosten erfolgt, um unnötige<br />

Wettbewerbsverzerrungen und damit einhergehende<br />

Ineffizienzen zu vermeiden.<br />

934. Eine effiziente Bereitstellung von Gütern der öffentlichen<br />

Daseinsvorsorge kann durch wettbewerbskonforme<br />

Ausschreibungsverfahren erreicht werden. Diese<br />

sind so zu gestalten, dass das Unternehmen, welches das<br />

entsprechende Gut in gewünschter Qualität und Menge zu<br />

den geringsten Kosten bereitstellt, den Zuschlag erhält.<br />

Der Teil der Kosten, der nicht im marktlichen Prozess gedeckt<br />

ist, kann durch staatliche Zuschüsse kompensiert<br />

werden. Diese Zuschüsse werden – wie bereits bei der<br />

privaten Bereitstellung öffentlicher Güter erörtert – im<br />

EU-Recht nicht als Beihilfe im Sinne von Artikel 87<br />

Abs. 1 EGV qualifiziert, sofern sie innerhalb eines ordnungsgemäß<br />

durchgeführten temporären Ausschreibungsverfahrens<br />

vergeben werden. Eine wettbewerbskonforme<br />

Bereitstellung der politisch gewünschten Menge an<br />

Daseinsvorsorge kann damit sogar zu einer Erhöhung der<br />

öffentlichen und politischen Akzeptanz von ordnungspolitischen<br />

Reformen beitragen.<br />

42 Vgl. zur Daseinsvorsorge auch unten Abschnitt 5.3.4.<br />

2.3.3 Politökonomische Gründe<br />

935. Die obigen Ausführungen machen deutlich, dass<br />

Beihilfen einen Eingriff in den Marktmechanismus darstellen<br />

und so erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zur<br />

Folge haben können. In diesem Zusammenhang verursachen<br />

Beihilfen nicht unerhebliche volkswirtschaftliche<br />

Kosten. Da sie aus Steuermitteln gezahlt werden, stellen<br />

sie zunächst einen Einkommensentzug dar, der in selektiver<br />

Form an privilegierte Industriezweige bzw. Unternehmen<br />

ausgeschüttet wird. Zusätzlich entstehen durch die<br />

Vergabe von Beihilfen Bürokratiekosten sowie Transaktionskosten<br />

aufseiten der Unternehmen (z. B. für Beihilfenberatung,<br />

Antragstellung und Berichtspflichten).<br />

Insbesondere der Schutz einer stagnierenden Branche<br />

durch eine Erhaltungsbeihilfe entzieht einer Volkswirtschaft<br />

weitere Mittel. Darüber hinaus rufen Beihilfen<br />

unerwünschte Nebeneffekte, z. B. in Form von Preisverzerrungen,<br />

hervor, die weitere staatliche Unterstützungszahlungen<br />

zur Folge haben können.<br />

936. Trotz dieser bekannten Nachteile von Beihilfen ist<br />

in der politischen Realität zu beobachten, dass diese<br />

selbst dann gewährt werden, wenn sich andere Instrumente<br />

zur Erreichung bestimmter wettbewerblicher bzw.<br />

nichtwettbewerblicher Zwecke besser eignen. So weisen<br />

einmalige subjektbezogene direkte Transfers (z. B. Einmalzahlungen<br />

an die Beschäftigten im Bergbau) ein günstigeres<br />

volkswirtschaftliches Kosten-Nutzen-Verhältnis<br />

auf. Die ineffiziente Vergabe von Beihilfen ist auch darauf<br />

zurückzuführen, dass Beihilfen im politischen Prozess<br />

vergeben werden. Dabei verfolgen die verantwortlichen<br />

Akteure bei politischen Entscheidungen auch eigene<br />

Interessen. Bei Beihilfen ist die Gefahr eines eigennützigen<br />

Verhaltens der politischen Entscheidungsträger, das<br />

auf die persönliche Wiederwahl bzw. den Wahlerfolg der<br />

jeweiligen Partei gerichtet ist, besonders hoch. So kann<br />

durch kurzfristig angelegte populistische Maßnahmen der<br />

(falsche) Eindruck vermittelt werden, dass in einer Region<br />

infolge der Beihilfe Arbeitsplätze dauerhaft erhalten<br />

bzw. geschaffen werden. Eine Beihilfe, die als großer<br />

fühlbarer Betrag einer kleinen Gruppe (z. B. einem Unternehmen)<br />

gewährt wird, ist deutlich spürbar. Die große<br />

Gruppe der Steuerzahler finanziert diese Beihilfe hingegen<br />

durch vergleichsweise kleine, individuell kaum spürbare<br />

Beträge. Während die geringe Spürbarkeit aufseiten<br />

der Steuerzahler dazu führt, dass diese nicht aktiv werden,<br />

handeln die betroffenen Unternehmer und Arbeitnehmer<br />

zumeist öffentlichkeitswirksam und können damit<br />

zum Wahlerfolg eines Politikers bzw. einer Partei<br />

beitragen.<br />

3. Mögliche alternative Konzepte zu einer<br />

europäischen Beihilfenkontrolle<br />

3.1 Vollständige Harmonisierung der wirtschaftspolitischenRahmenbedingungen?<br />

937. Innergemeinschaftliche Wettbewerbsverzerrungen<br />

können nicht nur durch selektiv wirkende Beihilfen, sondern<br />

auch durch allgemeine wirtschaftspolitische Maßnahmen<br />

der Mitgliedstaaten hervorgerufen werden.

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