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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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Drucksache 16/10140 – 348 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />

nem erheblichen Prognoserisiko belastet und können daher<br />

die beabsichtigte Wirkung verfehlen.<br />

928. Auf nationaler Ebene war in den vergangenen Jahren<br />

eine gezielte Förderung von Großunternehmen, unter<br />

anderem durch selektive Steuervergünstigungen, zu beobachten.<br />

Die Intention der staatlichen Entscheidungsträger<br />

lag unter anderem darin, durch die Förderung dieser<br />

nationalen Champions ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />

zu stärken. Nach der Theorie der sog. strategischen<br />

Außenhandelspolitik kann eine aktive Industriepolitik bei<br />

Vorliegen erheblicher Größen- und Verbundvorteile dazu<br />

führen, dass das jeweilige inländische Unternehmen im<br />

Ausland mittel- bis langfristig Gewinne erzielt, die der eigenen<br />

Wirtschaft zugute kommen. 34<br />

929. Die Monopolkommission hat in der Vergangenheit<br />

bereits dargelegt, dass sie einer solchen Förderung nationaler<br />

Champions, wie sie in Deutschland etwa gegenwärtig<br />

im Bahn- und Postbereich zu beobachten ist, aus<br />

mehreren Gründen sehr kritisch gegenüber steht. 35 Sie bezweifelt,<br />

dass die Subventionierung der eigenen Industrie<br />

dem Beihilfen gewährenden Staat nützt und der Nutzen,<br />

der durch die (eventuell) im Ausland aufgrund der Förderung<br />

erzielbaren Gewinne entsteht, die Kosten der Vermachtung<br />

der Märkte für das Inland übersteigt. 36 Selbst<br />

die Anhänger der Theorie der strategischen Außenhandelspolitik<br />

gehen davon aus, dass in Konstellationen, in<br />

denen sämtliche Staaten Beihilfen gewähren, sich im Ergebnis<br />

alle schlechter stehen (sog. Gefangenendilemma 37 )<br />

und es zu ineffizienten Beihilfenwettläufen kommt (sog.<br />

Rattenrennen 38).<br />

2.3.2 Meritorische Güter und Daseinsvorsorge<br />

930. In vielen Fällen werden Beihilfen auch gewährt,<br />

um die Bereitstellung einer sozial gewünschten Menge an<br />

Gütern zu gewährleisten. Für Güter, die prinzipiell im<br />

Marktmechanismus bereitgestellt werden, bei denen diese<br />

Bereitstellung jedoch in einem als zu gering erachteten<br />

Umfang erfolgt, wurde in der finanzwissenschaftlichen<br />

Literatur der Begriff meritorische Güter geprägt. 39 Diesen<br />

zu geringen Umfang an meritorischen Gütern führen die<br />

Vertreter des Konzepts auf eine fehlerhafte Selbsteinschätzung<br />

des individuellen Nutzens der privaten Nachfrager<br />

zurück, die wiederum durch verzerrte Präferenzen,<br />

34 Vgl. Brander, J., Spencer, B., Export Subsidies and International<br />

Market Share Rivalry, Journal of International Economics 18, 1985,<br />

S. 83–100.<br />

35 Vgl. Monopolkommission, Wettbewerbspolitik im Schatten „Nationaler<br />

Champions“, Hauptgutachten 2002/2003, Baden-Baden 2005,<br />

Tz. 1 ff.<br />

36 Vgl. ebenda, Tz. 16.<br />

37 Das Gefangenendilemma kennzeichnet eine Situation, in der individuell<br />

rationales Verhalten der einzelnen Gruppenmitglieder zu einem<br />

für die Gruppe insgesamt schlechten Ergebnis fährt.<br />

38 Als Rattenrennen werden Wettbewerbsprozesse bezeichnet, in denen<br />

steigenden Aufwendungen keine entsprechenden insgesamt zu erwartenden<br />

Mehrerlöse gegenüberstehen und die somit durch eine<br />

Ressourcenverschwendung gekennzeichnet sind.<br />

39 Vgl. Musgrave, R. A., A Multiple Theory of Budget Determination,<br />

Finanzarchiv N. F. 17, 1956/1957, S. 333–343.<br />

fehlende oder falsche Informationen und irrationale Entscheidungen<br />

der Bürger hervorgerufen würden. Hieraus<br />

resultiere eine zu geringe Zahlungsbereitschaft und demnach<br />

eine zu geringe Nachfrage nach meritorischen Gütern.<br />

Um ökonomische Ineffizienzen zu vermeiden, die<br />

mit der charakterisierten „Fehlentwicklung“ einhergehen,<br />

komme den politischen Entscheidungsträgern die Aufgabe<br />

zu, die Bereitstellung meritorischer Güter z. B.<br />

durch staatliche Zuschüsse (Beihilfen) derart zu fördern,<br />

dass der von den Bürgern zu zahlende Preis bei der gesellschaftlich<br />

gewünschten Konsummenge ihrer „zu geringen<br />

Zahlungsbereitschaft“ entspricht. Als typische meritorische<br />

Güter werden von den Vertretern dieses<br />

Konzepts Bildung, Kultur, Gesundheits- und Altersvorsorge<br />

angesehen.<br />

931. Das Prinzip meritorischer Güter hat als ökonomisches<br />

Konzept heute kaum noch eine Bedeutung in der<br />

Wirtschaftstheorie, da es schon von seinem Grundansatz<br />

her problematisch ist. Zunächst ergibt sich das Problem,<br />

welches Gut als förderungswürdig zu klassifizieren ist<br />

(Identifikationsproblem). Dabei kommt es generell zu einer<br />

staatlichen Einmischung in individuelle Präferenzen<br />

der Bürger, wobei staatliche Entscheidungsträger auch<br />

den Grad der Einmischung (die zu konsumierende<br />

Menge) normativ festlegen müssen. Dies birgt ein erhebliches<br />

Fehler- und Konfliktpotenzial, da die Entscheidung<br />

eines Kollektivs – bzw. der von einem Kollektiv beauftragten<br />

Entscheidungsträger – über die des Individuums<br />

gestellt wird. 40 Zusätzlich besteht aufseiten der staatlichen<br />

Elite ein Informationsdefizit darüber, wie die Nachfrager<br />

auf die veränderten Preise reagieren. Unklar ist<br />

auch, woher staatliche Entscheidungsträger überhaupt Informationen<br />

über das optimale Ausmaß eines meritorischen<br />

Gutes haben sollen, wenn schon die Bürger ihre<br />

Präferenzen nicht kennen. Es bleibt im Dunkeln, woher<br />

diese höhere Einsicht kommen soll. Deshalb wird sich die<br />

politisch gewünschte Menge des meritorischen Gutes<br />

selbst im günstigsten Fall nur durch ein aufwendiges<br />

Trial-and-Error-Verfahren erreichen lassen. Vor diesem<br />

Hintergrund erscheint es mehr als fraglich, weite Bereiche<br />

staatlicher Politik, etwa die Gesundheits- und Altersvorsorge,<br />

mit dem Argument der Meritorik zu rechtfertigen.<br />

Letztlich handelt es sich hierbei stets um ein<br />

Werturteil, das bei der Abwägung zwischen individuellen<br />

und kollektiv gesetzten Präferenzen unvermeidlich ist.<br />

932. Für staatliche Beihilfen, die mit dem fraglichen<br />

Argument der Meritorik gerechtfertigt werden, sind teilweise<br />

auch alternative Begründungen denkbar. Unter der<br />

Annahme, dass der moderne Sozialstaat einen Menschen<br />

selbst dann unterstützt, wenn dieser sich in einer selbstverschuldeten<br />

Notlage befindet, lassen sich etwa bestimmte<br />

Versicherungspflichten auch als Mittel zur Verhinderung<br />

eines Trittbrettfahrerverhaltens ansehen. 41 So<br />

40 Unbestritten ist eine solche Argumentation lediglich in einigen wenigen<br />

Ausnahmefällen, in denen tatsächlich die Entscheidungskompetenz<br />

eines einzelnen Menschen als nicht gegeben angesehen werden<br />

kann (z. B. Kinder bis zu einem bestimmten Alter).<br />

41 Dieses Trittbrettfahrerverhalten kommt dadurch zustande, dass der<br />

Ausschluss bedürftiger Personen vom staatlichen Transfersystem<br />

nicht gewollt ist. Insofern käme es einem negativen externen Effekt<br />

gleich.

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