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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 347 – Drucksache 16/10140<br />

922. In der EU und den Mitgliedstaaten werden Beihilfen<br />

häufig als Instrument der sektoralen Strukturpolitik<br />

eingesetzt. Diese hat zum Ziel, die sich aus dem Strukturwandel<br />

vom landwirtschaftlichen (primären) und warenproduzierenden<br />

(sekundären) Sektor hin zum Dienstleistungssektor<br />

(tertiären Sektor) ergebenden Probleme<br />

sozialverträglich abzumildern. Die Notwendigkeit einer<br />

sektoralen Strukturpolitik wird in den zuvor skizzierten<br />

Flexibilitätsmängeln gesehen.<br />

923. Ökonomisch lassen sich als wirtschaftspolitisches<br />

Instrument der sektoralen Strukturpolitik unter bestimmten<br />

Voraussetzungen allenfalls Anpassungsbeihilfen<br />

(bzw. Umstrukturierungsbeihilfen im europäischen<br />

Recht) rechtfertigen. Anpassungsbeihilfen werden Unternehmen<br />

mit dem Ziel gewährt, den Anpassungsprozess<br />

an die gegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse zu vereinfachen.<br />

So wurden nach der Wiedervereinigung insbesondere<br />

landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften in<br />

den neuen Bundesländern mit Anpassungsbeihilfen gefördert.<br />

Durch die Beihilfen, die z. B. für die Anschaffung<br />

von modernen landwirtschaftlichen Geräten gezahlt<br />

wurden, sollte eine schnellere Annäherung an die marktwirtschaftlichen<br />

Bedingungen ermöglicht werden.<br />

924. Prinzipiell ist eine Anpassungsbeihilfe als Hilfe<br />

zur Selbsthilfe gedacht. Sie sollte nur so lange ausgezahlt<br />

werden, bis eine notwendige Anpassung an geänderte<br />

strukturelle Rahmenbedingungen vollzogen ist. Jedoch<br />

war in der Vergangenheit häufig zu beobachten, dass eine<br />

ursprünglich als kurzfristige Maßnahme gedachte Beihilfe<br />

aufgrund des politischen Drucks zu einer dauerhaften<br />

Begünstigung eines bestimmten Wirtschaftszweiges<br />

bzw. bestimmter Unternehmen wurde. Hierdurch blieben<br />

alte Strukturen erhalten und die ursprüngliche Intention,<br />

eine Beschleunigung der Anpassungsprozesse, wurde<br />

konterkariert. Eine dauerhafte Begünstigung stellt jedoch<br />

kein ursachenadäquates Instrument zur Beseitigung des<br />

fraglichen – durch Anpassungsmängel hervorgerufenen –<br />

Marktversagens dar. Vielmehr werden durch dauerhafte<br />

Begünstigungen, die den Charakter von Erhaltungssubventionen<br />

annehmen, andere wirtschaftspolitische Zwecke<br />

verfolgt.<br />

2.3 Außerökonomische Zwecke von<br />

Beihilfen<br />

2.3.1 Regional-, verteilungs-, beschäftigungs-<br />

und industriepolitische Zwecke<br />

925. Erhaltungssubventionen, im europäischen Recht<br />

auch Rettungsbeihilfen genannt, werden als strukturpolitisches<br />

Instrument eingesetzt, um wirtschaftliche, kulturelle<br />

und landeskulturelle Strukturen zu bewahren. Sie<br />

werden dabei z. B. in Form einer Ausgleichszulage in den<br />

Bereichen Landwirtschaft und Bergbau gewährt. Durch<br />

den Einsatz von Erhaltungsbeihilfen soll das Einkommen<br />

der Beschäftigten in dem vom Strukturwandel betroffenen<br />

Sektor (z. B. Steinkohlenbergbau) auf einem bestimmten,<br />

sozial gewünschten Niveau (verteilungspolitische<br />

Zielsetzung) gehalten und eine übermäßige<br />

Arbeitslosigkeit in den betroffenen Regionen vermieden<br />

werden (beschäftigungspolitische Zielsetzung). 31 Eine bekannte<br />

Form der Erhaltungssubventionen stellten auch<br />

die Preisstützungskäufe in der EU dar. 32<br />

926. Generell sind Beihilfen als strukturpolitisches Instrument,<br />

sowohl in Form einer Anpassungs- als auch in<br />

Form einer Erhaltungsbeihilfe, aufgrund ihrer fehlenden<br />

Zielgenauigkeit und der durch sie hervorgerufenen negativen<br />

Nebeneffekte kritisch zu sehen. Insbesondere Erhaltungsbeihilfen<br />

setzen falsche Preissignale auf den<br />

Produktmärkten und führen so zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen<br />

zugunsten der subventionierten Industrie.<br />

Ferner haben die hieraus resultierenden falschen<br />

Einkommenssignale zur Folge, dass Arbeitnehmer in<br />

nicht mehr zukunftsträchtigen Arbeitsverhältnissen verbleiben.<br />

Hierdurch wird der notwendige strukturelle Anpassungsprozess<br />

behindert, was weitere volkswirtschaftliche<br />

Effizienzverluste nach sich zieht. Andere<br />

Instrumente wie die Subjektförderung der Arbeitnehmer<br />

sind zur Erreichung beschäftigungs- und verteilungspolitischer<br />

Ziele besser geeignet. Durch eine gezielte Förderung<br />

der Arbeitnehmer in Altindustrien, z. B. in Form von<br />

Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, ließen<br />

sich die Ziele ohne die negativen Nebenwirkungen effizienter<br />

und nachhaltiger erreichen.<br />

927. Der Fokus der Regionalpolitik liegt auf der Verteilung<br />

des Produktionspotenzials und auf der infrastrukturellen<br />

Entwicklung der Räume innerhalb einer Volkswirtschaft.<br />

Das Ziel regionalpolitischer Maßnahmen ist die<br />

Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in einer Region.<br />

Vor diesem Hintergrund werden in strukturschwachen<br />

Gebieten, die durch eine hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet<br />

sind, unter anderem Ansiedlungsbeihilfen<br />

gewährt, um Unternehmen aus zukunftsträchtigen Branchen<br />

anzulocken und so die Arbeitsnachfrage zu erhöhen.<br />

Zusätzlich erhoffen sich die politischen Entscheidungsträger<br />

mit der Ansiedlung von Unternehmen auch weitere<br />

positive Auswirkungen wie Agglomerationsvorteile. 33<br />

Regionalpolitisch motivierte Beihilfen sind jedoch mit ei-<br />

31 Neben beschäftigungspolitischen und verteilungspolitischen Zielen<br />

wird für Subventionen in den Bereichen Kohlenbergbau und Landwirtschaft,<br />

die in der Vergangenheit in Deutschland eine herausragende<br />

Bedeutung einnahmen, insbesondere die Versorgungssicherheit<br />

eines Landes als Argument angeführt. Diese nationalstaatliche<br />

Betrachtungsweise verliert im europäischen Kontext an Bedeutung.<br />

32 Diese fanden insbesondere auf dem Agrarmarkt Anwendung, um bei<br />

gleichzeitiger Festlegung eines Mindestpreises ein bestimmtes Einkommen<br />

der Branche zu garantieren. Der Mindestpreis wurde dabei<br />

über dem markträumenden Gleichgewichtspreis angesetzt. Das hierdurch<br />

hervorgerufene überschüssige Angebot, das die Anbieter zu<br />

dem gegebenen Mindestpreis nicht am Markt absetzen konnten, wurde<br />

von den staatlichen Entscheidungsträgern zu dem zuvor festgelegten<br />

Interventionspreis aufgekauft und – sofern möglich – als Vorrat<br />

gelagert. Diese Lagerung führte zu den bekannten „Butter- und<br />

Schweinebergen“. Alternativ lässt sich die Preisstützung auch durch<br />

eine Beihilfenzahlung erreichen, die an eine Kapazitätsbeschränkung<br />

gekoppelt ist (z. B. Stilllegungsprämien).<br />

33 Beihilfen im Rahmen der Regionalpolitik können einen Wettbewerb<br />

unterschiedlicher Jurisdiktionen „um die Ansiedlung privater Unternehmen“<br />

hervorrufen, der in dynamischer Hinsicht zu Effizienzgewinnen<br />

führen kann. So ist es denkbar, dass sich von mehreren Leistungspaketen<br />

das effizienteste Leistungspaket durchsetzt – somit die<br />

Region, die der Unternehmensansiedlung den höchsten Wert beimisst.<br />

Auf diesen Punkt wird in Abschnitt 3 gesondert eingegangen.

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