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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 341 – Drucksache 16/10140<br />

Kapitel VI<br />

Der more economic approach in der europäischen Beihilfenkontrolle<br />

1. Einleitung<br />

1.1 Untersuchungsgegenstand<br />

886. Der Begriff des more economic approach – also eines<br />

stärker ökonomisch fundierten Ansatzes – ist in der<br />

öffentlichen Diskussion und wissenschaftlichen Auseinandersetzung<br />

zur europäischen Wettbewerbspolitik allgegenwärtig.<br />

Die Generaldirektion Wettbewerb der EU-<br />

Kommission verfolgt seit einigen Jahren das Ziel, das<br />

Wettbewerbsrecht unter Berufung auf einen more economic<br />

approach Schritt für Schritt neu auszurichten. In der<br />

ökonomischen und juristischen Fachwelt wird über diesen<br />

Ansatz, seine Ziele und Inhalte sehr kontrovers diskutiert.<br />

Im Zentrum des allgemeinen Interesses stehen bislang<br />

das europäische Kartellrecht1 (Artikel 81, 82 EGV<br />

sowie die europäische Fusionskontrollverordnung) und<br />

die Reformvorhaben der EU-Kommission in diesem Bereich.<br />

2 Die EU-Kartellrechtsbestimmungen, deren Adressat<br />

die im europäischen Binnenmarkt agierenden Unternehmen<br />

sind, bilden jedoch nicht den Gegenstand dieses<br />

Sonderkapitels. Vielmehr geht es um die mögliche Anwendung<br />

eines more economic approach auf dem Gebiet<br />

der EU-Beihilfenkontrolle (Artikel 87 ff. EGV). Diese<br />

bildet den zweiten Teil der europäischen Wettbewerbsregeln<br />

und richtet sich gegen Wettbewerbsbeschränkungen,<br />

die durch staatliche Hoheitsträger in Form einer Beihilfenvergabe<br />

verursacht werden. Die EU-Kommission<br />

möchte auch diesen Bereich durch eine stärkere ökonomische<br />

Ausrichtung grundlegend reformieren. 3 Die derzeitige<br />

Wettbewerbskommissarin Kroes misst der Reform<br />

des Beihilfenrechts erhebliche Bedeutung bei und bezeichnet<br />

diese sogar als „flagship project“ ihrer Amtszeit.<br />

4<br />

887. Der neue Ansatz im Beihilfenrecht ist nicht identisch<br />

mit den Methoden und Konzepten, welche die EU-<br />

Kommission im Zusammenhang mit dem more economic<br />

approach im EU-Kartellrecht anwendet. Das Beihilfenrecht<br />

ist zwar ebenso wie das EU-Kartellrecht auf<br />

den Schutz des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt<br />

1 Der Begriff „Kartellrecht“ wird in diesem Sonderkapitel weit ausgelegt<br />

und erfasst sämtliche unternehmensbezogenen Wettbewerbsbestimmungen<br />

unter Einschluss der Fusionskontrolle.<br />

2 Zurzeit insbesondere Aspekte der Missbrauchskontrolle, Artikel 82<br />

EGV.<br />

3 Die EU-Kommission verwendet im Zusammenhang mit der angestrebten<br />

Reform der Beihilfenkontrolle neben dem Begriff des more<br />

economic approach auch den Ausdruck „refined“ economic approach.<br />

4 Neelie Kroes, „European Competition Policy in a changing world<br />

and globalised economy: fundamentals, new objectives and challenges<br />

ahead“, SPEECH/07/364, GCLC/College of Europe Conference<br />

on „50 years of EC Competition Law“, Brussels, 5th June 2007.<br />

ausgerichtet. 5 Gleichwohl bestehen entscheidende Unterschiede.<br />

Die Verursacher möglicher Wettbewerbsbeschränkungen<br />

sind im Beihilfenrecht nicht Unternehmen<br />

und Marktteilnehmer, sondern staatliche<br />

Hoheitsträger. Ferner sind im Beihilfenrecht nicht nur<br />

ökonomische Ziele, sondern auch andere Zielsetzungen<br />

sozialer, verteilungspolitischer und kultureller Art von<br />

Bedeutung. Zudem ist die europäische Beihilfenkontrolle<br />

durch ein Transferschema gekennzeichnet. Die Zuwendungen<br />

stammen aus Steuern, die ihrerseits Wohlfahrtsverluste<br />

nach sich ziehen oder anders eingesetzt<br />

werden könnten (Opportunitätskosten).<br />

1.2 Beihilfen als besondere Form der<br />

Subvention<br />

1.2.1 Beihilfenbegriff<br />

888. Der Begriff „Beihilfen“ (engl.: state aid) wird im<br />

europäischen Recht für Subventionen verwendet, die unter<br />

den Anwendungsbereich des europäischen Beihilfenverbots<br />

in Artikel 87 Abs. 1 EGV fallen. 6 Hierin wird der<br />

Beihilfenbegriff wie folgt konkretisiert: „Soweit in diesem<br />

Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche<br />

oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen<br />

gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter<br />

Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb<br />

verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem<br />

Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel<br />

zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“<br />

Es müssen also fünf Voraussetzungen vorliegen, damit<br />

eine Maßnahme als Beihilfe zu qualifizieren ist und der<br />

europäischen Beihilfenkontrolle unterliegt:<br />

– Es handelt sich um eine „Begünstigung“, also einen<br />

wirtschaftlichen Vorteil für den Empfänger.<br />

5 Dies kommt bereits in der gesetzlichen Systematik zum Ausdruck.<br />

So gliedert sich das Kapitel „Wettbewerbsregeln“ des Titels VI des<br />

EG-Vertrages in „Abschnitt 1 – Vorschriften für Unternehmen“ und<br />

„Abschnitt 2 – Staatliche Beihilfen“. Während Abschnitt 1 die Artikel<br />

81 bis 86 EGV umfasst und die kartellrechtlichen Bestimmungen<br />

enthält, beinhaltet Abschnitt 2 die europäischen Beihilfenbestimmungen<br />

(Artikel 87 bis 89 EGV).<br />

6 Der Begriff der Beihilfe wird im Detail sehr unterschiedlich verwendet.<br />

So wird etwa in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des<br />

Statistischen Bundesamtes und daran anlehnend in der fiskalpolitischen<br />

Ökonomie ein enger Beihilfenbegriff zugrunde gelegt, der ausschließlich<br />

positive finanzielle Zuwendungen (Geldtransfers) an Unternehmen<br />

erfasst; vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches<br />

Jahrbuch 2007, S. 439; Brümmerhoff, D., Finanzwissenschaft, München<br />

2007, S. 17 ff. Demgegenüber ist beispielsweise das Kieler<br />

Institut für Weltwirtschaft der Auffassung, dass sämtliche Vorteile,<br />

welche die Allokation der gesamtwirtschaftlichen Ressourcen verzerren,<br />

als Beihilfen zu qualifizieren sind; vgl. Boss, A., Rosenschon, A.,<br />

Beihilfen in Deutschland: Eine Bestandsaufnahme, Kieler Arbeitspapiere<br />

Nr. 1267, Kiel 2006, S. 4 ff.

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