Deutscher Bundestag Unterrichtung
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Drucksache 16/10140 – 312 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />
nisses. Bei einer „ersten Analyse“, wie sie in den Leitlinien<br />
gefordert wird, bestehen zusätzliche Zweifel bezüglich<br />
des Aussagewerts eines solchen Prüfungsergebnisses.<br />
Jedenfalls sind dem Beurteilungsspielraum der Europäischen<br />
Kommission hier kaum noch Grenzen gesetzt. Zusätzlich<br />
fällt ins Gewicht, dass die Identifizierung von<br />
missbräuchlichen Verhaltensweisen nach den wettbewerbspolitischen<br />
Diskussionen der letzten Jahre, insbesondere<br />
dem Diskussionspapier der Europäischen Kommission<br />
zu Artikel 82 EGV von Dezember 2005,<br />
zunehmend unsicher wird. Warum sollten die Zusammenschlussparteien<br />
Sanktionen für Rechtsverstöße in Rechnung<br />
stellen, wenn sich nicht eindeutig voraussagen lässt,<br />
welches Verhalten ein Rechtsverstoß ist?<br />
792. In der Diskussion um die vorgelegten Nichthorizontal-Leitlinien<br />
war die Frage besonders umstritten, auf<br />
welche Weise die mit nichthorizontalen Fusionen verbundenen<br />
Effizienzgewinne in die Prüfung einbezogen werden<br />
sollten. Erwogen wurde einerseits ihre Berücksichtigung<br />
im Rahmen einer einheitlichen Gesamtanalyse, die<br />
sowohl die wettbewerbsbeschränkenden als auch die<br />
wettbewerbsfördernden Effekte umfassen sollte. Andererseits<br />
wurde ein Zwei-Stufen-Test – wie aus den Horizontal-Leitlinien<br />
bekannt – vorgeschlagen, bei dem zunächst<br />
die antikompetitiven Auswirkungen ermittelt und in einem<br />
zweiten Schritt den geltend gemachten Effizienzgewinnen<br />
nachgegangen werden sollte. Die Europäische<br />
Kommission hat sich in den Leitlinien für die letztere Alternative<br />
entschieden, indem sie im Hinblick auf die Behandlung<br />
von Effizienzen auf die entsprechenden Ausführungen<br />
in den Horizontal-Leitlinien verweist. 201<br />
Es ist allerdings festzustellen, dass die Europäische Kommission<br />
in ihrer Entscheidungspraxis einen anderen Weg<br />
einschlägt. Dies wird besonders deutlich, wenn man die<br />
Behandlung des Effizienzeinwands in den rein horizontalen<br />
Zusammenschlüssen Inco/Falconbridge und Ryanair/<br />
Aer Lingus mit der Behandlung von Effizienzen in dem<br />
Verfahren Metso/Aker Kvaerner vergleicht, in dem horizontale<br />
und konglomerate Auswirkungen zusammentreffen.<br />
202 In den beiden horizontalen Zusammenschlüssen,<br />
in denen die Effizienzgewinne im Wesentlichen aus Kosteneinsparungen<br />
resultieren, erfolgt eine zweistufige Prüfung:<br />
Nach der Feststellung der Wettbewerbsbeschränkung<br />
geht die Europäische Kommission der Frage nach,<br />
ob geltend gemachte Effizienzen quantifiziert wurden<br />
und fusionsspezifisch sind, ob sie wahrscheinlich an die<br />
Verbraucher weitergegeben werden und in ausreichender<br />
Weise belegt wurden. Die Berücksichtigung der Effizienzen<br />
scheitert in beiden Fällen unter anderem daran, dass<br />
die Europäische Kommission sie nicht als fusionsspezifisch<br />
ansieht. Außerdem mangelt es nach Ansicht der<br />
Europäischen Kommission teilweise an ausreichenden<br />
Belegen, insbesondere an im Vorhinein erstellten Studien<br />
zu den geltend gemachten Effizienzen. In dem Verfahren<br />
Metso/Aker Kvaerner, in dem Effizienzgewinne aus der<br />
Erweiterung des Portfolios folgen, stellt die Wettbewerbs-<br />
201 Nichthorizontal-Leitlinien, Rn. 53.<br />
202 Vgl. Tz. 734 ff., 737 ff. und 724 ff.<br />
behörde wesentlich niedrigere Anforderungen an die Voraussetzungen<br />
und den Nachweis der geltend gemachten<br />
Effizienzen. Die Wettbewerbsbehörde lässt als Nachweis<br />
der positiven Wettbewerbseffekte im Wesentlichen die<br />
Antworten einiger Marktteilnehmer im Rahmen der<br />
Marktuntersuchung genügen, die ein Angebot aus einer<br />
Hand als vorteilhaft ansehen. Dieses Vorgehen ist insoweit<br />
verständlich, als die Vorteile aus einer Portfolio-Erweiterung<br />
– anders als solche aus Kosteneinsparungen –<br />
den Abnehmern direkt zugute kommen. Außerdem haben<br />
die Nachfrager – im Unterschied zu den Zusammenschlussparteien<br />
– keine Anreize, die positiven Wirkungen<br />
eines Zusammenschlusses zu übertreiben. Die Europäische<br />
Kommission geht des Weiteren nicht auf die Frage<br />
ein, ob die geltend gemachten Effizienzvorteile fusionsspezifisch<br />
sind oder auch auf anderem Weg hätten erzielt<br />
werden können. Darüber hinaus werden die horizontalen,<br />
wettbewerbsbeschränkenden und die konglomeraten,<br />
wettbewerbsfördernden Effekte in einer einheitlichen Gesamtanalyse<br />
untersucht. Bei der Abwägung der gegenläufigen<br />
Effekte kommt die Europäische Kommission indes<br />
zu dem Schluss, dass die positiven Effekte des Zusammenschlusses<br />
seine negativen Auswirkungen nicht überwiegen.<br />
Unabhängig von den oben geäußerten inhaltlichen Bedenken<br />
gegen eine rein verhaltensbezogene Fusionskontrolle<br />
bei nichthorizontalen Zusammenschlüssen ist zu<br />
konstatieren, dass die Entscheidungspraxis und die<br />
Nichthorizontal-Leitlinien der Europäischen Kommission<br />
in Bezug auf die Berücksichtigung von Effizienzen auseinanderfallen.<br />
Dies lässt zwei Interpretationsmöglichkeiten<br />
zu: (1) Da die Entscheidung Metso/Aker Kvaerner bereits<br />
im Dezember 2006 erlassen worden ist, hat die<br />
Europäische Kommission zwischenzeitlich ihre Auffassung<br />
geändert und wird künftig auch in nichthorizontalen<br />
Zusammenschlüssen einen zweistufigen Test anwenden,<br />
der eine Prüfung sämtlicher in den Horizontal-Leitlinien<br />
vorgesehenen Voraussetzungen umfasst. (2) Die Horizontal-Leitlinien<br />
stehen in einem gewissen Widerspruch<br />
– auch – zur künftigen Vorgehensweise in der fusionskontrollrechtlichen<br />
Praxis. Jedenfalls im letzteren Fall würden<br />
die veröffentlichten Leitlinien ihrem Zweck nicht<br />
gerecht, die Entscheidungsgrundsätze der Europäischen<br />
Kommission für betroffene Unternehmen deutlich und<br />
vorhersehbar zu machen.<br />
793. Keinen Aufschluss geben die Leitlinien schließlich<br />
über die essenzielle Frage, wie eine Abwägung von wettbewerbsbeschränkenden<br />
Effekten und wettbewerbsfördernden<br />
Auswirkungen im Einzelfall erfolgen soll. Diese<br />
Frage betrifft zum einen rein horizontale Fälle, in denen<br />
zwischen wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen auf<br />
der einen Seite und wettbewerbsfördernden Effizienzgewinnen<br />
auf der anderen Seite abzuwägen ist. In allgemeinerer<br />
Form betrifft sie jedoch sämtliche Fälle, in denen<br />
horizontale Effekte mit vertikalen und/oder konglomeraten<br />
Effekten zusammentreffen. Die Monopolkommission<br />
hält prinzipielle Ausführungen der Europäischen Kommission<br />
zu diesem Aspekt für wünschenswert. Im Übrigen<br />
bleibt abzuwarten, wie die Europäische Kommission<br />
künftig in Einzelfällen vorgehen wird.