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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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Drucksache 16/10140 – 306 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />

tung der Ermessensgrenzen zu einer Schadensersatzpflicht.<br />

Dem Einwand der Europäischen Kommission, sie<br />

könne ihre Aufgabe als Wettbewerbshüterin nicht mehr<br />

erfüllen, wenn sie Schadensersatzansprüche der betroffenen<br />

Unternehmen befürchten müsse, begegnet das Gericht<br />

mit der Feststellung, dass der Begriff des qualifizierten<br />

Verstoßes nicht sämtliche Fehler erfasse. Eine<br />

außervertragliche Haftung entstehe dann nicht, wenn der<br />

Rechtsverstoß mit den objektiven Zwängen der fusionskontrollrechtlichen<br />

Vorschriften erklärt werden könne.<br />

Eine solche Definition der Schwelle für die außervertragliche<br />

Haftung der Gemeinschaft schütze den Handlungsspielraum<br />

und die Beurteilungsfreiheit, über die die Europäische<br />

Kommission im allgemeinen Interesse bei<br />

Ermessensentscheidungen sowie bei ihrer Würdigung<br />

und Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des<br />

Gemeinschaftsrechts verfügen müsse, ohne deswegen<br />

Dritten die Folgen klarer und unentschuldbarer Verstöße<br />

aufzubürden.<br />

Das EuG bejaht einen hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß<br />

lediglich mit Hinblick auf die Verletzung der Verteidigungsrechte<br />

nach Artikel 18 FKVO. Diese Verletzung<br />

könne durch die „besonderen objektiven Zwänge“,<br />

denen die Europäische Kommission unterliege, weder gerechtfertigt<br />

noch erklärt werden. Zum Umfang des zu ersetzenden<br />

Schadens erklärt das Gericht, dass Schneider<br />

Ersatz für zwei Schäden erhalten müsse. Der erste Schaden<br />

bestehe in den Kosten, die Schneider aufwenden<br />

musste, um sich an der Wiederaufnahme des Fusionskontrollverfahrens<br />

nach dem Nichtigkeitsurteil des EuG zu<br />

beteiligen. Der zweite Schaden resultiere aus der Reduzierung<br />

des Veräußerungspreises, die Schneider dem<br />

Käufer-Konsortium einräumen musste, um die Wirkungen<br />

der Veräußerung zu verschieben. Dieser Schaden sei<br />

allerdings nur zu zwei Drittel zu ersetzen, da nach Auffassung<br />

des Gerichts Schneider selbst zur Schädigung<br />

beigetragen habe. Das Unternehmen sei das Risiko eingegangen,<br />

dass der Zusammenschluss im Nachhinein für<br />

unvereinbar erklärt werde und die erworbenen Anteile an<br />

Legrand möglicherweise wieder verkauft werden müssten,<br />

obwohl es ihm nicht verborgen geblieben sein könne,<br />

dass die durchgeführte Fusion zumindest in einem wesentlichen<br />

Teil des Gemeinsamen Marktes eine beherrschende<br />

Stellung zu begründen oder zu verstärken drohte.<br />

Die Parteien haben dem Gericht die Höhe des ersten<br />

Schadens in einer Frist von drei Monaten mitzuteilen. Die<br />

Höhe des zweiten Schadens ist durch ein Gutachten zu ermitteln.<br />

Den Ersatz weiterer Schäden verweigert das Gericht mit<br />

dem Hinweis darauf, dass auch ohne den festgestellten<br />

Fehler kein Anspruch auf eine Freigabe des Zusammenschlusses<br />

bestanden habe. Denn die wirtschaftliche Analyse<br />

der betroffenen Märkte seitens der Europäischen<br />

Kommission sei durch das Urteil vom 22. Oktober 2002<br />

nicht für ungültig erklärt worden. Da es daher an einem<br />

hinreichend engen Kausalzusammenhang zwischen Verletzungshandlung<br />

und Schaden fehle, könne der Gemeinschaft<br />

nicht der gesamte erlittene Wertverlust zugerechnet<br />

werden.<br />

772. Das vorliegende Urteil entfaltet grundlegende Bedeutung,<br />

weil sich das Gericht zum ersten Mal zu Schadensersatzansprüchen<br />

in Fusionskontrollverfahren äußert.<br />

Das EuG bemüht sich offensichtlich, zwischen dem Beurteilungs-<br />

und Ermessensspielraum der Europäischen<br />

Kommission auf der einen Seite und den Rechten der betroffenen<br />

Unternehmen auf der anderen Seite zu vermitteln.<br />

Dies wird unter anderem daran deutlich, dass an<br />

mehreren Stellen der Entscheidung der weite Beurteilungsspielraum<br />

der Europäischen Kommission und der<br />

Prognosecharakter der Entscheidungen bestätigt werden.<br />

Schadensersatz wird daher nur bei offenkundigen und<br />

schweren Rechtsverletzungen zugebilligt. Allerdings<br />

macht das Gericht auch deutlich, dass schwerwiegende<br />

Fehler bei Fusionskontrollentscheidungen Konsequenzen<br />

nach sich ziehen können. Das EuG führt damit die Linie<br />

weiter, die bereits in seinen Urteilen zu Untersagungsentscheidungen<br />

aus dem Jahr 2002 sichtbar wurde.<br />

Daneben konkretisiert das Gericht die Voraussetzungen<br />

für eine Amtshaftung der Europäischen Gemeinschaft bei<br />

rechtswidriger Untersagung eines Zusammenschlusses.<br />

Dies betrifft insbesondere die Frage, unter welchen Voraussetzungen<br />

eine hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung<br />

und ein hinreichend enger Kausalzusammenhang<br />

gegeben sind. Bei der Feststellung eines hinreichend qualifizierten<br />

Verstoßes betont das Gericht formale Aspekte.<br />

Auf diese Weise stärkt es die Verteidigungsrechte der betroffenen<br />

Unternehmen und sichert ein faires Verfahren.<br />

Die Betonung formaler Aspekte dürfte auch damit zusammenhängen,<br />

dass entsprechende Fehler leichter nachzuweisen<br />

sind und Beurteilungsspielräume insoweit keine<br />

Rolle spielen. Es ist davon auszugehen, dass die Europäische<br />

Kommission künftig besonders genau und sorgfältig<br />

darauf achten wird, dass sämtliche Verfahrensrechte eingehalten<br />

worden sind.<br />

Soweit Fehler bei der ökonomischen Analyse betroffen<br />

sind, schließt das EuG eine Schadensersatzpflicht zwar<br />

nicht prinzipiell aus. Es unterstreicht jedoch mehrmals<br />

die Komplexität und den Prognosecharakter der Beurteilung,<br />

die einen weiten Spielraum der Europäischen Kommission<br />

erfordern. Außerdem erklärt das Gericht, dass ein<br />

hinreichend enger Kausalzusammenhang stets dann fehle,<br />

wenn auch bei korrektem Vorgehen nicht nur eine Freigabeentscheidung<br />

denkbar gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund<br />

dürfte eine Schadensersatzpflicht aufgrund materieller<br />

Beurteilungsfehler auf wenige Ausnahmefälle<br />

beschränkt bleiben.<br />

773. Weiteren Aufschluss, unter welchen Voraussetzungen<br />

auch materielle Beurteilungsfehler zu Schadensersatzforderungen<br />

berechtigen, wird möglicherweise das<br />

noch ausstehende Urteil im Schadensersatzprozess My<br />

Travel/Kommission geben. Darüber hinaus hat die Europäische<br />

Kommission am 24. September 2007 Rechtsmittel<br />

gegen das Urteil Schneider Electric/Kommission eingelegt.<br />

Die Europäische Kommission bestreitet darin<br />

unter anderem das Vorliegen eines hinreichend qualifizierten<br />

Verstoßes sowie die Kausalität zwischen dem<br />

Rechtsverstoß und dem eingetretenen Schaden. Es bleibt

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