Deutscher Bundestag Unterrichtung
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 291 – Drucksache 16/10140<br />
ein. Das Gericht konstatiert, dass die Wettbewerbsbehörde<br />
ihre Feststellungen hierzu nicht ausreichend begründet<br />
und bei der Beurteilung offensichtliche Fehler<br />
begangen hat. Nach Ansicht des Gerichts hat die Europäische<br />
Kommission beispielsweise nicht in rechtlich hinreichender<br />
Weise begründet, dass die Markttransparenz vor<br />
dem Zusammenschluss zu gering war, um eine gemeinsame<br />
beherrschende Position der fünf führenden Unternehmen<br />
zu ermöglichen. Das Gericht stellt weiter fest,<br />
dass die Schlussfolgerungen der Kommission zur fehlenden<br />
Markttransparenz zum Teil nicht nachvollziehbar<br />
oder sogar widersprüchlich seien. Die behördliche Einschätzung<br />
sei um so weniger überzeugend, als alle weiteren<br />
genannten Faktoren auf das Vorliegen ausreichender<br />
Transparenz hindeuteten.<br />
Darüber hinaus durfte die Europäische Kommission nach<br />
Überzeugung des Gerichts nicht auf das Fehlen von Vergeltungsmaßnahmen<br />
in der Vergangenheit abstellen, um<br />
daraus den Schluss zu ziehen, es habe vor dem Zusammenschluss<br />
keine gemeinsame Marktbeherrschung vorgelegen.<br />
Nach der Rechtsprechung genüge nämlich<br />
bereits die bloße Existenz wirksamer Abschreckungsmechanismen,<br />
die tatsächliche Durchführung von Vergeltungsmaßnahmen<br />
sei keine Voraussetzung für die Feststellung<br />
einer kollektiven Marktbeherrschung. Der<br />
Ansicht der Europäischen Kommission sei auch deshalb<br />
nicht zu folgen, weil sowohl aus der Kommissionsentscheidung<br />
selbst als auch aus den Akten offensichtlich<br />
werde, dass glaubwürdige und wirksame Abschreckungsmittel<br />
existiert hätten. Die Monopolkommission begrüßt<br />
die vom Gericht vertretene Auffassung, wonach die Möglichkeit<br />
zu Vergeltungsmaßnahmen ausreicht. Die Möglichkeit<br />
darf allerdings nicht nur theoretisch existieren,<br />
sondern muss eine realistische Option für die Marktteilnehmer<br />
darstellen. Dieses Erfordernis findet sich in dem<br />
vom Gericht verwendeten Begriff der „wirksamen“ Abschreckungsmechanismen<br />
wieder.<br />
721. In Bezug auf die Begründung einer kollektiven<br />
Marktbeherrschung durch die Fusion kritisiert das Gericht<br />
die äußerst knappe und oberflächliche Prüfung<br />
durch die Wettbewerbsbehörde. Als wesentlichen Fehler<br />
sieht es das Gericht an, dass die Europäische Kommission<br />
bei dem Kriterium der Vergeltungsmaßnahmen auf die<br />
Vergangenheit abgestellt hat. Anders als bei der Frage der<br />
Verstärkung bestehender Marktbeherrschung, wo ein vergangenes<br />
Verhalten der Marktteilnehmer gewisse Rückschlüsse<br />
auf das Vorliegen dominierender Positionen zulasse,<br />
sei dies bei der Frage der Entstehung von<br />
Marktbeherrschung nicht möglich. Hier sei gar nicht davon<br />
auszugehen, dass bereits in der Vergangenheit eine<br />
Koordinierung und in der Folge davon Vergeltungsmaßnahmen<br />
durchgeführt worden seien. Eine entsprechende<br />
Prüfung seitens der Wettbewerbsbehörde gehe daher völlig<br />
an der Sache vorbei.<br />
722. Hinsichtlich der Beweisanforderungen ergibt sich<br />
aus dem dargestellten Urteil, dass das Gericht für den<br />
Nachweis der Verstärkung einer gemeinsamen Marktbeherrschung<br />
auf einen direkten Beweis für Markttransparenz<br />
verzichtet. Vielmehr lässt es gewisse Indizien genü-<br />
gen, die aus in der Vergangenheit liegenden Umständen<br />
abgeleitet werden können. Im vorliegenden Fall reicht<br />
nach Ansicht des Gerichts die von der Europäischen<br />
Kommission festgestellte Preisparallelität in der Vergangenheit<br />
aus, jedenfalls vor dem Hintergrund stabiler<br />
Preise trotz rückläufiger Nachfrage. Möglicherweise reagiert<br />
das EuG mit dieser Einschätzung auf die Kritik an<br />
seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Beweisanforderungen<br />
bei kollektiver Marktbeherrschung. Für diese Interpretation<br />
spricht, dass das Gericht seine Überlegungen<br />
zum Beweismaßstab im Rahmen eines obiter dictum erläutert,<br />
also Ausführungen allgemeiner Natur macht, die<br />
für das vorliegende Urteil nicht entscheidungserheblich<br />
sind. Nach den Gerichtsentscheidungen im Jahr 2002 war<br />
von verschiedenen Seiten die Auffassung vertreten worden,<br />
die von der Rechtsprechung aufgestellten Beweisanforderungen<br />
seien in der Praxis kaum noch zu erfüllen<br />
und Untersagungen aufgrund oligopolistischer Marktbeherrschung<br />
daher nicht mehr möglich. Mit der jetzigen<br />
Klarstellung erleichtert das Gericht jedenfalls theoretisch<br />
die Nachweispflicht seitens der Wettbewerbsbehörde für<br />
den Fall der Verstärkung einer gemeinsamen beherrschenden<br />
Position. Ob das Urteil allerdings auch in der<br />
Praxis zu einer wesentlichen Erleichterung führen wird,<br />
bleibt abzuwarten. Bei näherer Betrachtung dürften nämlich<br />
auch die Voraussetzungen für eine Beweisführung<br />
auf der Basis der genannten Indizien nicht einfach zu erfüllen<br />
sein. Dies gilt vor allem für die vom Gericht erwähnten<br />
„Preise oberhalb des Wettbewerbsniveaus“ und<br />
für das „Fehlen sonstiger vernünftiger Erklärungen für<br />
eine festgestellte Preisparallelität“. Insbesondere die<br />
Frage, ob Preise oberhalb des Wettbewerbsniveaus liegen,<br />
ist nur äußerst schwierig zu beantworten und könnte<br />
die Wettbewerbsbehörde zu Zirkelschlüssen verleiten. Allerdings<br />
ist dem Gericht darin zuzustimmen, dass das<br />
Vorliegen von Preisparallelität alleine keinen ausreichenden<br />
Beleg für eine gemeinsame Marktbeherrschung darstellt.<br />
Die Europäische Kommission muss daher in den<br />
kommenden Verfahren herausfinden, welchen Raum das<br />
Gericht ihr bei der Bewertung von gemeinsamer Marktbeherrschung<br />
konkret zubilligt.<br />
723. Obwohl das Urteil ausschließlich von kollektiver<br />
Marktbeherrschung spricht, dürfte es auch für Zusammenschlussfälle<br />
mit koordinierten Effekten, die zu einer<br />
erheblichen Beeinträchtigung wirksamen Wettbewerbs<br />
führen, relevant werden. Die gegenständliche Beschränkung<br />
des Urteils auf den Begriff der kollektiven Marktbeherrschung<br />
resultiert wahrscheinlich daraus, dass die zugrunde<br />
liegende Kommissionsentscheidung ebenfalls auf<br />
dem Kriterium der kollektiven Marktbeherrschung basiert.<br />
Der SIEC-Test war zum Zeitpunkt des behördlichen<br />
Verfahrens noch nicht anwendbar. Für die künftige Relevanz<br />
des Urteils spricht zum einen, dass nach den Horizontal-Leitlinien<br />
dieselben Kriterien für die Prüfung von<br />
koordinierten Wirkungen gelten, wie sie für die gemeinsame<br />
Marktbeherrschung von der Rechtsprechung aufgestellt<br />
worden sind. Diese Kriterien sind ein hohes Maß an<br />
Transparenz, die Existenz von Abschreckungsmechanismen<br />
und ein Mangel an Reaktionsmöglichkeiten von Außenseitern.<br />
Zum anderen unterscheiden die Leitlinien –