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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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Drucksache 16/10140 – 288 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />

gen eine wichtige Rolle. Positiv zu beurteilen ist hierbei,<br />

dass die Europäische Kommission bei der Untersuchung<br />

des Kapazitätsaspekts weitere Kriterien berücksichtigt.<br />

Hiernach reichen freie Kapazitäten alleine nicht aus, um<br />

Wettbewerbsdruck auf die Zusammenschlussparteien<br />

auszuüben. Sie können beispielsweise nicht nutzbar gemacht<br />

werden, wenn Wettbewerbern das notwendige<br />

Know-how oder die erforderlichen Rohstoffe fehlen. Als<br />

problematisch kann es sich daneben erweisen, wenn langfristige<br />

Kundenbeziehungen existieren, Zweifel an Qualität<br />

und Zuverlässigkeit der Wettbewerber bestehen oder<br />

langwierige und teure Zertifizierungsverfahren durchzuführen<br />

sind. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass<br />

Produktionsmöglichkeiten gegebenenfalls, z. B. wegen<br />

Notfällen, Wartungsmaßnahmen etc., nicht vollständig<br />

ausgelastet werden können.<br />

Neben die Existenz freier oder erweiterungsfähiger Kapazitäten<br />

muss als weitere Voraussetzung die Profitabilität<br />

einer Absatzsteigerung durch die Wettbewerber treten.<br />

Diesem Aspekt ist die Europäische Kommission in den<br />

Fällen Glatfelder/Crompton und T-Mobile Austria/<br />

Tele.ring nachgegangen. Im erstgenannten Verfahren untersucht<br />

die Wettbewerbsbehörde ausführlich die Kostensituation<br />

in dem asiatischen Werk des Wettbewerbers<br />

Purico. Sie kommt zu dem Schluss, dass die dort anfallenden<br />

Arbeits- und Energiekosten wesentlich geringer<br />

sind als in anderen Werken und dieser Kostenvorteil auch<br />

durch Transportkosten und Zölle nicht aufgehoben wird.<br />

In dem Verfahren T-Mobile Austria/Tele.ring setzt sich<br />

die Europäische Kommission intensiv mit den Anreizen<br />

der Wettbewerber auseinander, neue Kunden zu gewinnen,<br />

und sieht derartige Anreize als gering an.<br />

710. Nach Auffassung der Monopolkommission bleiben<br />

die Horizontal-Leitlinien allerdings relativ allgemein und<br />

können nur erste Anhaltspunkte für die Beurteilung von<br />

Kapazitätsaspekten geben. Unklar ist insbesondere, unter<br />

welchen Voraussetzungen von „erheblichen Umstellungskosten“<br />

und „ausreichenden“ Kapazitäten ausgegangen<br />

werden kann. Wie die oben skizzierten Entscheidungen<br />

zeigen, ist insoweit eine Gesamtbetrachtung des jeweiligen<br />

Einzelfalls maßgeblich. Bei Glatfelder/Crompton<br />

wird eine Kapazitätssteigerung von 15 bis 20 Prozent als<br />

ausreichend angesehen. In T-Mobile Austria/Tele.ring<br />

hält die Wettbewerbsbehörde – unter den besonderen<br />

Umständen des Einzelfalls – freie Kapazitäten in Höhe<br />

von 10 Prozent nicht für ausreichend.<br />

Einen gewissen Aufschluss zu dieser Frage gibt das Urteil<br />

des EuG in dem Verfahren Sun Chemical/Kommission. 166<br />

Dem Verfahren liegt eine Drittklage von Abnehmern gegen<br />

die bedingungslose Freigabeentscheidung der Europäischen<br />

Kommission in dem Zusammenschlussfall<br />

Apollo/Akzo Nobel IAR zugrunde. Von dem Zusammenschluss<br />

waren verschiedene Märkte für Harze für die<br />

Druckfarbenherstellung betroffen. Neben der Ermittlung<br />

der Marktanteilsverteilung war die Europäische Kommission<br />

insbesondere der Frage nachgegangen, ob Wettbe-<br />

166 EuG, Urteil vom 9. Juli 2007, Rs. T-282/06, Sun Chemical/Kommission,<br />

Rn. 163 ff.<br />

werber über ausreichende Produktionskapazitäten verfügten,<br />

um wechselwillige Kunden im Falle eines nicht<br />

koordinierten Preisanstiegs beliefern zu können. Die<br />

Wettbewerbsbehörde hatte ermittelt, dass ein Teil der<br />

Wettbewerber freie Kapazitäten in einer Größenordnung<br />

von mindestens 19,5 Prozent der gesamten Marktproduktion<br />

vorhielt. Unter Einbeziehung weiterer Konkurrenten<br />

könnten – nach Schätzungen der Europäischen Kommission<br />

– sogar überschüssige Kapazitäten bis zu 41 Prozent<br />

der Marktproduktion bestehen. Daraus und aus dem Umstand,<br />

dass die Wettbewerber über das nötige Know-how<br />

verfügten, hatte die Europäische Kommission gefolgert,<br />

dass eine einseitige Preiserhöhung seitens der Zusammenschlussparteien<br />

unwahrscheinlich sei.<br />

Das Gericht verneint einen offensichtlichen Beurteilungsfehler<br />

der Europäischen Kommission in Bezug auf die<br />

Feststellung überschüssiger Kapazitäten. Das EuG hält es<br />

insbesondere nicht für nötig, dass sämtliche Kunden der<br />

Zusammenschlussparteien ihre Bestellungen auf andere<br />

Lieferanten übertragen können, damit das fusionierte Unternehmen<br />

von einem eventuellen wettbewerbswidrigen<br />

Verhalten abgehalten wird. Vielmehr könne schon die<br />

Möglichkeit, dass die Klägerinnen einen erheblichen Teil<br />

ihrer Nachfrage bei anderen Lieferanten decken, als Bedrohung<br />

des fusionierten Unternehmens mit hinreichend<br />

bedeutenden Verlusten angesehen werden. Diese sei geeignet,<br />

die neue Unternehmenseinheit von einer Preiserhöhungsstrategie<br />

abzuhalten. Außerdem erinnert das Gericht<br />

daran, dass ein bestimmter Teil der Lieferanten<br />

insgesamt einen Marktanteil von ungefähr 21 Prozent und<br />

überschüssige Kapazitäten in bedeutendem Umfang hält.<br />

Daher ist die Europäische Kommission nach Auffassung<br />

des Gerichts zu Recht davon ausgegangen, dass die Wettbewerber<br />

auf dem Markt in der Lage seien, einem wettbewerbswidrigen<br />

Verhalten der Parteien entgegenzutreten<br />

und deren Großkunden zu beliefern.<br />

711. Aus diesen Ausführungen ergeben sich zwei Feststellungen<br />

von genereller Bedeutung. Zum einen fordert<br />

das Gericht überschüssige Kapazitäten in bedeutendem<br />

Umfang, damit von ausreichendem Wettbewerbsdruck<br />

auf die Zusammenschlussparteien ausgegangen werden<br />

kann. Zum zweiten ist es nach Ansicht des Gerichts nicht<br />

erforderlich, dass freie Kapazitäten in einem Umfang<br />

existieren, der jedem Kunden einen Anbieterwechsel für<br />

seine gesamte Einkaufsmenge ermöglicht. Unter den besonderen<br />

Umständen des vorliegenden Falls hielt das Gericht<br />

freie Kapazitäten von knapp 20 Prozent der Gesamtproduktion<br />

für ausreichend. In anderen Fällen kann<br />

allerdings eine höhere oder niedrigere Quote erforderlich<br />

sein bzw. ausreichen.<br />

Das Gericht äußert sich ferner zu den von der Klägerin<br />

vorgebrachten Argumenten, einem Lieferantenwechsel<br />

stünden lange Vertragslaufzeiten und komplexe Qualifizierungsverfahren<br />

entgegen. Nach den Erkenntnissen des<br />

Gerichts werden die Lieferverträge im vorliegenden Fall<br />

im Allgemeinen für einen Zeitraum zwischen drei Monaten<br />

und drei Jahren abgeschlossen, wobei die mehrjährigen<br />

Verträge jährlich neu verhandelt werden. Angesichts<br />

solch unterschiedlicher Vertragslaufzeiten könnten even-

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