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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 285 – Drucksache 16/10140<br />

thodik und Datenbasis zurückzuweisen und bei der Entscheidungsfindung<br />

unberücksichtigt zu lassen.<br />

3.4.2.2 „Theories of harm“<br />

698. In dem Verfahren Travelport/Worldspan beschränkt<br />

sich die Europäische Kommission nicht darauf,<br />

einzelne Aspekte des Zusammenschlusses mit Hilfe ökonomischer<br />

Analysen zu untersuchen. 161 Vielmehr wird die<br />

wettbewerbliche Beurteilung insgesamt stärker ökonomisch<br />

ausgerichtet. Zwar bleibt es bei einer getrennten<br />

Würdigung der Marktabgrenzung einerseits und der weiteren<br />

wettbewerblichen Würdigung andererseits. Die<br />

Europäische Kommission berücksichtigt auch weiterhin<br />

die Marktanteile der Parteien und ihrer Wettbewerber.<br />

Neu ist aber, dass die Wettbewerbsbehörde die nicht<br />

koordinierten Effekte des Zusammenschlusses anhand<br />

von drei möglicherweise wettbewerbsschädlichen Szenarien,<br />

sog. „theories of harm“, untersucht.<br />

699. Die Parteien betreiben elektronische Distributionssysteme<br />

für Reiseleistungen (GDS), indem sie den<br />

Reisebüros die Angebote von Reiseanbietern wie Fluggesellschaften,<br />

Hotels und Autovermietern gebündelt zur<br />

Verfügung stellen. Die Reisebüros haben so die Möglichkeit<br />

zu umfassenden Preis- und Konditionenvergleichen<br />

sowie Reservierungen und Buchungen. Nach Auffassung<br />

der Europäischen Kommission kann es durch den Zusammenschluss<br />

zu drei verschiedenen wettbewerbsschädlichen<br />

Auswirkungen kommen: Erstens könne der Zusammenschluss<br />

dazu führen, dass die Parteien ihre starke<br />

Position gegenüber den Reisebüros dazu nutzen, um ihre<br />

Preise gegenüber den Reiseanbietern zu erhöhen. Zweitens<br />

bestehe die Gefahr, dass Worldspan als „maverick“<br />

ausgeschaltet werde. Drittens könnte es der mit dem Zusammenschluss<br />

verbundene Marktanteilszuwachs den<br />

Parteien erlauben, ihre starke Position gegenüber den<br />

Reisebüros auszunutzen. Bei der Auseinandersetzung mit<br />

diesen drei Szenarien erläutert die Europäische Kommission<br />

ausführlich die Funktionsweise der betroffenen<br />

Märkte als two-sided markets. Sie greift zur Erklärung<br />

auf wettbewerbstheoretische Argumente und die zugrunde<br />

liegenden Annahmen zurück und bezieht auch<br />

vergangene Entwicklungen auf den Märkten ein. Im Ergebnis<br />

begründet die Europäische Kommission auf diese<br />

Weise plausibel, warum der geplante Zusammenschluss<br />

keine Wettbewerbsbedenken auslöst. Gegen das erste<br />

Szenario spreche eine ausreichende Gegenmacht der Reiseanbieter.<br />

In Bezug auf die zweite Alternative lasse sich<br />

nicht feststellen, dass Worldspan in der Vergangenheit besonderen<br />

Wettbewerbsdruck ausgeübt habe. Die dritte<br />

„theory of harm“ bestätigte sich ebenfalls nicht, da die<br />

Europäische Kommission eine starke Position der Reisebüros<br />

gegenüber den GDS-Anbietern ermitteln konnte.<br />

3.4.3 Dynamische Betrachtung<br />

700. In mehreren Fällen hat die Europäische Kommission<br />

ausdrücklich eine dynamische Betrachtung der untersuchten<br />

Märkte vorgenommen. In dem Verfahren<br />

161 Vgl. Tz. 652 ff.<br />

Universal/BMG Music Publishing ist das Musikverlagsgeschäft,<br />

insbesondere der Markt für Online-Rechte, betroffen.<br />

Die Europäische Kommission geht ausführlich<br />

darauf ein, dass sich derzeit die Bedingungen für die Lizenzvergabe<br />

und hierbei vor allem die Rolle der nationalen<br />

Verwertungsgesellschaften ändern. Es zeichne sich<br />

ab, dass künftig nicht mehr die Verwertungsgesellschaften,<br />

sondern die Musikverlage selbst hauptverantwortlich<br />

für die Lizenzvergabe und damit auch für die Preissetzung<br />

sein werden. Vor diesem Hintergrund erhob die<br />

Europäische Kommission Wettbewerbsbedenken gegen<br />

den Zusammenschluss zweier großer Musikverlage.<br />

701. Die Unternehmen Cargill und Degussa Food Ingredients<br />

sind beide unter anderem auf dem Markt für nicht<br />

genverändertes Flüssiglecithin aktiv. Die Europäische<br />

Kommission untersucht die nicht koordinierten Auswirkungen<br />

des Zusammenschlusses und betont dabei die sich<br />

abzeichnende Veränderung der Angebotssituation. Mit<br />

Cargill und Degussa Food Ingredients fusionieren zwei<br />

der drei führenden Marktteilnehmer und erreichen gemeinsame<br />

Marktanteile in Höhe von 35 bis 45 Prozent.<br />

Die Europäische Kommission stellt zunächst fest, dass<br />

den Nachfragern Qualität und Lieferzuverlässigkeit besonders<br />

wichtig sind. Ein Lieferantenwechsel sei für die<br />

meisten Lebensmittelhersteller mit signifikanten Kosten<br />

und organisatorischen Hindernissen verbunden, da er die<br />

Anpassung von Rezepturen und eine aufwändige Testphase<br />

erforderlich mache. Im Rahmen der detaillierten<br />

Marktuntersuchung berücksichtigt die Wettbewerbsbehörde<br />

allerdings auch die dynamischen Elemente des<br />

Wettbewerbsumfeldes: Sie erläutert, dass nicht genverändertes<br />

Flüssiglecithin von den Parteien größtenteils nicht<br />

selbst hergestellt, sondern in Brasilien eingekauft und zu<br />

einem bedeutenden Anteil ohne weitere Verarbeitung<br />

weiterverkauft werde. Gegenwärtig sei die Entwicklung<br />

zu beobachten, dass einzelne Abnehmer ihren Bedarf direkt<br />

in Brasilien deckten. Bislang handele es sich zwar<br />

um Ausnahmen, aber schon jetzt hätten die führenden<br />

brasilianischen Hersteller gezeigt, dass sie in der Lage<br />

seien, eigene Vertriebs- und Logistik-Netzwerke in<br />

Europa aufzubauen und in direkten Wettbewerb mit etablierten<br />

Akteuren zu treten. Für einen Ausbau der Direktlieferungen<br />

spreche, dass sich die Qualität und der Ruf<br />

der brasilianischen Produzenten in letzter Zeit deutlich<br />

verbessert habe. Außerdem unterstützen laut Ermittlungen<br />

der Europäischen Kommission große Lebensmittelhersteller<br />

den Marktzugang neuer Akteure. Aus diesem<br />

Grund gab die Wettbewerbsbehörde den Zusammenschluss<br />

ohne Bedingungen und Auflagen frei.<br />

702. Auch in dem Verfahren Ineos/BP Dormagen, der<br />

sich auf verschiedenen Märkten für Ethylenoxide, -derivate<br />

und -glykole auswirkte, nimmt die Europäische<br />

Kommission eine prospektive Bewertung des Zusammenschlusses<br />

vor, indem sie die erwartete Nachfrage mit den<br />

absehbaren Produktionskapazitäten vergleicht. In diesem<br />

Zusammenhang berücksichtigt sie insbesondere die Auswirkungen<br />

geplanter Kapazitätserweiterungen in Asien<br />

und im Nahen Osten. Zwar sei damit zu rechnen, dass ein<br />

großer Teil des im Nahen Osten produzierten Ethylenglykols<br />

nach Asien exportiert werde, Westeuropa sei jedoch

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