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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 283 – Drucksache 16/10140<br />

nicht koordinierten oder koordinierten Wettbewerbseffekten<br />

führt.<br />

Nicht koordinierte Effekte hält sie für ausgeschlossen,<br />

weil die Parteien kein besonders enges Näheverhältnis<br />

aufwiesen, sondern jeweils eher in Konkurrenz zu Stora-<br />

Enso stünden. Außerdem sprächen ein hohes Maß an Angebotsumstellungsflexibilität<br />

sowie der potenzielle Wettbewerb<br />

von außerhalb des EWR gegen die Möglichkeit<br />

der Zusammenschlussbeteiligten, die Preise zu erhöhen.<br />

Einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt stelle der Umstand<br />

dar, dass die Nachfrageseite ebenso wie die Herstellerseite<br />

hoch konzentriert sei. So nehme der größte Kunde<br />

Tetra Pak mindestens 40 bis 60 Prozent der gesamten<br />

EWR-Produktion ab. Auch die beiden folgenden Nachfrager<br />

erwerben immerhin noch jeweils 10 bis 30 Prozent<br />

der Produktion, so dass auch sie angesichts der hohen fixen<br />

Kosten in der Kartonproduktion starke Nachfragemacht<br />

ausübten. Die Europäische Kommission schließt<br />

ferner aus, dass die Parteien kleinere Abnehmer diskriminieren<br />

werden, denn ein dadurch beschleunigter<br />

Marktaustritt dieser Kunden sei nicht im Sinne der Parteien.<br />

Weiterhin sei auch der wachsende Wettbewerb außerhalb<br />

des EWR von Bedeutung. Schließlich habe die<br />

Marktuntersuchung ergeben, dass die Abnehmer in der<br />

Regel Rahmenverträge auf der Basis einheitlicher Preislisten<br />

für weltweite Lieferungen abschließen. Koordinierte<br />

Effekte schließt die Europäische Kommission<br />

ebenfalls aus.<br />

3.4.2 Ökonomische Analysen und „theories of<br />

harm“<br />

691. Die von der Europäischen Kommission verfolgte<br />

Politik eines more economic approach weist in der fusionskontrollrechtlichen<br />

Entscheidungspraxis verschiedene<br />

Facetten auf. Ein Aspekt des more economic approach<br />

besteht – wie in den Verfahren T-Mobile Austria/<br />

Tele.ring und Korsnäs/Cartonboard gesehen – in dem<br />

verschärften Problembewusstsein der Wettbewerbsbehörde<br />

für nicht koordinierte Effekte im Oligopol. Seinen<br />

Ausdruck findet der verstärkte ökonomische Ansatz ferner<br />

in einem häufigeren Einsatz von ökonomischen Studien<br />

und Analysen, in der Regel in Zweite-Phase-Verfahren.<br />

Während sich diese Entwicklung bereits während des<br />

Berichtszeitraums 2004/2005 abzeichnete, hat die Europäische<br />

Kommission im gegenwärtigen Berichtszeitraum<br />

einen weiteren Schritt in Richtung more economic approach<br />

gemacht. In der Entscheidung Travelport/Worldspan<br />

bleibt es zwar bei der traditionellen zweigliedrigen<br />

Prüfung von Marktabgrenzung einerseits und weiterer<br />

wettbewerblicher Würdigung andererseits. Die Europäische<br />

Kommission erläutert aber im Rahmen der wettbewerblichen<br />

Würdigung die Funktionsweise des Marktes<br />

sehr genau und geht auf dieser Grundlage drei möglichen<br />

wettbewerbsbeeinträchtigenden Szenarien – sog. „theories<br />

auf harm“ – nach.<br />

3.4.2.1 Ökonomische Analysen<br />

692. Die Europäische Kommission hat beispielsweise in<br />

den Verfahren Ryanair/Aer Lingus, Inco/Falconbridge,<br />

Evraz/Highveld und Ineos/BP Dormagen ökonomische<br />

Analysen in ihre wettbewerbliche Würdigung einbezogen.<br />

Die beabsichtigte Übernahme von Aer Lingus durch<br />

Ryanair wurde mit Entscheidung vom 27. Juni 2007 von<br />

der Europäischen Kommission verboten. 159 In das Verfahren<br />

ist an mehreren Stellen ökonomische Expertise eingeflossen,<br />

insbesondere im Rahmen der räumlichen<br />

Marktabgrenzung und der Frage, ob die Parteien in<br />

aktuellem Wettbewerb stehen. Nach den Ermittlungen der<br />

Wettbewerbsbehörde überschneidet sich die Tätigkeit der<br />

Beteiligten auf 35 Flugstrecken von und nach Irland. Auf<br />

22 dieser Strecken wäre mit dem Zusammenschluss ein<br />

Monopol der neuen Unternehmenseinheit entstanden, auf<br />

den verbleibenden 13 Strecken wären Marktanteile von<br />

über 60 Prozent erreicht worden. Die Europäische Kommission<br />

stellt außerdem fest, dass die Zusammenschlussparteien<br />

aufgrund ähnlicher Geschäftsmodelle und ihrer<br />

jeweiligen Basis auf dem Dubliner Flughafen engste<br />

Wettbewerber seien. Das Vorhaben würde sowohl den aktuellen<br />

Wettbewerb auf den Strecken, die beide Parteien<br />

bedienen, als auch den potenziellen Wettbewerb auf den<br />

Strecken, die nur von einer Partei bedient werden, beeinträchtigen.<br />

Darüber hinaus haben sowohl Marktermittlungen<br />

als auch ökonomische Analysen ergeben, dass die<br />

Parteien erheblichen Wettbewerbsdruck aufeinander ausüben.<br />

Von Dritten gehe weder Nachfragemacht noch ausreichender<br />

Wettbewerbsdruck aus. Marktzutritte seien<br />

wegen der hohen Kosten und Risiken unwahrscheinlich.<br />

Wie die Vergangenheit gezeigt habe, müssten Wettbewerber<br />

unter anderem mit aggressiven Reaktionen von Ryanair<br />

rechnen. Diese Einschätzung werde durch Aussagen<br />

der Wettbewerber bestätigt, die einen Markteintritt weder<br />

planten noch – mehrheitlich – überhaupt in Erwägung zögen.<br />

693. In dem Verfahren Inco/Falconbridge, der verschiedene<br />

Märkte für Nickel- und Kobaltprodukte betrifft, verbindet<br />

die Europäische Kommission ebenfalls eine Untersuchung<br />

auf der Grundlage traditioneller Prüfkriterien mit<br />

der Analyse des Wettbewerbsdrucks zwischen den Zusammenschlussparteien.<br />

160 Da Inco und Falconbridge die<br />

wichtigsten Produzenten sind, der Zusammenschluss die<br />

Zahl der Anbieter von drei auf zwei verringert und der<br />

einzige verbleibende Wettbewerber Eramet schon bislang<br />

höhere Preise verlangte als die Parteien, bejaht die Europäische<br />

Kommission die Wahrscheinlichkeit von<br />

Preisaufschlägen nach dem Zusammenschluss. Zusätzlich<br />

untersucht sie die Auswirkungen eines dreimonatigen<br />

Streiks in der Inco-Mine Sudbury in der zweiten Jahreshälfte<br />

2003, bei der die gesamte Produktion zum Erliegen<br />

kam. Die Europäische Kommission stellt für die Zeiträume<br />

vor dem Streik, während des Streiks und im Anschluss<br />

an den Streik die Gesamtumsätze mit Nickel-Pellets<br />

bei Abnehmern von Nickelprodukten zur Herstellung<br />

von Superlegierungen zusammen. Angesichts des bestehenden<br />

Produktionsengpasses hätten die Kunden von<br />

Inco entweder ihre Bestellungen bis zum Ende des Streiks<br />

aufgeschoben oder den unmittelbaren Bedarf bei anderen<br />

159 Vgl. Tz. 630 ff., 737 ff., 757 ff.<br />

160 Vgl. Tz. 639 ff., 675 ff., 734 ff.

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