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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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Drucksache 16/10140 – 278 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />

tere Kriterien, welche die Europäische Kommission zur<br />

Beurteilung heranzieht, sind unter anderem die HHI-<br />

Werte, das Näheverhältnis der Wettbewerber sowie die<br />

(freien) Kapazitäten der Marktteilnehmer und ihre Möglichkeit<br />

zum Kapazitätsausbau. Ebenfalls berücksichtigt<br />

werden die Rolle einer Zusammenschlusspartei als besondere<br />

Wettbewerbskraft, ihr Image oder der Besitz von bekannten<br />

Marken, die Existenz von Marktzutrittsbarrieren<br />

sowie das Vorliegen von Nachfragemacht.<br />

672. In einer Reihe von Fällen, in der Regel Zweite-<br />

Phase-Verfahren, setzt sich die Europäische Kommission<br />

mit ökonomischen Analysen und Studien auseinander.<br />

Derartige Untersuchungen werden häufig von den Zusammenschlussparteien<br />

in das Verfahren eingeführt und<br />

dann von der Europäischen Kommission geprüft. Zum<br />

Teil erstellt auch die Europäische Kommission Analysen<br />

und Studien – entweder auf eigene Initiative oder als Reaktion<br />

auf die von den Parteien vorgelegten Dokumente.<br />

Über die bloße Einbeziehung ökonomischer Studien zu<br />

Einzelaspekten geht die Europäische Kommission in dem<br />

Fall Travelport/Worldspan weit hinaus. Sie richtet hier<br />

ihre gesamte Argumentation ökonomischer aus, indem<br />

sie im Rahmen der wettbewerblichen Würdigung drei<br />

mögliche wettbewerbsbeeinträchtigende Szenarien ausführlich<br />

erläutert.<br />

673. Die Europäische Kommission prüft nicht in jedem<br />

horizontalen Zusammenschlussverfahren sämtliche in<br />

den Horizontal-Leitlinien genannten Kriterien, sondern<br />

konzentriert sich jeweils auf die ihrer Ansicht nach wichtigsten<br />

Aspekte. Diese Vorgehensweise hat das Gericht<br />

erster Instanz in dem Verfahren Sun Chemical/Kommission<br />

ausdrücklich gebilligt. 145 Nach Auffassung des Gerichts<br />

stellen die Leitlinien keine „Kontrollliste“ dar, vielmehr<br />

verfüge die Kommission über ein Ermessen, das es<br />

ihr erlaube, bestimmte Faktoren in Betracht zu ziehen<br />

oder unberücksichtigt zu lassen. Im Einzelnen stellt das<br />

EuG fest, dass die Europäische Kommission nicht in jedem<br />

Verfahren verpflichtet ist, die HHI-Werte zu ermitteln.<br />

Zugleich erklärt das EuG, das sich die Europäische<br />

Kommission nicht zu allen Rechts- und Tatfragen äußern<br />

muss, die möglicherweise eine Verbindung mit dem angemeldeten<br />

Zusammenschluss aufweisen können und/oder<br />

die während des Verwaltungsverfahrens angesprochen<br />

worden sind. Insbesondere dürfe die Europäische Kommission<br />

auf die Erörterung von Aspekten verzichten, die<br />

offenkundig neben der Sache liegen oder keine bzw. nur<br />

eine eindeutig untergeordnete Bedeutung für die Einschätzung<br />

eines Zusammenschlusses haben.<br />

3.4.1 Marktanteile und Marktführerschaft<br />

674. Die Schätzung der Marktanteile stellt auch im Berichtszeitraum<br />

2006/2007 regelmäßig den Ausgangspunkt<br />

der wettbewerblichen Würdigung durch die Europäische<br />

Kommission dar. In mehreren Verfahren, z. B. Metso/<br />

Aker Kvaerner, Orica/Dyno und Renolit/Solvay, führte<br />

145 EuG, Urteil vom 9. Juli 2007, Rs. T-282/06, Sun Chemical/Kommission,<br />

Rn. 54 ff.<br />

die Europäische Kommission aus, dass sehr hohe Marktanteile<br />

von 50 Prozent und mehr schon für sich allein einen<br />

Nachweis für eine beherrschende Stellung sein können.<br />

Die Kommission bezieht sich insoweit auf ihre<br />

Horizontal-Leitlinien und die Rechtsprechung. 146 Während<br />

des Berichtszeitraums bestätigte das Gericht erster<br />

Instanz diese Auffassung in seinem Urteil Cementbouw<br />

Handel & Industrie BV/Kommission. 147 In mehreren Zusammenschlussverfahren,<br />

etwa Glatfelder/Crompton,<br />

Inco/Falconbridge und Sea-Invest/EMO-EKOM, ermittelte<br />

die Europäische Kommission sehr hohe oder (fast-<br />

)monopolistische Marktanteile der Parteien. Diese führten<br />

allerdings nur in dem Verfahren Ryanair/Aer Lingus<br />

zu einer Untersagung. 148 In allen übrigen Fällen sah die<br />

Europäische Kommission ihre Bedenken aufgrund der<br />

angebotenen Zusagen als ausgeräumt an.<br />

3.4.1.1 Marktanteilsermittlung<br />

675. Wie schwierig die Marktanteilsberechnung im Einzelfall<br />

sein kann, zeigt der Fall Inco/Falconbridge, der<br />

verschiedene Märkte für Nickel- und Kobaltprodukte betraf.<br />

149 Voraussetzung für eine solche Berechnung ist unter<br />

anderem die möglichst genaue Feststellung des Marktvolumens,<br />

das im vorliegenden Fall laut Europäischer<br />

Kommission schwer abzuschätzen war. Die Wettbewerbsbehörde<br />

nimmt den Zusammenschluss zum Anlass, im<br />

Zusammenhang mit dem Markt für hochreines Nickel für<br />

Superlegierungen grundsätzliche Ausführungen zu der<br />

Berechnung von Marktanteilen zu machen. Die Berechnung<br />

sei ihr nur möglich, weil sie sich auf vertrauliche Informationen<br />

der Parteien sowie auf Umsätze, die die<br />

Wettbewerber mit hochreinem Nickel zur Herstellung<br />

von Superlegierungen erzielten, stützen könne. Die Europäische<br />

Kommission führt weiter aus, dass die Marktanteile<br />

mit drei alternativen Ansätzen berechnet werden<br />

können. Erstens ließen sich die Marktanteile ausgehend<br />

von den Anteilen der Parteien an der insgesamt von den<br />

Abnehmern abgenommenen Mengen (d. h. ausgehend<br />

von der Nachfrageseite) schätzen. Zweitens könnten auch<br />

die Volumina an hochreinem Nickel addiert werden, die<br />

alle Hersteller an Kunden geliefert hätten, die Endanwendungen<br />

mit Superlegierungen herstellten (d. h. ausgehend<br />

von der Angebotsseite). Und drittens könne ein Vergleich<br />

der Kapazitäten zur Produktion von hochreinem Nickel<br />

zur Herstellung von Superlegierungen vorgenommen<br />

werden. Im Anschluss an diese Erläuterungen führt die<br />

Europäische Kommission eine Schätzung der Marktanteile<br />

ausgehend von der Angebotsseite sowie anhand der<br />

Produktionskapazitäten durch. Im Ergebnis kommt sie zu<br />

einem gemeinsamen Marktanteil der Parteien in Höhe<br />

von ca. 90 Prozent. Die Genehmigung des Zusammenschlusses<br />

erfolgte nur aufgrund der Verpflichtung zur<br />

146 Horizontal-Leitlinien, Rn. 17; EuG, Urteil vom 15. März 1999,<br />

Rs. T-102/96, Gencor/Kommission, Slg. 1999 II-753, Rn. 205.<br />

147 EuG, Urteil vom 23. Februar 2006, Rs. T-282/02, Cementbouw/Kommission,<br />

Slg. 2006, II-319, Rn. 201.<br />

148 Vgl. Tz. 630 ff., 692 ff., 737 ff., 757 ff.<br />

149 Vgl. Tz. 639 ff., 693 ff., 734 ff.

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