29.11.2012 Aufrufe

Deutscher Bundestag Unterrichtung

Deutscher Bundestag Unterrichtung

Deutscher Bundestag Unterrichtung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Drucksache 16/10140 – 276 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />

z. B. zwei Papierfabriken von denselben zwei PCC-Anlagen<br />

und denselben zwei GCC-Anlagen beliefert werden,<br />

nehme die Europäische Kommission einen gemeinsamen<br />

Markt an. Falls jedoch eine dieser Papierfabriken nur von<br />

einer der beiden PCC-Anlagen beliefert werden könne,<br />

gehörten die Papierfabriken nach Ansicht der Europäischen<br />

Kommission zwei unterschiedlichen räumlich relevanten<br />

Märkten an, da die Auswahl der für sie infrage<br />

kommenden Lieferanten verschieden sei.<br />

Um die räumlichen Märkte im Einzelnen abzugrenzen,<br />

führt die Europäische Kommission für etwa 30 PCC- und<br />

GCC-Anlagen eine Analyse durch. Sie stützt sich dabei<br />

auf die von ihr errichtete Lieferdatenbank und untersucht<br />

die maximalen Entfernungen für Lieferungen getrennt<br />

nach Art der Anlage (on-site oder off-site), nach dem jeweiligen<br />

Transportmittel (LKW, Schiff, Bahn oder kombinierter<br />

Verkehr) und nach Art des Produktes (Füll-/<br />

Streichanwendung). Die Analyse umfasst zwei Teile: Zunächst<br />

wird von der Europäischen Kommission die „realistische<br />

maximale Entfernung“ ermittelt, über die bestimmte<br />

Lieferungen nicht hinausgehen. Als realistische<br />

maximale Entfernung gilt dabei eine Distanz, die von<br />

80 Prozent aller erfassten gleichartigen Lieferungen nicht<br />

überschritten wird. 139 In einem zweiten Schritt untersucht<br />

die Europäische Kommission getrennt für jede Anlage,<br />

über welche maximale Entfernung regelmäßig Lieferungen<br />

getätigt wurden. Auch hier unterscheidet sie zwischen<br />

PCC und GCC sowie nach dem Transportmittel. 140<br />

665. Die Europäische Kommission hat bei der räumlichen<br />

Marktabgrenzung einen erkennbar großen Ermittlungs-<br />

und Untersuchungsaufwand betrieben. Es<br />

erscheint auch prinzipiell sinnvoll, die räumliche<br />

Marktabgrenzung bei hohen Transportkosten nach Lieferentfernungen<br />

vorzunehmen. Die Monopolkommission<br />

hat sich im letzten Hauptgutachten grundsätzlich mit der<br />

räumlichen Marktdefinition bei hohen Transportkosten<br />

auseinandergesetzt. 141 Anlass waren mehrere Verfahren<br />

des Bundeskartellamtes, in denen das Bundesgebiet in<br />

Regionalmärkte aufgeteilt wurde. Das Amt hatte in je einem<br />

Fall die Betriebsstätten des Erwerbers (Sanacorp/<br />

Anzag) und des erworbenen Unternehmens (Schneider/<br />

Classen) als Mittelpunkt für die Marktabgrenzung gewählt.<br />

Im Fall Sanacorp/Anzag hatte das Oberlandesgericht<br />

Düsseldorf kritisiert, dass die Abgrenzung der<br />

Märkte auf der Grundlage der tatsächlichen Absatzgebiete<br />

vorgenommen worden war. In demselben Fall erhob<br />

der Bundesgerichtshof Einwände dagegen, weil das Amt<br />

die Größe der regionalen Teilmärkte nach bundesweit<br />

einheitlichen Radien vorgenommen hatte. Das Gericht<br />

verlangte, dass Faktoren wie die geografischen Gegebenheiten<br />

und die jeweilige Verkehrsinfrastruktur in den betreffenden<br />

Teilmärkten berücksichtigt werden sollten. Die<br />

Monopolkommission hat darüber hinaus aufgezeigt, dass<br />

die Wahl des erwerbenden bzw. des erworbenen Unternehmens<br />

als Zentrum für den Lieferradius unterschiedli-<br />

139 Kommissionsentscheidung, Rn. 251.<br />

140 Kommissionsentscheidung, Rn. 257.<br />

141 Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten 2004/2005, a. a. O.,<br />

Tz. 462 ff.<br />

che Marktanteilsberechnungen zur Folge haben kann.<br />

Außerdem wies sie darauf hin, dass bei räumlicher Produktdifferenzierung<br />

wettbewerbliche Bedenken in erster<br />

Linie an dem räumlichen Näheverhältnis der Fusionsparteien<br />

sowie sonstiger Marktteilnehmer, nicht jedoch an<br />

den addierten Marktanteilen festgemacht werden sollten.<br />

666. Die Europäische Kommission vermeidet im vorliegenden<br />

Fall die oben aufgezeigten Fehler. So ermittelt sie<br />

zwar, dass einige der untersuchten Mineralanlagen geringere<br />

Lieferentfernungen bedienten als die im ersten Untersuchungsschritt<br />

errechnete „realistische maximale Entfernung“.<br />

Sie stellt aber ausdrücklich fest, dass der Grund<br />

hierfür nicht in der mangelnden Fähigkeit zu einer weiter<br />

entfernten Belieferung liege, sondern in den besonderen<br />

Marktgegebenheiten. Daher legt die Europäische Kommission<br />

ihrer weiteren wettbewerblichen Würdigung die<br />

„realistische maximale Entfernung“ zugrunde und vermeidet<br />

so den Zirkelschluss, dass der aktuelle Lieferradius<br />

mit dem potenziellen Absatzgebiet übereinstimmt.<br />

Außerdem errechnet die Europäische Kommission zwar<br />

in einem ersten Schritt nur die durchschnittlichen Lieferentfernungen<br />

und kommt so zu gleich großen Lieferradien<br />

für sämtliche betroffenen Mineralanlagen. Sie ergänzt<br />

diese Berechnungen aber mit einer Analyse der<br />

Lieferradien von ca. 30 konkreten Betriebsstätten und<br />

geht dabei wiederum auf die verschiedenen Transportmittel<br />

ein. Es ist daher davon auszugehen, dass es der Europäischen<br />

Kommission auf diese Weise gelungen ist, die<br />

geografischen Gegebenheiten sowie Besonderheiten der<br />

Verkehrsinfrastruktur in jedem Teilmarkt zu erfassen. Zutreffenderweise<br />

stellt die Europäische Kommission<br />

schließlich auch nicht die Berechnung von Marktanteilen<br />

sowie deren Addition in den Vordergrund ihrer wettbewerblichen<br />

Einschätzung. Vielmehr konzentriert sie ihre<br />

Untersuchung auf das räumliche Näheverhältnis der einzelnen<br />

Mineralanlagen und prüft aus Sicht der Abnehmer,<br />

welche Betriebsstätten jeweils die nächstbeste Bezugsalternative<br />

darstellen.<br />

667. Die Monopolkommission hat sich im letzten<br />

Hauptgutachten darüber hinaus dafür ausgesprochen, anstelle<br />

der Betriebsstätten des erwerbenden oder erworbenen<br />

Unternehmens die Betriebe der Nachfrager als Ansatzpunkt<br />

für die räumliche Marktabgrenzung zu wählen.<br />

In dieser Weise hatte das Bundeskartellamt in dem Fall<br />

H&R WASAG/Sprengstoffwerke Gnaschwitz die räumliche<br />

Marktdefinition vorgenommen. Die Abgrenzung der<br />

räumlichen Märkte aus Nachfragesicht ist jedenfalls im<br />

B2B-Bereich sinnvoll, weil hierdurch die Bereiche, in denen<br />

wettbewerbliche Bedenken bestehen, leicht identifiziert<br />

werden können. Zieht man Kreise um die einzelnen<br />

Abnehmer, wird sofort ersichtlich, welche Mineralanlagen<br />

in geringster Entfernung von dem Nachfrager liegen<br />

und welche Anbieter eine größere Distanz zurücklegen<br />

müssen. Ob die Fusionsparteien die besten Bezugsalternativen<br />

darstellen, lässt sich dann unmittelbar ablesen. Im<br />

B2B-Bereich existiert auch – anders als z. B. auf Endkundenmärkten<br />

– typischerweise eine überschaubare Anzahl<br />

von Abnehmern. Die Analyse dürfte also verfahrensökonomisch<br />

keinen größeren Aufwand bereiten, als wenn<br />

man von den Betriebsstätten der Anbieter ausgeht. Aus

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!