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Deutscher Bundestag Unterrichtung

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 273 – Drucksache 16/10140<br />

Tests sind die Stimmigkeit der Begründung und die Konsistenz<br />

des Verfahrens dort besonders wichtig. Sie liegen<br />

nur dann vor, wenn die Europäische Kommission innerhalb<br />

der jeweiligen Entscheidung konsistent argumentiert.<br />

Jedenfalls in den Fällen Glatfelder/Crompton und<br />

Travelport/Worldspan bestehen daran Zweifel.<br />

650. In dem Fall Glatfelder/Crompton führt die Europäische<br />

Kommission im Rahmen der Marktabgrenzung<br />

aus, dass nur Hersteller, die bereits nassgelegte Vliese<br />

produzieren, ihre sonstigen Maschinen zur Vliesherstellung<br />

mit geringen Kosten umstellen können. In der wettbewerblichen<br />

Würdigung argumentiert die Europäische<br />

Kommission hingegen, dass kleinere bzw. potenzielle<br />

Hersteller von nassgelegten Vliesen für die Tee- und Kaffeefiltration<br />

über eine beträchtliche Kapazität für die Produktion<br />

von nassgelegten Vliesen verfügen, die ohne erhebliche<br />

Investitionen auf Anwendungen für Tee und<br />

Kaffee umgestellt werden könnte. Zumindest in Bezug<br />

auf die erwähnten potenziellen Hersteller von Tee- und<br />

Kaffeevliesen widerspricht diese Aussage der im Rahmen<br />

der Marktabgrenzung vorgenommenen Feststellung, wonach<br />

eine Umstellung nur für solche Produzenten einfach<br />

ist, die bereits Vliese für die Tee- und Kaffeefiltration<br />

herstellen.<br />

651. Ein weiterer Widerspruch ergibt sich hinsichtlich<br />

der Feststellungen der Europäischen Kommission zu den<br />

Möglichkeiten des Wettbewerbers Ahlstrom, seine Kapazitäten<br />

zu erweitern. Im Rahmen der Marktabgrenzung<br />

stellt die Europäische Kommission fest, dass eine Umrüstung<br />

gerade für Wettbewerber wie Ahlstrom, die bereits<br />

in der Produktion von Vliesen für die Tee- und Kaffeefiltration<br />

aktiv sind, einfach zu bewerkstelligen sei. Legt<br />

man die Bekanntmachung über die Definition des relevanten<br />

Marktes zugrunde, geht die Europäische Kommission<br />

bei der Beurteilung der Angebotssubstituierbarkeit<br />

von kleinen, dauerhaften Preissteigerungen nach dem Zusammenschluss<br />

aus. 135 Im Rahmen der wettbewerblichen<br />

Würdigung kommt die Europäische Kommission zwar<br />

ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Ahlstrom in der Lage ist,<br />

neue Maschinen zu kaufen oder vorhandene Maschinen<br />

umzurüsten. Auf diese Weise könnten die vorhandenen<br />

Kapazitäten ausgedehnt und der Verhaltensspielraum von<br />

Glatfelder/Crompton eingeschränkt werden. Diese Feststellung<br />

wird allerdings mit der Aussage Ahlstroms belegt,<br />

eine Umrüstung sei wahrscheinlich, wenn die Zusammenschlussparteien<br />

den Preis um 10 bis 30 Prozent<br />

erhöhen. Eine Preissteigerung von 10 bis 30 Prozent kann<br />

aber nicht mehr als kleine Preiserhöhung, wie sie bei der<br />

Einschätzung im Rahmen der Marktabgrenzung zugrunde<br />

gelegt wurde, angesehen werden. Es ist daher unklar, wie<br />

die Europäische Kommission unter Berücksichtigung der<br />

Aussage Ahlstroms die Angebotsumstellungsflexibilität<br />

des Unternehmens bejahen konnte.<br />

652. Zweifel an der Konsistenz der Argumentation bestehen<br />

auch in dem Verfahren Travelword/Worldspan, das<br />

135 Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten<br />

Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft,<br />

ABl. EG Nr. C 372 vom 9. Dezember 1997, S. 5.<br />

die Europäische Kommission am 21. August 2007 mit einer<br />

Entscheidung gemäß Artikel 8 Abs. 1 FKVO abgeschlossen<br />

hat. 136 Die Parteien betreiben elektronische<br />

Distributionssysteme für Reiseleistungen, sog. global distribution<br />

systems (GDS). Nach Auffassung der Europäischen<br />

Kommission agieren die GDS-Betreiber als Intermediäre<br />

bzw. Plattformbetreiber auf einem sog.<br />

zweiseitigen Markt. Auf der einen Marktseite beliefern<br />

Reiseanbieter wie Fluggesellschaften, Autovermieter und<br />

Hotels die GDS-Betreiber mit Informationen über die von<br />

ihnen angebotenen Produkte. Auf der anderen Marktseite<br />

fragen Reisebüros die genannten Informationen nach und<br />

haben so die Möglichkeit zu umfassenden Preis- und<br />

Konditionenvergleichen sowie Reservierungen und Buchungen.<br />

Bei der Prüfung der sachlichen Marktabgrenzung<br />

nennt die Europäische Kommission vier Alternativen<br />

zu etablierten GDS, die möglicherweise in den Markt<br />

einzubeziehen seien – sog. „GDS Entrants“, Metasuchmaschinen,<br />

„direct links“ sowie „supplier.com“. Die Einbeziehung<br />

der beiden erstgenannten Alternativen lehnt<br />

die Europäische Kommission zügig ab. Auch von den<br />

„direct links“ gehe derzeit kein Wettbewerbsdruck auf die<br />

GDS-Betreiber aus, sie gehörten demnach ebenfalls nicht<br />

zum relevanten sachlichen Markt. 137 Ausführlicher setzt<br />

sich die Europäische Kommission mit der Substituierbarkeit<br />

von GDS durch „supplier.com“ auseinander.<br />

653. Als „supplier.com“ bezeichnet die Europäische<br />

Kommission die Internet-Webseiten der Reiseleistungsanbieter,<br />

mittels derer direkte Buchungen seitens der Endverbraucher<br />

vorgenommen werden können. Diese Webseiten<br />

hätten sich in den letzten Jahren deutlich vermehrt,<br />

gegenwärtig betrieben alle Anbieter ihre eigene Webseite.<br />

Im Jahr 2005 wurden im Durchschnitt 20 bis 30 Prozent<br />

der Flugbuchungen direkt verkauft, 2004 waren es noch<br />

10 bis 20 Prozent. Nach Auffassung der Europäischen<br />

Kommission haben die Reiseanbieter starke Anreize, die<br />

Nutzung von eigenen Webseiten voranzutreiben. Durch<br />

den direkten Zugang zum Endverbraucher ergäben sich<br />

beispielsweise erhebliche Kostenvorteile für die Anbieter.<br />

Außerdem könnten konventionelle Fluggesellschaften auf<br />

diesem Weg mit Billigfluglinien konkurrieren, deren<br />

Hauptvertriebskanal das Internet sei. Allerdings stellt die<br />

Europäische Kommission auch fest, dass sämtliche Fluggesellschaften<br />

– mit Ausnahme der Billigflieger – einen<br />

erheblichen Teil ihres Angebots ausschließlich über GDS<br />

vertreiben können. Der Internetvertrieb dürfte bei fast jeder<br />

Fluggesellschaft „gedeckelt“ sein, die Grenze liege<br />

bei rund 20 Prozent der Gesamtbuchungen. Daraus<br />

schließt die Europäische Kommission, dass der Internetvertrieb<br />

für die überwiegende Mehrheit der Fluggesellschaften<br />

als partielles Substitut für GDS fungiere, ein<br />

weitaus größerer Teil der Leistungen aber ausschließlich<br />

136 Vgl. Tz. 698 ff.<br />

137 Ein „direct link“ beruht auf einer Vereinbarung zwischen einem Anbieter<br />

von Reisedienstleistungen und einem Reisebüro. Er ermöglicht<br />

dem Reisebüro den direkten Zugang zu dem Buchungsbestand des<br />

Reiseanbieters sowie die direkte Buchung ohne Einschaltung des<br />

GDS.

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