Deutscher Bundestag Unterrichtung
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Drucksache 16/10140 – 272 – <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode<br />
ob der Erkenntnisgewinn durch die vorgenommene Untersuchung<br />
und die mit ihr einhergehenden Nachteile für<br />
die betroffenen Unternehmen noch in einem ausgewogenen<br />
Verhältnis stehen.<br />
3.3.2 „Wettbewerbsdruck“<br />
646. Das Ergebnis der Marktabgrenzung in dem Fall<br />
Omya/Huber ist symptomatisch für eine Entwicklung der<br />
Entscheidungspraxis, die auch in anderen Zusammenschlussfällen<br />
erkennbar wird. In früheren Verfahren versuchte<br />
die Europäische Kommission regelmäßig, eine<br />
möglichst klare und trennscharfe Marktdefinition vorzunehmen.<br />
Diese war – insbesondere bei differenzierten<br />
Produkten – häufig angreifbar. Nunmehr scheint mehr das<br />
Bewusstsein in den Mittelpunkt gerückt zu sein, dass die<br />
Übergänge zwischen verschiedenen Produkten oft fließend<br />
sind, was eine strikte Abgrenzung erschwert. In<br />
diese Richtung weist die Schlussfolgerung der Europäischen<br />
Kommission im Verfahren Omya/Huber, wonach<br />
es „wahrscheinlicher“ sei, dass alle Füllstoff-Calciumcarbonate<br />
einen gemeinsamen Markt bilden, als dass es sich<br />
um verschiedene Teilmärkte handele. In anderen Entscheidungen<br />
grenzt die Europäische Kommission zwar<br />
nach vertiefter Prüfung bestimmte Produkte aus dem<br />
sachlich relevanten Markt aus. Sie bejaht im Anschluss<br />
daran aber einen „gewissen Wettbewerbsdruck“ oder eine<br />
„Wettbewerbsbeschränkung“, die von diesen Produkten<br />
auf die Zusammenschlussparteien ausgehen und bei der<br />
weiteren wettbewerblichen Würdigung zu berücksichtigen<br />
seien.<br />
647. Am 20. Dezember 2006 gab die Europäische Kommission<br />
den Zusammenschluss Glatfelder/Crompton in<br />
der zweiten Verfahrensphase ohne Bedingungen und Auflagen<br />
frei. 134 Entgegen der Auffassung der Zusammenschlussparteien<br />
geht die Europäische Kommission von einem<br />
separaten Markt für nassgelegte Vliese für die<br />
Kaffee- und Teefiltration aus. Im Rahmen der Marktabgrenzung<br />
setzt sich die Europäische Kommission ausführlich<br />
mit den Aspekten der Nachfragesubstituierbarkeit<br />
und der Angebotssubstituierbarkeit auseinander.<br />
Nach Auffassung der Europäischen Kommission sind<br />
nassgelegte Vliese für die Tee- und Kaffeefiltration aus<br />
Nachfragesicht nicht durch andere Arten von nassgelegtem<br />
Vlies zu ersetzen. Die verschiedenen Endanwendungen<br />
erforderten vielmehr unterschiedliche Materialeigenschaften<br />
wie Durchlässigkeit, Dicke und Biegsamkeit.<br />
Nassgelegte Vliese für einzelne Anwendungen durchliefen<br />
ferner bei bestimmten Abnehmern ein Qualifizierungsverfahren,<br />
damit die Einhaltung von Qualitätsnormen<br />
für das Endprodukt sowie die Kompatibilität mit den<br />
Verarbeitungsmaschinen des Abnehmers sichergestellt<br />
seien. Nach den Ermittlungen der Europäischen Kommission<br />
unterscheiden sich nassgelegte Vliese für die Teeund<br />
Kaffeefiltration von anderen Vliesen ferner dadurch,<br />
dass Erstere geschmacksneutral sein und die einschlägigen<br />
lebensmittelrechtlichen Anforderungen erfüllen müssen.<br />
Die Wettbewerbsbehörde verneint außerdem die<br />
134 Vgl. Tz. 637 ff., 706 ff.<br />
Nachfragesubstituierbarkeit zwischen verschiedenen Filtermaterialien.<br />
In der Befragung hatten lediglich vier Unternehmen<br />
einen allgemeinen Trend hin zu Alternativmaterialien<br />
wie Spinnvlies oder Nylongewebe bejaht,<br />
während neun Unternehmen einen solchen Trend negierten.<br />
Die Europäische Kommission ermittelt darüber hinaus<br />
technische und wirtschaftliche Schwierigkeiten bei<br />
dem Wechsel zu den genannten Alternativmaterialien.<br />
648. Darüber hinaus lehnt die Europäische Kommission<br />
das Vorliegen von angebotsseitiger Substituierbarkeit ab.<br />
Ihren Ermittlungen zufolge sind einige der eingesetzten<br />
Papiermaschinen flexibel einsetzbar, die meisten dieser<br />
Maschinen sind jedoch für einen bestimmten Verwendungszweck<br />
ausgelegt und daher für die Produktion einer<br />
bestimmten Sorte nassgelegten Vlieses optimiert. Einige<br />
dieser Maschinen könnten nicht oder nur mit sehr hohen<br />
Investitionen umgerüstet werden. Selbst bei solchen Maschinen,<br />
die in der Lage sind, nassgelegtes Vlies für die<br />
Tee- und Kaffeefiltration herzustellen, aber gegenwärtig<br />
nicht dazu verwendet werden, seien beträchtliche Investitionen<br />
erforderlich. Außerdem dauere die Umrüstung<br />
etwa sechs Monate. Eine Umstellung sei daher nur für<br />
jene Hersteller einfach zu bewältigen und mit geringen<br />
Kosten verbunden, die über das notwendige Know-how<br />
und über geeignete Maschinen für die Herstellung dieser<br />
Vliesarten sowie über entsprechende Zertifizierungen und<br />
Qualifizierungen bei den einzelnen Abnehmern verfügten.<br />
Damit dürften die Hersteller gemeint sein, die bereits<br />
jetzt in der Produktion von Vliesen für die Tee- und Kaffeefiltration<br />
tätig sind und darüber hinaus andere Arten<br />
von Vliesen produzieren. Als Fazit stellt die Europäische<br />
Kommission fest, dass der Markt für nassgelegtes Vlies<br />
für die Tee- und Kaffeefiltration sachlich relevant ist. Daneben<br />
werde sie das Bestehen eines (wenn auch sehr<br />
niedrigen) Wettbewerbsdrucks durch Alternativmaterialien<br />
auf der Nachfrageseite sowie durch andere nassgelegte<br />
Vliese auf der Angebotsseite bei der wettbewerbsrechtlichen<br />
Würdigung berücksichtigen.<br />
649. Nach Auffassung der Monopolkommission trägt<br />
die Europäische Kommission mit ihrem Vorgehen einerseits<br />
dem Umstand Rechnung, dass die Grenzen zwischen<br />
verschiedenen Produkten in aller Regel nicht starr, sondern<br />
fließend verlaufen. Auf der anderen Seite bleibt sie<br />
mit einem Kriterium wie „gewisser Wettbewerbsdruck“<br />
oder „gewisse Wettbewerbsbeziehungen“ relativ vage<br />
und behält sich damit einen großen Spielraum bei der<br />
weiteren Bewertung des Zusammenschlusses vor. Abzuwarten<br />
bleibt, ob diese Vorgehensweise vor dem EuGH<br />
Bestand haben wird. Zweifelhaft ist das in Fällen, in denen<br />
die Europäische Kommission bei ihrer wettbewerblichen<br />
Würdigung auf das Kriterium der Marktbeherrschung<br />
abstellt. Die Frage nach der Entstehung oder<br />
Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung setzt die<br />
Definition eines sachlich und räumlich relevanten Marktes<br />
als klaren Bezugsrahmen voraus. Führt man an den<br />
Rändern dieses Marktes Toleranzmargen ein, muss man<br />
zumindest angeben, wie groß diese Margen sind. Auch<br />
die Feststellung einer erheblichen Behinderung wirksamen<br />
Wettbewerbs setzt Nachvollziehbarkeit der Entscheidung<br />
voraus. Wegen der unscharfen Konturen des SIEC-