Deutscher Bundestag Unterrichtung
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 271 – Drucksache 16/10140<br />
greift dazu auf eine von ihr im Laufe des Verfahrens aufgebaute<br />
Datenbank zu. Diese enthält unter anderem Informationen<br />
darüber, welche Hersteller an welche Anbieter<br />
welche Mengen zu welchen Preisen geliefert haben bzw.<br />
nicht geliefert haben. Konkret nutzt die Europäische<br />
Kommission ein genestetes Logit-Modell, um die durchschnittliche<br />
Wahrscheinlichkeit zu ermitteln, mit der ein<br />
bestimmter Papierhersteller Calciumcarbonat bei einem<br />
bestimmten Lieferanten bezieht. 132 Sie geht dabei von einem<br />
zweistufigen Entscheidungsprozess aus: Bei einer<br />
Preiserhöhung des bisherigen Lieferanten von PCC<br />
(GCC) betrachtet der Papierhersteller zunächst alternative<br />
Anbieter von PCC (GCC) und zieht erst danach auch Anbieter<br />
von GCC (PCC) in Betracht. Die dargestellten<br />
Semielastizitäten geben an, wie sich bei einer 1-prozentigen<br />
(gemeint ist wohl marginalen) Preiserhöhung die<br />
Wahrscheinlichkeit, bei einem bestimmten Lieferanten<br />
Calciumcarbonat zu beziehen, verändert. Die Europäische<br />
Kommission kommt z. B. zu dem Ergebnis, dass die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass bei Omya GCC gekauft wird,<br />
um 19,48 Prozent sinkt, wenn Omya den Preis für GCC<br />
um 1 Prozent erhöht. 133 Die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
stattdessen GCC vom Wettbewerber Imerys bezogen<br />
wird, steigt gleichzeitig um 6,3 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass Kunden auf PCC von Huber, SMI und<br />
Omya umsteigen, erhöht sich in den beiden ersten Fällen<br />
jeweils um 2,96 Prozent, im dritten Fall um 2,25 Prozent.<br />
643. Laut Europäischer Kommission ergibt sich aus der<br />
Analyse, dass Füllstoff-PCC-Anlagen für derzeitige Käufer<br />
von GCC nicht so attraktiv sind wie Füllstoff-GCC-<br />
Anlagen. Werden die Preise für GCC angehoben, ist ein<br />
Wechsel zu einem der anderen GCC-Hersteller wesentlich<br />
wahrscheinlicher als der Wechsel zu PCC. Andererseits<br />
stellt sie fest, dass anhand der Ergebnisse der ökonometrischen<br />
Betrachtung nicht ausgeschlossen werden<br />
kann, dass einige PCC-Anlagen durchaus eine realistische<br />
Alternative für derzeitige Abnehmer von Füllstoff-<br />
GCC darstellen und daher einen gewissen Wettbewerbsdruck<br />
auf Lieferanten von GCC für Füllstoffe ausüben.<br />
Bei einer Erhöhung der Preise für PCC ergibt sich hingegen,<br />
dass für die Kunden von Omya und SMI die bevorzugte<br />
Alternative die GCC-Anlagen von Omya sind. Die<br />
Kunden können aber als zweitbeste Wahl auf eine andere<br />
PCC liefernde Fabrik zurückgreifen. Für die PCC-Kunden<br />
von Huber hingegen ist die PCC-Anlage von Omya<br />
die bevorzugte Alternative. Zusammenfassend stellt die<br />
Europäische Kommission fest, dass zahlreiche Kunden<br />
PCC und GCC für Füllstoffe wegen sehr ähnlicher Merkmale<br />
prinzipiell als substituierbar ansehen, wenngleich<br />
die Fähigkeit und die Anreize der Kunden, Calciumcarbonate<br />
auszutauschen, wegen bestehender technischer<br />
132 Das Logit-Modell schätzt die Beziehung zwischen einer diskreten<br />
abhängigen Variablen Y und einer oder mehreren unabhängigen<br />
Variablen X. Unterstellt wird eine kumulativ logistische Verteilungsfunktion.<br />
Die Regressionskoeffizienten geben Auskunft darüber,<br />
welchen Einfluss die unabhängigen Variablen auf den Eintritt des Ereignisses<br />
Y haben. Das „nested“ (geschachtelte) Logit-Modell ist eine<br />
Erweiterung, mit der Korrelationen zwischen alternativen Ereignissen<br />
abgebildet werden können.<br />
133 Kommissionsentscheidung, Rn. 174.<br />
und wirtschaftlicher Hindernisse eingeschränkt sein<br />
könne. Sowohl die Marktuntersuchung als auch die ökonometrische<br />
Analyse hätten ergeben, dass das Angebot<br />
von PCC einen gewissen Wettbewerbsdruck auf das Angebot<br />
von GCC ausübe und umgekehrt. Die Europäische<br />
Kommission hält es im Ergebnis für wahrscheinlicher,<br />
dass alle Calciumcarbonate für Füllstoffe demselben<br />
sachlich relevanten Markt angehören als dass GCC, PCC<br />
und Gemische separate Märkte darstellen.<br />
644. Die Monopolkommission bewertet es prinzipiell<br />
positiv, wenn traditionelle Untersuchungsmethoden durch<br />
ökonometrische Analysen ergänzt werden, weil dadurch<br />
Fehlerquellen aufgedeckt und die wettbewerbliche Einschätzung<br />
verbessert werden kann. Der vorliegende Fall<br />
gibt allerdings zu folgenden Anmerkungen Anlass. Zum<br />
einen weicht das Ergebnis der traditionellen Marktuntersuchung<br />
in gewisser Hinsicht von dem der ökonometrischen<br />
Analyse ab, ohne dass die Europäische Kommission<br />
dies kommentiert. Aufgrund der traditionellen<br />
Marktuntersuchung entsteht der Eindruck, dass von PCC<br />
ein stärkerer Wettbewerbsdruck auf GCC ausgeht als von<br />
GCC auf PCC. Aus der ökonometrischen Studie ergibt<br />
sich hingegen, dass GCC schwerer durch PCC zu ersetzen<br />
ist als umgekehrt, der Wettbewerbsdruck also eher<br />
von GCC auf PCC wirkt. Zum anderen vermisst der Leser<br />
die Angabe von Standardfehlern oder Signifikanzniveaus,<br />
um einschätzen zu können, mit welcher Wahrscheinlichkeit<br />
die Schätzung die wahren Werte ermitteln konnte.<br />
Darüber hinaus bleibt fraglich, ob an dieser Stelle der<br />
Entscheidung überhaupt eine ökonometrische Analyse erforderlich<br />
war, denn die traditionelle Marktuntersuchung<br />
hatte bereits relativ eindeutige Ergebnisse zugunsten der<br />
Substituierbarkeit von GCC und PCC erbracht. Die von<br />
der Europäischen Kommission hierzu angeführten Gegenargumente<br />
erscheinen schwach. So sind mit einem<br />
Austausch der benutzten Rohstoffe regelmäßig gewisse<br />
Kosten verbunden, die Höhe dieser Kosten wird jedoch<br />
von der Europäischen Kommission nicht beziffert und<br />
bleibt daher vage. Der Leser kann nicht nachvollziehen,<br />
ob die erwähnten Kosten eine Substitution tatsächlich<br />
verhindern. Die Europäische Kommission macht ferner<br />
keinerlei nähere Angaben über Zahl und Bedeutung der<br />
Papiermaschinen, die ihrer Ansicht nach ungeeignet für<br />
eine Umstellung sind.<br />
645. Die Frage, ob die Erstellung einer ökonometrischen<br />
Studie unter den genannten Umständen sinnvoll ist,<br />
drängt sich vor allem vor dem Hintergrund der langen<br />
Verfahrensdauer im vorliegenden Fall auf. Nach Übermittlung<br />
der Verweisungsanträge durch die nationalen<br />
Wettbewerbsbehörden im April 2005 folgte die Anmeldung<br />
durch Omya im August 2005. Die abschließende<br />
Entscheidung erging erst ein knappes Jahr später im Juli<br />
2006. Ursächlich dafür waren mehrere Auskunftsverlangen<br />
der Europäischen Kommission gemäß Artikel 11<br />
Abs. 3 FKVO mit der Folge der Fristhemmung. Die Vermutung<br />
liegt nahe, dass die außergewöhnlich lange Verfahrensdauer<br />
mit der durch die Europäische Kommission<br />
vorgenommenen ökonometrischen Analyse sowie dem<br />
dadurch verursachten Datenbedarf zusammenhängt. Gerade<br />
im vorliegenden Fall erscheint es indes zweifelhaft,