Deutscher Bundestag Unterrichtung
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 16. Wahlperiode – 247 – Drucksache 16/10140<br />
Wettbewerbs erforderlich. Der hypothetische Monopolistentest<br />
76 vermag die Aussagen zur Nachfrage- und zur<br />
Angebotssubstituierbarkeit zu beleuchten, wohingegen<br />
das Bundeskartellamt in seinen Untersuchungen durch<br />
die Anwendung des Bedarfsmarktkonzepts lediglich auf<br />
die Nachfragesubstituierbarkeit abgestellt hat.<br />
553. Im Rahmen des hypothetischen Monopolistentests<br />
wäre zum Beispiel die Frage zu erörtern, ob ein hypothetischer<br />
Monopolist auf dem Markt für den erstmaligen<br />
Absatz von Strom auch über eine Monopolstellung auf allen<br />
oder einigen weiteren Märkten der Distributionsstufe<br />
verfügen muss, um eine 5 bis 10-prozentige Preiserhöhung<br />
profitabel zu machen. Auch wenn hier Bedarfsmarktkonzept<br />
und hypothetischer Monopolistentest nach Ansicht der<br />
Monopolkommission vermutlich zu einem identischen Ergebnis<br />
kommen würden und der Markt für den erstmaligen<br />
Absatz von Strom als maßgeblicher Markt der Distributionsstufe<br />
anzusehen wäre, muss dennoch betrachtet werden,<br />
dass das Bedarfsmarktkonzept nicht einbezieht, welche<br />
Wettbewerbswirkungen von den Händlern ausgehen,<br />
und nicht relevant ist, ob Strom vom Stromerzeuger oder<br />
einem Händler auf einer nachgelagerten Stufe bezogen<br />
wird, so dass Händler und Stromerzeuger einen gemeinsamen<br />
relevanten Markt bilden würden.<br />
554. Weiterhin könnte geprüft werden, ob und inwiefern<br />
unabhängige Weiterverteiler als Nachfrager auf dem<br />
Markt für den erstmaligen Stromabsatz auf eine Preiserhöhung<br />
des hypothetischen Monopolisten reagieren<br />
würden. Denkbar wäre, dass sie auf eine Preiserhöhung<br />
mit dem Bau eigener Stromerzeugungskapazitäten und<br />
damit dem Verzicht des Bezugs von Strom reagieren würden.<br />
In diesem Fall würde sich eine Preiserhöhung langfristig<br />
nicht auszahlen und ein potenzieller Wettbewerb<br />
durch Eigenerzeugung würde disziplinierend wirken. Die<br />
unabhängigen Weiterverteiler müssten demselben Markt<br />
zugerechnet werden wie die aktuellen Erzeuger. Der<br />
sachlich relevante Markt wäre damit weiter abzugrenzen.<br />
555. Weiterer Untersuchungspunkt wäre die räumliche<br />
Abgrenzung des Strom-Großkundenmarktes und die<br />
Überprüfung, ob es sich tatsächlich um einen nationalen<br />
Markt handelt und nicht nur um einen Markt, der nach<br />
Regelzonen abzugrenzen ist. Darüber hinaus ließe sich<br />
überprüfen, ob die Märkte für Kleinkunden und Großkunden<br />
tatsächlich getrennte Märkte sind. Die Monopolkommission<br />
hat bereits dargelegt, dass zwischen den beiden<br />
Märkten asymmetrische Substitutionsbeziehungen bestehen,<br />
die dazu führen, dass, je nachdem ob der Wettbe-<br />
76 Der hypothetische Monopolistentest, der identisch ist mit dem aus<br />
den USA stammenden SSNIP-Test, ist ein gedankliches Experiment,<br />
welches die Auswirkungen einer hypothetischen Preiserhöhung auf<br />
die Gewinnsituation des Anbieters betrachtet. Es wird die Frage gestellt,<br />
ob die Nachfrager als Reaktion auf eine angenommen Erhöhung<br />
der Preise im Bereich von 5 bis 10 Prozent auf verfügbare Substitute<br />
ausweichen würden. Dabei wird auch berücksichtigt, ob<br />
potenzielle Konkurrenten aufgrund der hypothetischen Preiserhöhung<br />
ihr Angebot umstellen würden (Angebotsstubstituierbarkeit).<br />
Ist die Substitution so groß, dass durch den damit einhergehenden<br />
Absatzrückgang eine Preiserhöhung nicht mehr einträglich wäre, so<br />
werden in den relevanten Markt so viele weitere Gebiete einbezogen,<br />
bis kleine Erhöhungen der relativen Preise einen dauerhaften Gewinn<br />
einbringen würden.<br />
werb um Kleinkunden oder um Großkunden analysiert<br />
werden soll, divergierende Marktdefinitionen gelten würden.<br />
77<br />
556. Erschwert werden die Analysen im Rahmen des<br />
hypothetischen Monopolistentests dann, wenn der originäre<br />
Wettbewerbspreis nicht bekannt ist und die Preise<br />
bereits in der Ausgangssituation des Gedankenexperiments<br />
erhöht sind. Die Monopolkommission weist darüber<br />
hinaus darauf hin, dass die Operationalisierung des<br />
hypothetischen Monopolistentests einen deutlichen zusätzlichen<br />
Aufwand verlangt, insbesondere dann, wenn<br />
ergänzende Marktdatenerhebungen erforderlich werden.<br />
Die Monopolkommission regt daher an, dass die Kapazitäten<br />
des Bundeskartellamts diesbezüglich ausgerichtet<br />
werden.<br />
557. Zu den Fusionskontrollfällen, in denen das Bundeskartellamt<br />
die vom Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigte<br />
Marktabgrenzung angewandt hat, zählen das<br />
ebenfalls langwierige Revisionsverfahren RWE/Saar<br />
Ferngas sowie das Verfahren RWE/Stadtwerke Krefeld<br />
Neuss. 78 In beiden Fällen waren sowohl der Strom- als<br />
auch der Gasmarkt betroffen. Bei der Marktabgrenzung<br />
im Gassektor folgte das Bundeskartellamt seiner bisherigen<br />
Praxis. Die Monopolkommission vertritt die Meinung,<br />
und stimmt hierbei mit dem Bundeskartellamt<br />
überein, dass es zwar Anzeichen 79 für einen Änderungsbedarf<br />
dieser Marktabgrenzung gibt, aber dennoch die<br />
Entwicklung der tatsächlichen Marktverhältnisse abgewartet<br />
werden sollte. Allerdings sieht die Monopolkommission<br />
auch hier die Option, die aktuelle Marktabgrenzung<br />
mithilfe quantitativer Verfahren zu überprüfen. So<br />
wäre zum Beispiel für die aktuell kontrovers diskutierte<br />
Abgrenzung eines einheitlichen Wärmemarktes ein zusätzlicher<br />
Erkenntnisgewinn zu erwarten. 80<br />
77 Vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 49, a. a. O., Tz. 153 ff.<br />
78 BKartA, Beschluss vom 12. März 2007, B8 – 62/06; dass., Beschluss<br />
vom 23. Oktober 2007, B8 – 93/07.<br />
79 Dazu zählen zum Beispiel die Reduktion der Marktgebiete, die Einführung<br />
des Zweivertragsmodells als neues Netzzugangsmodell sowie<br />
die Erwartungen an die Entwicklung eines funktionsfähigen<br />
Großhandels. Vgl. BKartA, Beschluss vom 23. Oktober 2007, B8 –<br />
93/07 „RWE/Stadtwerke Krefeld Neuss“.<br />
80 Das Bundeskartellamt hat sich bis dato gegen einen einheitlichen<br />
Wärmemarkt auf der Endkundenstufe ausgesprochen und sich diesbezüglich<br />
auf höchstrichterliche Rechtsprechung bezogen. Vgl. dazu<br />
BGH, Urteil vom 9. Juli 2002, KZR 30/00, WuW/E DE-R 1006<br />
„Fernwärme für Börnsen“. Jüngst hat der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs<br />
zur Monopolstellung als Voraussetzung für die analoge<br />
Anwendbarkeit des § 315 BGB die Ansicht vertreten, dass es<br />
dabei auf den sog. Wärmemarkt unter Einschluss aller übrigen für die<br />
Wärmeerzeugung geeigneten Energieträger wie Öl, Strom, Kohle,<br />
Fernwärme etc. ankomme. Vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2007, VIII<br />
ZR 36/06, WuW/E DE-R 2243 „Gaspreis“. Die Literatur steht der<br />
Übertragung dieser Auffassung auf das Kartellrecht kritisch gegenüber<br />
und auch die Monopolkommission äußerte sich bis dato eher abwartend;<br />
vgl. dazu Monopolkommission, Sondergutachten 49,<br />
a. a. O., Tz. 416. Das Oberlandesgericht Celle hat im Januar 2008 als<br />
erstes Kartellgericht entschieden, dass für die Endkundenversorgung<br />
nicht auf den Gasmarkt, sondern auf den Wärmemarkt abzustellen<br />
sei; vgl. dazu OLG Celle, Beschluss vom 10. Januar 2008, 13 VA1/07<br />
(Kart), WuW/E DE-R 2249 „Stadtwerke Uelzen“. Im Februar folgte<br />
ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main mit der gleichen<br />
Aussage; vgl. dazu OLG Frankfurt am Main, Urteil vom<br />
19. Februar 2008, 11 U 12/07 (Kart).